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Leitsatz:
Im Regelfall werden die Kosten des Verklarungsverfahrens zu 100 % Teil der Prozesskosten des nachfolgenden Streitverfahrens; ausreichend ist, dass die Prozessparteien am Verklarungsverfahren beteiligt waren (Parteienidentität). Ist der Gegenstand des Streitverfahrens aber in der Sache nicht vollständig identisch mit dem Gegenstand des folgenden Streitverfahrens, kann eine quotierte Anrechnung erfolgen.
Beschluss des Schiffahrtsobergerichtes
Hamburg, Az.: 6 W 38/17 BSch
(Schiffahrtsgericht Hamburg, Az.: 33 AC
89/14 BSch - ZfB 2017, Sammlung Seite
2479 f)
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss … geändert: …
Gründe:
Die gemäß § 104 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 11 RpflG statthafte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 569 Abs. 1 ZPO eingelegt worden. Da die sofortige Beschwerde gemäß § 569 Abs. 1 ZPO auch bei dem Gericht eingelegt werden kann, dessen Entscheidung angefochten wird, ist der Zugang beim Amtsgericht (Schifffahrtsgericht) maßgebend. Dass die sofortige Beschwerde später vom Landgericht an das Oberlandesgericht (Schifffahrtsobergericht) abgegeben worden ist, das gemäß § 11 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrtssachen zuständig ist, spielt daher keine Rolle.
Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.
Ausweislich der Begründung richtet sich die Beschwerde nur dagegen, dass die Kosten für das Verklarungsverfahren nach dem vollen für das Verklarungsverfahren festgesetzten Streitwert angesetzt worden sind und nicht nach dem niedrigeren Streitwert für das Hauptsacheverfahren.
Auf die Frage, ob überhaupt die Kosten des Verklarungsverfahrens im Kostenfestsetzungsverfahren berücksichtigt werden können, kommt es daher nicht an. Die Klägerin hat ausdrücklich erklärt, dass sie dies hinnimmt. Der Senat hält die Entscheidung des Amtsgerichts (Schifffahrtsgerichts) insoweit auch für richtig. Dies entspricht - soweit ersichtlich - der einheitlichen obergerichtlichen Rechtsprechung. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die Beklagte und die Nebenintervenientin zu 1) waren alle an dem
Verklarungsverfahren beteiligt.
Die Kosten für das Verklarungsverfahren sind aber im vorliegenden Fall nach dem Streitwert des Hauptsacheverfahrens anzusetzen. Die Kosten des Verklarungsverfahrens sind dann Teil der Kosten des Hauptverfahrens, wenn der Verfahrensgegenstand der Verklarung mit dem Streitgegenstand der Hauptsache identisch ist (OLG Nürnberg, Beschluss vom 26.7. 2016, 9 W 450/16 BSch, ZfB 2016, Sammlung Seite 2444 f; v. Waldstein/Holland, Binnenschifffahrtsrecht, 5. Aufl., § 14 Bin-SchG, Rn. 11 m.w.N.).
Es wird/wurde die Auffassung vertreten, dass im Kostenfestsetzungsverfahren die Kosten eines vorausgegangenen Verklarungsverfahren nur im Verhältnis des Streitwertes des Hauptsacheverfahrens zu dem Gegenstandswert des Verklarungsverfahrens erstattungsfähig sind, wenn Gegenstand der Verklarung und Gegenstand des Hauptsacheprozesses nur teilweise identisch sind (vgl. OLG Karlsruhe VRS 83, 251, 254; Waldstein/ Holland, a.a.O., Rn. 14).
Der Senat folgt jedenfalls für den vorliegenden Fall dieser Auffassung.
