Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
Zum Schutz der Schleusenanlagen, insbesondere der Schleusentore, sind rechtzeitig vor dem Einlaufen eines Schiffes in die Schleuse alle Maßnahmen zu treffen, die sicherstellen, daß das Fahrzeug auch bei Ausfall der Antriebsmaschine sofort aufgestoppt werden kann.
Im Hamburger Hafen darf sich ein Schiffsführer aufgrund der dort geltenden Vorschriften, nämlich der Hafenverordnung und der Seeschiffartsstraßenordnung, nicht auf das Vorhandensein von Pollern in der Schleusenkammer verlassen, die - wie auf deutschen Binnenwasserstraßen sonst üblich - mit Schiffsleinen zwecks Abstoppens der Geschwindigkeit belegt werden könnten.
Urteil des Schiffahrtsobergerichts Hamburg
vom 19. Dezember 1985 - 6 U 129/85
(Schiffahrtsgericht Hamburg)
Zum Tatbestand:
Der Beklagte zu 2) war mit dem der Beklagten zu 1) gehörenden Tankmotorschiff „H" in die westliche Kammer der im Hamburger Hafen gelegenen Reiherstieg Schleuse eingefahren. Trotz Umsteuerns der Maschine auf „Volldampf-Rückwärts" gelang es dem Beklagten zu 2) nicht, das Schiff vor dem südlichen Schleusentor zum Stehen zu bringen.
Die Klägerin als Eigentümerin der Schleuse verlangt von den Beklagten Ersatz des Schadens am Schleusentor in Höhe von ca. 27000,- DM, weil das Schiff mit überhöhter Geschwindigkeit in die Schleuse eingefahren und dadurch schuldhaft das Schleusentor angefahren habe. Die Beklagten tragen vor, daß der Beklagte zu 2) das Schiff nur deswegen nicht habe völlig abstoppen können, weil sich in der Schleusenkammer kein Poller befunden habe, an dem das Schiff zum Zwecke des Abstoppens der nach dem Rückwärtsmanöver verbleibenden Restfahrt hätte festgemacht werden können, wie dies in den Schleusen an deutschen Binnenwasserstraßen üblich sei. Das Fehlen von Pollern in der Reiherstieg-Schleuse sei, ihm unbekannt gewesen. Er habe sich aber darauf verlassen, daß die Hamburger Schleusen ebenso mit Pollern wie die Schleusen im Binnenland ausgerüstet seien, u. a. auf dem von ihm häufig befahrenen Weg nach Berlin mit insgesamt acht Schleusen. Wegen der nicht vorhandenen Verkehrssicherheit der Reiherstieg-Schleuse treffe die Klägerin wenigstens ein Mitverschulden an dem Schadensfall. Das Schiffahrtsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die Berufung blieb erfolglos. Auch wurde die Revision nicht zugelassen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
1. Der Beklagte zu 2) durfte das Binnenschiff nur so langsam in die Schleusenkammer einfahren lassen, daß es ohne die Notwendigkeit des Umsteuerns der Maschine auf Rückwärts vor dem südlichen Schleusentor zum Stehen kam. Die vorhandenen Ringe und Schutenkästen hätten alsdann ausgereicht, eine etwaige geringe Restfahrt des Schiffes abzustoppen, weil sie bei derart langsamer Fahrt mit einem Hakentau hätten erreicht werden können. Der BGH hat in VersR 1973 S. 541') für den Bereich der Binnenschiffahrt-Straßenordnung mit Recht hervorgehoben, das Anfahren einer Schleusenanlage, insbesondere der Schleusentore, könne zu großen Schäden an der Anlage selbst und - bei einem Ausfall der Kammer - auch zu erheblichen Verlusten bei anderen Schiffahrtstreibenden führen. Daher müsse von der Schiffsführung bei der Einfahrt in eine Schleusenkammer verlangt werden, die äußerste Sorgfalt walten zu lassen. Technische Versager beim Umsteuern der Schiffsmaschine ließen sich nicht völlig ausschließen, so daß es nicht immer ungefährlich sei, wenn das Abstoppen des Fahrzeugs in einer Schleusenkammer den Einsatz der Schiffsmaschine erfordere. Maschinenversager gefährdeten die Schleuse hingegen dann nicht, wenn der Schiffsführer die Maschine lediglich zu dem Zwecke einsetzen wolle, um das Anhalten seines Fahrzeugs mit Hilfe eines Haltetaues oder Stoppdrahtes zu unterstützen. Denn in diesem Fall machten solche Versager es der Schiffsführung nicht unmöglich, das Schiff entsprechend § 6.28 Nr. 8 BSchStrO trotzdem rechtzeitig zu stoppen (Unterstreichungen hinzugefügt).
