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Leitsätze:
1) Ein in allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenes Aufrechnungsverbot gilt regelmäßig nicht für den Konkursfall.
2) Auch wenn ein rechtsgeschäftliches Aufrechnungsverbot erst dadurch wegfällt, daß der Aufrechnungsgegner nach Abschluß des Berufungsverfahrens in Konkurs gerät, ist das regelmäßig im Revisionsverfahren noch zu berücksichtigen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 2. Dezember 1974
II ZR 132/73
(Landgericht Duisburg; Oberlandesgericht Düsseldorf)
Zum Tatbestand:
Die beklagte Werft bestreitet nicht, der Klägerin, ebenfalls eine Werft, für die Herstellung von Teilen für Schiffsneubauten ca. 110 000,- DM zu schulden. Sie rechnet jedoch mit Schadenersatzansprüchen von über 130 000,- DM auf, weil sie wegen der von der Klägerin zu verantwortenden Überschreitung der Lieferzeit diesen Betrag als Vertragsstrafe an ihre Abnehmerin habe zahlen müssen. Die Klägerin beruft sich jedoch auf das Aufrechnungsverbot, das in ihren Verkaufs- und Lieferungsbedingungen enthalten ist.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Nachdem letztere Revision eingelegt hatte, wurde über das Vermögen der Klägerin das Konkursverfahren eröffnet und das Revisionsverfahren vom Konkursverwalter aufgenommen. Auf die Revision ist schließlich das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben, soweit das Landgericht über sie durch Teilurteil entschieden hat, weil die Beklagte gegen die insoweit unstreitige Klageforderung weder wirksam habe aufrechnen noch ein Zurückbehaltungsrecht habe ausüben können. Beides sei nach den Verkaufs- und Lieferbedingungen der Klägerin ausgeschlossen; diese seien im Zuge der Entwicklung der Geschäftsbeziehungen der Parteien für ihr Rechtsverhältnis verbindlich geworden.
Das Aufrechnungsverbot kann aber keine Geltung mehr beanspruchen, seitdem über das Vermögen der bisherigen Klägerin der Konkurs eröffnet worden ist.
1. Aufrechnungsverbote nehmen Kaufleute in Einzelverträge und Allgemeine Geschäftsbedingungen meist auf, um zu verhindern, daß ihnen der Vertragspartner den Lohn für die erbrachte Leistung vorenthält, sich dazu auf möglicherweise zweifelhafte und erst durch einen vielleicht langwierigen Prozeß zurückweisbare Gegenforderungen beruft und so die schnelle und zügige Geschäftsabwicklung hinauszögert. Dieser Zweck entfällt, wenn die Geschäftstätigkeit des durch die Verbotsklausel Begünstigten aufgehört hat und nur noch eine gesetzlich geregelte Abwicklung aller Ansprüche und Gegenansprüche Platz greift. In Rechtsprechung und Schrifttum wird daher die Auffassung vertreten, Aufrechnungsverbote in Individualverträgen seien meist so auszulegen, daß sie für den Konkursfall nicht gelten sollen (BGH, Urt. v. 19. 1. 1966 - VIII ZR 250/63, BB 1966, 180; vgl. ferner u. a. Jaeger KO, 8. Aufl. Anm. 13 zu § 53 m. w. N.). Dasselbe hat das Reichsgericht für einen Fall ausgesprochen, in dem die Aufrechnung für bestimmte Fälle in Allgemeinen Verkaufsbedingungen ausgeschlossen war (RGZ 124, 8 ff). Diesen Entscheidungen ist für Sachverhalte der hier vorliegenden Art beizutreten. Wenn und solange der Begünstigte leistungsfähig ist, ist nicht nur sein Interesse an der Durchsetzung eines Aufrechnungsverbots (mit Einschränkungen - vgl. BGH, Urt. v. 3. 3. 1971 - VIII ZR 194/69, WM 1971, 722) grundsätzlich als berechtigt anzuerkennen; solche Verbote belasten im allgemeinen auch den Vertragspartner nicht unzumutbar, weil hierdurch die Realisierbarkeit und damit der Wert seiner etwaigen Gegenforderungen nicht nachhaltig beeinträchtigt werden. Der Vertragspartner würde dagegen empfindlich getroffen, wenn ein Aufrechnungsausschluß in den Konkurs der Begünstigten hineinwirken würde, in dem die Aufrechnungsbefugnis eine besondere Schutzwirkung hätte.
