Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
1) Eine an die Berufungskammer der Rheinzentralkommission gerichtete „Beschwerde" gegen den Beschluß eines Rheinschiffahrtsgerichts mit dem Verlangen nach einer Entscheidung ist als Berufung im Sinne des Art. 37 der Rheinschiffahrtsakte anzusehen.
2) Unkenntnis der Bestimmungen der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung, u.a. der Hochwassermarken und der tatsächlichen Wasserstände, entbindet den Schiffsführer nicht von seinen Pflichten.
3) Bei Pausen und der Abgabe des Ruders hat er den Rudergänger auf die Höchstwasserstände und die mit ihrer Überschreitung verbundene Einschränkung der Höchstgeschwindigkeit hinzuweisen.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 2. März 1977
61 P - 1/77
(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar)
Zum Sachverhalt:
Obwohl die Hochwassermarken I bei Koblenz von 4,70 m um 18 cm und bei Andernach von 5,50 m um 22 cm überschritten waren, fuhr der Betroffene als Schiffsführer des MS A, wie er nicht bestreitet, zwischen km 593 und 598 mit einer Stundengeschwindigkeit von 25 km statt der nur erlaubten 20 km/Std. zu Tal. Er beruft sich jedoch darauf, daß ihm die Überschreitung der Hochwassermarke I wegen Ausfalls seines Radios unbekannt gewesen sei. Es sei ihm auch nicht zuzumuten, die ständig wechselnden Hochwassermarken zur Kenntnis zu nehmen, zumal sie bei der Durchgabe im Radio schon überholt sein könnten. Auch müßten ihm Arbeitspausen zugebilligt werden, in denen er den Steuerstuhl verlassen dürfe, ohne die Wasserstandsmeldungen hören zu müssen. Das Rheinschiffahrtsgericht hat deshalb gegen den Betroffenen wegen Verstoßes gegen § 10.01 Ziffer 1 RhSchPolVO 1970 eine Geldbuße von 150,- DM festgesetzt. Die Berufung wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Aus den Gründen:
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Der Betroffene hat sein Rechtsmittel gegen den Beschluß des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar vom 27. 2. 1976 als Beschwerde bezeichnet. Da er aber eine Entscheidung darüber durch die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt verlangt, muß es als Berufung gemäß Art. 37 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte in der Fassung vom 20. 11. 1963 angesehen werden. Nur dieses Rechtsmittel ist nämlich bei der Berufungskammer möglich. Es ist auch trotz der Änderung der deutschen Vorschriften über das Verfahren in Rheinschiffahrtsbußgeldsachen erhalten geblieben, wie Artikel 1, Absatz 4 des Zusatzprotokolls vom 25. 10. 1972 zur Revidierten Rheinschiffahrtsakte zeigt. Dieses Zusatzprotokoll ist für die Bundesrepublik Deutschland am 27. 2. 1975 rechtsverbindlich geworden.
...
Alle Gesichtspunkte entlasten den Betroffenen nicht. Die Bestimmungen der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung muß er befolgen. Um dieser Pflicht zu genügen, muß er sie kennenlernen. Unkenntnis ändert an seiner Pflicht nichts. Das gleiche gilt aber auch von der Unkenntnis derjenigen Tatsachen, an die Regeln der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung anknüpfen, wie etwa die Überschreitung bestimmte Hochwassermarken. Sie müssen zur Kenntnis genommen werden, um die aus ihnen folgenden Fahrregeln beachten zu können. An der Verantwortung des Schiffsführers für die Befolgung der Regel der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung, wie sie in Art. 1.02 § 5 dieser Verordnung normiert ist, ändert sich nichts, wenn er eine Pause macht und das Ruder abgibt. Im konkreten Falle war der Betroffene verpflichtet, den Rudergänger auf die Überschreitung der Hochwassermarken und die damit verbundene Einschränkung der Höchstgeschwindigkeit hinzuweisen. Auch das hat er nicht getan. Da die kritischen Hochwassermarken schon am 3. 12. 1975 überschritten waren, und zwar in noch größerem Maße als am 4. 12., hatte der Betroffene ausreichend Zeit, die Überschreitung zur Kenntnis zu nehmen.
...“