Jurisprudentiedatabank
Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 15.4.1977 - 5 C 98/76 BSch -)
In Sachen
75 Z - 4/78
hat die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt in Strassburg nach öffentlicher Verhandlung in der Sitzung vom 8. Februar 1978, an welcher als Richter teilgenommen haben die Herren QUANJARD (Vorsitzender) BONET-MAURY, SCHMITZ, STUCKELBERGER, VREEDE und in Anwesenheit des Stellvertretenden Gerithtskanzlers, Herrn BOUR, gestützt auf Artikel 37 und 45bis der Revidierten Rheinschiffahrtsakte vom 17.10.1868, in der Fassung vom 20.11.1963, folgendes Urteil gefällt:
Es wird Bezug genommen auf:
1) Das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts in Duisburg-Ruhrort vom 15. April 1977,
2) auf die Berufungsschrift der Klägerin vom 16. Mai 1977 und auf deren Berufungsbegründung vom 20. Juni 1977,
3) auf die Berufungsantwort der Beklagten vom 26. Juli 1977,
4) auf die Akten 5 C 98/76 BSch des Rheinschiffahrtsgerichtes in Duisburg-Ruhort,
6) auf die Strafakten 6 Cs 17/75 des Schiffahrtsgerichtes in Duisburg-Ruhrort.
Die unter den Ziffern 5) und 6) genannten Akten haben der Berufungskammer vorgelegen.
Tatbestand:
Die Klägerin ist der Versicherer des MS "A". Dieses Schiff fuhr am 13.2.1975 gegen 15.00 Uhr auf dem Rhein bei km 732,2 beladen zu Tal. Ihm entgegen kam das ebenfalls beladene MS "S", das dem Beklagten zu 1) gehört und dessen Lotse der Beklagte zu 2) war. Letzterer stand auch am Ruder. Beide Schiffe stiessen bei dem Versuche einer Begegnung frontal zusammen und wurden beschädigt. Die Klägerin hat den auf "A" entstandenen Schaden teil¬weise ersetzt. Sie verlangt im vorliegenden Verfahren die Erstattung des gezahlten Betrages von den Beklagten. Weiter erstrebt sie die Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet seien, auch den weiter entstandenen, aber noch nicht bezifferbaren Schaden zu ersetzen. Ursache des Unfalles waren Meinungsverschiedenheiten der Führungen der beiden genannten Schiffe über die von MS "S" gegebene Kursweisung. Die Klägerin hat behauptet, das Schiff der Beklagten habe die blaue Seitenflagge gesetzt, also eine Begegnung Steuerbord auf Steuerbord verlangt. Diese Kursweisung habe "A" dadurch erwidert, dass dort gleichfalls die blaue Seitenflagge gesetzt worden sei. Das Schiff der Beklagten sei aber einen mit seiner Weisung nicht zu vereinbarenden Steuerbordkurs gefahren, während "A" weisungsgemäss einen Backbordkurs beobachtet habe. Die Führung von "S" sei dreimal durch ein aus zwei kurzen Tönen bestehendes Signal auf ihren mit der gegebenen Weisung nicht zu vereinbarenden Kurs hingewiesen worden. Sie habe diese Signale nicht erwidert und ihren Steuerbordkurs noch verstärkt. Angesichts dieses Verhaltens sei eine Kollision unvermeidbar gewesen, obschon auf "A" die Geschwindigkeit rechtzeitig vermindert worden sei. Demgegenüber haben die Beklagten behauptet, ihr Schiff habe die blaue Seitenflagge nicht gezeigt, also als Bergfahrer eine Begegnung Backbord verlangt. Sein Kurs habe dieser Weisung entsprochen. Die Ursache des Unfalles liege allein darin, dass "A", welches die blaue Seitenflagge ebenfalls nicht gezeigt habe, Backbordkurs eingeschlagen habe, als beide Schiffe nur wenig voneinander entfernt gen wesen seien. "S" sei zwar noch nach Steuerbord ausgewichen, habe die Maschinenkraft verringert und zweimal das akustische Signal "einmal lang" 'gegeben. Der Zusammenstoss sei jedoch unvermeidbar gewesen.