Zweifel könnten deshalb bestehen, weil der BGH zur vergleichbaren Problematik beim selbständigen Beweisverfahren entschieden hat, dass es für eine Identität der Streitgegenstände ausreiche, wenn nur Teile des Streitgegenstands eines selbständigen Beweisverfahrens zum Gegenstand der anschließenden Klage gemacht würden (vgl. BGH NJWRR 2006, 810, zitiert nach juris, Tz. 12, m.w.N.). Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens gehörten auch dann zu den Kosten des Klageverfahrens, wenn die Hauptsacheklage hinter dem Verfahrensgegenstand des selbständigen Beweisverfahrens zurückbleibe. In diesem Fall könne im Hauptsacheverfahren dem Antragsteller in entsprechender Anwendung von § 96 ZPO die dem Antragsgegner durch den überschießenden Teil des selbständigen Beweisverfahrens entstandenen Kosten auferlegt werden. Habe das Gericht der Hauptsache von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, scheide eine Korrektur der Kostengrundentscheidung im Wege der Kostenfestsetzung aus (BGH, a.a.O., Tz. 14, m.w.N.).
Der Senat hat Zweifel, ob sich diese Grundsätze auf das Verklarungsverfahren ohne Weiteres übertragen lassen: Das Verklarungsverfahren und das selbständige Beweisverfahren haben zwar eine vergleichbare Funktion (Sicherung von Beweisen), sind aber unterschiedlich ausgestaltet. Das selbständige Beweisverfahren ist in der Regel ein kontradiktorisches Verfahren zwischen Antragsteller und Antragsgegner (vgl. BGHZ 194, 68, zitiert nach juris, Tz. 22; BGHZ 199, 190, zitiert nach juris, Tz. 25). In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, von „Angriffs- oder Verteidigungsmitteln « zu sprechen, deren Erfolglosigkeit bei einer Kostenentscheidung gemäß § 96 ZPO berücksichtigt werden kann. Bei einem Verklarungsverfahren handelt es sich um ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (unternehmensrechtliches Verfahren, § 375 Nr. 2, § 402 ff. FamFG), das nicht kontradiktorisch ausgestattet ist. Gemäß § 11 Bin-SchG ist nur der Schiffer antragsberechtigt; die an Schiff und Ladung Beteiligten und sonst durch den Unfall Betroffenen sind Beteiligte, die sich nicht unbedingt als Gegner gegenüberstehen müssen. Das hindert zwar nicht, dass die Kosten des Verklarungsverfahrens grundsätzlich Kosten des Hauptsacheverfahrens sind (vgl. OLG Nürnberg, ZfB 2016, Sammlung Seite 2444 r. Sp.), lässt die Anwendbarkeit von § 96 ZPO aber zweifelhaft erscheinen, so dass Bedenken bestehen, dass die Rechtsprechung des BGH zu den Kosten des selbständigen Beweisverfahrens vollen Umfangs hinsichtlich der Kosten des Verklarungsverfahrens Anwendung finden kann.
Dies muss aber nicht abschließend entschieden werden. Gegenstand der Entscheidungen
des BGH waren überwiegend Fälle, in denen Ansprüche des Antragstellers des selbständigen Beweisverfahrens gegen den Antragsgegner des selbständigen Beweisverfahrens Gegenstand des späteren Hauptsacheverfahrens waren, nur in verringertem Umfang. Im vorliegenden Fall betraf das Verklarungsverfahren aber unterschiedliche Interessen einzelner Beteiligter. Im Schriftsatz der Vertreter des Antragstellers im Verklarungsverfahren vom 3. 12. 2014 war angegeben worden, dass den
Ladungsinteressenten ein Schaden in Höhe von 262.885,52 € entstanden sein soll (dies war Gegenstand des ursprünglichen Klagantrags im Hauptprozess) und dass der Beteiligten zu 5) (H) für die Bergung der Lukendeckel und des Leichters ein Schaden von 93.308,70 € entstanden sein soll. Diese beiden Schadenspositionen führten zur Festsetzung des Gegenstandswertes auf 356.194,22 € im Verklarungsverfahren. Diese (möglichen) Schäden waren aber auch Gegenstand des Verklarungsverfahrens.
