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Leitsätze:
1) Zur Frage des Anscheinsbeweises.
2) Auch beim Fehlen des vorgeschriebenen Ausgucks auf der Fahrt im Hamburger Hafen unter erschwerten Bedingungen (Dunkelheit, Hafenverkehr bei Schichtwechsel) kann der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Verstoß und dem Unfall verneint werden, z. B. wenn ein Schiffszusammenstoß auch bei Vorhandensein des Ausgucks durch wirksame Gegenmaßnahmen (Manöver, Warnton, Zuruf usw.) nicht verhindert worden wäre.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 29. November 1971
(Landgericht Hamburg, Oberlandesgericht Hamburg)
Zum Tatbestand:
Im Hamburger Hafen kam es im Dezember gegen 6.30 Uhr morgens zwischen dem elbeaufwärts fahrenden Kümo ,F" des Beklagten zu 1, geführt vom Beklagten zu 2, und der der Klägerin gehörenden Motorbarkasse „L", die die Elbe aus Richtung Reiherstieg zum Baumwall überqueren wollte, zum Zusammenstoß, wobei letztere gesunken ist. Auf der Querfahrt ließ „L" den elbeaufwärts fahrenden Schlepper „H" passieren, bemerkte aber die dahinter folgende „F" zu spät, um ihr auszuweichen. Auch „F" sah die Barkasse so spät, dass ein Rückwärtsmanöver erfolglos blieb. „L" erlitt erheblichen, „F" geringen Sachschaden.
Die Klägerin verlangt 4/5 des an der gehobenen Barkasse entstandenen Schadens von über 66000,-- DM, weil „F" u a. ohne Ausguck auf der Back bei Dunkelheit im starken Hafenverkehr auf der falschen Fahrwasserseite gefahren sei.
Die Beklagten bestreiten das Vorbringen und haben Widerklage auf Zahlung von ca. 835,- - DM erhoben. Sie meinen, dass „L" habe ausweichen müssen, aber dem Kümo vor den Bug gelaufen sei, ohne dass "F" noch Zeit für ein Manöver, einen Warnton oder einen Zuruf gehabt habe. Ein Ausguck auf der Back sei wegen guter Sicht nicht nötig, sein Fehlen jedenfalls für den Unfall nicht ursächlich gewesen.
Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach zu 1/4 und die Widerklage zu 3/4 für gerechtfertigt erklärt. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage in vollem Umfang stattgegeben.
Die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Der Unfall hat sich im Hafen Hamburg ereignet. Die Vorschriften der Seeschifffahrtsstraßenordnung (SSchSO) und der Seestraßenordnung (SSO) gelten im Hafen Hamburg nur ergänzend gemäß § 2 des Hamburger Hafengesetzes vom 21. Dezember 1954 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt S. 169). Das Berufungsgericht hat hier einen Verstoß des Küstenmotorschiffs "F" gegen § 32 Abs. 2 Satz 1 SSchSO in Verbindung mit § 2 Hamburger Hafengesetz angenommen, weil nicht entsprechend den Witterungs- und Verkehrsverhältnissen (Dunkelheit, Hafenverkehr bei Schichtwechsel) Ausguck durch einen Posten auf der Back gehalten worden sei. Es hat aber einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Verstoß und dem Unfall verneint.
Das Berufungsgericht hält für erwiesen, dass "L" plötzlich hinter dem Heck des der „F" vorausfahrenden Schleppers "H" zum Vorschein gekommen sei und Nordkurs aufgenommen habe, der vor den Bug von „F" führte. „L" habe die herannahende "F" offenbar erst kurz vor der Kollision gesehen. "H" und F" müssten nach dem Beweisergebnis dicht aufeinander gefolgt sein. Es bestehe die naheliegende Möglichkeit, dass „L" so plötzlich hinter „H" herangekommen und auf Nordkurs gegangen sei, dass auch bei gehörigem Ausguck für „F" keine Möglichkeit mehr bestanden hätte, durch eigene Manöver die Kollision zu verhindern. Ein Beweis des ersten Anscheins für die Ursächlichkeit des Fehlens eines Ausgucks (vgl. Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht, Bd. 1 § 735 HGB Anm. 76) konnte hiernach nicht mehr die Beweisführung der Klägerin erleichtern. Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass erst beim nicht zu erwartenden Drehen von „L" auf Kollisionskurs Anlass zu einer Gegenmaßnahme von „F" bestanden habe. „F" war ein durchgehendes Seeschiff, dem die Barkasse auszuweichen hatte, wie das Berufungsgericht in Anwendung hamburgischen Rechts ausführt.
Die Klägerin hätte beweisen müssen, dass „F". auf Veranlassung eines Ausgucks noch irgendetwas Wirksames hätte unternehmen können, als "L" auf Kollisionskurs ging. Auf den Mindestabstand, in dem „F" von ihrer Brücke „L" hätte sehen können, und die hierzu gestellten, von der Revision als übergangen gerügten Beweisanträge der Klägerin, kam es nicht an. Das Berufungsgericht hat ohne Verfahrensfehler der Beweisaufnahme die naheliegende Möglichkeit entnommen, dass der Abstand der Kursänderung der „L" zu gering war, und daher den Beweis, dass durch einen Ausguck etwas am Geschehensablauf zu ändern war, als nicht geführt angesehen. Einen vorherigen Hinweis gemäß § 139 ZPO, dass es die Beweisaufnahme so würdigen werde, brauchte das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revision nicht zu geben. Da es nicht festzustellen vermocht hat, dass im Zeitpunkt, als „L" auf Kollisionskurs drehte, noch irgendwelche wirksamen Maßnahmen von „F" möglich waren, kam auch eine Minderung der Folgen des Zusammenstoßes nicht in Betracht, wenn ein Posten auf der Back gestanden hätte Es war nicht erwiesen, dass ein Zuruf des Ausgucks noch etwas am Verlauf hätte ändern können. Ein Sachverständigenbeweis hülfe unter diesen Umständen nicht weitergeführt.