Es haben beantragt
Die Klägerin,
1. die Beklagten gesamtschuldnerisch haftend zu verurteilen, und zwar den Beklagten zu 1),ausser dinglich haftend mit dem MS "S'' im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich haftend,an die Klägerin 30.000,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem Tage der Klagezustellung zu zahlen,
2, festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch haftend, und zwar der Beklagten zu 1) ausser dinglich haftend mit dem MS "S" im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich haftend, verpflichtet sind, der Klägerin allen weiteren Schaden zu ersetzen, der ihr bzw. ihren Rechtsvorgängern durch die Kollision vom 13 2.1975 zwischen MS "A" und MS "S" entstanden ist.
Die Beklagten, die Klage abzuweisen.
Der Unfall hatte neben dem vorliegenden Rechtsstreit auch denjenigen mit dem Aktenzeichen 5 C 37/76 BSch des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort zur Folge. Dieses Gericht hat beide Verfahren zur gemeinsamen Beweisaufnahme verbunden. Die Protokolle der Beweisaufnahme befinden sich in den Akten 5 C 37/76 BSch. Weiter hat die Havarie zu dem Strafverfahren 6 Cs 17/75 des Schifffahrtsgerichts in Duisburg-Ruhrort geführt. Es richtete sich ursprünglich gegen den Schiffsführer "SE" des MS "A", dem vorgeworfen wurde, eine ihm gegebene Kursweisung nicht beachtet zu haben. Dieser Vorwurf wurde später fallengelassen. Dagegen erging ein Strafbefehl gegen den Lotsen von "S", weil er eine Steuerbordbegegnung verlangt habe, aber keinen dieser Weisung entsprechenden Kurs gefahren sei. Auf seinen Einspruch hin wurde er vom Schiffahrtsgericht in Duisburg-Ruhrort freigesprochen. Das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort hat dieses Strafakten beigezogen. Sodann ist die Klage mit der folgenden Begründung abgewiesen worden. Durch die Aussagen der Besatzung des MS "V", das einige hundert Meter unterhalb von "S" zu Berg gefahren sei, stehe fest, dass dieses Schiff keine blaue Seitenflagge voll gesetzt habe. Der gleiche Schluss sei aus den Fotos in Hülle B1. 31 der Strafakten zu ziehen, weshalb offen bleiben könne, wann sie gemacht worden seien. Es sei deshalb bewiesen, dass von der Führung des MS "S" keine Begegnung Steuerbord verlangt worden sei. Ungewiss sei geblieben, ob auf diesem Schiff die blaue Seitenflagge mit einem Zipfel sichtbar gewesen sei. Hierfür sprächen zwar einige Umstände. Eine sichere Feststellung scheitere aber an den Aussagen der Besatzung des MS "W" von der eine blaue Seitenflagge nicht gesehen worden sei. Die bestehende Ungewissheit wirke zu Lasten von "A". Sie verhindere auch die, Feststellung einer Mitschuld von "S" an dem Unfall. Der Führung dieses Schiffes sei allerdings ein Verstoss gegen § 6.04 Abs. 4 RSchPVO vorzuwerfen, weil sie keinen kurzen Signalton gegeben habe, als erkennbar gewesen sei, dass "A" die gegebene Kursweisung sur Backbordbegegnung nicht befolgte. Dieser Verstoss habe aber für den Unfall keine Bedeutung erlangt.
Die Klägerin hat Berufung eingelegt.
Vor der Berufungskammer wiederholen die Parteien ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen. zu den. Darlegungen des Rheinschiffahrtgerichts Stellung.
Es beantragen Die Klägerin,
nach ihren Anträgen des ersten Rechtszuges zu erkennen.
Die Beklagten,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist formell in Ordnung.
In der Sache hat die Berufungskammer folgendes erwogen.
1) Es kann davon ausgegangen werden, dass die Führung des MS "S" keine blaue Seitenflagge setzen, also von "A" keine Begegnung Steuerbord auf Steuerbord verlangen wollte. Es kann weiter davon ausgegangen werden, dass sie sich der Tatsache nicht bewusst war, den Anschein-einer solchen Kursweisung dadurch zu geben, dass die blaue Seitenflagge ihres Schiffes soweit sichtbar war, dass sie als Kursweisung angesehen werden konnte. Für diese Feststellung sprechen die Aussagen der Besatzung von "S" und vor allem der Kurs dieses Schiffes, der nur verständlich ist, wenn man unterstellt, seine Führung habe von "A" eine Begegnung Backbord auf Backbord verlangt. Von einem unverständlichen Verhalten der Führung von "S", das in der Beobachtung eines der gewollten Kursweisung entgegengesetzten Kurses liegen würde, glaubt die Berufungskammer nicht ausgehen zu können.
