Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Begegnung mehrerer Schiffe bei verminderter Sicht. Adäquater Ursachenzusammenhang zwischen der falschen Fahrweise eines Fahrzeugs und den Fehlern eines zweiten Fahrzeugs auch dann, wenn das zweite das erste Fahrzeug zuerst nicht sehen kann, dann aber durch dessen Verhalten in eine unklare Lage gerät und selbst erfahrungsgemäß Fehler macht.
Urteil des Bundesgerichtshofs
21. April 1975
II ZR 137/73
Zum Tatbestand:
Nach den Feststellungen des Tatrichters fuhr das MS GK bei einer Sichtweite von nicht mehr als 400 m am rechtsrheinisch gelegenen Thyssengrund (Rhein-km 411 bis 412,4) zu Berg. Ihm folgte mit einem Abstand von ca 200 bis 300 m das der Beklagten gehörende, leere MS CK. Beide Schiffe hatten der Talfahrt den Weg zu einer Steuerbordbegegnung gewiesen. Ebenfalls rechtsrheinisch kam diesen Schiffen das bei der Klägerin versicherte, beladene MS W zu Tal entgegen, das vorher bei Rheinkm 411,5 das MS F mit hoher Geschwindigkeit auf dessen Steuerbordseite überholt und diese Geschwindigkeit auch danach unvermindert beibehalten hatte. Als MS GK aus dem Nebel auftauchte, wurde MS W unsicher und entschloß sich zur weisungswidrigen Backbordbegegnung. MS GK wich unter Löschen des Blinklichts nach linksrheinisch aus. Darauf wurde MS W erstmals für MS CK sichtbar, das wegen des nur noch 200-300 m betragenden Abstandes in gleicher Weise wie MS GK - Löschen des Blinklichts und Steuerbordkurs - nach linksrheinisch auswich. Kurz danach blinkte es wieder unter Beibehaltung des Kurses, so daß sich MS W veranlaßt sah, der ursprünglichen und erneut gegebenen Weisung zur Steuerbordbegegnung zum linken Ufer hin zu folgen. Dabei kam es etwa in der Mitte des Fahrwassers oder noch weiter zum linken Ufer hin zur Kollision, indem MS CK mit einer Steuerbordschräglage von ca. 35° in die Steuerbordseite von MS W hinausfuhr.
Rheinschiffahrtsgericht und Rheinschiffahrtsobergericht haben den Anspruch der Klägerin auf Ersatz des erstatteten Schadens in Höhe von etwa 53 000,- DM dem Grunde nach zu '/4 für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Führung des MS „Christa Kayser" die Kollision mit MS „Weco 1" durch zwei Fehler verschuldet. Zum einen sei sie mit unverminderter Geschwindigkeit weitergefahren - anstatt zu stoppen und zurückzuschlagen - als MS „Weco 1" auf der Backbordseite des MS „Gerd Klaus" und damit in dem Kurs ihres Fahrzeugs aufgetaucht sei (Verstoß gegen § 4 RheinSchPolVO 1954). Zum anderen habe sie den Kurs nach Steuerbord geändert und sei damit von dem durch das beiderseitige Zeigen des weißen Blinklichts festgelegten Begegnungskurs abgewichen (Verstoß gegen § 37 Nr. 3 RheinSchPolVO 1954). Dem ist in beiden Punkten zuzustimmen.
Das Berufungsgericht meint weiter, daß auch die Führung des MS W den Schiffszusammenstoß verschuldet habe. Ihr sei zunächst vorzuwerfen, daß sie trotz der durch Nebel verminderten Sicht die Fahrt zum Überholen des MS F stark erhöht und diese Geschwindigkeit bis zum Insichtkommen des MS GK beibehalten habe (Verstoß gegen § 80 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 RheinSchPolVO 1954). Ferner sei ihr zum Vorwurf zu machen, daß sie die Weisung des MS „Gerd Klaus", an der Steuerbordseite vorbeizufahren, nicht befolgt habe (Verstoß gegen § 39 Nr. 1 RheinSchPolVO 1954). Beide Fehler seien für die Kollision auch adäquat ursächlich gewesen. Sie hätten bewirkt, daß MS GK den anfänglich verfolgten Weg nach linksrheinisch hin verlassen habe und MS W für MS CK an der Backbordseite des MS „Gerd Klaus" aufgetaucht sei, wodurch sich für die Führung des MS CK eine unklare Lage ergeben habe, in der sie nun ihrerseits nautisch falsch gehandelt habe.
