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Leitsätze:
1) Die Berufungskammer der Rheinzentralkommission kehrt zu der früheren Rechtsprechung zurück, wonach es hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung in Strafsachen darauf ankommt, ob die auf den jeweiligen Fall anzuwendende Strafvorschrift im Höchstmaß eine den Betrag von 50 Goldfranken übersteigende Strafe zuläßt.
2) Zieht ein Schubboot aus einem auf der Reede liegenden Stapel von 5 Schubleichtern 4 Leichter heraus, um sie zum Löschplatz zu bringen, so übernimmt der Schubbootführer Obhutspflichten im strafrechtlichen Sinne bezüglich des liegenbleibenden Schubleichters, auch wenn er diesen nicht zu dem Liegeplatz gebracht hatte. Die Verpflichtung für eine anderweitige Befestigung (Verbringen zu einem Schubschiffmutterschiff usw.) oder für die Benachrichtigung des Leichtereigners besteht besonders dann, wenn der Leichter nur mit einem Anker ausgerüstet ist und beim Stillliegen vorn und hinten nicht so befestigt oder verankert werden kann, daß er seine Lage nicht verändern kann.
Urteil der Berufungskammer der Rheinzentralkommission
vom 18. März 1971
8 S - 1/71
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Der Angeklagte hat als verantwortlicher Schiffsführer des Schubbootes T im April 1968 auf dem Schubschiffliegeplatz Orsoy (linkes Rheinufer km 791.20 bis 792.25) aus einem Päckchen von fünf nebeneinander gekoppelten stillliegenden Schubleichtern vier Leichter abgeholt, um diese in den H2- en Schwelgern zu verbringen. Den fünften, nur mit einem Buganker ausgerüsteten Schubleichter B ließ er auf dem Liegeplatz allein zurück. Der Angeklagte wurde deshalb vom. Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort wegen Obertretung nach §§ 67, 102 RheinSchPolVO, § 1 Abs. VI Ziffer 1 der Bekanntmachung für die Rheinschiffahrt über die Schubschiffahrt in Verbindung mit § 7 des Aufgabengesetzes und Art. 32 Mannheimer Akte zu einer Geldstrafe von 40,- DM, ersatzweise 2 Tagen Haft, kostenpflichtig verurteilt.
Seine Berufung wurde von der Berufungskammer der Rheinzentralkommission zurückgewiesen, wobei jedoch die Verurteilung wegen Übertretung des § 67 RheinSchPolVO nicht aufrechterhalten wurde.
Aus den Gründen:
Nach Artikel 37 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte kann gegen Urteile der Rheinschiffahrtsgerichte - ohne Unterschied zwischen Zivil- und Strafsachen - wahlweise Berufung bei der Zentralkommission oder bei dem zuständigen nationalen Obergericht eingelegt werden, wenn der Gegenstand der an das Gericht gestellten Anträge mehr als 50 Goldfranken beträgt. Wendet man diese Bestimmung sinnvoll auf ein Strafverfahren an, so kann nicht der Urteilsbetrag der angefochtenen Entscheidung, sondern allein der Geldwert der In einem Strafverfahren möglichen Anträge maßgebend sein. Während im Zivilrechtsstreit die Berufungssumme eindeutig durch die Höhe des vom Kläger in erster Instanz beanspruchten und vom Beklagten bestrittenen Betrages umrissen wird, fehlt es im Strafverfahren an solchen mit den Parteianträgen im Zivilprozeß vergleichbaren Anträgen. Auf den Antrag des Staatsanwalts, gegen den Angeschuldigten eine bestimmte Geldstrafe auszusprechen, kann nicht abgestellt werden, da dieser Antrag des Staatsanwalts nach dem Prozeßrecht nur eine gutachtliche Äußerung zur Strafhöhe darstellt, die den Richter nicht bindet und von ihm, im Gegensatz zu einem Klagantrag im Zivilprozeß, überschritten werden kann. Als maßgebender Antrag im Sinne des Artikels 37 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte kann deshalb nur die Anklage des Staatsanwalts als solche in Frage kommen, mit der er vom Gericht die Bestrafung des Angeschuldigten wegen einer bestimmten, von Ihm bezeichneten Straftat begehrt. Da es aber Im freien Ermessen des Gerichts liegt, in welcher Höhe es Innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens die Strafe festsetzt, muß für die Bestimmung der Berufungssumme im Sinne des Artikels 37 auf die obere Grenze des gesetzlichen Strafrahmens abgestellt werden. Da die bei Zuwiderhandlungen gegen schiffahrtpolizeiliche Vorschriften und damit auch auf den vorliegenden Fall anzuwendende Strafvorschrift des Artikels 32 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte im Höchstmaß eine den Betrag von 50 Goldfranken übersteigende Strafe zuläßt, ist die in Artikel 37 verlangte Berufungssumme gegeben.
Die Berufungskammer kehrt damit in der Frage der Zulässigkeit der Berufung in Strafsachen unter Aufgabe des in den letzten Jahren von der Zentralkommission eingenommenen Rechtsstandpunktes wieder zu der früheren Rechtsprechung der Zentralkommission zurück.
