Jurisprudentiedatabank
Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
(gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg vom 11.7.1969 (3 C 136/68))
Darstellung des Sachverhalts:
Am 25. April 1967 befanden sich die nachfolgenden aus Rheinfelden kommenden und zu Tal fahrenden Schiffe auf dem Canal d’Alsace in der Schleuse Fessenheim: MS „B“ der Société B gehörig, MS „S“, der Société Spedition AG gehörig, Schiffsführer J.P. K, MS „E“, der Société N S.A. gehörig, Schiffsführer W.C. W. Die Schiffe hatten gegen 5.30 Uhr die Schleuse in folgender Reihenfolge verlassen: „B“, dann „S“ und schließlich die „E“. Nachdem die „B“ 6 bis 7 km auf dem Kanal zu Tal gefahren war und die Sicht wegen des Nebels immer schlechter wurde, wendete der Schiffsführer der „B“ sein Schiff und machte es an der linksufrigen Böschungen fest. Kurz darauf kam die „S“ auf der selben Höhe an, wendete ebenfalls und ging etwa in der Mitte des Kanals vor Anker, das Heck auf Höhe des Bugs der „B“. Etwa 15 Minuten nachdem die „B“ angekommen war, näherte sich die „E“ der „B“ leicht quer und ganz auf der linksufrigen Seite. Die beiden Schiffe berührten sich backbordseitig mit ihrem Bug. Die „E glitt auf der Backbordseite an der „B“ entlang, wobei letztere durch den Stoß gegen das Ufer gedrückt und auch auf der Steuerbordseite beschädigt wurde. Die „E“ wurde ebenfalls beschädigt. Der Umfang der Beschädigungen an den beiden Schiffen wurde kontradiktorisch festgestellt und wird nicht bestritten. Dass Anfahren erfolgte bei km 220, wo der Kanal etwa 145 m breit ist. Am 31. Juli 1968 beantragt die N.V. B vor dem Rheinschifffahrtsgericht, die S.A. N und W.C. W gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 21.871,72 NL-Gulden plus 4% Zinsen ab dem 13. Juli 1967 oder des Gegenwertes in FF zum Kurs des Zahlungstages plus der Verfahrenskosten zu verurteilen. Mit Antrag vom 11.Oktober 1968 fordern die S.A. N und W.C. W das selbe Gericht auf, die Spedition A.G. und J.P.K dazu zu verurteilen, sie gegen jedwedes Urteil, dass gegen sie in Folge des am 31. Juli 1968 eingeleiteten Klageantrags ausgesprochen werden könnte, schadlos zu halten und sie gleichzeitig gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 3.049,75 SF an die Streitverkünder zu verurteilen zuzüglich der Kosten des Hauptverfahrens und der Gewährleistungklage. In seinem Urteil vom 11.Juli 1969 erklärt das Rheinschifffahrtsgericht Strassburg, dass die beiden Beklagten N S.A. und S.C. W die alleinigen Verantwortlichen für die Kollision mit der „B“ sind und verurteilt sie gesamtschuldnerisch, der Klägerin N.V. B den Betrag von 21.871,72 Nl Gulden plus 4% Zinsen ab dem 13. Juli 1967 zu zahlen oder den Gegenwert in FF zum Kurs des Zahlungstages. Das Gericht weist die Klage auf Gewährleistung der Beklagten ab und verurteilt sie gesamtschuldnerisch zur Übernahme sämtlicher Kosten des Hauptverfahrens sowie des Gewährleistungsverfahrens. Im Übrigens wird das Urteil vermittels einer Kaution in Höhe des Gegenwertes von 21.000,00 Nl Gulden in FF für vorläufig vollstreckbar erklärt. Am 19. August 1969 wird von S.A. N und W.C. W vor dem Gericht Strassburg Berufung eingelegt und formell erklärt, die Berufung vor die Berufungskammer tragen zu wollen. Am 2. September 1969 hinterlegen sie eine Begründungsschrift des Inhalts, dass das ergangene Urteil aufzuheben sei und beantragen, die Kammer möge die Spedition A.G. und K gesamtschuldnerisch zu Gewährleistung und zur Zahlung von 3.049,75 SF plus 6% Zinsen ab dem Schadenstag so wie der Kosten für die erste und die zweite Instanz zu verurteilen. Sie fordern die Kammer zudem auf, eine öffentliche Verhandlung anzusetzen. Am 2. Oktober 1969 beantragt N.V. B die Bestätigung des ergangenen Urteils und die Verurteilung der Berufungskläger zu sämtlichen Kosten.
Die Spedition AG und K bringen am 16.Oktober 1969 Anträge folgenden Inhalts ein:
a) die Berufung mit der Begründung der Nichtzustellung des ergangenen Urteils ist gemäß Artikel 37, Abs. 2 und 4 Revidierte Rheinschifffahrtsakte nicht zulässig;
b) die Berufung ist nicht begründet und die Berufungskläger sind abzuweisen;
c) die Verfahrenskosten müssen zu Lasten der Berufungskläger gehen;
Die öffentliche Verhandlung fand am 23. Juni 1970 statt.