Diesen Grundsätzen ist auch für den Bereich des Hamburger Hafens, in welchen die Binnenschiffahrt-Straßenordnung nicht gilt, zu folgen.
Im Hamburger Hafen gelten nach § 1 Abs. 1 der Hafenverkehrsordnung ergänzend die Seeschiffahrtstraßenordnung und die Seestraßenordnung, deren Vorschriften im Ergebnis nichts anderes besagen als §6.28 Nr. 8 BSchStrO - von der Erwähnung von Pollern und Haltekreuzen in § 6.28 Nr. 8 BSchStrO einmal abgesehen -.
...
Ein Schiff läßt sich nur dann, entsprechend der Vorschrift des § 29 Abs. 3 SeeSchStrO, bei Ausfall seiner Antriebsanlage sofort und unter Ausschluß einer Beschädigung der Schleusentore (s. § 25 Abs. 3 Satz 1 Hafenverkehrsordnung) aufstoppen, wenn es in der Schleuse bereits so langsam fährt, daß die Besatzung - sei es direkt vom Schiff aus, sei es nach einem Hinübersteigen auf die Schleusenanlage - die Festmacheeinrichtungen der Schleuse erfolgreich mit den Schiffsleinen belegen kann. Das Fahrzeug hat bereits vor dem Einlaufen in die Schleuse (s. den Wortlaut von § 29 Abs.3 SeeSchStrO) rechtzeitig alle Maßnahmen zu treffen, die sicherstellen, daß es auch bei Maschinenausfall sofort aufgestoppt werden kann.Hierbei darf die Schiffsführung, wie noch auszuführen sein wird (s. unten zu 2.), im Hamburger Hafen nicht auf das Vorhandensein von Pollern vertrauen, sie muß vielmehr auch mit etwaigen anderen der in §32 Abs. 2 Hafenverkehrsordnung erwähnten Festmacheeinrichtungen vorlieb nehmen. Überschreitet das Schiff diese für ein erfolgreiches Belegen der Schiffsleinen erforderliche äußerst niedrige Geschwindigkeit, die gerade noch für die Steuerfähigkeit ausreicht, vor und in der Schleuse, ist eine Beschädigung der Tore eben nicht auszuschließen und läßt daher die Schiffsführung nicht die in einer Schleuse aufzuwendende äußerste Sorgfalt (BGH a. a. 0.) walten. Sie setzt in diesem Falle ferner die Schiffsmachine nicht lediglich zur Unterstützung des Leinenmanövers ein, sonder benutzt umgekehrt das Leinenmanöver zur Unterstützung des Aufstoppmanövers mit der Schiffsmaschine. Letzteres aber ist nicht zulässig, weil das Maschinenmanöver, wie gesagt, auch einmal fehlschlagen kann, eine Beschädigung der Tore jedoch auch für diesen Fall ausgeschlossen werden muß.
Der Beklagte zu 2) hat das BTMS „H" nicht mit einer derart geringen Geschwindigkeit in die Reiherstieg-Schleuse hineinfahren lassen. Hätte er es getan, dann hätte von dem Binnenschiff eine Leinenverbindung mit einem vorsorglich bereitzuhaltenden Hakentau zum Land hergestellt werden können. Auf etwa 1-1,5 m Abstand hätte das Hakentau an den Schutenkästen im Schleusenhaupt befestigt und sodann auf einem Schiffspoller belegt werden können. Ein Hakentau hätte vorsorglich bereitgehalten werden müssen, weil die Schiffsführung sich nicht auf das Vorhandensein von Pollern in der Schleuse verlassen durfte (s. dazu unten zu 2.).
