Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Ursächlicher Zusammenhang zwischen nautisch fehlerhaftem Kurs eines Schleppbootes und der Grundberührung eines Anhangkahnes außerhalb der Fahrrinne. Der Kahnführer ist verpflichtet, sein Fahrzeug selbständig und rechtzeitig abweichend vom Kurs des Bootes zu steuern, wenn er feststellt oder damit rechnen muß, daß er bei weiterer Befolgung des vom Boot eingeschlagenen Kurses außerhalb der Fahrrinne und auf Grund geraten kann.
Urteil des Bundesgerichtshofes vom 10. Juni 1965
II ZR 116/63
(Schiffahrtsgericht Würzburg / Schiffahrtsobergericht Nürnberg)
Zum Tatbestand:
Nach Verlassen der Schleuse Stockstadt geriet der beladene 840 t große Kahn A mit einem Tiefgang von 2,06 m unterhalb Main-km 82,0 im Anhang des dem Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten Motorschleppers N (Tiefgang 0,80 m, 150 PS) außerhalb der rechten Grenze des Fahrwassers auf Grund und wurde erheblich beschädigt. Der Schleppdraht war etwa 40 m lang und auf dem vorderen Backbordpoller von A befestigt.
Im Unterwasser der Schleuse lagen 2 Schiffe am linken Mainufer und warteten auf Bergschleusung. Die Fahrrinne verläuft an der Unfallstelle nahe am linken Mainufer im Abstand von etwa 4 bis 6 m und ist bei km 82,0 etwa 36 m breit. Die Wasserführung war gering; die Strömung zieht vom Wehr auf der rechten Mainseite zur linken Uferseite.
Als Rechtsnachfolgerin der Schiffseigner von A verlangt die Klägerin Schadensersatz mit der Behauptung, dass das Boot der Beklagten den Kahn A kurz nach der Ausfahrt aus der Schleuse in einem Winkel von 45° plötzlich nach Steuerbord gezogen habe, wodurch der Kahn trotz sofortigen Gegenruders außerhalb der Fahrrinne auf Grund geraten sei. Die Beklagten bestreiten ein Verschulden und meinen, daß auf dem Kahn, der seinen Kurs selbständig habe bestimmen können, das Ruder zu spät nach Backbord gelegt sei.
Das Schiffahrts- und das Schiffahrtsobergericht haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision ist der Klageanspruch dem Grunde nach zu einem Viertel gerechtfertigt erklärt worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht läßt die Frage, ob sich der Kapitän des Bootes nautisch richtig verhalten hat, dahingestellt, da es der Meinung ist, das Verhalten des Kapitäns habe den Unfall nicht verursacht.
Diese Auffassung greift die Revision mit Recht an.
Es steht außer Frage, dal3 der Bootskapitän ohne Notwendigkeit zu stark nach Steuerbord gehalten und damit einen nautisch fehlerhaften Kurs eingeschlagen hat, der dazu geführt hat, daß das Boot etwa 40 m über die rechte Grenze der Fahrrinne hinausgefahren ist; denn nach den eigenen Angaben des Beklagten zu 2 im Strafverfahren war das Boot im Zeitpunkt der Grundberührung etwa 40 m vom rechten Ufer entfernt, während der Abstand der rechten Fahrrinnengrenze zum rechten Ufer nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils etwa 80 m beträgt. Hätte der Bootsführer den durch die rechtsseitige Erweiterung der Fahrrinne, die Lage der Stillieger und den (unbedeutenden) Wasserfall gebotenen nautisch richtigen Steuerbordkurs von geringerem Ausmaß eingeschlagen, so kann nicht angenommen werden, daß der Kahn, der dem Boot folgte, selbst so weit nach Steuerbord geraten wäre. Dazu kommt, daß die Zugrichtung des Bootes, mag diese auch auf den Kurs des Kahnes eine weit geringere Wirkung als die Eigensteuerung des Kahnes ausgeübt haben, doch nicht ohne Einfluß auf den Kurs des Kahnes gewesen ist; vielmehr hätte der Kahn, je stärker das Boot nach Steuerbord zog, um so frühzeitiger und um so stärker das Ruder nach Backbord legen müssen, um in der Fahrrinne zu bleiben.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wird der ursächliche Zusammenhang zwischen der falschen Fahrweise des Bootes und der Grundberührung des Kahnes nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kahn durch richtiges Steuern in der Fahrrinne hätte bleiben und das Boot den Kahn gegen den Willen des Kahnführers unmöglich völlig aus dem Kurs" habe ziehen können. Das Berufungsgericht ist dem Irrtum unterlegen, der nautische Fehler des Bootsführers sei deshalb nicht kausal, weil bei richtigem nautischem Verhalten des Kahnführers es nicht zum Unfall gekommen wäre. Das falsche Steuern des Kahnführers betrifft aber nur die Frage der Mitverursachung und des Mitverschuldens. Sie schließt die Ursächlichkeit des nautischen Fehlers des Bootsführers nicht aus. Letzteres wäre nur dann der Fall, wenn der Kahn auch bei nautisch richtiger Bootsführung über die Grenze der Fahrrinne hinausgeraten wäre. Das stellt das Berufungsgericht nicht fest und kann nach der Sachlage nicht angenommen werden.
Die Revision will mit ihren Angriffen dartun, der Kahn A habe richtig gesteuert, aber nicht über ausreichende Steuerfähigkeit verfügt, sondern sei allein durch die Zugkraft des Bootes über die rechte Grenze der Fahrrinne gezogen worden. Sämtliche Revisionsrügen sind unbegründet.
