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8 U 233/74 BSch - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Datum uitspraak: 03.06.1976
Kenmerk: 8 U 233/74 BSch
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Oberlandesgericht Nürnberg
Afdeling: Schiffahrtsobergericht

Leitsätze:

1) Zur Verkehrssicherungspflicht der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung bei vorübergehender Freigabe einer Fahrrinne, in welcher Baggerarbeiten zur Vertiefung des Fahrwassers durchgeführt werden.


2) Zur Feststellung der Verkehrssicherheit des Fahrwassers kann statt eines Peilrahmens - je nach den vorliegenden Verhältnissen - auch die Benutzung von Peilstangen genügen.


3) Die Berufung auf den Beweis des ersten Anscheins ist nicht möglich, wenn nicht jede andere Möglichkeit der Verursachung eines Schiffsschadens ausgeschlossen werden kann.

Urteil des Oberlandesgerichts - Schiffahrtsobergericht in Nürnberg

vom 3. Juni 1976

8 U 233/74 BSch

(Schiffahrtsgericht Würzburg)


Zum Tatbestand:

Das beladene, bei der Klägerin kasko-versicherte MTS „W" durchfuhr am 11. 12. 1971 gegen 7.15 Uhr zwischen Main-km 99,0 und 99,3 bergwärts eine Strecke, auf welcher Baggerarbeiten durchgeführt wurden. Wegen des Wochenendes war das Baggerschiff aus dem Fahrrinnenbereich herausgezogen und bei Main-km 99,1 am linken Ufer festgemacht worden. Gleichzeitig war die während der Arbeitstage auf etwa 20 m verengte Fahrrinne auf die normale Breite von etwa 36 m erweitert worden.
Die Klägerin behauptet, daß MTS „W" bei der Durchfahrt der genannten Strecke durch Grundberührung mit einem über die garantierte Mindesttiefe von 2,50 m hinausragenden Hindernis einen Schiffsschaden von 11 745,- DM erlitten habe, der darauf beruhe, daß die Beklagte es pflichtwidrig unterlassen habe, die Fahrrinne vor Freigabe auf Untiefen und Hindernisse im Wege der erforderlichen Rahmenpeilung zu überprüfen. MTS „W" habe die Geschwindigkeit 200 m vor Erreichen des Baggers verringert und etwa 50 m vor dem Bagger auf die kleinste Umdrehungszahl der Maschine zurückgenommen.
Dem Klageantrag auf Zahlung der Schadenssumme hält die Beklagte entgegen, daß die Strecke durch ihr sorgfältig ausgewähltes und überwachtes Personal am 10. 12. 1971 mit Hilfe der völlig ausreichenden und ordnungsmäßig durchgeführten Stangenpeilung überprüft worden sei. Auch bei der nochmaligen Peilung vor Fortsetzung der Baggerarbeiten am 13. 10. 1971 seien keine Hindernisse und Untiefen festgestellt worden.

Die Klage ist vom Schiffahrtsgericht abgewiesen worden. Die Berufung blieb ohne Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht richtet sich neben der laufenden Kontrolle des Schiffahrtsweges auf Einhaltung der Mindesttiefe nach den konkreten Gegebenheiten. Dabei lassen sich keine allgemeinen Grundsätze aufstellen, welche Maßnahme der Verkehrssicherungspflicht entspricht. Es ist vielmehr zu prüfen, ob im Einzelfall die Beklagte das Erforderliche und ihr Zumutbare getan hat.

1. Die Beklagte ist ihrer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht nachgekommen.

Durch die Aussage des Zeugen B. und die Vorlage der Peildiagramme hat die Beklagte nachgewiesen, daß sie letztmalig vor dem Unfall am 6. Oktober 1971 die Flußsohle bei km 99,1 auf Einhaltung der Mindesttiefe von 2,50 m über hydrostatischen Stau ohne Beanstandungen überprüft hat. Derartig kurz zurückliegende Peilungen werden den von der Rechtsprechung entwikkelten Grundsätzen über die regelmäßige Überwachung der garantierten Mindesttiefe voll gerecht.

Die am 13. Dezember 1971 erfolgte Kontrolle im angegebenen Havariebereich unter Verwendung eines Peilrahmens ergab auf die gesamte Breite des Schiffahrtswegs eine Tiefe von 2,50 m. Untiefen oder Hindernisse wurden nicht ausgemacht. Dies hat der Zeuge S. glaubhaft bekundet.

