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II ZR 105/69 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Datum uitspraak: 24.06.1971
Kenmerk: II ZR 105/69
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Afdeling: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Zur Frage des Anscheinsbeweises.
2) Es ist eine Frage tatrichterlicher Würdigung, welche Tatsachen im Einzelfall ausreichen, um einen Anscheinsbeweis zu erschüttern.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 24. Juni 1971

II ZR 105/69

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Wegen Nebels waren am rechten Rheinufer die der Klägerin gehörenden MS E24 und MS E36 bei km 609,6 nebeneinander vor Anker gegangen. Oberhalb lag, etwas mehr stromwärts, das der Beklagten gehörende MS H. Ebenfalls oberhalb, noch weiter stromwärts, ankerten - nebeneinander von innen nach außen, durch Meerdrähte verbunden - MS Ho, MS K, MS N und MS WM. In der folgenden Nacht kamen das Heck von MS H und das Vorschiff von MS Ho gegeneinander. Danach verfiel MS H nach Backbord und trieb gegen das Vorschriff von MS E36. Beide E-Fahrzeuge wurden beschädigt. Die Klägerin hat ihren Schaden von ca. 12500,- DM zuerst gegen Eigner und Schiffsführer von MS Ho und MS K geltend gemacht mit der Behauptung, daß das ungenügend gesicherte Ho-Päckchen ins Treiben geraten sei, das MS H mitgerissen, und dadurch das Verfallen dieses Schiffes in Richtung der E-Fahrzeuge bewirkt habe. Die Klage wurde jedoch wegen Beweisfälligkeit abgewiesen. Die Klägerin verlangt in einem zweiten Prozeß von der Beklagten Schadensersatz und behauptet nunmehr, daß zuerst das MS H abgetrieben und dabei zunächst gegen MS Ho und anschließend gegen die E-Fahrzeuge gefallen sei.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auch die Revision der Klägerin blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

„1. Treibt ein Stillieger ab und richtet er hierbei Schaden an, so besteht zu Gunsten des Geschädigten ein Anscheinsbeweis dahin, daß der Stillieger nicht genügend gesichert war (RG HansGZ 1909, 103; HansOLG HansRGZ 1935, 159; RheinSchOG Köln ZBinnSch 1952, 132; Wassgrmeyer, Der Kollisionsprozeß in der Binnenschiffahrt 4. Aufl. S. 112). Diesem Anscheinsbeweis kann der Stillieger einmal dadurch begegnen, daß er Tatsachen behauptet und im Streitfall beweist, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs ergibt (BGHZ 8, 239). Zum anderen kann er ihn dadurch ausräumen, daß er seine ordnungsgemäße Befestigung nachweist.

2. Das Berufungsgericht hat nicht verkannt, daß vorliegend zugunsten der Klägerin, gegen deren Fahrzeuge das abtreibende MS H gefallen ist, ein Anscheinsbeweis streitet. Es hält diesen jedoch für entkräftet. Es meint, da im Streitfall nicht habe geklärt werden können, welches Fahrzeug zuerst ins Treiben geraten sei, bestehe die ernsthafte Möglichkeit, daß als Erster das Ho-Päckchen sich losgerissen haben, abtreibend gegen das stilliegende MS Hermann Wenzel" gekommen sei und dadurch das Abtreiben dieses Schiffes verursacht habe. Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.

a) Zu Unrecht meint die Revision unter Hinweis auf eine Zusage der Beklagten, sich vorliegend so behandeln zu lassen, als wenn ihr die Klägerin in dem Vorprozeß den Streit verkündet hätte, einer Abweisung der Klage stehe die Bindungswirkung der §§ 68, 74 Abs. 3 ZPO entgegen. Dabei kann offen bleiben, ob die Parteien eine derartige Absprache überhaupt wirksam treffen konnten (bejahend: RG SeuffArch. Bd. 92 Nr. 116; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht 10. Aufl. S. 221; verneinend: Wieczorek, ZPO Handausgabe 2. Aufl. § 74 Anm. C III), oder ob die Absprache nicht, wie die Beklagte einwendet, durch eine spätere Vereinbarung aufgehoben ist. Denn auch wenn man die Wirksamkeit und das Fortbestehen der Absprache bejaht, so steht diese einer Abweisung der Klage mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht entgegen.

Die Klage im Vorprozeß wurde abgewiesen, weil das Gericht den Nachweis eines schuldhaften Verhaltens der Schiffer von MS Ho und MS K nicht für erbracht ansah. Diesen Nachweis in dem vorliegenden Rechtsstreit zu führen, wäre den Beklagten versagt (§§ 68, 74 Abs. 3 ZPO). Die Bindungswirkung dieser Vorschriften hindert sie jedoch nicht, im Streitfall die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs vorzutragen und darzutun, daß sich das Ho-Päckchen zuerst losgerissen haben kann. Das hat mit der das Vorurteil tragenden Feststellung, ein schuldhaftes Verhalten der Schiffer von MS Ho und MS K sei nicht nachgewiesen, nichts zu tun. Wenn sich die Revision zur Stützung ihrer gegenteiligen Auffassung auf die in BGHZ 16, 217 abgedruckte Entscheidung beruft, so verkennt sie, daß in jenem Falle der Beklagte eine Tatsache zu beweisen hatte, die im Vorprozeß als unbewiesen angesehen worden war.

b) Entgegen der Meinung der Revision hat das Berufungsgericht nicht die Voraussetzungen verkannt, die vorliegen müssen, um einen Anscheinsbeweis zu entkräften. Insbesondere hat es den Begriff der ernsthaften Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs nicht mißverstanden. Auch ist nicht ersichtlich, daß das Berufungsgericht wesentlichen Tatsachenstoff übergangen hat. Soweit aber die Revision einzelnen Tatsachen eine andere Bedeutung als das Berufungsgericht beimessen will, übersieht sie, daß es eine Frage tatrichterlicher Würdigung ist, welche Tatsachen im Einzelfall ausreichen, um einen Anscheinsbeweis zu erschüttern (BGH LM Nr. 58 zu § 286 [C] ZPO).

3. Ohne Erfolg rügt die Revision schließlich, das Berufungsgericht habe § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zu Unrecht nicht angewendet. Die Vorschrift kommt nur dann zum Zuge, wenn mehrere rechtswidrig und schuldhaft Handelnde einen Schaden verursacht haben können (BGHZ 33, 286, 290). Hierzu fehlt aber jeder schlüssige Vortrag der Klägerin in den Vorinstanzen. Wenn sie nunmehr dem Schiffer des MS H und den Führern der Fahrzeuge des „Hollandia"-Päckchens vorwirft, sie hätten es - im Hinblick auf die Nähe ihrer Ankerplätze - pflichtwidrig unterlassen, die ordnungsmäßige Verankerung aller Schiffe zu überprüfen, so ist dieses Vorbringen bereits nach § 561 Abs. 1 ZPO unbeachtlich.