Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Werden im transportierten Produkt Verunreinigungen vorgefunden, die zum Zustand des Coatings und zu den Vorreiseprodukten des Schiffes passen, und lagert der Absender das verunreinigende Produkt nicht in seinen Tanks ein, ist es zum Nachweis einer Verunreinigung im Obhutszeitraum nicht erforderlich, diese durch eine Probe unmittelbar am Übergang Land/Schiff beim Laden und Löschen zu beweisen, selbst wenn das Produkt über mehrere Tanklastwagen unter Verwendung von Leitungen und Pumpen angeliefert wurde.
2) Beruft sich der Frachtführer auf den Haftungsausschluss des § 427 I Nr. 4 HGB, dann hat er darzulegen und zu beweisen, dass das Produkt Eigenschaften aufweist, für die die Verursachung des streitgegenständlichen Schadens nicht fernliegt, sondern konkret in Betracht zu ziehen ist.
3) Im Rahmen einer denkbaren Schadenteilung nach § 425 II HGB sind die Pflichten des Frachtenführers, das Transportgut ordnungsgemäß zu transportieren und ein intaktes Transportfahrzeug zu stellen, abzuwägen mit Kontroll- und Prüfungspflichten des Absenders, der das Transportmittel zwar nicht auf Mängel zu überprüfen hat, erkannte oder evidente Mängel aber nicht ignorieren darf.
4) Zum Güterschaden im Sinne des § 425 I HGB gehören neben dem Verlust des beschädigten Gutes auch Kosten, die zur Schadenminderung und Schadenbehebung aufgewandt wurden, bis zur Grenze des Wertersatzes nach § 429 HGB, auch wenn kein qualifiziertes Verschulden im Sinne des § 435 HGB vorliegt.
5) Leichtfertigkeit im Sinne der §§ 435 iVm 428 HGB setzt voraus, dass der Frachtführer oder seine Leute sich in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen des Vertragspartners hinweggesetzt haben. Ist das Gericht von objektiver Leichtfertigkeit überzeugt, dann ist der Schluss auf das Bewusstsein von der Wahrscheinlichkeit des Schadeneintrittes beim Schädiger nur zulässig, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen es aufgetreten ist, den Schluss zulässt, dass es eine sich dem Handelnden aufdrängende Erkenntnis ist, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen.
6) Behauptet der beklagte Frachtführer, Schadenersatzforderungen des Absenders seien auf dessen Verkehrshaftungsversicherer übergegangen, da er den Schaden reguliert habe, dann ist der Frachtführer für diese Behauptung nicht nur darlegungs-, sondern auch beweisbelastet. Dies gilt auch, wenn sich der Verkehrshaftungsversicherer für den Absender gemeldet und legitimiert hat.
Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts
vom 7. März 2019
Az.: 6 U 15/18
(Landgericht Hamburg, Az.: 409 HK O 10/16)
... erkennt das Hanseatische Oberlandesgericht ... für Recht:
Die Berufung der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom ... wird zurückgewiesen
Aus den Gründen:
Die Parteien streiten über die Verunreinigung einer Ladung eines Binnenschiffes. Die Klägerin (»F« d. Red.) unterhält an ihrem Standort in Hamm ein Lager, in dem sie für die A das Produkt Aviform L 50 einlagert und an Kunden distribuiert. Bei diesem Produkt handelt es sich um einen flüssigen Enteiser, den die A über die B in Deutschland an Flughäfen vertreibt. ... Die Klägerin wurde beauftragt, das in Hamm in einem Landtank der Klägerin lagernde Produkt an die C in Frankfurt zu befördern ...
Es wurde vereinbart, dass das Produkt am 30.1.2015 in Hamm in das Binnenschiff D geladen und am 23.1.2015 in Frankfurt/ Main vom Binnenschiff gelöscht wird. Die Beförderung des Gutes hat die Beklagte zu 1.) nicht selbst durchgeführt, sondern hat hiermit die Nebenintervenientin beauftragt ... Bei der letzten Vorladung der »D« handelte es sich um Hamino, ein Naturprodukt auf Basis von Weizen.
