Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Nach § 56 BSchG hat der Empfänger mangels besonderer Vereinbarungen lose Güter, zu denen auch Flüssigkeiten wie Hexan gehören, im Schiff abzunehmen und die weitere Entladung zu bewirken. Auch wenn das Schiff das Pumpen in einen Kesselwagen übernommen hat, muß der Empfänger den Abfüllschlauch stellen, diesen ordnungsgemäß anschließen und für die Verkehrssicherheit des Kesselwagens mit allen Einrichtungen sorgen, zu denen auch die Ventile des Kesselwagens gehören.
2) Für ein Verschulden der Bundesbahn (Eigentümerin des Kesselwagens) bezüglich dessen Verkehrssicherheit hat der Empfänger gemäß § 278 BGB einzutreten.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 18. Dezember 1967
II ZR 109/65
(Schiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Aufgrund eines Frachtvertrages zwischen der Reederei R. und der Beklagten wurden mit dem der Klägerin gehörenden MTS D 250 t Hexan zu einer von der Beklagten am Wesel-Datteln-Kanal unterhaltenen Löschanlage für flüssige Brennstoffe befördert. Ein von der Klägerin ausgestellter Ladeschein wurde von der Beklagten angenommen und unterschrieben. Das Hexan wurde an der Löschanlage von der mit dem Schiffsdieselmotor (720 PS) angetriebenen Pumpe des MTS D über eine Schlauchleitung in 2 Kesselwagen gepumpt, die die Streithelferin an die Beklagte vermietet hatte. Als bei dem Wagen, der sich auf der Höhe des Achterdecks des Schiffes befand, an dem Schlauchanschluß etwas Hexan heraustropfte, schlug ein Arbeiter der Löschmannschaft auf einen Nocken der Überwurfmutter der Schlauchleitung, um sie fester anzuziehen. Plötzlich flog die Spindel des zum Einfüllen benutzten Entleerungsventils des Kesselwagens heraus. Das Hexan spritzte in starkem Strahl in die Luft und auf das Achterdeck von D, so daß das Schiff in dichtem Hexannebel lag. Die Schiffsmaschine, in die über den Ansaugstutzen Hexan gelangte, lief immer schneller und wurde schwer beschädigt, bevor sie abgestellt werden konnte. Der Leiter der Löschmannschaft war z. Z. des Unfalles abwesend, da er mit dem Sicherheitsoffizier der Beklagten telefonierte.
Die Klägerin, der die Reederei R. ihre Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte abgetreten hat, verlangt Schadensersatz in Höhe von mehr als 200.000,- fl, weil der Schaden durch den Schlag auf den Nocken der Schlauchleitung vor dem Ventil, dessen Hebel nicht festgestellt gewesen sei, entstanden sei.
Die Beklagte bestreitet jedes Verschulden. Die Spindel des Ventils sei völlig abgeschlissen gewesen, so daß die Spindel dem 2,5 atü starken Druck nicht standgehalten habe. Für den Verschleiß der Schraube sei sie nicht verantwortlich.
Die Streithelferin meint, es sei Sache des Schiffsführers gewesen, den Motor schon abzustellen, als er die Undichtigkeit am Kesselwagen gesehen habe, und nicht erst, als die Spindel herausgeflogen sei. Bei Gegenstrombefüllung über das Entleerungsventil - statt über den Dom - dürfte ein Druck von 1,5 atü nicht überschritten werden. Es müsse aber mit mehr als 4,5 atü gepumpt worden sein.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Berufung und Revision der Beklagten hatten keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Hier greifen, da die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch auch auf die ihr vom Frachtführer abgetretenen vertraglichen Ansprüche stützt, nicht die Grundsätze des Anscheinsbeweises, sondern die der Beweislastumkehr Platz. Das ergibt sich aus folgendem: Flüssigkeit wie Hexan in den Tanks der Tankschiffe gehören zu den losen Gütern, da sie keiner besonderen Verstauung bedürfen (Vortisch-Zschucke, Binnenschiffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl., BSchG § 41 Anm. 2 b). Nach § 56 BSchG hat mangels anderweitiger Vereinbarung der Empfänger lose Güter in dem Schiff abzunehmen und die weitere Entladung zu bewirken. Zwar hatte hier das Schiff das Hexan in den Kesselwagen zu pumpen. Den Kesselwagen mit seinen Einrichtungen, zu denen das Entleerungsventil gehört, sowie den Abfüllschlauch (Schriftsatz der Beklagten vom 12. Juni 1962 S. 6) hatte aber die Beklagte zu stellen; ebenso hatte sie den Schlauch an den Kesselwagen anzuschließen und hat dies auch getan. Sie hatte gegenüber dem Fracht¬führer die vertragliche Pflicht, den Kesselwagen mit seinen Einrichtungen und den Abfüllschlauch in verkehrssicherem Zustand bereitzustellen und den Schlauch an den Kesselwagen ordnungsgemäß anzuschließen. Die unmittelbare Schadensursache, das Herausspritzen des Hexans, liegt im wesentlichen im Gefahrenbereich der Beklagten, im Gefahrenbereich der Klägerin nur insoweit, als der Schiffsführer das Hexan in den Kesselwagen zu pumpen hatte.
