Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Zum Abzug von „neu für alt" bei Schadensersatzforderungen für die Beschädigung von Dalben.
Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg
vom 7.11.1985
Zum Tatbestand:
Die Beklagte schuldet der Klägerin unstreitig Ersatz für die Beschädigung von Dalbengruppen, die im Jahre 1980 beim Ablegen eines Tankmotorschiffes von der Bunkeranlage in Brunsbüttel angefahren wurden. Soweit die Beklagte dem Grunde nach schon verurteilt worden ist, streiten die Parteien über die Höhe des zu leistenden Schadensersatzes. Außer Streit ist in der letzten Instanz die Höhe der Wiederherstellungskosten von 499282,18 DM.
Die Klägerin verlangt Zahlung dieses Betrages. Ein Abzug „neu für alt" sei nicht berechtigt, da ihr durch die Reparaturmaßnahmen keine Werterhöhung zugeflossen sei.
Die Beklagte will einen Abzug „neu für alt" von 84 % und beruft sich dabei auf ein Lebensalter der im Jahre 1959 gesetzten Dalben von 25 Jahren (Verhältnis 21:25). Nachdem das Landgericht den Abzug „neu für alt" auf ein Viertel der Herstellungskosten seiner Verurteilung der Beklagten zu rd. 361000,- DM Schadensersatz zugrunde gelegt hatte, hat das Oberlandesgericht unter Abänderung des Urteils erster Instanz die zu zahlende Schadenssumme unter Berücksichtigung eines Abzuges von 63% auf 314547,77 DM + 300,- DM Schadensermittlungskosten festgesetzt.
Aus den Entscheidungsgründen:
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1. Es entspricht ständiger Rechtssprechung (vgl. BGHZ 30,29 ff. = NJW 1959, 1078, 1079), von der abzuweichen kein Anlass besteht, dass bei der Bemessung des Schadensersatzes für die Beschädigung oder Zerstörung einer durch Gebrauch und Zeitdauer im Wert gesunkenen oder schon vorher schadhaften Sache grundsätzlich ein Abzug zwecks Berücksichtigung des Unterschiedes von alt und neu zu machen ist. Das gilt auch für langlebige Wirtschaftsgüter. Im Schadensersatzrecht gilt der Grundsatz, dass der Geschädigte durch die Ersatzleistung nicht ärmer und nicht reicher gemacht werden soll. Dalben erleiden, wie andere Wirtschaftsgüter auch, durch Nutzung und Zeitablauf einen Wertverlust. Dieser ist dadurch zu ermitteln, dass die Herstellungskosten ins Verhältnis gesetzt werden von mittlerem Lebensalter zum tatsächlichen Alter im Zeitpunkt der Schädigung.
2. Im Zeitpunkt der Beschädigung im Jahre 1980 waren die Dalben 21 Jahre alt. Sie sind nämlich im Jahre 1959 gesetzt worden. Das ist zwischen den Parteien in erster Instanz unstreitig gewesen, wie die Beklagte jetzt berechtigt anmerkt.
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3. Da die Dalben im Zeitpunkt der Beschädigung 21 Jahre alt gewesen sind, ist eine Abschreibung von 63 % als Abzug neu für alt vorzunehmen, da der Senat das mittlere Lebensalter dieser Dalben, gestützt auf die ergänzende schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen auf 30 bis 36 Jahre schätzt. Bei der Beurteilung von Standzeiten wasserbaulicher Anlagen ist zwischen dem durch die individuellen Nutzungsansprüche eines Betriebes bestimmten Verkehrsalter (= Nutzungsdauer) sowie dem durch Materialauswahl, Herstellung und Wartung der Anlagen bestimmten Lebensalter zu unterscheiden. Beide Zeiträume sind im Allgemeinen unterschiedlich groß, das Lebensalter wasserbaulicher Anlagen übertrifft üblicherweise deren konkrete Nutzungsdauer.
Die mittlere Nutzungsdauer von wasserbaulichen Anlagen wird üblicherweise durch Änderungen und Weiterentwicklungen in den Bereichen Technologie und Wirtschaft bestimmt. Das Ende einer Nutzungsdauer von wasserbaulichen Anlagen wird maßgeblich durch den Geschäftszweck und wirtschaftliche Gesichtspunkte des Betreibers und nur nachrangig durch das aktuelle Lebensalter der Anlagen bestimmt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen X haben praktische Erfahrungen gezeigt, dass die Nutzungsdauer von gewerblich/industriell genutzten wasserbaulichen Anlagen - und damit auch von Dalben - im Mittel bei 25 bis 30 Jahre liegt.