Der von der Beklagten zu 2.) nominierte »Inspector« H suchte am 20.01.2015 frühmorgens ohne Begleitung durch einen Mitarbeiter der Klägerin das außerhalb des Betriebsgeländes im Hafen der Stadt Hamm liegende von der Beklagten zu 1.) für die Beladung bereitgestellte Binnenmotorschiff auf und besichtigte es. Über das Ergebnis der Besichtigung fertigte Herr H jeweils unter dem 20.01.2015 u.a. zwei von ihm unterschriebene Dokumente (»Ship’s Tank History Cleaning Report of Vessel« und »Ship’s Cleanliness Inspection Report« an, die die Klägerin erst nachträglich erhielt. Nach der Besichtigung durch Herrn H wurde das Schiff zur Beladung freigegeben.
Die Beladung wurde gegen 6.30 Uhr vorgenommen. Sie erfolgte in der Weise, dass das Produkt sukzessive mittels eines Tankwagens der Klägerin in mehreren Fuhren vom Landtank zu dem Binnenmotorschiff verbracht und in das Binnenmotorschiff geladen wurde. Nach seinen Angaben führte Herr H in der Zeit zwischen 7.00 Uhr bis 9.00 Uhr die sogenannte »First-foot-Prozedur« durch und nahm dabei vier Fußproben aus den vier Tanks, bei denen er nach seinen Angaben keine Auffälligkeiten feststellte. Da er nach Beladung beim Öffnen der »Sampling Luke« nach seinen Angaben auf der Oberfläche des Produktes in den Schiffstanks 1 und 4 jedoch braune Verunreinigungen/Partikel feststellte, ließ er erneut Proben ziehen, die den Verdacht bestätigten ... Unter dem 21. Oktober 2015 wandte sich die E, der Verkehrshaftungsversicherer der Klägerin, mit folgendem Schreiben an die Beklagte zu 1.):
»... Wir melden uns bei Ihnen als Verkehrshaftungsversicherer der F (= Klägerin d. Red.). Nach den Unterlagen, die wir Ihnen schicken, kam es in Ihrem Gewahrsam zu einer Verunreinigung von Ladung. Bitte erkennen Sie den Schaden zumindest dem Grunde nach an. Sollten Sie Einwände haben, tragen Sie uns diese bitte kurzfristig vor.«
Die Klägerin machte mit ihrer im Januar 2016 erhobenen Klage einen Gesamtschadensersatzanspruch in Höhe von € 69.025,79 geltend, der sich wie folgt zusammensetzt:
»Revidirte Rheinschifffahrts-Acte« von 1868, Foto: ZK
Teil I (Handlingkosten in Hamm): € 12.258,39
Teil II (Aufarbeitung einer Teilmenge beim Hersteller): € 10.105,80
Teil III (Transportkosten): € 21.825,15
Teil IV (Schadenanalyse und Bearbeitung in Hamm): € 9.364,60
Teil V (Vertragsstrafe gegenüber Fraport): € 8.520,00
Sachverständigenkosten: € 6.951,85
Summe: € 69.025,79
... Das Landgericht hat der Klage gegen die Beklagte zu 1.) in Höhe von € 46.017,19 stattgegeben und die gegen die Beklagte zu 2.) gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Klägerin sei anspruchsberechtigt ...
Der Schaden sei im Obhutszeitraum der Nebenintervenientin eingetreten, was sich die Beklagte zu 1.) zurechnen lassen müsse. Die Beklagte zu 1.) könne sich nicht auf die Haftungsbefreiungsvorschrift des § 426 HGB berufen. Die Haftung der Beklagten zu 1.) sei auch nicht nach § 427 Abs.1 Nr. 3 HGB ausgeschlossen, weil das Produkt nicht bei der Verladung verunreinigt worden sei. Die Haftung der Beklagten zu 1.) sei jedoch gemäß § 425 Abs.2 HGB eingeschränkt, weil die Klägerin die ihr obliegenden Kontroll- und Prüfpflichten nicht wahrgenommen habe. Diese Kontroll- und Prüfpflicht habe deshalb bestanden, weil der Enteiser einen besonderen Reinheitsgrad habe aufweisen müssen, worüber die Klägerin die Beklagte zu 1.) aber nicht informiert habe, sondern ihr schlicht einen Transportauftrag für eine Beförderung per Binnenmotorschiff erteilt habe ...