Wenn nur mit 1,5 atü hätte gepumpt werden dürfen, so wäre es Sache der Beklagten gewesen, die Schiffsführung, die hiervon keine Kenntnis haben konnte, darauf hinzuweisen. Scheidet somit eine Verantwortlichkeit der Klägerin für die unmittelbare Schadensursache aus, so hat nach den von der Recht¬sprechung entwickelten Grundsätzen (BGHZ 27, 236, 238, ferner die weiteren Zitate bei Palandt, BGB 26. Aufl. § 282 Anm. 1) die Beklagte zu beweisen, daß diese Schadensursache von ihr nicht schuldhaft herbeigeführt worden ist. Dazu gehört, daß sie beweist, daß der Hebel im Zeitpunkt des Hammerschlages ordnungsgemäß festgelegt war. Für ihre dahingehende, von der Klägerin bestrittene Behauptung ist sie beweisfällig geblieben.
War der Hebel nicht festgelegt, so liegt darin ein Verschulden der beteiligten Arbeiter, für das die Beklagte nach § 278 BGB einzustehen hat.
Das Berufungsgericht stützt seine Darlegungen über die selbständige Schließung des Entleerungsventils bei Erschütterungen auf die Augenscheinseinnahme des Erstrichters, der sich die Arbeitsweise des Ventils durch Techniker hat erläutern lassen. Die Revision rügt, diese Erläuterungen hätten nicht verwertet werden dürfen, da die Techniker nicht als Zeugen oder Sachverständige vernommen worden seien. Die Rüge geht fehl. Der Richter kann sich die Sachkunde über technische Vorgänge auf jede ihm geeignete Weise verschaffen (Baumbach/Lauterbach, ZPO 29. Aufl. Übersicht Anm. 2 A vor § 402). Der Zuziehung eines Sachverständigen bedarf es erst, wenn dem Richter sein eigenes Wissen, das er besitzt oder sich auf irgendeine Weise erwirbt, keine genügende Klarheit über den technischen Vorgang gibt.
Im angefochtenen Urteil wird festgestellt, die Stellschraube, die in eine Aussparung am unteren Ende der Spindel eingreift und dadurch die Spindel festhält, sei in ihrem eingreifenden Teil fast ganz verschlissen gewesen und habe daher der Spindel keinen Halt mehr geben können. Das Berufungsgericht hat Bedenken, ob dieser Umstand den Unfall herbeigeführt hat. Gleichwohl unterstellt es zugunsten der Beklagten deren Behauptung als richtig, der Verschleiß der Stellschraube sei für das Herausfliegen der Spindel allein ursächlich gewesen. Auch für diesen Fall hält es die Schadensersatzpflicht der Beklagten für gegeben, da ihr mangelnde Sorgfaltspflicht bei der Überwachung der von ihr der Klägerin zur Verfügung gestellten Löschgerätschaften vorzuwerfen sei.
Wenn ein so wichtiges Teil des Ventils, wie die Stellschraube, in solchem Maß dem Verschleiß ausgesetzt sei und sich dessen Umfang und zeitlicher Eintritt u. a. auch nach der Art des Füll¬gutes richte, so könne sich die Beklagte nicht darauf berufen, sie habe von dem Verschleiß nichts wissen können und sich auf die Streithelferin verlassen, für deren Verschulden sie im übrigen ebenfalls nach § 278 BGB einzutreten hätte. Dabei sei zu berücksichtigen, daß seit der letzten Hauptuntersuchung, bei der die Stellschraube aller Wahrscheinlichkeit nach ausgewechselt worden sei, bereits 32 Monate vergangen seien. Darauf, daß die Hauptuntersuchung bahnamtlicherseits nur alle 36 Monate vorgeschrieben sei, könne sich die Beklagte nicht berufen, da diese Anordnung dazu diene, den Belangen und Sicherheitserfordernissen der Bundesbahn zu entsprechen. Wenn sich die Beklagte auf diese Fehlerquelle, die untergeordneten Fachleuten geläufig sei, nicht eingerichtet habe, so liege darin ein Organisationsmangel. Es hätte der Zeitpunkt für die Untersuchung je nach dem Umfang der durch das Füllgut bedingten Korrosion festgelegt werden müssen, um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten.