2. Der Beklagten oblag im Bereich von Main-km 99,1 eine gesteigerte Verkehrssicherungspflicht.
Während der Baggerarbeiten wurde die normale Fahrwasserbreite von ca. 36 m durch Abtonnung auf ca. 20 m verengt. Am Freitag, dem 10. Dezember 1971 wurde nach Arbeitsende der Bagger „W." am linksmainischen Ufer außerhalb des Fahrwegs festgemacht. Der Schiffahrtsweg wurde wieder auf seine normale Breite erweitert. Vorher war die Baggerone vom Schwimmkran „R." abgetragen und auf einen Kahn verladen worden. Nach Abräumung der Baggerone war deren Bereich von einem Besatzungsmitglied und zusätzlich von dem Geräteführer des „W.", dem Zeugen D., unter Verwendung von sogenannten Peilstangen abgegriffen worden. Eine Kontrolle des bereits tiefer gebaggerten Bereichs erfolgte nicht.

Die seitliche Rone - zur Fahrwassermitte - war laufend während der Arbeiten kontrolliert worden. Diese Feststellungen beruhen, soweit sie nicht ohnehin unstreitig sind, auf den Aussagen der Zeugen B. und D. sowie den übergebenen Urkunden.

a) Die Organisation dieser Baggerarbeiten und ihre Durchführung lassen keine fehlerhafte Sachbehandlung der Beklagten erkennen.


b) Die von der Besatzung des „W." nach Abräumung der Baggerone zweifach vorgenommene Stangenpeilung war sachgemäß und ausreichend.

Mit einem hölzernen Peilstab - der durch Farbmakierungen die jeweilige Fahrwassertiefe erkennen läßt - kann einfach und sehr feinfühlig das Flußbett nach Hindernissen abgegriffen werden.

Der Senat folgt dabei den von Sachkunde getragenen Ausführungen des Gutachters Dipl.-Ing. Dr. S., der als Angestellter der Versuchsanstalt für Binnenschiffahrt e. V. in D. einen unmittelbaren beruflichen Kontakt zu derartigen Fragen hat. Der Sachverständige hält das angewandte Verfahren für üblich und ausreichend, wenn die abzusuchende Fläche relativ klein, das Personal über die erforderliche Erfahrung verfügt und die Entfernung zwischen den einzelnen Peilungen nicht mehr als 1 m beträgt. Die dazwischen liegenden Flächen können durch Querneigung des Peilstabs kontrolliert werden.

Alle Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Die Stangenpeilung beschränkte sich auf den Bereich der Baggerone, d. h. auf eine Fläche von maximal 3 x 20 m. Der Zeuge D. hat - wie bereits ausgeführt - eine langjährige Berufserfahrung als Geräteführer eines derartigen Baggers. Seine übrige Besatzung bezeichnete er als eingearbeitet.

Auf der Breite des Schwimmkrans „R." von knapp 10 m - genau 9,70 m - warf der Zeuge D, die Stange 25- bis 30 mal ins Wasser und ließ sie über den Bereich der Baggerone gleiten, bis er den Beginn der bereits ausgebaggerten Fläche spürte. Dies ergibt eine seitliche Differenz der einzelnen Peillinien von knapp 40 cm. Bereits vorher hatte ein weiteres Besatzungsmitglied in gleicher Weise abgepeilt. Dadurch wurden weitere Peillinien über den Ronebereich gezogen, weil bei nicht markierten Peilungen ein deckungsgleicher Einsatz der Peilstange der Lebenserfahrung widerspricht.

Nach Abräumung und Überprüfung auf Breite des Schwimmkrans wurde das Fahrzeug seitlich versetzt und mit der Arbeit in gleicher Weise fortgefahren.