2) Diese Feststellungen schliessen aber eine fahrlässige Ausserachtlassung der allgemeinen nautischen Sorgfaltspflicht und damit einen Verstoss gegen § 1004 RSchPVO nicht aus. Er könnte darin liegen, dass die blaue Seitenflagge so nachlässig eingezogen worden war, dass ein grosses Stück von ihr sichtbar blieb, welches den Eindrück einer Kursweisung hervorrufen konnte. Einen solchen Verstoss hält die Berufungskammer aus den folgenden Gründen für bewiesen. Die 3 Fotos in Hülle Bl. 31 der Strafakten 6 Cs 17/75 des Schifffahrtsgerichtes in Duisburg-Ruhrort zeigen die blaue Seitenflagge so hinreichend gross und deutlich, dass der Eindruck einer mit ihr gegebenen Kursweisung entstehen konnte. Es ist keineswegs von ihr nur ein Zipfel sichtbar, so dass ein Beobachter meinen konnte, sie sei lediglich nachlässig eingezogen, solle aber nicht gezeigt werden. Allerdings lassen die Fotos die Namen der abgebildeten Schiffe nicht erkennen. Sie zeigen weiter nicht, wann sie entstanden sind. Zwischen den Parteien ist aber unstreitig, dass es sich bei den fotografierten Schiffen um die am Unfall beteiligten handelt. Umstritten ist, wann die Fotos gemacht worden sind, ob unmittelbar nach der Havarie oder etwa am folgenden Tage. Die Berufungskammer bezweifelt nicht, dass sie im unmittelbaren Anschluss an den Unfall vom Schiffsführer des MS "A" gefertigt worden sind. Der Lotse "B" des MS "S" hat noch am Unfalltage der Wasserschutzpolizei erklärt, "A" habe sich nach der Havarie längsseits seines Schiffes gelegt. Er habe dessen Kapitän gefragt, was bei ihm los gewesen sei. Dieser habe geantwortet, er habe an der Steuerbordseite passieren wollen. Auf den Hinweis, er, der Lotse, habe keine blaue Flagge gesetzt, habe der Schiffsführer geantwortet, er habe "dies fotografiert". Eine solche Antwort kann der Schiffsführer von "A" nicht der Wahrheit zuwider in der Absicht gegeben haben, die noch nicht vorhandenen Fotos später unter günstigen Umständen zu machen, denn er konnte nicht wissen, ob sich solche Umstände einstellen würden. Die Erklärung des Lotsen bei einer späteren Vernehmung durch die Wasserschutzpolizei am 22.7.1975, die Fotos könnten nicht mehr am Unfalltage gemacht worden sein, weil "A" nicht so hinter "S" gelegen habe, wie sie es zeigten, ist nach Ansicht der Berufungskammer eine durchsichtige Reaktion darauf, dass in der Zwischenzeit der Lotse verdächtigt wurde, den Unfall verschuldet zu haben und das Bedürfnis hatte, sich zu entlasten. Sie hat deshalb keinen Beweiswert. Die Fotos zeigen weiter, dass man auf "A" dabei war, das Deck zu reinigen, denn dazu benötigte Gegenstände liegen an Deck. Die Matrosen "K" und "L" dieses Schiffes haben bei ihren Vernehmungen im Rechtsstreit 5 C 37/76 BSch ausgesagt, vor der Havarie damit beschäftigt gewesen zu sein, das Deck zu reinigen. Beide Matrosen haben auch erklärt, gesehen zu haben, dass ihr Schiffsführer unmittelbar nach der Havarie die Situation fotografiert und zu diesem Zweck das Ruder an K übergeben habe. Schliesslich hat der Schiffsführer "W" vom TMS "V" im bereits genannten Parallelprozess erklärt, er wolle nicht ausschliessen, dass die blaue Seitenflagge von ''S" vor der Havarie so sichtbar gewesen sei, wie es die ihm vorgelegten Fotos zeigten. Alle diese Umstände rechtfertigen die Feststellung, dass die umstrittenen Fotos unmittelbar nach der Havarie gemacht wurden und die blaue Seitenflagge von "S" so zeigen, wie sie vor dem Unfall sicht war. Dann steht aber fest, dass die Führung des Schiffes ihre nautische Sorgfaltspflicht aus Fahrlässigkeit nicht erfüllt hat. Diese Pflicht gebietet es u.a., eine Kursweisung in einer Weise zu geben, die Missverständnisse ausschliesst. Die Führung von "S" wollte eine Begegnung Backbord auf Backbord mit "A". Sie brauchte deshalb nach § 6.04, 2 RSchPVO kein Zeichen zu geben. Liess sie es zu, dass die blaue Seitenflagge ihres Schiffes so sichtbar war, wie es die bereits erörterten Fotos zeigen, so erweckte sie den Anschein einer Zeichengabe nach § 6.04, 3 RSchPVO und damit einer Weisung zur Begegnung Steuerbord. Diese Nachlässigkeit ist mit gehöriger nautischer Sorgfalt unvereinbar. Sie wäre vermieden worden, wenn man auf "Sonja Weiner" der blauen Seitenflagge auch nur einen Blick geschenkt hätte, wozu angesichts des Verhaltens von "Andrea Claudia" Anlass bestand. Die Fahrlässigkeit der Führung des Bergfahrers steht deshalb fest.