Nach § 102 Nr. 3 Rheinschiffahrtpolizeiverordnung müssen Schiffsführer, sowie Personen, unter deren Obhut schwimmende Anlügen gestellt sind, die von den zuständigen Behörden bekanntgegebenen Anordnungen beachten, die notwendig sind, um bis zu einer Änderung der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung schiffahrtpolizeiliche Maßnahmen zu treffen. Eine solche Anordnung stellt die Bekanntmachung für die Rheinschiffahrt über die Schubschiffahrt dar, In der unter ausdrücklichem Hinweis auf § 102 Rheinschiffahrtpolizeiverordnung in § 1 Absatz VI Ziffer 1 vorgesehen ist, daß Schubverbände und einzelne Schubleichter beim Stilliegen vorn und hinten so befestigt oder verankert sein müssen, daß sie Ihre Lage nicht verändern können; dies muß auch unter den ungünstigsten Umständen. die an der Liegestelle auftreten können, für die Gesamtdauer des Stilliegens gewährleistet sein. Für den Angeklagten war erkennbar, daß nach dem Abholen der vier von ihm In den Hafen Schwelgern zu verbringenden Schubleichter der Leichter B, der vorher an den vier anderen Leichtern durch Ankoppeln seitlichen Halt gefunden hatte, nunmehr nur noch hinter seinem Buganker lag und diese Liegeweise nicht mehr der Bestimmung des § 1 Absatz VI Ziffer 1 der Bekanntmachung über die Schubschiffahrt entsprach. Der Angeklagte kann sich nach Auffassung der Berufungskammer nicht darauf berufen, daß der Leichter B nur mit einem Anker ausgerüstet war und somit keine Möglichkeit bestand, zur ordnungsmäßigen Befestigung zusätzlich einen Heckanker zu setzen; denn nach der von der Berufungskammer eingeholten amtlichen Auskunft der für den Schubschiffliegeplatz zuständigen Wasser- und Schiffahrtsdirektion Duisburg-Ruhrort können Schubleichter, die nur mit einem Anker ausgerüstet sind, längsseits des auf dem Liegeplatz ausgelegten und fest verankerten Schubschiffmutterschiffes so abgelegt werden, daß sie nicht gieren. Falls der Angeklagte von dieser Sicherungsmöglichkeit des Leichters B keinen Gebrauch machen wollte, hätte er mit dem Wegbringen der übrigen vier Leichter so lange warten müssen, bis nach Verständigung der für den Leichter B Verantwortlichen dessen ausreichende Befestigung gewährleistet war. Die Tatsache, daß der Leichter B nur mit einem Anker ausgerüstet war, ist für die Beurteilung des Falles nicht von Bedeutung, denn es besteht In keinem Rheinuferstaat eine Vorschrift, daß Schubleichter mit Bug- und Heckanker auszurüsten sind, da die Sicherung der Leichter im Sinne der Bekanntmachung über die Schubschiffahrt auch in anderer Weise bewirkt werden kann, zum Beispiel durch Befestigen an Land, an einem fest verankerten Schiff oder in der Weise, daß zwei nur mit einem Anker ausgerüstete Schubleichter umgekehrt nebeneinander gelegt werden, wobei der eine seinen Anker zu Berg, der andere zu Tal setzt. Entgegen der Meinung des Angeklagten und Berufungsklägers ist die Berufungskammer der Auffassung, daß dem Angeklagten, auch wenn er mit seinem Schubboot den Leichter B auf diesen Liegeplatz gebracht hat, trotzdem Obhutspflichten Im Sinne des § 102 Rheinschiffahrtpollzeiverordnung bezüglich dieses Leichters oblagen, da er durch eigenes Handeln, nämlich durch Lösen der seitlichen Verbindung zu den vier anderen Leichtern, die bis dahin B sicherten, in den nautischen Bereich dieses Leichters eingriff und diesen veränderte. Ebensowenig wie der Schiffsführer eines an Land liegenden Fahrzeugs, bei dem wasserseitig ein anderes Schiff festgemacht hat, dessen Drähte ohne Verständigung der Besatzung lösen und wegfahren kann, durfte der Angeklagte die vier Leichter, die bis dahin B sicherten, wegholen, ohne für eine anderweitige Befestigung des Leichters B (Verbringen neben das Schubschiffmutterschiff) oder für eine Benachrichtigung der Reederei des Leichters oder ihrer Duisburger Vertretung gesorgt zu haben. Soweit durch das Rheinschiffahrtsgericht auch eine Verurteilung wegen Zuwiderhandlung gegen § 67 Nr. 3 Rheinschiffahrtpolizeiverordnung erfolgte, kann diese nicht aufrechterhalten werden, da die genannte Vorschrift den Eintritt einer konkreten Gefährdung oder Behinderung voraussetzt, die nach Auffassung der Berufungskammer In dem vorliegenden Falle aber nicht ausreichend bewiesen erscheinen. Bei der Strafbemessung hat die Berufungskammer berücksichtigt, daß einerseits der Angeklagte bisher nicht bestraft ist, daß andererseits aber durch sein Verhalten eine nicht unerhebliche Gefahrenquelle für die Schiffahrt geschaffen wurde. Die vom Erstrichter verhängte Geldstrafe von 40,- DM trägt diesen Gesichtspunkten gebührend Rechnung."