Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Der Reeder haftet nicht für das Verschulden der Stauereiarbeiter eines selbständigen Stauereiunternehmens, das ein Dritter (z. B. Charterer, Ablader, Ladungsempfänger) mit dem Laden oder Löschen des Schiffes beauftragt hat.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 19. Dezember 1977
II ZR 136/75
(Landgericht Aurich; Oberlandesgericht Oldenburg)
Zum Tatbestand:
Ein zu einer Rohrverkleidung gehörendes Blechstück, das im März 1971 bei einer Reparatur auf dem MS „S" des Beklagten herausgeschnitten war (102 x 43 x 0,7 cm) geriet beim Löschen einer Feinerzladung im Mai 1971 in die der Klägerin gehörende Förderbandanlage, die dadurch erheblich beschädigt wurde.
Die Klägerin verlangt Schadensersatz von mehr als 80000,- DM mit der Behauptung, das Blechstück sei aus Nachlässigkeit der Besatzung von MS „S" in dessen Raum II verblieben und dort in die Feinerzladung geraten.
Die Beklagte bestreitet jedes Verschulden der Schiffsbesatzung. Das fragliche Blechstück sei an der gleichen Rohrverkleidung wieder als Verstärkung angebracht und erst beim Laden oder beim Löschen durch die fehlerhafte Handhabung eines Greifers abgerissen worden. Nach dem Frachtvertrag zwischen der Zeitcharterin des MS „S" und dem Befrachter und der darin enthaltenen Fio-Klausel sei das Laden und Löschen Sache der Ladungsbeteiligten gewesen. Die Ladungsempfängerin habe den Löschauftrag demgemäß einem Stauereiunternehmen erteilt.
Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten wurde die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Besatzung des MS „S" die Förderbandanlage der Klägerin schuldhaft beschädigt.
Hierfür spreche bereits ein Anscheinsbeweis. Das bezweifelt die Revision ohne Erfolg. Nach allgemeiner Erfahrung ist eine Nachlässigkeit der Schiffsbesatzung anzunehmen, wenn in einem der Laderäume, deren sorgsame Überwachung zu den ausdrücklichen Pflichten jeder Schiffsführung gehört (§ 514 HGB), ein von dem Schiffskörper stammender Gegenstand in die Ladung gerät.
Diesen Anscheinsbeweis hat die Beklagte nach Meinung des Berufungsgerichts nicht ausgeräumt.
...
Die Beklagte habe für das Verschulden der Arbeiter eines selbständigen Stauereiunternehmens beim Laden oder Löschen des MS „S" ebenfalls einzustehen. Insoweit sei § 485 Satz 1 HGB entsprechend anzuwenden. Ohne Belang sei dabei, ob die Be¬klagte oder einer der Ladungsbeteiligten den Auftrag zum Laden oder zum Löschen erteilt gehabt habe. Letzteres ist nicht richtig.
a) § 485 Satz 1 HGB soll den besonderen Gefahren Rechnung tragen, die mit dem Betrieb eines Schiffes für Dritte verbunden sind (so bereits S. 2027/2028 der Protokolle zu Art. 451 ADHGB, der wörtlich als § 485 Satz 1 in das Handelsgesetzbuch übernommen worden ist). Jedoch sieht die Vorschrift - anders als die Regelungen über die Haftung des Halters oder Betreibers eines Land- oder Luftverkehrsmittels (vgl. § 1 HaftpflG; § 1 SachHpflG; § 7 StVG; § 33 LVG) - keine Gefährdungshaftung des Reeders vor. Vielmehr bestimmt sie, daß der Reeder - im Rahmen der Haftungsbeschränkung des § 486 Abs. 1 HGB a. F. beziehungsweise der §§ 486, 487 a HGB n. F. - für den Schaden verantwortlich ist, den eine Person der Schiffsbesatzung oder ein an Bord tätiger Seelotse einem Dritten in Ausführung von Dienst¬verrichtungen schuldhaft zufügt. Allerdings gehören nach § 481 zur Schiffsbesatzung nicht nur der Kapitän, die Schiffsoffiziere und die Schiffsmannschaft, sondern auch „alle übrigen auf dem Schiff angestellten Personen". Dieser Kreis umfaßt aber nur solche Personen, die als Arbeitnehmer kraft eines auf eine gewisse Dauer berechneten unmittelbaren Dienstverhältnisses zum Reeder in den arbeitsteiligen Organismus der Schiffsdienste und der Bordgemeinschaft eingegliedert sind (BGHZ 3, 34, 39; 26, 152, 155). Das trifft auf selbständige Stauer und deren Leute (Stauervice, Schauerleute), die gleichfalls keine Arbeitnehmer des Reeders sind, nicht zu. Auf ihr Verschulden beim Laden oder Löschen kommt daher eine unmittelbare Anwendung des § 485 Satz 1 HGB nicht in Betracht.
