Jurisprudentiedatabank

- Amtsgericht (Schiffahrtsgericht)
Datum uitspraak: 02.09.2016
Kenmerk:
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Amtsgericht Bremen
Afdeling: Schiffahrtsgericht

Leitsätze:

1) Die Obhutshaftung eines Frachtführers entfällt, wenn die Unvermeidbarkeit und Unanwendbarkeit des Schadens anhand des Maßstabes eines idealen Frachtführers festgestellt werden kann; ob oder gegebenenfalls in welchem Umfang ein Mitverschulden eines Dritten, also einer Person, die nicht am Frachtvertrag beteiligt ist, bei der Schadenentstehung mitgewirkt hat, ist für die Obhutshaftung des Frachtführers unerheblich.

2) Kollidiert eine Ladung Container auf einem Binnenschiff bei einer Brückenunterfahrung mit der Brücke, so realisiert sich damit nicht eine spezifische Gefahr der Decksverladung, so dass für diesen Schaden § 427 1 Ziffer 1 nicht greift, die Kausalitätsvermutung des § 427 II HGB ist nicht erfüllt.

Urteil des Schiffahrtsgericht Bremen

vom 2. September 2016 (rechtskräftig).


Tatbestand:


Die Klägerin, ein weltweit tätiges Verkehrsunternehmen, hatte der Beklagten, einer Schiffsunternehmerin, die als Schiffseignerin das MS »A« betreibt, Anfang März 2013 Transportauftrag zur Beförderung einer aus 20 leeren Spezialcontainern bestehenden Sendung mit genanntem Binnenschiff von Bremerhaven nach Dörpen. Den Auftrag hatte die Klägerin ihrerseits von der Streithelferin zu 1) erhalten.
Nach ordnungsgemäßer Übernahme der Sendung kam es am 14.03.2013 gegen 14.30 Uhr auf der Hunte an der Eisenbahndrehbrücke Elsfleth-Orth zu einem Schiffsunfall. Infolge einer nach anfänglicher Zusage zurückgestellten bzw. rückgängig gemachten Brückenöffnung kollidierte das Schiff bzw. die Ladung mit der Brücke, wobei die Ladung Schaden nahm. Die Container waren in zwei Lagen an Deck gestaut, wobei sich 15 Container in der unteren und 5 Standardcontainer von 30 Fuß Länge in oberer Lage befanden.Die Eisenbahnbrücke bei Hunte-km 20,7 ist regelmäßig geschlossen und wird erst auf Anforderung eines Schiffes, das passieren möchte, geöffnet. Die Brückenöffnung erfolgt
durch die Brückenwärterin nach Freigabe durch den Fahrdienstleiter im Bahnhof Elsfleth.
Am Unfalltage befuhren die MS »A« und das Küstenmotorschiff »B« die Hunte. Deren Kapitäne und der auf der »B« fahrende Lotse vereinbarte das Überholen der langsameren »B« durch die »A« noch vor der Eisenbahnbrücke. Die Brückenwärterin bestätigte gegenüber dem Schiffsführer der »B« nach dessen Anmeldung der gewünschte Brückenpassage die Öffnung der Brücke. Kurz darauf wurde die erneute Schließung der Brücke für einen planmäßig verkehrenden Zug mitgeteilt. Dem Schiffsführer der »A« gelang es nicht mehr, das Schiff noch vor der Brücke aufzustoppen. Bei dem Versuch der Unterfahrung geriet das Schiff mit der Ladung gegen die Brücke.
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen des Ladungsschadens und der ihr in dem Verklarungsverfahren des Amtsgerichts - Schifffahrtsgericht - Bremen, Az. 2a H 1/13 entstandenen Kosten in Anspruch.
Der Ladungsschaden wurde im Verklarungsverfahren mit 15.427,46 EUR festgestellt.

Die Klägerin behauptet, der Schiffsunfall sei schuldhaft durch den Schiffsführer verursacht worden, denn dieser habe bei Annäherung an die Brücke nicht die größtmögliche
Sorgfalt und Vorsicht walten lassen. Obwohl das Schiff nur sehr leicht beladen gewesen sei (da die geladenen Container leer waren), habe er kein Ballastwasser aufgenommen und so nur geringe Tauchtiefe erreicht. Damit sei die Manövrierfähigkeit eingeschränkt gewesen. Auch habe deshalb beim Versuch aufzustoppen nicht hinreichend Schubkraft aufgebaut werden können. Zugleich hätte bei größerem Tiefgang das Schiff tatsächlich die Eisenbahnbrücke auch in geschlossenem Zustand ungefährdet passieren können. Auch nach der Schließung der Brücke bzw. der Schließungsmitteilung wäre ein Aufstoppen bei voller Verwendung des Bugstrahlruders und Setzen des Heckankers nach den Feststellungen im Verklarungsverfahren noch möglich gewesen. Für das hiesige Verfahren sei auch ein evt. Mitverschulden der Streithelferin zu 2) oder derenPersonal unmaßgeblich.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 15.427,46 EUR nebst 5 % Zinsen seit 16.03.2013 und 865 EUR für vorgerichtliche Anwaltskosten zu zahlen und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr die Kosten des beim angerufenen Gericht zu Az. 2a H 1/13 geführten Verklarungsverfahrens zu erstatten.