Begründung:
1. In Artikel 37, Abs. 2 Revidierte Mannheimer Akte ist festgelegt, dass die Berufung innerhalb von dreißig Tagen nach der Zustellung des ergangenen Urteils eingegangen sein muss. Diese Frist ist als letzter Termin für die gültige Zustellung der Berufung zu verstehen. Abgesehen von der Tatsache, dass die Parteien somit verpflichtet sind, spätestens am dreißigsten Tag nach Zustellung Berufung einzulegen, ändert sich infolge der Zustellung des ergangenen Urteils nichts an den Rechten der Streitparteien. Eine Berufung, die vor der Zustellung des ergangenen Urteils eingelegt wird, berührt demnach nicht die Rechte der Parteien, wobei diese Möglichkeit durch Art. 37, Abs. 2 zudem nicht ausgeschlossen wird. Die Tatsache, dass S.A. N und W.C. W Berufung eingelegt haben, ohne dass das ergangene Urteil der Spedition AG und J.P. K zugestellt wurde, stellt keine Verletzung des Artikels 37, Abs. 2 dar und die in Artikel 37, Abs. 4 desselben Übereinkommens vorgesehene Nichtigkeit kommt folglich nicht zum Tragen. Die Berufung ist somit zulässig.
2. Die Berufungskläger sind der Auffassung, dass wenn festgehalten wird, dass die „E“ einen Fehler begangen habe, indem sie keine Nebelsignale abgegeben habe, der selbe Fehler der „B“ vorzuwerfen sei, die ebenfalls keine Signale abgegeben habe.
Aus der eingehenden Prüfung der Aussagen verschiedener Zeugen geht folgendes hervor:
a) die „B“ war ordnungsgemäß am linken Ufer festgemacht, was im Übrigen nicht bestritten wird;
b) an Bord der „E“ wurde keinerlei Nebelzeichen abgegeben, was den Vorschriften in Artikel 81, Abs. 1 Rheinschiffspolizeiverordnung widerspricht;
c) unmittelbar vor dem Anfahren wurde an Bord der „B“ ebenfalls kein Zeichen abgegeben.
Laut Artikel 82, Abs. 2 Polizeiverordnung war die festgemachte „B“ gehalten, sobald und so lange sie das Zeichen eines heranfahrenden Schiffes hörte, selber mit einem Zeichen zu antworten. Da die heranfahrende „E“ jedoch die gemäß Artikel 81, Abs. 2 vorgeschriebenen Zeichen nicht abgegeben hat, kann der „B“ ein Nichteinhalten der in Artikel 82, Abs. 2 vorgeschriebenen Pflicht nicht angelastet werden. Im Übrigen wurde der „B“ vor dem Erstrichter seitens der Berufungskläger keinerlei Fehlverhalten vorgeworfen. Sie haben stets vertreten, dass das Anfahren ausschließlich auf die an Bord der „S“ begangenen Fehler zurückzuführen sei. Somit hat der Erstrichter gegenüber dem Schiffsführer der „B“ zu Recht keinerlei Verschulden festgestellt.
3. Die Berufungskläger führen als Auslöser für das Anfahren zwei Fehler der „S“ an:
a) Nichtabgabe der vorgeschriebenen Zeichen;
b) Anhalten und Liegenbleiben in der Mitte der Fahrrinne in Verletzung der Artikel 80, Abs. 4 und 67 Polizeiverordnung.
Die Tatsache, dass von der „S I“ kein Zeichen abgegeben wurde, ist nicht als Fehler zu betrachten, da die „S“ still lag und erst Zeichen hätte geben müssen, wenn sie die Zeichen der „E“ gehört hätte, die sich in Fahrt befand (Art. 82, Abs.2). Da feststeht, dass die „E“ keines der vorgeschriebenen Zeichen abgegeben hat, war die „S“ ebenso wie die „B“ nicht verpflichtet, Zeichen abzugeben. Laut Artikel 67 musste die „S“ vorbehaltlich anders lautender mit der Verordnung übereinstimmender Bestimmungen einen Liegeplatz möglichst nahe am Ufer wählen, um die Schifffahrt nicht zu behindern. In Artikel 80, Abs. 4 ist festgesetzt, dass die Fahrzeuge bei schlechter Sicht die Fahrrinne beim Anhalten möglichst frei machen müssen. Die genaue Position der „S“ in der Fahrrinne lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. Auf den von den Zeugen erstellten Skizzen befindet sich das Fahrzeug praktisch in der Fahrrinnenmitte. Ob die Sichtweite nun 20m betrug (Zeuge „SV“) oder 10m (Zeuge „SC“), die Ufer konnten jedenfalls nicht von der Fahrrinnenmitte aus gesichtet werden, da deren Breite 145m beträgt. Wenn hingegen das Fahrzeug von der „B“ aus zu sehen war (Zeuge „L“), obwohl wirklich dichter Nebel herrschte, so kann die „S“ sich nicht in der Fahrrinnenmitte befunden haben. In jedem Fall handelt es sich bei der Position der „S“, wenn sie denn fehlerhaft war, was nicht bewiesen ist, um einen Fehler, der in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfall steht. Die „E“ hätte diese Position erfahren, wenn sie die Zeichen gegeben hätte, auf die hätte geantwortet werden müssen. Im Übrigen ist auch nicht bewiesen, dass die „E“ tatsächlich durch die Position der „S“ behindert wurde. Somit hat der Erstrichter zu Recht gegenüber dem Kapitän der „S“ nicht auf ein Verschulden erkannt.
