Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Von einem verantwortungsbewussten Schiffsführer muss erwartet werden, dass er an seine Matrosen die Anweisung gibt, bei jeder Einfahrt in eine Schleuse sofort mit einem Draht oder Haltetau an Land zu gehen, damit beim Versagen der Maschine, womit er stets rechnen muss, das Schiff auch ohne Maschinenkraft rechtzeitig angehalten werden kann und keine Schäden an den Schleusenanlagen, besonders an den Schleusentoren, anrichtet. Er verstößt gegen seine Pflichten, wenn er nicht auf die Durchführung seiner Anordnungen achtet.
Urteil der großen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg
vom 18. Oktober 1960
6 K Ms 1/60
Zum Tatbestand:
Ein Schiffsführer wurde vom Landgericht Oldenburg wegen Transportgefährdung (§§ 315, 316 StGB) zu 3 Monaten Gefängnis - mit Aussetzung zur Bewährung - verurteilt.
Dieser harten Strafe lag ein Havariefall an der Schleuse Oldenburg zugrunde, der infolge Versagen eines Motorbedienungshebels durch Anfahren und Beschädigung des unteren Schleusenstemmtores durch das vom Angeklagten geführte Motorschiff eingetreten war. Durch das Schließen des oberen Klapptores konnten unabsehbare Schäden - Abströmen des Küstenkanalwassers in die untere Hunte, starkes Fallen des Wasserstandes im Küstenkanal und große Schäden an den im Kanal auf Grund geratenen Schiffen bzw. an den durch den Schwall in der unteren Hunte gefährdeten Fahrzeugen - vermieden werden. Die Schäden waren ohnehin riesengroß: Der Schiffsverkehr auf dem Küstenkanal war 3 Wochen lang gesperrt; die Reparatur der Schleuse kostete über 100000,- DM.
Aus den Entscheidungsgründen:
Ds Maß der vom Angeklagten beim Durchfahren der Schleusenkammern zu fordernden Sorgfalt richtet sich nach den Umständen und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten. Was zunächst die durch die äußeren Verhältnisse gebotene Sorgfaltspflicht betrifft, so musste berücksichtigt werden, dass dem Küstenkanal für die Allgemeinheit eine große wirtschaftliche Bedeutung zukommt. Wird seine Benutzbarkeit in Frage gestellt, so sind damit weit reichende Gefahren für Vermögenswerte verbunden. Aus diesem Grunde ist es vor allem notwendig, dass eine Beschädigung der wichtigen Schleusenanlagen verhindert wird. dass die im Verkehr erforderliche Sorgfalt umso größere Vorsichtsmaßnahmen erfordert, je größer die Gefahr ist, der begegnet werden soll, ist in der Rechtsprechung anerkannt. Die Benutzung der Schleuse erforderte deshalb ein erhöhtes Maß von Sorgfalt. Daran hat es aber der Angeklagte fehlen lassen. Er hat nämlich nicht die erforderlichen und möglichen Vorkehrungen für ein rechtzeitiges Aufstoppen des Schiffes getroffen, so dass es beim Versagen der Maschine zu dem Anprall an das Stemmtor kommen konnte. Er musste, selbst wenn die Maschine seit April 1959 im wesentlichen einwandfrei gearbeitet hatte, in so unmittelbarer Nähe einer derart verkehrswichtigen Anlage, wie es Schleusentore sind, jede nur mögliche und praktisch ausführbare Vorsichtsmaßregel ergreifen, die einen Anstoß des Schiffes an die Schleusenanlagen zu verhindern geeignet war und so vorsichtig manövrieren, dass jede gefahrbergende Lage von vornherein vermieden wurde.