Wenn ein Boot einen Kahn aus dem von diesem eingeschlagenen Kurs ziehen will, so kommt es nicht nur auf die Maschinenkraft des Bootes und die dem fahrenden Kahn innewohnende Kraft, sondern sehr wesentlich auch auf das Beharrungsvermögen, die „Standfestigkeit", d.h. die Größe und den Tiefgang der Fahrzeuge, an. Ist die „Standfestigkeit" des Bootes nicht groß genug, so kann es sein, daß der in Fahrt befindliche Kahn das Boot mitnimmt, u.U. sogar zum Kentern bringt. Wenn die Revision zur Begründung ihrer Ansicht u.a. darauf hinweist, auch bei einer etwa an Land befindlichen stationären Anlage, die einen Schleppkahn ans Land ziehe, komme es allein auf die Maschinenkraft dieser Anlage an, so macht gerade dieses Beispiel den Irrtum der Revision deutlich: Wenn der Motor dieser Anlage nicht standfest ist, sich z.B. auf einer leicht beweglichen Unterlage befindet, so kann er trotz der von ihm ausgehenden Maschinenkraft u.U. von dem in Fahrt befindlichen Schleppkahn mitgerissen und ins Wasser gezogen werden. Mit Recht ist daher auch in dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten des Sachverständigen K. ausgeführt, für die Frage, wie weit das Boot den Kurs seines Anhanges bestimmen könne, sei die Zugkraft und das Eigengewicht des Schleppers von ausschlaggebender Bedeutung.
Die Revision meint, die Steuerfähigkeit des Kahnes habe nicht ausgereicht, um den vom Boot bei dessen starken Steuerbordkurs (von der Revision als Wendemanöver bezeichnet) ausgehenden Zug durch Backbordgegenruder auszugleichen; in dem Augenblick, als das Boot stark nach Steuerbord gezogen habe, sei die Geschwindigkeit noch so gering gewesen, daß das Aufdrehen des Kahnruders nach Backbord, das übrigens sofort geschehen sei, sich nicht habe auswirken können; auch habe der Kahnführer die Gefährlichkeit dieses Steuerbordmanövers nicht sofort erkennen können.
Die vom Berufungsgericht gebilligte Auffassung der beiden gerichtlichen Sachverständigen, A habe schon bei der Ausfahrt aus dem Unterkanal ausreichende Steuerfähigkeit besessen, kann aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden. Das Berufungsgericht hat sich im Rahmen des § 412 ZPO gehalten, wenn es dem Antrag der Klägerin, ein Gutachten der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau anzufordern, nicht stattgegeben hat.
Der Kahnführer konnte und mußte sein Fahrzeug selbständig steuern. Als er sah, daß das Boot stark nach Steuerbord ging, musste er rechtzeitig reagieren. Schon von dem Augenblick an, als das Boot begann, durch seinen Steuerbordkurs den Kopf des Kahnes nach Steuerbord zu ziehen, musste er dafür sorgen, daß sein Kahn vierkant (und nicht, wie hier geschehen, schräg zum rechten Ufer) in der Weise versetzt wurde, daß er innerhalb der Fahrrinne die Stillieger in dem erforderlichen Abstand und parallel zu diesen passieren konnte. Für die seitliche Versetzung seines Kahns verblieben, wie der Sachverständige K. zutreffend angenommen hat, 19 m der Fahrrinne. Stoff dessen ist er, wie das Berufungsgericht feststellt, dem Kurs des Bootes gefolgt und geriet dadurch aus der Fahrrinne.
Wenn die Revision darauf hinweist, es dauere eine gewisse Zeit, bis das Ruder voll ausgedreht sei, so ist das zwar richtig. Das weiß aber der Kahnführer und er muß sich entsprechend einrichten. Die Revision berücksichtigt nicht, daß der fahrende Kahn kraft seines Beharrungsvermögens zunächst seinen Kurs beibehält und sich die vom Boot ausgehende Zugwirkung nach Steuerbord erst allmählich auswirkt, ebenso allmählich aber auch die entgegengesetzte Wirkung des Ruders. Daß der Kahnführer zu spät sein Ruder ganz nach Backbord ausgedreht hat, ergibt sich aus dem eigenen Vortrag der Klägerin.
Unerheblich ist, ob der Kahnführer den Bootsführer bei der Abfahrt von Würzburg aufgefordert hat, im Fahrwasser zu fahren, damit er sich in seinem Kielwasser bewegen könne. Auch wenn diese von der Klägerin bestrittene Äußerung gefallen ist, war der Kahnführer dadurch nicht von seiner Pflicht entbunden, selbständig und richtig seinen Kahn zu steuern.Die erheblich überwiegende Ursache für die Grundberührung hat der Kahnführer gesetzt. Von seinem richtigen Steuern hing in erster Linie der Kurs seines Kahnes ab. Entsprechend schwer wiegt sein Verschulden. Dagegen hat das zu harte Steuerbordmanöver des Bootsführers auf den Kurs des Kahnes eine nur verhältnismäßig geringe Wirkung ausgeübt. Ihm mußten die Folgen seines nautischen Fehlers nicht so deutlich vor Augen stehen als dem nach den Umständen des Falles in erster Linie für den Kurs seines Fahrzeuges verantwortlichen Kahnführer. Der Senat hält es daher für angemessen, den Beklagten die Verpflichtung zum Schadensersatz nur in Höhe von einem Viertel aufzuerlegen. Diese Verpflichtung ergibt sich für den Beklagten zu 2 aus §§ 254, 823 BGB, für den Beklagten zu 2 aus §§ 254, 823 BGB für den Beklagten zu 1 aus der Verletzung seiner Pflicht aus dem Schleppvertrag und aus §§ 3, 4, 114BschG. Die gesamte schuldnerische Haftung folgt aus § 840 BGB."