Für das erreichbare Lebensalter von Dalben sind entscheidend die Wahl der Baumaterialien und die Bemessung, Gestaltung und Errichtung des Bauwerkes sowie dessen laufende Unterhaltung während der Nutzungsdauer. Dabei haben weitere Einflußfaktoren, wie Änderung der Nutzungs- und Funktionsanforderungen durch den Betreiber oder zufällige Schadensereignisse, außer Betracht zu bleiben. Für die Abschätzung der Lebensdauer sind daher im Rahmen der planmäßigen Bauteilfunktionen lediglich diejenigen Beanspruchungen (Spannungen bzw. Verformungen) zuzulassen, welche die dem Stand der Technik entsprechend zulässigen Werte nicht überschreiten. Für den vorliegenden Fall von Dalben grenzen die spezifischen Stoffeigenschaften und die den elastischen Verformungsbereich begrenzende Streckgrenze die durch Schiffe verursachten größtzulässigen Beanspruchungen ein. Bei planmäßiger Funktion, Beanspruchung und Unterhaltung kann eine etwaige Begrenzung des Lebensalters von Dalben infolge bekannter metallurgischer Vorgänge theoretisch weder in quantitativer oder auch nur in qualitativer Hinsicht abgeschätzt werden. Seit den 50er Jahren hergestellte Stahldalben gelten als alterungsbeständig. Neben den der Bemessung zugrunde liegenden planmäßigen Dalbenbeanspruchungen finden außerplanmäßig und unvermeidbar aufgrund der den Dalben zugedachten Funktion Belastungen und Verformungen statt, die wegen ihrer unzulässigen Größe zu Schäden am Bauwerk führen. Als weitere für Dalben typische Belastungsformen sind außerplanmäßige Havarieereignisse in Betracht zu ziehen, welche bauartabhängig durch Stöße kantiger Teile zu Einkerbungen oder Beulen in den Dalbenwandungen führen können. Bereiche mit Einkerbungen und Beulen fallen üblicherweise nicht mit den Querschnitten der größten Biegebeanspruchung infolge planmäßigem Schiffstoß zusammen. Während eine Schiefstellung von Dalben infolge Überbeanspruchung visuell oder mittels Messgeräten relativ einfach zu erkennen ist, entziehen sich in der Praxis die durch Einzelstöße plastifizierten Flächenbereiche weitgehend der Feststellung. Einen weiteren entscheidenden Einfluss auf das erreichbare Lebensalter von Dalben hat die Art des Korrosionsschutzes und seine langjährige Unterhaltung. Praktische Erfahrungen zeigen, dass die Standzeiten von Stahldalben - abgesehen von geänderten Nutzungsanforderungen - durch die nicht planmäßigen Ereignisse begrenzt werden und Dalben bei ausschließlich planmäßiger Beanspruchung und Unterhaltung nicht durch Materialermüdung versagen.
Soweit der Sachverständige X sodann ausführt, aus heutiger Sicht lasse sich eine Lebenserwartung für Stahldalben im Mittel von 40 bis 60 Jahren abschätzen, folgt der Senat dem nicht. Denn X setzt voraus, dass einer heute üblichen Praxis folgend Stahldalben nach bis zu 30jähriger Nutzung an ihrem bisherigen Standort geborgen und zur weiteren Nutzung an anderen Orten wieder eingebracht werden. dass dies auch bei Bunkeranlagen der hier gegebenen Art geschieht, ist nicht gesichert. Der Senat hält es vielmehr für angezeigt, auf tatsächliches Zahlenmaterial zurückzugreifen. Dies kann dem Gutachten gemäß Anlage 1 und dem Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen (Anlage J) entnommen werden. Eine Auswertung der dort vorgelegten Aufstellungen über stählerne Anlegedalben in verschiedenen Seeschiffshäfen in Bremen und in Hamburg sowie über Seeschiffsdalben im Nord Ostsee-Kanal ergibt für insgesamt 78 Dalben 2187 Standjahre. Das entspricht einem mittleren Lebensalter von 28,038 Jahren pro Dalben, wobei noch mit einem erheblichen Ansteigen des Lebensalters nach einem längeren Auswertungszeitraum zu rechnen gewesen ist.
Nach allem ist von einem mittleren Lebensalter von 30 bis 36 Jahren auszugehen.
Nicht folgen kann der Senat der Auffassung der Klägerin, die sich fachkundig hat beraten lassen. Denn ihre Berechnung lässt außer acht, dass von einem mittleren Lebensalter auszugehen ist, um einen Wertverlust im Rahmen von § 249 Satz 2 BGB zu ermitteln. Die Dalbenerneuerung bringt für die Klägerin den Vorteil, dass sie diese Dalben nunmehr länger nutzen kann. Um diesen Vorteil abzuschätzen, ist auf die mittlere Lebenserwartung eines derartigen Anlegedalbens ohne Berücksichtigung von Nutzungsänderungen, und solcher Havarieschäden, die ohne weiteres bemerkbar sind, abzustellen. Die Berechnung der Klägerin würde ihr einen wirtschaftlichen Vorteil verschaffen, sie würde zu einer Besserstellung des Geschädigten führen.
Die Herstellungskosten von DM 499282,18 sind demgemäß um 63 % zu kürzen, ausgehend von einer jährlichen Abschreibung von 3 % und einem Alter der Dalben von 21 Jahren im Zeitpunkt der Beschädigung. 63 % entsprechen DM 314 547,77, so dass die Beklagte der Klägerin von den Herstellungskosten DM 184734,41 insgesamt zu erstatten hat. Hinzu kommen DM 300,- für Schadensermittlungskosten.
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Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1988 - Nr.1 (Sammlung Seite 1216 f.); ZfB 1988, 1216 f.