Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Zur Beweisführung und Beweiswürdigung im Falle von Ansprüchen auf Ersatz eines Nutzungsschadens.
2) Voraussetzung eines höheren Zinsanspruches als 4 %.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 18. Oktober 1978
92 Z - 15/78
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Höhe des Schadensersatzes, den die Beklagten zu 1 und 2 wegen eines vom Beklagten zu 2 verschuldeten Zusammenstoßes ihres Kümo mit dem MTS „A" der Klägerin zu leisten haben. Sie haben neben den gesamten Reparatur-, Expertise- und Beseitigungskosten bereits 15000,- DM für Nutzungsverlust gezahlt. Die Klägerin verlangt jedoch noch den Ersatz weiteren Nutzungsverlustes in Höhe von 30500,- DM, außerdem 640,- DM für Interventionskosten des Experten W. Die Klägerin behauptet, daß sich ihr Schiff auf einer Fahrt nach Rotterdam befunden habe, um dort 700 cbm Weindestillat zum Transport nach Kehl zu einer Fracht von 65,- DM/t, also zu einer Gesamtfracht von 45500,- DM zu übernehmen. Hierzu sei es wegen des Unfalles am 5. 12. 1973 nicht gekommen, weil das schon am 6. 12. 1973 zu einer Werft gebrachte Schiff zwar am 12. 12. 1973 schon wieder hergestellt gewesen sei, aber das Frachtgut nicht bis zur Beendigung der Reparatur in Rotterdam habe liegen können. Daher sei der Frachtvertrag im Einvernehmen mit der auftraggebenden Fa. H. aufgehoben worden. Der Frachtverlust von 45 500,DM sei durch eine Ersatzreise auch nicht teilweise auszugleichen gewesen. Die Interventionskosten W. habe man zur schnellen Feststellung der möglichen Fortsetzung der Reise des MTS „A" und damit zur Niedrighaltung der Havarieschäden sowie zur Verhinderung von Beweisschwierigkeiten aufwenden müssen. Die Beklagten bestreiten, daß eine Reise mit Weindestillaten vereinbart gewesen sei. Der Nutzungsverlust habe höchstens 115000,- DM betragen und sei in dieser Höhe ausgeglichen worden. Die Interventionskosten W. seien nicht erstattungsfähig und außerdem der Klägerin bereits vom Kaskoversicherer vergütet worden, auf den der Anspruch daher gemäß § 67 VVG übergegangen sei. Wegen unvereinbar erscheinender Zeugenaussagen und eines deshalb eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wurde der Rechtsstreit zeitweise ausgesetzt und erst nach Einstellung des Verfahrens wieder aufgenommen. Abgesehen von der Anerkennung einiger Zinsansprüche für bestimmte Zeiträume hat das Rheinschiffahrtsgericht die Klage abgewiesen, weil ein Beweis für den Abschluß des Frachtvertrages über 700 t Weindestillat nicht erbracht und festgestellt sei, daß die Klägerin für die Interventionskosten W. bereits die Erstattung erhalten habe. Die Berufung der Klägerin ist von der Berufungskammer der Rheinzentralkommission als unbegründet zurückgewiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
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Aus den Zeugenaussagen geht nicht sicher hervor, daß der umstrittene Frachtvertrag, aus dem die Klägerin den von ihr behaupteten Nutzungsverlust herleitet, geschlossen worden ist. Die gegen einen solchen Abschluß sprechenden Umstände überwiegen sogar deutlich. Eine der Klägerin günstige, im vollen Umfange auf eigenem Wissen beruhende Aussage hat nur der Zeuge R. gemacht. Er will den umstrittenen Frachtvertrag mit der Fa. H. im Dezember 1973 per Telefon geschlossen und ihn nach der Havarie mit Zustimmung der Vertragspartnerin durch Telexwechsel rückgängig gemacht haben. Der Zeuge gibt zu, daß der Frachtvertrag seinem Inhalt nach einen Ausnahmecharakter getragen habe. Trotzdem hat er den Vertragsschluß nicht schriftlich bestätigt, ja nicht einmal eine Aktennotiz darüber angefertigt. Dieses Verhalten ist selbst dann ungewöhnlich, wenn der Zeuge im allgemeinen Frachtverträge nur mündlich zu schließen pflegte, denn der umstrittene Vertrag hatte keinen Standardcharakter, sondern war zu Ausnahmebedingungen geschlossen worden. Schon die fehlende Dokumentation des Vertrages rechtfertigt deshalb Zweifel an seinem Abschluß, die daran hindern, der Aussage R. entscheidende Bedeutung beizumessen. Hinzu kommt das Interesse des Zeugen am Ausgang des Rechtsstreites, in dem das Interesse seiner Firma und auch sein Verhalten zur Debatte stehen. Schließlich ist, wie sich aus den folgenden Darlegungen ergeben wird, die Aussage alleinstehend. Die Bekundungen mehrerer Zeugen sind mit ihr unvereinbar. Allerdings hat der Zeuge S. den Abschluß des umstrittenen Vertrages ebenfalls bestätigt. Seine Aussage zeigt aber nicht sicher, daß sie auf eigenem Wissen beruht. Der Zeuge sitzt seinem Kollegen R. am Schreibtisch gegenüber. Er selbst hat die angeblichen Vertragsverhandlungen nicht geführt, will aber wissen, daß R. den Vertrag geschlossen hat. Die Frage, worauf dieses Wissen beruht, ist unbeantwortet geblieben. Außerdem ist das „Wissen" des Zeugen teilweise unrichtig. Er hat z. B. erklärt, Vertragspartner sei eine Firma aus K. gewesen. Der Sitz der Fa. H. ist dagegen H. Für eine Firma in K. soll das Destillat nur bestimmt gewesen sein. Schließlich erscheint auch dieser Zeuge am Ausgang eines Rechtsstreites, in welchem Interessen seiner Firma zur Debatte stehen, nicht uninteressiert.