2. Das Konkursverfahren über das Vermögen der Klägerin ist erst nach Abschluß des Berufungsverfahrens eröffnet worden. Der aus der Konkurseröffnung herzuleitende Wegfall des Aufrechnungsverbots ist aber gleichwohl im Revisionsverfahren zu berücksichtigen. Nach § 561 ZPO unterliegt allerdings der Beurteilung des Revisionsgerichts, außer bei Verfahrensrügen, nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Tatbestand des Berufungsurteiles oder der Sitzungsniederschrift ersichtlich ist. Neu vorgebrachte Tatsachen können grundsätzlich im Revisionsverfahren auch dann nicht berücksichtigt werden, wenn sie, wie es hier hinsichtlich der Konkurseröffnung der Fall ist, erst nach diesem Zeitpunkt eingetreten sind und daher gar nicht früher hätten vorgetragen werden können.
Diese Grundsätze gelten jedoch nicht ausnahmslos. Hinsichtlich der Konkurseröffnung durchbricht das Gesetz sie teilweise selbst. Nach § 240 ZPO unterbricht die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen einer Partei den Rechtsstreit auch in der Revisionsinstanz, bis er nach den für den Konkurs geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Konkursverfahren aufgehoben wird. Danach wird die Konkurseröffnung als neue Tatsache verfahrensrechtlich berücksichtigt.
Hier steht jedoch im Vordergrund die Frage, ob auch die materiellrechtlichen Auswirkungen der Konkurseröffnung bei der Entscheidung zu berücksichtigen sind. Dafür spricht, daß kein einleuchtender Grund für eine unterschiedliche Berücksichtigung der verfahrensrechtlichen und der materiellrechtlichen Auswirkungen der Konkurseröffnung gerechtfertigt ist, solange diese als Tatsache feststeht, wie es hier der Fall ist. Unter solchen Umständen belastet auch ihre Beachtung das Revisionsgericht bei der Urteilsfindung nicht mit der dem Revisionsverfahren grundsätzlich fremden Bewertung von Tatsachen. Eine dahingehend eingeschränkte Auslegung des § 561 ZPO ist daraus zu rechtfertigen, daß diese Vorschrift in erster Linie nur sicherstellen soll, daß das Revisionsgericht grundsätzlich nicht mit der Würdigung von Tatsachen befaßt wird. Das Reichsgericht und der Bundesgerichtshof haben dementsprechend bereits in einigen Fällen neue Tatsachen materiell-rechtlich berücksichtigt, wenn sie nicht beweisbedürftig waren (Änderung der Patentlage BGHZ 3, 365 m. w. N.; Erteilung einer Devisengenehmigung, BGH, Urt. v. 25. 6. 53 - IV ZR 135/51, und Eintritt der Volljährigkeit, BGH, Urt. v. 24. 1. 62 - V ZR 6/61, beide wiedergegeben in BGHZ 53, 128, 131, wo der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit berücksichtigt worden ist).
Die sachlich-rechtlichen Folgen der hier unstreitig feststehenden Konkurseröffnung sind jedenfalls im vorliegenden Revisionsverfahren zu berücksichtigen, da dem keine schützenswerten Interessen des Prozeßgegners (vgl. dazu BGH, Urt. v. 5. 2. 74 - VI ZR 71/72, LM ZPO § 561 Nr. 39) entgegenstehen. Der jetzt klagende Konkursverwalter und die von ihm betreute Masse müssen die von der früheren Klägerin mit der Beklagten geschlossenen Verträge, abgesehen von der hier nicht interessierenden Anfechtungsmöglichkeit nach §§ 29 ff. KO, stets hinnehmen. Ihre Rechtsstellung wird dann nicht geschmälert, wenn noch in diesem Prozeß geklärt wird, daß die Beklagte nunmehr aufrechnen kann, weil das von der Klägerin in ihren Verkaufs- und Lieferbedingungen vorgesehene Aufrechnungsverbot nicht im Konkursfall gilt; mit der Verweisung der Beklagten auf eine spätere Vollstreckungsgegenklage wäre der Abwicklung des Konkursverfahrens wenig gedient."