Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Die Überlassung eines bei einer Reederei fest angestellten Lotsen an fremde Schiffseigner begründet ein Leiharbeitsverhältnis.
2) Die Grundsätze über die Haftungseinschränkung bei gefahrgeneigter Tätigkeit finden auch bei einem Leiharbeitsverhältnis Anwendung.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 22. Mai 1978
II ZR 111/76
(Schiffahrtsgericht Mannheim; Schifffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Der Beklagte war als ein bei der Reederei Fendel mit einem festen Monatsgehalt angestellter Lotse den Eignern des MS L für eine Fahrt auf dem Oberrhein gegen Berechnung des tarifmäßigen Lotsenentgeltes überlassen, weil das Schiff die Reise im Auftrag der Reederei machte und sein Schiffsführer kein Rheinschifferpatent für die Strecke oberhalb Mannheim besaß. Das beladene Schiff passierte auf seiner Talfahrt bei Germersheim mit zu geringem Abstand einen Schwimmbagger, so daß es mit dem Ruder eine von dem Bagger zum Ufer hin ausgelegte Befestigungskette erfaßte, dadurch außer Kurs geriet und mit dem entgegenkommenden MS M zusammenstieß.
Die Klägerin als Kasko- und Haftpflichtversicherin des MS L verlangt von dem Beklagten wegen seiner falschen Fahrweise Ersatz der von ihr erstatteten Schäden an MS L und MS M von insgesamt mehr als 22 300,DM.
Der Beklagte beruft sich darauf, daß er zu den Eignern des MS L in einem Leiharbeitsverhältnis gestanden habe, so daß zu seinen Gunsten die Grundsätze für die Haftung eines Arbeitnehmers bei Ausübung einer gefahrgeneigten Tätigkeit zu beachten seien. Er sei daher nicht haftbar zu machen.
Schiffahrts- und Schiffahrtsobergericht haben die Klage abgewiesen. Auch die Revision der Klägerin blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...Es mag sein, daß die Eigner des MS L von Fendel einen „Lotsen" angefordert hatten. Ferner mag es zutreffen, daß die Oberrheinlotsen grundsätzlich eine selbständige Tätigkeit ausüben und zu dem Eigentümer des belotsten Fahrzeugs in kein Arbeitsverhältnis treten. Schließlich mag es richtig sein, daß Schiffsführer, die einen Lotsen brauchen, aus Zeitgründen häufig nicht erst die Lotsenstation anlaufen und dort nach einem Lotsen fragen, sondern stattdessen das Unternehmen, das über ihr Fahrzeug disponiert, um einen Lotsen bitten und nunmehr dieses Unternehmen die Lotsenstation um die Bereitstellung eines Lotsens ersucht. Das alles zwingt jedoch nicht zu der Annahme, daß der Beklagte auf MS L - jedenfalls aus der Sicht der Fahrzeugeigner - als selbständiger Lotse tätig gewesen sei. Auch mißt die Revision zu Unrecht den Besonderheiten des Falles keine Bedeutung bei, die das Berufungsgericht zu der Uberzeugung gelangen ließen, daß die Eigner des MS L stillschweigend damit einverstanden gewesen sind, daß Fendel ihnen einen seiner Arbeitnehmer zur verantwortlichen Führung ihres Fahrzeugs gegen Zahlung eines dem Lotsentarif entsprechenden Entgelt „leihweise" zur Verfügung stellte. Diese Besonderheiten bestanden nach den Feststellungen des Berufungsgerichts darin, daß es den Eignern des MS L erkennbar nicht wesentlich auf die Vermittlung eines selbständigen Lotsen angekommen ist und sie demgemäß - nach ihrem erstinstanzlichen Vorbringen - Fendel lediglich gebeten hatten, für die Führung ihres Fahrzeugs auf der Oberrheinstrecke zu sorgen....Die Revision kann nicht bestreiten, daß das Führen eines Motorschiffes auf einer Binnenwasserstraße dem Bereich gefahrgeneigter Tätigkeit zuzurechnen ist und deshalb dem angestellten Schiffsführer nach einer Kollision die Befugnis zustehen kann, von dem Schiffseigner (als seinem Arbeitgeber) zu verlangen, daß dieser den eigenen Schaden selbst trägt und außerdem den Schiffer von Schadensersatzansprüchen Dritter freistellt oder, soweit er (oder sein Versicherer) die Ansprüche der letzteren befriedigt hat, keinen Ausgleichsanspruch gegen seinen Arbeitnehmer geltend macht (vgl. SenUrt.. v. 24. 11. 75 - II ZR 53/74, Anmerkung der Redaktion: s. auch ZfB 1976, S. 176, BGHZ 66, 1 f). Ferner vermag die Revision nicht ernstlich zu bezweifeln, daß die Grundsätze über die Haftungseinschränkung eines Arbeitnehmers bei gefahrgeneigter Tätigkeit auch bei einem Leiharbeitsverhältnis gegenüber Schadensersatz- oder Ausgleichsansprüchen des entleihenden Arbeitgebers Anwendung finden (BGH, Urt. v. 10. 7. 73 - VI ZR 66/72, NJW 1973, 2020 f). Jedoch meint sie, im Streitfall könne jedenfalls eine vollständige Freistellung des Beklagten hinsichtlich der von ihm verschuldeten Unfallschäden nicht in Betracht kommen, selbst wenn man mit dem Berufungsgericht davon ausgehe, daß er nur leicht fahrlässig gehandelt habe. Dabei übersieht die Revision, daß der zur Stützung ihrer Auffassung herangezogene § 7 Abs. 2 BinnSchG lediglich ein besonderes (gesetzliches) Schuldverhältnis zwischen dem Schiffsführer und dem Schiffseigner begründet (vgl. SenUrt. v. B. 12. 75 - 11 ZR 64/74, Anmerkung der Redaktion: s. auchZfB 1976, S. 139, VersR 1976, 263, 264), hingegen nichts mit den arbeitsrechtlichen Beziehungen zwischen diesen und der daraus entspringenden Fürsorgepflicht des Schiffseigners gegenüber dem Schiffsführer zu tun hat. Ferner kann der Revision nicht gefolgt werden, soweit sie einen angestellten Schiffer arbeitsrechtlich wie einen leitenden Angestellten behandelt wissen will (vgl. SenUrt. v. 2. 7. 73 - II ZR 125/71, Anmerkung der Redaktion: s. auch ZfB 1973, S. 561, LM Allg. Geschäftsbedingungen Nr. 51 = VersR 1974, 131, 132). Auch können weder das - nicht sehr hohe - Gehalt, das der Beklagte zum Unfallzeitpunkt bezogen hat, noch seine vorübergehende Stellung als verantwortlicher" Führer des MS „Lolalo" es rechtfertigen, ihm wenigstens einen Teil der Kollisionsschäden aufzuerlegen. Zwar mag der Beklagte für die Führung eines Schiffes auf dem Oberrhein besonders sachkundig gewesen sein. Das berührt aber weder seine Stellung als Arbeitnehmer noch ändert es die mit seiner Tätigkeit verbundenen Gefahren....“