Im deutlichen Gegensatz zu den bisherigen Zeugenaussagen stehen diejenigen von Angestellten der Fa. H. Bei deren Bewertung ist vorab folgendes zu berücksichtigen. Für die Firma H. ist der Ausgang des vorliegenden Rechtsstreites ohne jede Bedeutung, denn er betrifft u. a. einen aufgehobenen Vertrag, aus dem weder die genannte Firma noch ihr Vertragspartner Ansprüche gegen den anderen ableiten können. Ansprüche der Klägerin gegen Dritte, die mit diesem angeblichen Vertrag begründet werden, sind für die Fa. H., und damit auch für ihre Angestellten, ohne Interesse. Die Letzteren können deshalb unbefangen aussagen. Der Zeuge Dipl.-Kaufmann Sch. hat erklärt, er habe nicht die geringste Erinnerung an den Abschluß des streitigen Vertrages. Die ihm vorgelegte Fotokopie eines Fernschreibens über dessen Aufhebung besage ihm nichts. Der Name des Zeugen R., der sein Verhandlungspartner gewesen sein solle, sei ihm unbekannt. Das gleiche gelte von dem Namen „A.". Der Zeuge hat hinzugefügt, er habe niemals Frachtabschlüsse getätigt oder Tankschiffe dis¬poniert. Wenn er aber einen Frachtvertrag über 700 t Weindestillat mit Frachtpreis geschlossen hätte, so würde er sich daran erinnern. Diese Aussage spricht eindeutig gegen den Abschluß des umstrittenen Vertrages.
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Noch negativer für die Klägerin ist die Aussage des Zeugen N., der ebenfalls Angestellter der Fa. H. ist. Er hat alle ihre Telexeingänge vom November 1973 bis Ende Januar 1974 geprüft, darunter aber keines über einen Transport von Weindestillat mit „A." gefunden. Auch sonstige Unterlagen über einen solchen Transport hat der Zeuge nicht gefunden, obschon es nach seiner Aussage bei der Fa. H. üblich war, den Abschluß von Transportverträgen fernschriftlich oder schriftlich zu bestätigen. Schließlich hat er erklärt, im Dezember 1973 sei eine Menge von 700 t Weindestillat nicht zu befördern gewesen, sondern höchstens etwa 25 t. Die Firma H. habe zwar einen Kunden in K. gehabt, der hin und wieder Weindestillat bezogen habe; dieser sei aber ausschließlich über die Bundesbahn beliefert worden.
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Das für die Klägerin ungünstige Beweisergebnis wird durch die folgenden Umstände noch verstärkt. Die Klägerin wußte nach der Havarie, daß sie den auf ihr beruhenden Nutzungsverlust darzulegen und zu beweisen hatte. Sie konnte nicht annehmen, der verlangte Betrag von DM 45 500,- würde ohne weiteres anerkannt und bezahlt werden. Der im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gehörte Zeuge D. hat deshalb nach seiner glaubwürdigen Erklärung veranlaßt, daß die angebliche Aufhebung des Frachtvertrages wegen der Havarie durch Telexwechsel mit der Fa. H. bestätigt wurde. Das Original des so bei ihr eingehenden Telex war für die Klägerin, die andere schriftliche Unterlagen über den umstrittenen Vertrag nicht hatte, von großem Wert. Trotzdem hat die Klägerin erklärt, sie habe das Telexoriginal vernichtet, weil dies bei ihr nach einer gewissen Zeit so üblich sei. Diese unverständliche angebliche Zerstörung eines in seiner Bedeutung bekannten Beweismittels, mit dem der besonders überzeugende Urkundenbeweis hätte geführt werden können, rechtfertigt Zweifel daran, ob das behauptete Telex je existiert hat. Die zu den Gerichtsakten gereichte Abschrift, die keinen Urkunden-Charakter hat und kein Beweismittel ist, zerstreut diese Zweifel nicht, da die Existenz einer Abschrift nicht zwingend ein Original voraussetzt, weil sie unabhängig davon zu Täuschungszwecken entstanden sein kann. Die erwähnten Zweifel werden auch durch die Aussage der Zeugin Frau B. im Ermittlungsverfahren nicht ausgeräumt. Sie hat lediglich auf die Numerierung des bei der Klägerin eingegangenen Fernschreibens verwiesen und erklärt, sie müsse doch die Feststellung erlauben, daß es bei der Fa. H. abgegangen sei. Der Hinweis ist richtig. Die erwähnte Feststellung ist aber mißlungen, da bei der Firma H. nach der Aussage des Zeugen N. keine Unterlagen über den von der Klägerin behaupteten Telexwechsel gefunden werden konnten.