Die zulässige Berufung der Nebenintervenientin hat keinen Erfolg.
1.)
Das Landgericht ist zu Recht von der Ak- tivlegitimation der Klägerin im Vertragsverhältnis zu der Beklagten zu 1.) ausgegangen.
Eine (stillschweigende) Abtretung ist nicht dadurch erfolgt, dass die Klägerin die Schadensunterlagen ihrem Verkehrshaftungsversicherer überlassen hat. Denn wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat, hat die Klägerin nach ihrem unwidersprochenen Vortrag der E keine Schadensunterlagen mit dem Willen übersandt, Ansprüche aus dem Schadensereignis abzutreten ...
Da die Aktivlegitimation der Klägerin sich bereits daraus ergibt, dass sie Vertragspartnerin des Frachtvertrages ist, ist die Beklagte zu 1.) für einen Verlust der Aktivlegitimation der Klägerin durch einen etwaigen gesetzlichen Forderungsübergang auf ihren Versicherer darlegungs- und beweispflichtig. Wie das Landgericht jedoch zutreffend dargelegt hat, hat die Beklagte zu 1) trotz Bestreitens der Klägerin nicht (substantiiert) dargelegt, dass die E eine Regulierungsleistung erbracht hat. Zu einer Nichtregulierung kann die Klägerin auch nicht mehr vortragen, als sie dies mit Schriftsatz vom 11. Juli 2016, S.10 getan hat. »Die E hat aber in dem hier vorliegenden Schadenereignis keine Regulierungsleistung erbracht und sich mit dem von der Beklagten zu 1. mit der Klagerwiderung vorgelegten Schreiben lediglich als Verkehrshaftungsversicherer der Klägerin gegenüber der Beklagten zu 1. legitimiert.« ...
Da der Nebenintervenientin der Name des Schadensachbearbeiters der E aus dessen Schreiben vom 21. Oktober 2015 bekannt ist, hatte sie auch die Möglichkeit, die von ihr behauptete Leistung der E unter Beweis zu stellen.
2.)
Die Berufung wendet sich auch ohne Erfolg gegen die Feststellung des Landgerichts, dass die Beschädigung im Obhutszeitraum (§ 425 Abs.1 HGB) der Beklagten bzw. der Nebenintervenientin entstanden ist. Das Landgericht hat zutreffend dargelegt, dass der Schaden durch Vermischung mit den Resten der Vorladung und der sich ablösenden Beschichtung des Schiffstanks entstanden ist ...
Was die eingeschränkte Haftung gemäß § 425 Abs.2 HGB (Schadensteilung) anbelangt, folgt der Senat dem Landgericht hingegen ganz überwiegend nicht ... Die Argumentation des Landgerichts, die Gestellung eines Binnenmotorschiffes mit Schiffstanks, die eine sich ablösende Beschichtung aufweisen und die von den Resten der Vorladung nicht gereinigt sind, erweise sich als eine krasse Pflichtverletzung, die von dem Bewusstsein getragen sei, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, vermag nicht zu überzeugen. Dasselbe gilt für die weiteren Ausführungen des Landgerichts unter Bezugnahme auf das Urteil des OLG Celle vom 12.12.2002, Az.:11 U 64/02, es sei für jeden Binnenschiffer evident, dass sich die in den Schiffstanks befindlichen Reste mit der Ladung vermischen und diese beschädigen. Mit seinem Verhalten nehme der Binnenschiffsfrachtführer den Schadenseintritt billigend in Kauf; es liege bedingter Vorsatz vor.