Unrichtig ist in diesem Zusammenhang das Vorbringen der Beklagten, BTMS „H" habe vor der Schleuse zur Aufrechterhaltung seiner Steuerfähigkeit keine niedrigere Geschwindigkeit als etwa 4 km/h fahren können. Die Steuerfähigkeit des Schiffes ließ sich auch noch bei einer geringeren Geschwindigkeit aufrechterhalten, gegebenenfalls mit wechselnden Maschinenmanövern (stop - langsam voraus), zumal das Schiff in dem vor der Schleuse geradeaus verlaufenden Reiherstieg und in der Schleuse selbst weder starken Winden noch Strömungen ausgesetzt war. Der Beklagte zu 2) hätte vielmehr das Binnenschiff einfach bis zum Stillstand auslaufen lassen können und müssen, er hätte dabei die Geschwindigkeit so frühzeitig herabsetzen müssen, daß das Schiff ohne Maschinenunterstützung vor dem südlichen Schleusentor zum Stillstand gekommen wäre.
2. ...
An den Spundwänden der etwa 110 m langen und etwa 18 m breiten Westkammer der Reiherstiegschleuse befinden sich in unterschiedlicher Höhe und in Abständen von 10 - 12 m Schiffshalteringe, zusätzlich sind im Bereich des Einfahrtstores auf jeder Seite mehrere sogenannte Schutenkästen mit Stegen angebracht. Poller stehen weder oben auf den Spundwänden noch versetzt in diesen. Die Reiherstiegschleuse dient nicht dazu, ein unterschiedliches Niveau auszugleichen, der Tidenhub beträgt im Hamburger Hafen über 3 m.
...
Der Beklagte zu 2) durfte sich indessen nicht darauf verlassen, daß er in der - ihm bisher unbekannten - Reiherstieg-Schleuse Polier zum Festmachen vorfinden werde. Der Ansicht der Beklagten, Schleusen im Hamburger Hafen müßten zur sicheren Benutzung auch durch Binnenschiffe mit Pollern ausgerüstet sein, vermag der Senat nicht zu folgen.
Nach § 32 Abs. 2 Hafenverkehrsordnung dürfen Fahrzeuge nur an den dafür vorgesehenen Einrichtungen befestigt werden und sind solche Einrichtungen insbesondere Polier, Klampen, Haken, Schutenhalter, Ringe und Ketten. Bereits dieser Vorschrift läßt sich entnehmen, daß Polier, ebenso wie die anderen in § 32 Abs. 2 Hafenverkehrsordnung erwähnten Einrichtungen, im Hamburger Hafen nur dazu dienen, um daran ein Schiff zu befestigen. Sie sind jedoch, jedenfalls im Normalfall, nicht dazu bestimmt, um eine nicht nur unerhebliche restliche Vorausfahrt mit Leinenhilfe aufstoppen zu können. Zusätzlich zum Festlegen von Schiffen und zum Aufstoppen einer lediglich ganz geringen Restfahrt lassen sie sich auch dazu verwenden, um ein bereits ständig gemachtes Schiff unter Einsatz von Leinen seitlich zu bewegen, es z. B. mit Unterstützung der Schiffsmaschine an die Kaimauer heranzudrükken. - Daß ein Schiff in einer Schleuse im Hamburger Hafen nicht auf das Vorhandensein von Pollern oder Haltekreuzen vertrauen darf, folgt ferner namentlich aus § 29 Abs. 3 SeeSchStrO. Die Vorschrift sieht, anders als § 6.28 Nr. 8 BSchStrO („ . .. durch Belegen der Poller oder Haltekreuze der Schleusenkammer ...."), gerade nicht vor, daß sich das Schiff an vorhandenen Pollern oder Haltekreuzen müsse festmachen können.
Zum Festmachen auch eines Binnenschiffs ausreichend starke Ringe und Stege waren aber in der Reiherstieg-Schleuse in genügender Anzahl vorhanden.
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Der Begutachtung durch einen Sachverständigen bedarf es nicht. Es mag zwar sein, daß in den Schleusen von Binnenwasserstraßen üblicherweise Poller oder Haltekreuze angebracht sind, wie es die Beklagten vortragen. In den Schleusen des Hamburger Hafens, in welchem die Seewasserstraßenordnung gilt, sind demgegenüber nach § 29 Abs. 3 SeeSchStrO solche Festmacheeinrichtungen nicht vorgesehen. Diesem Umstand hätte der Beklagte zu 2) bei der Wahl der Fahrgeschwindigkeit Rechnung tragen, d. h. langsamer fahren und vorsichtiger manövrieren müssen. Die Besatzung hätte dabei ein sogenanntes Hakentau vorsorglich bereithalten müssen.
.....“.