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Gegen die Klägerin spricht auch, daß sie nicht behaupten kann, von welchem Seeschiff das Weindestillat übernommen werden sollte, wann es in Rotterdam eingetroffen ist und welches Schiff anstelle von „A." die 700 t Weindestillat nach K. transportiert hat. Das wäre in den Häfen von Rotterdam und K. in Erfahrung zu bringen gewesen. Das Schweigen der Klägerin spricht dafür, daß es den behaupteten Transport nach K. nicht gegeben hat. Ist dem aber so, so spricht dies wiederum gegen den von ihr behaupteten Vertragsschluß, der ja, wenn er erfolgt wäre, den Abschluß eines Ersatzvertrages geboten hätte. Auch wenn der Ersatztransport per Bahn ausgeführt worden wäre, hätte die Klägerin ihn durch Nachfrage bei der Bundesbahn erfahren und vortragen können. Wie man den Fall also auch betrachtet, man stößt auf erhebliche Lücken des von der Klägerin zu führenden Beweises.
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Es fehlt aber auch der Nachweis eines abstrakt berechneten Nutzungsverlustes, der über den von den Beklagten gezahlten Betrag von DM 15 000,- hinausgeht. Er hätte in der Weise geführt werden können, daß dargelegt worden wäre, welche Frachtreisen das TMS „A." vor und nach der Havarie ausgeführt hat und welche Nettogewinne mit ihnen verbunden waren. Hieraus hätte entnommen werden können, daß das Schiff der Klägerin ohne die mit der Havarie zusammenhängende Reparatur auf einer Werft während der Reparaturzeit entsprechende Gewinne eingefahren haben würde. An einem solchen Vortrag der Klägerin fehlt es. Sie hat nur behauptet, ihr Schiff habe im Jahre 1973 Frachten in Höhe von DM 900 000 bis 1 000 000 eingefahren. Diese Behauptung ist unerheblich. In der Beweisaufnahme ist bei der Vernehmung des Zeugen R. nebenbei zur Sprache gekommen, „A." habe nach der Reparatur der Havarieschäden in der Zeit vom 13. bis 18. 12. 1973 eine Frachtreise ausgeführt, die DM 13 050 einge¬bracht habe. Bedenkt man, daß diese Reisezeit in etwa der Reparaturzeit entspricht, so erscheint die von den Beklagten vorgenommene Schätzung des havariebedingten Nutzungsverlustes auf DM 15 000 für die Klägerin nicht ungünstig. Es ist unstreitig, daß die Kosten des Experten W. von dem Kaskoversicherer der Klägerin bezahlt worden sind. Nach § 67 des Versicherungsvertragsgesetzes ist mithin der Anspruch auf Erstattung des Betrages von DM 640,- auf den Versicherer übergegangen. Die Klägerin könnte ihn nur geltend machen, wenn er ihr von diesem abgetreten worden wäre. Die Vernehmung des Zeugen D. durch das Rheinschiffahrtsgericht hat ergeben, daß dies nicht geschehen ist. Der Betrag ist deshalb mit Recht nicht zuerkannt worden. Die Ausführungen des Rheinschiffahrtsgerichtes zum Punkte Zinsen halten einer Prüfung stand, soweit es für bestimmte Beträge weniger als die verlangten 8 %, nämlich 4 %o, zugesprochen hat. Die Klägerin verlangt Zinsen aus dem Gesichtspunkt des Verzuges. Nach § 288 1 d BGB betragen die gesetzlichen Verzugszinsen 4 %. Der folgende Satz 2 gibt dem Gläubiger das Recht, höhere Zinsen aus einem anderen Gesichtspunkt, etwa dem des Schadensersatzes, zu verlangen. Einen über 4 % Zinsen hinausgehenden Schaden erleidet der Gläubiger dann, wenn ihn der Schuldnerverzug zur Inanspruchnahme eines Bankkredites zwingt, den er höher als mit 4 % verzinsen muß. Im vorliegenden Falle hat die Klägerin teilweise Ansprüche geltend gemacht, die ihr von ihrem Kaskoversicherer abgetreten worden sind. Diese Ansprüche hat sie nur in dem Umfange, in dem sie beim Abtretenden bestanden haben. Diesen hat aber der Verzug der Beklagten nicht zur Aufnahme von Bankkrediten gezwungen, da ihm zur Regulierung von Schadensfällen flüssige Mittel zur Verfügung stehen. Zumindest fehlt jeder Vortrag der Klägerin für einen über 4 % hinausgehenden Zinsschaden des Abtretenden.
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