Nach seinen persönlichen Erfahrungen, Kenntnissen und Fähigkeiten, musste der Angeklagte auch damit rechnen, dass der Schiffsmotor einmal in schwierigen Situationen versagen konnte. Dazu hatte er umso mehr Anlass, als im April des gleichen Jahres die Reglerstange sich festgeklemmt und die Maschine schon einmal ausgesetzt hatte. Nachdem das Schiff etwa 30 m vor dem Schleusenstemmtor ständig geworden war, durfte er deshalb auch anschließend nicht mehr allein mit der Maschine manövrieren, weil bei irgendeiner Betriebsstörung die Gefahr, das Schiff nicht mehr rechtzeitig vor dem Schleusentor zum Stehen zu bringen, immer größer wurde. Der Angeklagte hätte also aus Sicherheitsgründen die nächst erreichbare wirksame Festmachevorrichtung benutzen müssen, bevor er die Maschine wieder vorwärts laufen ließ. Von einem verantwortungsbewussten Schiffsführer muss verlangt werden, dass er nicht nur generell an seine Matrosen die Anweisung gibt, bei jeder Einfahrt in eine Schleuse sofort mit einem Draht oder Haltetau an Land zu gehen, damit das Schiff auch ohne Maschinenhilfe rechtzeitig angehalten werden kann, sondern dass er auch auf die Einhaltung dieser Anordnung achtet. Er hat zwar nach seiner eigenen Einlassung eine derartige Anweisung erteilt, woraus sich ergibt, dass er eine solche Vorsichtsmaßregel selbst für erforderlich gehalten hat; andererseits hat er aber auch zugegeben, dass sich die Matrosen nach seinen wiederholten Beobachtungen nicht daran gehalten haben. Es war jedoch seine Sache, auf die Ausführung seiner Befehle zu achten. Das hat er nicht getan und dadurch gegen seine Pflichten verstoßen.
Die Behauptung des Angeklagten, es sei allgemein nicht üblich, Drähte an Land zu geben, bevor in einer Schleuse mit Maschinenkraft gefahren wird, ist durch die Aussage der Schiffsführer H. u. A. widerlegt. Beide haben übereinstimmend erklärt, dass sie stets die Drähte an die Polier legen lassen, wenn sie mit der Maschine in einer Schleuse manövrieren. Wenn vor allem jüngere Schiffsführer häufig anders verfahren, so ist ein solches Verhalten unvorsichtig und kann den Angeklagten nicht entlasten. Im Übrigen geht auch die Vorschrift des § 105 Abs. 5 BSchG davon aus, dass rechtzeitig Drähte gelegt werden. Es heißt dort nämlich, „dass während der Durchfahrt durch eine Schleuse die Deckmannschaft vollzählig an Deck sein müsse, soweit sie nicht für das Ausbringen der Haltetaue und Trossen an Land gehen muss."
Nach dem festgestellten Sachverhalt hat sich der Angeklagte der fahrlässigen Gefährdung des Transportverkehrs der Schifffahrt schuldig gemacht.
Er hat als Führer eines Motorgüterschiffes nach dem Einfahren in die Schleusenkammer sein Schiff allein mit Maschinenkraft so nahe an das Stemmtor herangeführt, dass er beim Versagen der Maschinensteueranlage das Schiff nicht mehr rechtzeitig zum Stehen bringen konnte. Hätte er, wozu er den Umständen nach verpflichtet und in der Lage gewesen wäre, vor dem Anlassen der Maschine durch einen seiner Matrosen Drähte an Land bringen und um die Polier legen lassen, so wäre der Lauf des Schiffes gehemmt und die Beschädigung des Schleusentores vermieden worden. Als erfahrener Schiffsführer war er nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten auch imstande, die Möglichkeit eines Schadens infolge der Vernachlässigung der gebotenen und pflichtgemäßen Sorgfalt vorauszusehen.
Dadurch, dass er die ihm möglichen und zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen nicht getroffen hat, ist der Schaden verursacht worden. Durch die Beschädigung des Stemmtores ist der Verkehr im Küstenkanal auf der Unteren Hunte und in der Schleuse erheblich gefährdet und damit eine Gefahr für bedeutende fremde Sachwerte, also eine Gemeingefahr, herbeigeführt worden.