Soweit es um mögliche Ansprüche der H geht, waren diese Gegenstand des Verklarungsverfahrens, nicht aber Gegenstand des vorliegenden Hauptsacheverfahrens. Von einer Identität der Streitgegenstände kann insoweit nicht ausgegangen werden. Entscheidend ist nicht, dass es überhaupt mehrere Beteiligte gibt. Entscheidend ist aber, dass es um unterschiedliche Ansprüche unterschiedlicher Beteiligter geht:
Der BGH hat hinsichtlich der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zwar entschieden,
dass eine nur anteilige Erstattung nicht erfolgt, wenn ein selbständiges Beweisverfahren gegen zwei Antragsgegner eingeleitet wird, aber nur einer der beiden Antragsgegner später verklagt wird (BGH NJW-RR 2004, 1651, zitiert nach juris, Tz. 10). Er hat das damit begründet, dass die Kosten des Beweisverfahrens nicht geringer wären, wenn der weitere Antragsgegner hinweggedacht werden würde. Der BGH hat in dieser Entscheidung aber auch betont, dass in dem Fall, dass die Hauptsache hinter dem Verfahrensgegenstand des selbständigen Beweisverfahrens deshalb zurückbleibt, weil im selbständigen Beweisverfahren weitere Mängel untersucht wurden, die nur andere Verfahrensbeteiligte betrafen, die Kostenentscheidung der Hauptsache mangels Parteiidentität die Kosten des Beweisverfahrens nicht vollständig erfasse.
Der Kläger habe dann im Rahmen der Kostenfestsetzung nur Anspruch auf anteilige Erstattung (BGH NJW-RR 2004, 1561, zitiert nach juris, Tz. 10). Das entspricht genau dem vorliegenden Sachverhalt. Das Verklarungsverfahren betraf auch Fragen (mögliche Schäden der H), die nicht Gegenstand des Hauptsacheverfahrens waren.Es kann dahingestellt bleiben, ob in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem es nur eine Teilidentität der Gegenstände des Verklarungsverfahrens einerseits und des Hauptsacheverfahrens andererseits gibt, die Kosten des Verklarungsverfahrens nach dem Streitwert des Hauptsacheverfahrens berechnet werden oder ob die Kosten des Verklarungsverfahrens nach dem Verhältnis zwischen gesamten Streitwert und Teilstreitwert quotiert werden. Die Klägerin ist aber offensichtlich damit einverstanden, dass die Berechnung nach dem Streitwert des Hauptsacheverfahrens erfolgt (»Die Klägerin hält es aber nach wie vor für ungerechtfertigt, dass die D Kosten nach einem Streitwert geltend machen kann, der den Streitwert des Hauptsacheverfahrens übersteigt«). Dies ist die für die Klägerin (geringfügig) ungünstigere Berechnungsmethode (gegenüber einer quotenmäßigen Aufteilung der Kosten
des Verklarungsverfahrens), so dass der Senat sie zugrunde legt.
Damit ergibt sich folgende Berechnung Kosten des streitigen Verfahrens:
6.76204 €
1,3 Verfahrensgebühr nach einem Streitwert von 262.885,52 €: 2.821,00 €
1,2 Terminsgebühr Streitwert von 262.885,52 €: 2.604,00 €
Auslagenpauschale 20,00 €, Reisekosten 408,86 € = 12.615,90 €.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 91 ZPO.
Mitgeteilt durch Rechtsanwalt
Thomas Wanckel, Hamburg
Anmerkung der Redaktion:
Während das Schiffahrtsgericht Hamburg die Kosten des vorrangegangenen Verklarungsverfahrens zu 100 % als Prozesskosten des nachfolgenden Streitverfahrens behandelt hatte (ZfB 2017, Sammlung Seite 2479 f - versehentlich als rechtskräftig bezeichnet d. Red.), hat nun das Hanseatische Oberlandesgericht (als Schiffahrtsobergericht) diese Frage abweichend beurteilt. Dazu sei angemerkt:
Der Gegenstandswert im Verklarungsverfahren richtet sich nach der Summe der insgesamt bei allen Beteiligten entstandenen Schäden. Auf dieser Grundlage werden die Gerichtskosten und die Rechtsanwaltsgebühren im Verklarungsverfahren abgerechnet. Nicht selten kommt es dazu, dass nicht alle Schäden, die Gegenstand des Verklarungsverfahrens waren, auch Gegenstand des oder der folgenden Streitverfahren werden. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob die einer Prozesspartei des Streitverfahrens
entstandenen Kosten im vorangegangenen Verklarungsverfahren zu 100 % Kosten des folgenden Streitverfahrens und deshalb vom unterliegenden Teil zu ersetzen sind. Ständige und jahrzehntealte Praxis der Schiffahrtsgerichte ist es, die Kosten unabhängig von der Identität des Gegenstandes zu 100 % als Prozesskosten anzusehen. Dies hat das Schiffahrtsobergericht Hamburg unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum selbständigen Beweisverfahren im vorliegenden Fall abweichend entschieden.