Die Revision vermag nicht ernsthaft zu bezweifeln, daß die Vorwürfe, die das Berufungsgericht der Führung des MS W macht, berechtigt sind. Sie wendet sich jedoch dagegen, daß die der Führung des MS W angelasteten Fehler für die Kollision adäquat ursächlich gewesen seien. Nach ihrer Ansicht haben diese Fehler mit dem nautisch falschen Handeln auf MS CK nichts zu tun, da letzteres sich zu einem Zeitpunkt abgespielt habe, in dem es durch das Verhalten des MS W überhaupt nicht hätte beeinflußt werden können. Daran ist richtig, daß das vorauslaufende leere MS GK das tief abgeladene MS W für die Führung des MS CK verdeckte, als sich der Talfahrer mit überhöhter Geschwindigkeit dem ersten Bergfahrer näherte, beim Abstoppen in der Kursführung unsicher wurde und sich darauf den Weg zu einer Backbordbegegnung erzwang. Daraus folgt jedoch nicht, daß zwischen diesem Verhalten des MS W und dem Schiffszusammenstoß kein adäquater Ursachenzusammenhang bestanden haben kann. Insoweit ist in erster Linie zu bedenken, daß zwischen der falschen Fahrweise eines Fahrzeugs und den Fehlern eines zweiten Fahrzeugs ein adäquater Zusammenhang auch dann zu bejahen ist, wenn das zweite Fahrzeug das erste zwar zunächst nicht sehen kann, sodann aber durch dessen Verhalten in eine unklare Lage gerät, in der es erfahrungsgemäß zu solchen Fehlern kommen kann, wie sie die Führung des MS CK gemacht hat. Ferner war die Lage für MS CK nach dem angefochtenen Urteil nicht deshalb unklar, weil die Führung des MS W während der Annäherung ihres Fahrzeugs an MS GK fehlerhaft gehandelt hatte, sondern weil sie wegen ihres falschen nautischen Verhaltens an der Backbordseite dieses Fahrzeugs vor dem ihm in einem Abstand von 200 bis 300 m folgenden MS CK auftauchte, hierbei eine Geschwindigkeit von immerhin noch 15 km/h innehielt, so daß es, wie das Berufungsgericht ausgeführt hat, fraglich sein konnte, ob der Talfahrer in der Lage war, den für eine Steuerbordbegegnung mit MS CK notwendigen Kurswechsel - jedenfalls gefahrlos - zu vollziehen
Zu der Schwere des auf beiden Seiten obwaltenden Verschuldens (vgl. § 92 a. F. BinnSchG, § 736 Abs. 1 HGB) hat das Berufungsgericht erwogen, daß die in der leichtfertigen Fahrweise des MS W liegende Schuld" erheblich stärker zu bewerten sei als die Fehler der Führung des MS CK; insbesondere sei dem gegen diese zu richtenden Vorwurf, den Kurs ihres Fahrzeugs unter Mißachtung des festgelegten Begegnungskurses nach Steuerbord geändert zu haben, ein vermindertes Gewicht beizulegen, weil das lediglich die Folge der „verwirrenden Fahrweise des MS W bei dessen Begegnung mit MS GK gewesen sei.
Auch gegen diese im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiete liegende Ausführungen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Sie tragen zutreffend dem Umstand Rechnung, daß es allein der Talfahrer war, der durch seine bei dem unsichtigen Wetter unverantwortliche Fahrweise eine Lage geschaffen hat, in der sein Auftauchen in rascher Fahrt an der Backbordseite des MS GK für die Führung des MS CK verwirrend" war und bewirkte, daß diese nun ihrerseits falsch handelte.