Bei derart häufigen Peilungen auf engstem Raum - weit unter dem vom Sachverständigen als ausreichend bezeichneten seitlichen Abstand - wären nach der Überzeugung des Senats vom Schwimmkran nicht erfaßte Reste der Baggerone festgestellt worden.


c) Eine Abpeilung des wöchentlichen Baggerbereichs vor Freigabe der vollen Breite der Fahrtrinne war nicht erforderlich. Aufgrund der Arbeitsweise des Eimer-Ketten-Schwimmbaggers „W." hält es das Berufungsgericht für ausgeschlossen, daß in dem bereits auf ca. 3,30 m Tiefe ausgebaggerten Teil des Flußbetts, der nicht mit der Peilstange überprüft worden ist, Hindernisse zurückbleiben konnten, die höher als 2,50 m unter hydrostatischem Stau ins Wasser ragten.


d) Die zur Kontrolle einer etwaigen Seitenlogen - am seitlichen Arbeitsbereich zur Strommitte - ergriffenen Maßnahmen waren ausreichend.

Die seitliche Rone, die entlang der Vorwärtsbewegung des „W." hätte entstehen können, wurde von dem Zeugen D. laufend mit der Peilstange kontrolliert. Bei dem geringen täglichen Arbeitsfortschritt von ca. 4 m im Bereich von Strom-km 99,1 war diese Uberprüfung einfach und sicher.


e) Bei dieser Sachlage geht der Einwand der Klägerin, eine Verwendung von Peilstangen sei unzureichend und nur durch einen Peilrahmen könnten zuverlässige Feststellungen getroffen werden, in dieser Allgemeinheit fehl. Im vorliegenden Fall waren die von der Besatzung des „W." durchgeführten Maßnahmen ausreichend, um der der Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht zu genügen.

Das MTS „W" hatte in Höhe des „W." Grundberührung.

Die Zeugen V., 1., 0. und H. haben dies übereinstimmend bekundet. Später wurde auch ein Schaden am Schiffskörper festgestellt.

Der Zeuge L., der mit dem MTS „UK" in kurzem Abstand folgte, hat ein ungewöhnliches Fahrverhalten der „W" an dieser Stelle bemerkt.
Damit ist aber der Nachweis, daß das MTS „W" auf ein im Zuge der Baggerarbeiten in den Schiffahrtsweg gebrachtes Hindernis auffuhr, nicht erbracht. Wie oben dargestellt, hat die Beklagte ihrer Verkehrssicherungspflicht genügt.

Auf den Beweis des ersten Anscheins kann sich die Klägerin nicht berufen.
Nach diesen, von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen kann aufgrund eines festgestellten Sachverhalts, der nach der Lebenserfahrung auf einen bestimmten Geschehensablauf hinweist, dieser regelmäßige Verlauf, wenn der Fall das Gepräge des Üblichen und Typischen trägt, im Wege des Anscheinsbeweises als bewiesen angesehen werden (vgl. BGHZ 2, 5). Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß jede andere denkbare Möglichkeit ausgeschlossen werden kann.

Der Senat verkennt nicht, daß im vorliegenden Fall eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein Wracken der „W" an einem durch die Baggerung geschaffenen Hindernis spricht. Es sind aber mehrere Möglichkeiten für die Schadensverursachung denkbar:

Von einem Schiff können sich Teile gelöst haben, z. B. ein Anker bzw. Teile der Ladung oder vom Ufer aus können Gegenstände in den Fluß geworfen worden sein. Auf derartige Hindernisse, von deren Entstehung die Beklagte nichts wußte, erstreckte sich ihre Verkehrssicherungspflicht nicht. Schließlich hat der Sachverständige S. eine weitere Möglichkeit für eine Grundberührung der „W" aufgezeichnet.

Durch die in zwei Phasen erfolgte Herabsetzung der Geschwindigkeit des Schiffes vor Erreichung des Baggers „W." konnte die nach vorne laufende vom Schiff selbst gebildete Absenkungsmulde die Trimmlage wesentlich verändern und zu einem bis zu 50 cm tieferen Eintauchen des Rumpfes geführt haben. Die gleiche Erscheinung durch die Geschwindigkeitsverringerung des nachfolgenden MS „UK" hervorgerufen bzw. sogar noch verstärkt worden sein.

Derartige Erscheinungen sind aber erfahrenen Schiffern bekannt. Die Beklagte war im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht gehalten, für solche Auswirkungen einen Sicherheitszuschlag über die garantierte Solltiefe hinaus vorzusehen (BGH-Urteil vom 2. Mai 1963 in VersR 63, 551).

Ein Verschulden der Beklagten an der Wrackung des MTS „W" ist damit nicht erwiesen.