Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Unlauterer Wettbewerb durch Frachtenrückvergütung. Ein Mitbewerber darf auch Tarifunterbietungen der Bundesbahn nicht damit beantworten, daß er seinerseits bestimmte Tarifvorschriften verletzt. Der benachteiligte Mitbewerber kann zur Abwehr nur den Schutz der Gerichte in Anspruch nehmen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 3. November 1959
I ZR 120/58
Zum Tatbestand:
Die beklagte Genossenschaft vermittelt zugunsten ihrer Mitglieder Beförderungsverträge. Sie hat Verträge mit Absendern getätigt, die sich gegen Gewährung von Baukostenzuschüssen für ihre Verladeanlagen bereit erklärten, künftige Beförderungsaufträge den von der Beklagten vertretenen und vermittelten Unternehmern zu erteilen. Der Kläger verlangt von der Beklagten Unterlassung dieses Verhaltens wegen unlauteren Wettbewerbs im Sinne des § 1 UWG. Die Beklagte behauptet zu ihrer Rechtfertigung u. a., daß auch die Bundesbahn in tarifwidriger Weise Lade- und Baukostenzuschüsse an Absender von Frachtgut gezahlt habe.
Aus den Entscheidungsgründen:
Für die Frage des Tarifverstoßes ist es unerheblich, daß die Beklagte, wie dies im Vertrage vorgesehen war, ihre Genossen angehalten hat, der Absenderin gegenüber die Beförderungsentgelte im Einklang mit den Tarifvorschriften zu berechnen. Allerdings muß davon ausgegangen werden, daß die Unternehmer hiernach verfahren sind und die Frachten zunächst unverkürzt von der Absenderin erhalten haben. Indessen war von vornherein vereinbart, daß diese für jede Tonne verladenen Gutes 0,90 DM auf dem Wege über die Beklagte zurückerhalten solle.
Damit war für jeden einzelnen Fall eine genau bestimmbare Rückvergütung des Transportunternehmers an die Absenderin verabredet. Die Zwischenschaltung der Beklagten hindert nicht, in diesem Vorgehen auch rechtlich eine Ermäßigung des Beförderungsentgelts und damit einen unmittelbaren Verstoß gegen § 22 GüKG zu erblicken. In den Fällen, in denen Transportunternehmer sich erst n ach Abschluß des Beförderungsvertrages entschlossen haben sollten, den von der Beklagten geforderten Vergütungsbetrag zu leisten, liegen jedenfalls Zahlungen vor, die einer Umgehung des tarifmäßigen Entgelts gleichkommen und deshalb nach §§ 5, 22 Abs. 2 Satz 2 GüKG unzulässig sind. An diesen Gesetzesverletzungen hat die Beklagte mitgewirkt, wobei sie wegen der für sie anfallenden Gebühren für die Überprüfung der Berechnung auch ein eigenes Interesse verfolgte.
Maßgebend ist für einen im Wettbewerb begangenen Preisverstoß, ob er nach Auffassung des redlichen, verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden wettbewerblich unlauter ist. Diese Gesamtbetrachtung wird auch nicht dadurch überflüssig, daß der Gesetzgeber durch die Vorschriften der §§ 6 EVO und 21, 22 GüKG gerade den Preiswettbewerb zwischen der Bahn und dem Güterkraftverkehr hat ausschalten wollen, denn daraus, daß eine bestimmte Form des Wettbewerbs verboten ist, folgt noch nicht ohne weiteres, daß ein gleichwohl auf diese Weise betriebener Wettbewerb schon an sich sittenwidrig wäre. Nach der maßgebenden Auffassung des vernünftigen Durchschnittsgewerbetreibenden ist der Vorwurf der Wettbewerbswidrigkeit bei der Unterbietung gesetzlich gebundener Preise aber jedenfalls dann begründet, wenn der Verletzter, wie im gegebenen Falle, dadurch bewußt einen wettbewerblichen Vorsprung vor gesetzestreuen Mitbewerbern erzielt. In der rechtswidrigen Verbesserung der wettbewerblichen Ausgangslage gegenüber den gesetzestreuen Mitbewerbern liegt der entscheidende, die Wettbewerbswidrigkeit begründende Umstand.
Die Gewährung der Frachtenrückvergütung ist auch nicht durch den von der Beklagten in erster Linie erhobenen Einwand der Notwehr (§ 227 BGB) gerechtfertigt; hierfür kann die Beklagte sich nicht darauf berufen, auch die Bundesbahn habe Lade- und Baukostenzuschüsse an Absender von Frachtgut gezahlt. Alles, was sie hierzu vorgebracht hat, ist schon in tatsächlicher Hinsicht so unbestimmt, daß es eine abschließende Prüfung der Frage, ob die Bundesbahn hierbei gegen die für sie bestehenden Tarifvorschriften verstoßen hat, nicht ermöglicht. Vor allem geht aus ihrem Vorbringen nicht hervor, daß die Bundesbahn solche Zuschüsse unter Ermäßigung des Entgelts für die eigentliche Beförderung, d. h. die Fracht von Bahnhof zu Bahnhof, gewährt hat.
Noch erheblichere Bedenken bestehen dagegen, von einer Verteidigung zu sprechen, wenn ein Mitbewerber die Tarifunterbietung eines anderen, statt Maßnahmen zu ihrer Unterbindung zu ergreifen, damit beantwortet, seinerseits eine entsprechende Tarifvorschrift zu verletzen. Denn das im Begriff der Verteidigung liegende subjektive Element wird regelmäßig fehlen, wenn der so Handelnde sein Vorgehen nicht darauf ausrichtet, lediglich den Nachteil auszugleichen, den der andere ihm zuzufügen droht, sondern seinen eigenen Vorteil zu suchen. Mindestens war aber die von der Beklagten gewählte Art der Verteidigung nicht erforderlich, um den behaupteten Angriff abzuwehren. Wie sie selbst vorträgt, hatten die Bundesbahn 1951 mit den behaupteten Tarifverstößen begonnen und sie in den folgenden Jahren fortgesetzt. Die Beklagte hätte die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit gehabt, hiergegen bis 1954, wo sie ihrerseits den Tarifzwang durchbrach, und seither den Schutz der Gerichte in Anspruch zu nehmen.
Bei dieser Sachlage stellt das Verhalten der Beklagten kein taugliches Mittel dar, das wettbewerbliche Gleichgewicht zu wahren, das der Tarifzwang des § 22 GüKG, mag er auch den Schutz der Bundesbahn bezwecken, im Ergebnis auch im Verhältnis der Transportunternehmer des Güterkraftverkehrs untereinander herbeiführt. Außerdem ist die Verletzung des Tarifzwanges durch die Beklagte nicht unumgänglich notwendig, um den behaupteten rechtswidrigen Angriff der Bundesbahn abzuwehren; nach Lage des Falls reichte und reicht hierzu vielmehr der Schutz durch die Gerichte aus. Die Wettbewerbswidrigkeit entfiele unter dem Gesichtspunkt der wettbewerblichen Abwehr aber nur, wenn diese unumgänglich notwendig wäre und ein zur Abwehr taugliches und adäquates Mittel darstellte (BGH, GRUR 54, 337, 341 = LM Nr. 19 zu § 1 UWG - Radschutz).