3) Zu diesem Verstoss der Führung von "S" tritt derjenige gegen § 6.04,4 RSchPVO, den bereits das Rheinschiffahrt sgericht richtig festgestellt hat. Beide Verstösse haben den Unfall herbeigeführt. Die Führung von "A" konnte zu der Ansicht kommen, "S" verlange eine Steuerbordbegegnung, weil das Schiff die blaue Seitenflagge zeige. Diese Ansicht konnte sich festigen, als kein Zeichen gemäss § 6.04, 4 RSchPVO gegeben wurde und deshalb kein Hinweis darauf erfolgte, dass die wirklich gegebene Kursweisung falsch verstanden worden war. An dieser Feststellung ändert der Umstand nichts, dass der Zeuge "W", der Führer des TMS "V", nie den Eindruck hatte, das MS "S" zeige die blaue Seitenflagge, obschon er hinter ihm fuhr und, wie er dargelegt hat, "S" bewusst beobachtete. Einmal ist diese Ansicht des Zeugen kaum vereinbar mit seiner bereits erörterten Erklärung, er wolle nicht ausschliessen, dass die blaue Seitenflagge vor der Havarie wie auf den bereits erwähnten Fotos zu sehen gewesen sei. Zum anderen galt die Kursweisung von "S" nicht dem Schiff des Zeugen. Er konnte deshalb leicht zu der Ansicht kommen, die auch für ihn sichtbare blaue Flagge sei nicht zur Kursweisung gesetzt, sondern nur nachlässigerweise nicht genügend eingezogen. Auf "Andrea Claudia", dem die Kursweisung galt, konnte man die blaue Flagge anders deuten, weil man sie aus einem anderen Blickwinkel sah und weil von dieser Deutung die sofort vorzunehmende Festlegung des eigenen Kurses abhing, während der Zeuge de Wette keinerlei Massnahmen zu treffen hatte und in Ruhe das vor ihm fahrende Schiff beachten konnte. Ausserdem ist zu bedenken, dass man auf "S", wie noch dargelegt wird, erkannt hat, dass der Kurs von "A mit der geforderten Backbordbegegnung unvereinbar war, ohne ein Signal gemäss § 6.04 Abs. 4 RSchPVO zu geben. Daraus musste man auf "A" schliessen, der Kurs des Schiffes entspreche der verlangten Begegnung.