Dem Antrag entsprechend hat das Gericht am 03.06.2015 ein Versäumnisurteil erlassen,
welches der Beklagten am 02.07.2015 zugestellt wurde. Sie hat durch einen am 14.07.2015 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Einspruch eingelegt. Die Streitgehilfen machen sich das Vorbringen der Klägerin zu Eigen. Die Streithelferin zu 1) trägt darüber hinaus vor, an dem qualifizierten Verschulden des Schiffsführers der »A« könne kein Zweifel bestehen. Dieser habe jedenfalls leichtfertig mögliche Schäden billigend in Kauf genommen, indem ert trotz der bekannten Umstände risikoerhöhend die Fahrt in einem die Fahreigenschaft des Schiddes stark einschränkenden Zustand angetreten habe.


Die Streithelferin zu 2) weist zudem daraufhin, dass der Schiffsführer »A« rechtzeitig über die bevorstehende Brückenschließung informiert worden sei.
Ein Haftungausschluss nach § 427 Abs. 1 Nr. 1 HGB könne schon nicht eingreifen, weil der schaden nicht auf die Decksverladung zurückzuführen sei.

Die Klägerin und die Streithelferin zu 1) beantragen,

das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.

Die Streitgehilfen beantragen außerdem, dass der Beklagten die Kosten der Nebenintervention aufzuerlegen.

DDer Beklagte beantragt, das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, die Anfahrung der Eisenbahnbrücke sei nicht durch Schiffsführer C verschuldet worden, sondern durch fehlerhaftes Verhalten des für die Verkehrsregelung verantwortlichen Bahnpersonals. Schiffsführer C habe das Kümo »B« bewusst mit höherer Geschwindigkeit überholt, um in sicherem Abstand von diesem diedie Eisenbahnbrücke zu passieren und sich dabei auf die bestätige Brückenöffnung verlassen. Als er der erneuten Schließung der Brücke gewahr geworden sei, sei diese nur noch
3 bis 4 Schiffslängen entfernt gewesen.
Trotz sofortigen Umsteuerns der Maschine und Einsatz des Bugstrahlruders sei das Schiff  durch den Strom der achtern auflaufenden Flut verfallen, wobei ein vollständiges Querfallen und Rammen des Brückepfeilers gedroht habe. Deshalb habe er sich entschlossen, nach dem Aufrichten des Schiffs die Brücke zu unterfahren.
lnsbesonde greife aber der besondere Haftungsausschließungsgrund der Decksverladung gemäß § 427 Abs. 1 Nr. 1 HGE ein.
Die Klägerin hat der Streithelferin zu 1) den Streit verkündet; diese ist mit Schriftsat:vom 13.05.2015 dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beigetreten. Die Beklagte hat der Streithelferin zu 2) den Streit verkündet; diese ist mit Schriftsatz vom 27.08.2015 dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beigetreten.
Wegen weiterer Einzelheiten des gegenseitigen Parteivorbringens wird auf den Inhalt der zwisc h en den Parteien gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat die Akte des Verklarungsverfahrens zum Az. 2a H 1/13 beigezogen und verwertet.

Entscheidungsgründe:


Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht
eingelegt. In der Sache hat er jedoch keinen Erfolg, denn die Klage ist zulässig und begründet.


1. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Bremen als Schifffahrtsgericht ergibt sich aus § 2 Abs. 1 S. 1 a BinnSchVerfG i.V.m. Art 1. Abs. 1 Ziffer des Staatsvertrag zwischen der Freien Hansestadt Bremen, der Freien und Hansestadt Hamburg sowie den Ländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein über die gerichtliche Zuständigkeit in Binnenschiffahrtssachen.