Diese Entscheidung ist im Ergebnis aus mehreren Gründen wenig überzeugend: Wie das Schiffahrtsobergericht selbst zutreffend feststellt, unterscheidet sich das Verklarungsverfahren in Prozedere und Funktion ganz erheblich vom selbständigenselbständigen Beweisverfahren. Das selbständige Beweisverfahren wird in der Regel von zwei späteren Prozessparteien kontradiktorisch als vorweg genommene Beweiserhebung durchgeführt. Die Parteiidentität und die Identität des Gegenstandes ist im Beweissicherungsverfahren die Regel.
Ganz anders aber das Verklarungsverfahren. Das Verklarungsverfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass sämtliche Beteiligten an einer Havarie das Recht haben, als Beteiligte im Verfahren beizutreten. Sie können ihre Interessen im Zusammenhang einer einheitlichen Aufklärung des Schiffsunfalles in das Verklarungsverfahren einbringen. Die Verpflichtung des Verklarungsgerichtes den Havariehergang aufzuklären, ist völlig unabhängig davon, ob später ein Streitverfahren geführt wird. Das Verfahren dient der vollständigen Aufklärung des gesamten Havarieherganges und der dabei entstandenen Schäden. Deshalb sind die Verfahrensbevollmächtigten des Verklarungsverfahrens gehalten, auf der Grundlage des später festgesetzten Verklarungswertes im Verhältnis zu ihren Mandanten abzurechnen, selbst wenn die Mandantschaft selbst keinerlei Schaden oder nur einen Teil des verfahrensgegenständlichen Schadens erlitten haben. Anders als im selbständigen Beweisverfahren unterliegt der Umfang der Sachverhaltsaufklärung gerade nicht der Parteimaxime, sondern dem Amtsermittlungsgrundsatz. Die Parteien können daher die Beweisaufnahme beeinflussen, deren Umfang aber nicht bestimmen.Folge der hier wiedergegebenen Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichtes wäre es in derartigen Fällen, dass die Verfahrensbeteiligten des Verklarungsverfahrens auf einem (unter Umständen erheblichen) Teil der Verklarungskosten sitzenbleiben, selbst wenn sie letztendlich das Verfahren gegen ihren Prozessgegner zu 100 % gewinnen. Anlass für die Beteiligung der späteren Prozesspartei des Streitverfahrens am Verklarungsverfahren waren aber (nur) die dann später streitgegenständlichen Ansprüche. Warum soll ein Teil der Verklarungskosten unter diesen Umständen bei der später obsiegenden Partei verbleiben? Sie waren notwendig zur Vorbereitung des Streitverfahrens. Deshalb ist es sachgerecht, wenn entgegen der vorstehend zitierten Entscheidung in Übereinstimmung mit der bisherigen Praxis in Schiffahrtssachen Verklarungskosten grundsätzlich zu 100 % als Teil der Prozesskosten angesetzt werden, auch wenn der Verklarungswert und der Streitwert eine unterschiedliche Höhe haben, wie es die erste Instanz (Schiffahrtsgericht Hamburg) mit zutreffender Begründung entschieden hatte.
Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer,
Frankfurt am Main
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2018 - Nr.4 (Sammlung Seite 2520 f.); ZfB 2018, 2520 f.