4) Die Berufungskammer vermag keinen schuldhaft gegangenen Fehler der Führung von "A" zu erkennen, der den Unfall mit verursacht hat. Es wurde bereits dargelegt, dass er nicht darin gesehen werden kann, dass eine gegebene Kursweisung falsch verstanden worden ist. Ein schuldhafter Verstoss gegen § 1.04 RSchPVO könnte allerdings darin liegen, dass das dargelegte falsche Verständnis nicht im Verlaufe der Annäherung beider Schiffe korrigiert worden ist. Warum dies nicht geschehen ist, hat der Schiffsführer Sehnert bei seiner Vernehmung im Strafverfahren am 28.6.19.76 geschildert. Er wunderte sich darüber, dass "S" angesichts seines Kurses in der Nähe des linksrheinischen Ufers die blaue Seitenflagge. zeigte und vergewisserte sich mit Hilfe des Fernglases über die Flagge. Nachdem er der von ihm verstandenen Kursweisung entsprechend Backbordkurs genommen hatte, ohne dass der Bergfahrer die notwendige Verlegung seines Kurses nach. Backbord vornahm, kamen dem Schiffsführer Bedenken. Er gab deshalb akustisches Signal und wiederholte es zweimal, ohne dass die Führung von "S" reagierte. Diese Aussage zeigt ein Verhalten, das nicht als schuldhaft falsch angesehen werden kann. Zunächst vertraute der Schiffsführer von "A" darauf, die Führung von "S" werde den Kurs ihres Schiffes der von ihr gegebenen Weisung anpassen. Dieses Vertrauen durfte er haben und demgemäss den Kurs des eigenen Schiffes festlegen. Als sich seine Richtigkeit als zweifelhaft erwies, hat Schiffsführer "SE" den Bergfahrer wiederholt durch Signal auf seine Anwesenheit aufmerksam gemacht. Das war ein taugliches Mittel zur Klärung der Lage, die notwendig war, da Kursweisung und Kurs von "S" für den Zeugen unvereinbar waren. Natürlich wäre es auch möglich gewesen, den aufgekommenen Bedenken hinsichtlich der Kursweisung dadurch Rechnung zu tragen, dass der Kurs von "A" auf eine Begegnung Backbord auf Backbord mit "S'" hin verändert wurde. Man kann sogar der Ansicht sein, dass eine solche Kursveränderung den Schiffsunfall verhindert hätte. Wäre das richtig, so stünde aber lediglich fest, dass das Verhalten der Führung von "A" bei der Annäherung der Schiffe objektiv falsch war. Ein Verschulden könnte dagegen nicht festgestellt werden. Nach Ansicht der Berufungskammer läge vielmehr der Fall eines entschuldbaren Beurteilungsfehler über die weiteren Entwicklung einer unklaren. Situation vor. Die Führung vor "A' wusste nicht, ob der Kurs von "S" oder die dort sichtbare blaue Seitenflagge festlegte, wie die bevorstehende, Begegnung zu erfolgen hatte. Die Klärung konnte nur durch, die Führung von "S" erfolgen. Sie konnte entweder in dem rechtzeitigen völligen Einziehen der blauen Seitenflagge oder in einem akustischen Zeichen gemäss § 6.04 Abs. 4 RSchPVO bestehen. Zu geben war hier ein kurzer Ton, da die Vorbeifahrt an Backbord stattfinden sollte. Solange das nicht geschah, bestand Unklarheit über die gewollte Begegnung, welche die Wirksamkeit jeder denkbaren Reaktion an Bord von "A" zweifelhaft machte, denn man wusste ja dort nicht, wie sich "S" verhalten werde.
Die Lage ist keine andere angesichts des von "S". wiederholt gegebenen Signals in Gestalt eines langen Tones. Dieses Zeichen hat die Bedeutung von "Achtung". Es warnt. also lediglich vor einer drohenden Gefahr, gibt aber keinen Hinweis darauf, wie ihr begegnet werden kann. Gerade ein solcher Hinweis war aber im vorliegenden Falle angesichts der dargelegten Unklarheit notwendig. Ohne ihn blieb sie bestehen und mit ihr die mögliche Wirkungslosigkeit jeder denkbaren Reaktion. Liegt aber aus den dargelegten Gründen die Schuld an der Havarie alle: bei der Führung von "S", so ist die Klage gemäss den §§ 82: BGB in Verbindung mit 3,4 u. 114 des Binnenschiffahrtsgesetzes dem Grunde nach gerechtfertigt. Da der Streit über die Höhe des geltend gemachten Anspruchs noch nicht. zur Entscheidung reif ist, ist der Rechtsstreit gemäss § 538 Abs. I Ziffer 3 ZPO an das Rheinschiffahrtsgericht zurückzuverweisen.
Es wird deshalb für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 15. April 1977 verkündete Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort dahin abgeändert, dass die Klage dem Grunde nach fürgerechtfertigt erklärt wird.
Zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe wird der Rechtsstreit an das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Die Festsetzung der Kosten unter Berücksichtigung von Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.
Der Stellvertretende Gerichtskanzler: Der Vorsitzende:
(gez.) A. Bour (gez.) Quanjard