4. Die Berufungskläger erklären, der Erstrichter habe ihnen gegenüber zu Unrecht auf drei Fehler erkannt und behaupten, die „E“ habe exakt wie die beiden anderen Schiffe manövriert und deswegen sei ihr keinerlei Vorwurf zu machen. Aus den Zeugenaussagen so wie den Folgen des Anfahrens geht klar hervor, dass man zwar anerkennen muss, dass die „E“ beim Eintauchen in den Nebel die Geschwindigkeit gedrosselt hat, aber in unzureichendem Maße, denn das Anfahren erfolgte mit einer gewissen Vehemenz. Die „E 41“ blieb in der Tat nicht stehen sondern streifte im Gegenteil die „B“ über deren gesamte Länge. Also hat die „E“ ihre Geschwindigkeit nicht ordnungsgemäß wie in Artikel 80, Abs. 1 vorgeschrieben gedrosselt und somit einen Fehler begangen. Ebenso wenig hat dieses Fahrzeug seine Fahrt abgebrochen, als es in einen Nebel mit höchstens 10 oder 20m Sichtweite gekommen war, obwohl ihm bekannt war, dass sich andere Fahrzeuge vor ihm befanden und eine Gefahr darstellen konnten. Der Zeuge“ P“, der sich an Bord der „E“ befand, sagt aus, der Schiffsführer habe drehen wollen, und dass das entsprechende Manöver eingeleitet worden sei, um das Schiff am linken Ufer festzumachen, als die Mannschaft der „E“ plötzlich in der Mitte der Fahrrinne die „S“ ausmachte. Der Zeuge erklärt, es habe dann für die „E“ keine andere Möglichkeit mehr gegeben, der „S“ auszuweichen, als zu versuchen, wieder beizudrehen. So soll dann die „E“ gegen die am linken Ufer festgemachte „B“ gestoßen sein. Die anderen Zeugen haben jedoch nicht bemerkt, dass die „E“ irgendwann versucht hat zu drehen. Sie haben gesehen, dass dieses Fahrzeug parallel zur Kanalachse und leicht zum linken Ufer hin verschoben näher kam. Wenn sich die Fakten so ereignet hätten, wie der Zeuge „P“ ausgesagt hat, dann hätte das Fahrzeug, als die „S“ ausgemacht wurde, etwa quer im Kanal liegen müssen, aber unter diesen Vorsaussetzungen hätte man die „E“ in dieser Position von der „S“ und der „B“ aus sehen müssen. Die Aussage des Zeugen „P“ kann folglich nicht berücksichtigt werden; die Umstände, unter denen die „E“ gegen die „B“ gestoßen ist zeigen deutlich, dass die „E“ ihre Geschwindigkeit nicht gedrosselt hatte sondern im Gegenteil mit gleicher Geschwindigkeit wie vorher in der linken Hälfte des Kanals weiter gefahren ist. Der Verstoß gegen Artikel 80 ist hinreichend erwiesen und es ist klar, dass er die Ursache für das Anfahren ist, und dass es dazu nicht gekommen wäre, wenn die „E“ ihre Fahrt ausreichend verlangsamt hätte und rechtzeitig angehalten hätte. Zudem steht fest, dass an Bord der „E“ keine Zeichen gegeben wurden, was laut Artikel 81, Abs. 1 Vorschrift gewesen wäre. Keiner der Zeugen sagt aus, sie gehört zu haben. Der Erstrichter hat somit entschieden, dass an Bord der „E“ die drei oben beschriebenen Fehler begangen wurden und dass die Berufungskläger alleine das Anfahren, das Gegenstand des Rechtsstreits ist, verschuldet haben. Da die Berufungskläger alleine für das Anfahren verantwortlich sind, ist die Klage auf Gewährleistung nicht begründet. Folglich hat die Berufungskammer nicht in der Hauptsache zu entscheiden.
Aus diesen Gründen hat die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt folgendes Urteil gefällt:
Die Berufung, die am 19. August 1969 durch Gerichtsboten zugestellt wurde, ist zulässig aber nicht begründet. Die Berufungskläger werden mit ihrer Berufung abgewiesen und das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg vom 11. Juli 1969 wird bestätigt.
Die Kosten für die Berufung werden nach Maßgabe von Artikel 39 des Revidierten Übereinkommens für die Rheinschifffahrt berechnet und sind von den Berufungsklägern zu tragen.