Das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit erfordert einen besonders schweren Pflichtenverstoß, bei dem sich der Frachtführer oder seine Leute i. S. v. § 428 S. 2 HGB in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen des Vertragspartners hinwegsetzen. Das subjektive Erfordernis des Bewusstseins von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen. Dabei reicht die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Leichtfertigkeit für sich allein nicht aus, um auf das Bewusstsein von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts schließen zu können. Eine solche Erkenntnis als innere Tatsache ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen es aufgetreten ist, diese Folgerung rechtfertigt (BGH vom 25. 3. 2004 - I ZR 205/01 - BGHZ 158, 322 [328 f.] = VersR 2004, 1335 [1337]; vom 6. 6. 2007 - I ZR 121/04 - VersR 2008, 1134 = TranspR 2007, 423 Tz. 17).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Was die Reste der Vorladung anbelangt, hat das Landgericht weder das Vorhandensein erheblicher Mengen noch eine Kenntnis der Nebenintervenientin hiervon festgestellt ...
Grundsätzlich ist es die Pflicht des Frachtführers, das Transportgut ordnungsgemäß zu transportieren. Zu einer ordnungsgemäßen Beförderung gehört die Verwendung intakter Transportfahrzeuge. Ebenso, wie sich ein Absender darauf verlassen kann, dass der Frachtführer ein Transportmittel gestellt hat, das vertragskonform sauber ist (BGH VersR 1969, 228, 229; Koller, TranspR, 9. Aufl., § 412, Rn. 5, S. 123), kann er sich auch darauf verlassen, dass sein Gut in unbeschädigten Tanks befördert wird und nicht durch die Abplatzungen der Tankbeschichtung verunreinigt wird. Er braucht das Transportmittel nicht auf Mängel zu überprüfen, darf aber erkannte oder evidente Mängel nicht ignorieren (Koller, ebenda). Dass hier die Ungeeignetheit der Tanks für die Klägerin auf ersten Blick ersichtlich war, ist nicht dargetan. Selbst wenn man der Klägerin das Verschulden des Herrn H von der Beklagten zu 2.), der die Laderäume kontrolliert hat, zurechnen würde, würde dieses Verschulden vor dem Hintergrund, dass ein Binnenschiffer sein Schiff selbst kennen muss, weitgehend zurücktreten und eine Quote zwischen 10 % und 20 % nicht übersteigen. Die genaue Höhe braucht nicht ermittelt zu werden. Denn da die Klägerin keine Anschlussberufung eingelegt hat, darf eine Verringerung der Mitverschuldensquote nicht zu einem Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot führen ... Gemäß § 429 HGB ist Wertersatz zu leisten. Gemäß § 429 Abs.2 S.1 HGB ist bei Beschädigung des Gutes der Unterschied zwischen dem Wert des unbeschädigten Gutes am Ort und zur Zeit der Übernahme zur Beförderung und dem Wert zu ersetzen, den das beschädigte Gut am Ort und zur Zeit der Übernahme gehabt hätte. Gemäß § 429 Abs.2 S.2 HGB wird vermutet, dass die zur Schadensminderung und Schadensbehebung aufzuwendenden Kosten dem nach Satz 1 zu ermittelnden Unterschiedsbetrag entsprechen. Weiteren Schaden hat der Frachtführer im Falle der Beschädigung gemäß § 432 HGB nicht zu ersetzen, sofern nicht qualifiziertes Verschulden vorliegt (§ 435 HGB). Wie dargelegt, fällt der Beklagten zu 1.) ein qualifiziertes Verschulden nicht zur Last. Einen Anspruch auf Erstattung der Vertragsstrafe gegenüber Fraport in Höhe von € 8.520,00 hat die Klägerin daher nicht. Bei den übrigen geltend gemachten Ansprüchen handelt es sich um zur Schadensminderung und Schadensbehebung aufzuwendende Kosten ... Selbst wenn eine maximal in Betracht kommende Mitverschuldensquote in Höhe von 20 % berücksichtigt werden würde (€ 12.101,16), würde der so errechnete Betrag (€ 48.404,53) über dem ausgeurteilten Betrag in Höhe von € 46.017,19 liegen, weshalb sich der Erfolg der Berufung hinsichtlich des qualifizierten Verschuldens wirtschaftlich nicht auswirkt ...
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2019 - Nr.9 (Sammlung Seite 2621 f.); ZfB 2019, 2621 f.