b) Nun ist es richtig, daß das Reichsgericht und - diesem folgend - der erkennende Senat eine entsprechende Anwendung des § 485 Satz 1 HGB für notwendig erachtet haben, wenn der Reeder das Laden oder das Löschen seines Schiffes nicht von der Besatzung oder von ihm hierzu angestellten Stauern hat besorgen lassen (was übrigens in neuerer Zeit ohnehin nicht mehr üblich ist), sondern ein selbständiges Stauereiunternehmen mit der Durchführung dieser Aufgabe betraut hat (RGZ 126, 34 f; BGHZ 26, 152, 155/156). Diese Rechtsprechung hat im Schrifttum Billigung gefunden (Prüssmann, Seehandelsrecht § 485 Anm. D 1 c ee; Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht 3. Aufl. Bd. II § 481 Anm. 15; Schlegelberger/Liesecke, Seehandelsrecht § 481 Rnr. 14; Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht 2. Aufl. S. 174/175; a. M. Wauschkuhn, Die außervertragliche Haftung des Reeders für das Verschulden der an Bord beschäftigten Hilfspersonen S. 64 und die dort in Fußnote 195 angeführten Schrifttumsstellen). Ihr liegt der Gedanke zugrunde, daß § 485 Satz 1 HGB einen besonderen Ausgleich für die mit dem Schiffsbetrieb zusammenhängenden besonderen Gefahren herbeiführen solle und es danach keinen wesentlichen Unterschied mache, ob der Reeder sein Schiff von eigenen Arbeitnehmern laden oder löschen oder diese - dem Schiffsbetrieb zuzurechnende -Tätigkeit von einem selbständigen Stauereiunternehmen vornehmen lasse. Dieser Gedanke greift jedoch nicht in solchen Fällen, in denen nicht der Reeder, sondern ein Dritter (z. B. Charterer, Ablader, Ladungsempfänger) den Auftrag für die Lade- oder Löscharbeiten einem selbständigen Stauereiunternehmen erteilt. Hier würde eine sinngemäße Ausdehnung der Reederhaftung diese besonders stark einer Gefährdungshaftung annähern, welche das Handelsgesetzbuch für den Reeder bewußt nicht eingeführt hat. Außerdem ginge eine solche Erweiterung der Reederhaftung in unzulässiger Weise daran vorbei, daß § 485 Satz 1 HGB die Verantwortlichkeit des Reeders für Schäden Dritter aus dem Schiffsbetrieb nicht an das Verschulden irgendeiner einen Schiffsdienst ausübenden Person, sondern an das der hierzu von ihm angestellten Leute knüpft, somit solcher Personen, die seiner Auswahl, Überwachung und Weisungsbefugnis unterstehen. So liegt es beim Einsatz eines selbständigen Stauereiunternehmens aber nicht. Allerdings kommen hier dem Reeder gewisse Auswahl- und Einwirkungsmöglichkeiten gegenüber dem Stauereiunternehmen selbst zu, sofern er es mit dem Laden oder Löschen seines Schiffes beauftragt. In diesem Falle läßt es sich daher noch rechtfertigen, beim Vorliegen eines Fehlers der Stauereiarbeiter des - vom Reeder selbst eingeschalteten - Unternehmens § 485 Satz 1 HGB entsprechend heranzuziehen. Hingegen fehlt hierfür jeder überzeugende Grund, wenn nicht der Reeder, sondern ein Dritter (z. B. Charterer, Ablader, Ladungsempfänger) das Stauereiunternehmen beauftragt hat, so daß es dem ersteren auch an jeder Auswahl - oder Einwirkungsmöglichkeit hinsichtlich des Unternehmens mangelt. Mit Recht weisen deshalb Schaps/Abraham aaO darauf hin, daß bei einer solchen Fallgestaltung eine Haftung des Reeders für ein schuldhaftes Verhalten der Stauereiarbeiter abzulehnen ist (ebenso Wüstendörfer aaO). Soweit demgegenüber in dem Senatsurteil BGHZ 26, 152, 156 eine abweichende Auffassung anklingt, wird daran nicht festgehalten. Damit soll allerdings nicht ausgeschlossen werden, daß der Reeder im Einzelfall für ein Überwachungsverschulden der eigenen Besatzung zu haften hat.
Demnach kann das angefochtene Urteil mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Vielmehr kommt es für die Entscheidung über den Klageanspruch darauf an, ob die von der Beklagten behauptete und nach Ansicht des Berufungsgerichts offenbar auch hinreichend unter Beweis gestellte Schadensursache zutrifft.
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