Das Revisionsgericht tritt diesen Ausführungen in vollem Umfang bei. Die Beklagte kann nicht damit gehört werden, daß die Schadhaftigkeit der Stellschraube von außen nicht erkennbar gewesen sei. Gleichgültig, ob Mietwagen oder eigener Wagen, muß sie für den verkehrssicheren Zustand der zur Entleerung gestellten Wagen sorgen. Wenn das Berufungsgericht im Zusammenhang mit dem starken Verschleiß von Stellschrauben die Äußerung von Technikern anführt, die nicht als Zeugen gehört worden sind, so ist dies ein zusätzlicher und überflüssiger Hinweis, da sich das Berufungsgericht bereits auf Grund der Zeugenaussage des Schlossers B. seine Oberzeugung gebildet hat. Im übrigen bedarf es zu den Ausführungen der Revision, die sich teilweise auf die mit dem Vortrag der Beklagten in Widerspruch stehenden Behauptungen der Nebenintervenientin (§ 67 ZPO) stützen, keiner Stellungnahme.
Bei dieser Sach- und Rechtslage kommt es nicht darauf an, ob eine den Unfall herbeiführende Verletzung der Sorgfaltspflicht der Beklagten darin lag, daß der für das Löschen verantwortliche Vorarbeiter Sch. beim Löschvorgang nicht anwesend war.
Ohne Rechtsfehler verneint das Berufungsgericht ein Mitverschulden der Schiffsführung bei der Entstehung des Schadens.
Die Verletzung der Sorgfaltspflicht in eigenen Angelegenheiten, von der § 254 BGB ausgeht, führt nur dann zu einer Minderung oder einem Wegfall der Schadensersatzpflicht de Schädigers, wenn diese Verletzung den Geschädigten bei Schädigung eines gleichartigen fremden Lebensinteresses schadensersatzpflichtig machen würde. Das bedeutet, daß für die Anwendung des § 254 BGB die Voraussetzungen der §§ 823 ff. BGB - von der Person des Geschädigten abgesehen - gegeben sein müssen. Da die Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 823 Abs. 2 BGB) im vorliegenden Fall nicht in Frage steht, hat daher das Berufungsgericht darauf abgestellt, ob das Tropfen des Hexans eine konkrete Gefahr für den später beschädigten Schiffsmotor darstellte und deshalb der Motor zur Wahrung der Sorgfalt in eigener Angelegenheit hätte abgestellt werden müssen, nicht aber darauf, ob ein solches Abstellen wegen der leichten Entflammbarkeit des Hexans geboten gewesen wäre. Da das Tropfen des Hexans keine Gefahr für das Schiff und im besonderen für den Motor darstellte, kommt es nicht darauf an, ob das Abstellen des Motors aus allgemeinen Sicherheitsgründen geboten gewesen wäre.
Das Berufungsgericht hat auf Grund der Beweisaufnahme ohne Rechtsverstoß angenommen, daß der Druck lediglich 2 atü betragen habe. Wenn die Revision weiter meint, bei der Befüllung durch das Entleerungsventil dürfe mit keinem höheren Druck als 1 atü gepumpt werden, so hat das Berufungsgericht mit Recht darauf hingewiesen, davon habe die Schiffsführung keine Kenntnis haben können, es sei Sache der Beklagten gewesen, die Schiffsführung hierauf hinzuweisen.
Nach dem Herausspritzen des Hexans wurde nach der Feststellung im angefochtenen Urteil sofort die Pumpe durch Öffnen des Fallventils der Pumpe stillgelegt. Ohne Erfolg rügt die Revision, daß die Schiffsmaschine nicht sofort abgestellt worden sei. Hierzu führt das Berufungsgericht aus: Der Matrose, der im Ruderstuhl gestanden habe (während der Schiffsführer sachgemäß seinen Standort zwischen dem Regelventil der Schiffspumpe und dem Ruderstuhl eingenommen gehabt habe), habe die Gefahr, die der Schiffsmaschine durch den Hexannebel gedroht habe, nicht sofort erkannt, was ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden könne. Für den Schiffsführer habe kein Anlaß bestanden, die Schiffsmannschaft vorher entsprechend zu belehren, da er mit einem solchen Unfall nicht habe zu rechnen brauchen. Das Schiff sei sogleich in einen dichten und stark stinkenden Nebel eingehüllt worden. Bis sich der Schiffsführer zum Ruderstuhl habe herantasten können, sei die Maschine, die immer schneller gelaufen sei, bereits festgebrannt gewesen. Eine schuldhafte Verzögerung könne unter diesen Umständen nicht festgestellt werden. Diese Ausführungen sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.