II. 1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch in Höhe der Klagforderung von 15.427,26 EUR gemäß § 425, 428 HGB, 26 BinSchG. Gemäß § 425 Abs. 1 HGB haftet der Frachtführer aus Obhutshaftung u.a. für den Schaden, der durch Beschädigung des Transportgutes in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung entsteht. Die Beklagte hatte für die Klägerin den Transport von 20 Leercontainern übernommen, die auf der Reise, mithin zwischen Übernahme und Ablieferung bei dem streitgegenständlichen Schiffsunfall beschädigt wurden. Sowohl die Tatsache der Beschädigung als auch der Umfang sind unstreitig.
Die Beklagte kann sich nicht auf einen Ausschluss der Haftung gemäß § 426 HGB berufen. Nach dieser Vorschrift ist der Frachtführer von der Haftung befreit, soweit der die Beschädigung auf Umständen beruht, die der Frachtführer auch bei größter Sorgfalt nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte. Unvermeidbarkeit und Unabwendbarkeit des Schadens sind anhand des Maßstabes eines idealen Frachtführers zu bestimmen. Hier hat sich die Beklagte zur tatsächlichen Ausführung des Transportes des Schiffsführers C bedient, dessen Verhalten ihr gemäß § 428 HGB zuzurechnen ist. Nach den Feststellungen des Sachverständigen X im Verklarungsverfahren wäre die Brückenanfahrung durch verschiedene Maßnahmen vermeidbar gewesen. So hätte frühzeitig Ballastwasser aufgenommen werden können, um das Schiff achtern tiefer liegen zu lassen, womit ein Aufstoppen des Schiffes durch die Hauptmaschine ermöglicht
worden wäre. Auch hätte die Aufnahme von Ballastwasser zu mehr Tiefgang des gesamten Schiffes geführt und damit ein ungefährliches Passieren der Brücke zum relevanten Zeitpunkt ermöglicht. Schließlich hätte auch durch Verwendung des Heckankers, ggf. auch des Bugankers ein rechtzeitiges Aufstoppen ermöglicht werden können.
Auf die Frage, ob oder ggfs. in welchem Umfang ein Mitverschulden des Bahnpersonals bei dem Schiffsunfall und der Schadensentstehung mitgewirkt hat, kommt es bei der Obhutshaftung der Beklagten gegenüber der Klägerin hingegen nicht an. Relevant wäre gemäß § 425 Abs. 2 HGB lediglich ein Mitverursachungsbeitragder Klägerin, der hier nicht in Frage steht.
Die Beklagte kann sich auch nicht auf einen Haftungsausschluss gemäߧ 427 Abs. 1 Ziff. 1 HGB berufen. Nach dieser Vorschrift ist der Frachtführer von seiner Haftung befreit, soweit die Beschädigung zurückzuführen ist auf eine vereinbarte oder der Übung entsprechende Verladung auf Deck.

Der Ausschlussgrund der Decksverladung liegt hier nicht vor, weil der Schaden nicht auf die Art der Verladung bzw. des Transports zurückzuführen ist. In dem Anfahrschaden hat sich nicht eine spezifische Gefahr des offenen Transports an Deck realisiert. Ohne die Kollision mit der Eisenbahnbrücke  wäre der Deckstransport nicht mit einem Beschädigungsrisiko, jedenfalls nicht der eingetretenen Art, verbunden gewesen. Deshalb greift auch die Kausalitätsvermutung des § 427 Abs. 2 HGB nicht ein. Ohne die verkehrswidrige Anfahrung der Brücke  wären die streitgegenständlichen Beschädigungen an den Containern nicht eingetreten.


2. Zinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten hat die Klägerin gemäß §§ 286 Abs. 1, 2 Nr 3, 288 BGB zu ersetzen. Durch die Rückweisung der Haftung für die Beklagte mit Schreiben vom 15.03.2013 is insoweit Verzug eingetreten.


3. Der Feststellungsanspruch der Klägerin ist gemäß §§ 430 HGB, 286 Abs. 1, 3 Nr. 3 BGB begründet. Gemäß § 430 HGB hat im Falle der Beschädigung des Transportgutes der Frachtführer die Kosten der Schadensfeststellung zu tragen. Ferner war nach der Haftungsablehnung der Beklagten die Beteiligung der Klägerin an dem der Schadensfeststellung zu tragen. Ferner war nach der Haftungsablehnung der Beklagten die Beteiligung der Klägerin an dem der Schadensfeststellung und Beweissicherung dienenden Verklarungsverfahren erforderlich zur Durchsetzung ihrer berechtigten Ansprüche. Da die Kosten noch nicht feststehen, ist der Fetstellungsantrag zulässig.


III. Nach allem war der Klage begründet. Das Versäumnisurteil war deshalb gemäß § 343 ZPO aufrecht zu erhalten. Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Nebenintervention hat die Klägerin gemäß §§ 91, 101 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.


Mitgeteilt durch Rechtsanwalt
Markus Jaegers, Duisburg

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2016 - Nr. 12 (Sammlung Seite 2458 f.); ZfB 2016, 2458 f.