Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Die Einführung des Festfrachtsystems dient dem Schutz der Binnenschifffahrt vor ruinösem Wettbewerb.
2) Hinsichtlich der Marktgerechtigkeit der Tarife ist der Bundesminister für Verkehr an die Beschlüsse der Frachtenausschüsse gebunden, bleibt aber in der politischen Entscheidung und in der Letztverantwortung für das allgemeine Wohl frei.
3) Die Verpflichtung zur Gewährung der Einsicht in Bücher und Geschäftspapiere verstößt weder gegen Verfassungsgrundsätze noch gegen das Aussageverweigerungsrecht gemäß § 31a Abs. 2 Nr. 2 BSchVG.
4) Auch Initiativprüfungen der WSD sind zulässig, soweit die den grenzüberschreitenden Verkehr betreffenden Papiere mit Abschluss und Abwicklung von innerdeutschen Frachten in Zusammenhang stehen können.
Urteil des Verwaltungsgerichts Münster
vom 21. Januar 1981
6 K 1860/79
Zum Tatbestand:
Die Klägerin wurde von der Beklagten, der WSD West, aufgefordert, „ihre den grenzüberschreitenden Verkehr betreffenden Unterlagen den Prüfern ... zur Verfügung zu stellen". Das Verwaltungsgericht hob diese Verfügung rechtskräftig auf, weil sie inhaltlich unbestimmt und daher rechtswidrig sei. Später erging ein neuer Bescheid der Beklagten mit der Aufforderung.
„Bücher und Geschäftspapiere vorzulegen, die sich auf Verkehrsleistungen beziehen, die Sie in der Zeit vom 1. 1.-31. 8. 1977 im grenzüberschreitenden Verkehr erbracht haben, insbesondere Frachtgutschriften an die Schifffahrttreibenden, Frachtrechnungen, Buchungsunterlagen, die den Frachtaufwand und den Frachtertrag ausweisen, Frachtverträge einschl. der sich hierauf beziehenden Korrespondenz und Speditionsbücher".
Nach Zurückweisung ihres Widerspruchs durch die Beklagte hat die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht erhoben und die Einrede der Rechtskraft erhoben, weil über den gleichen Streitgegenstand bereits entschieden sei. Im übrigen hat sie verschiedene grundgesetzliche und rechtsstaatliche Einwendungen gegen die Verfügung erhoben und ein umfassendes Einsichtsrecht der Beklagten in alle Geschäftspapiere bestritten.
Die Beklagte hat u. a. geltend gemacht, dass sich aus der vorausgegangenen Prüfung der Papiere des innerdeutschen Verkehrs der Verdacht einer unzulässigen Koppelung von Verträgen des innerdeutschen Verkehrs mit solchen des grenzüberschreitenden Verkehrs ergeben habe.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage rechtskräftig abgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
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In dem Verfahren 6 K 2575/78 stritten die Parteien zwar auch, wie im vorliegenden Verfahren über die Frage der Rechtmäßigkeit des Herausgabeverlangens bezüglich der Geschäftsunterlagen, die den grenzüberschreitenden Verkehr betrafen. Die Verfügung der Wasser- und Schifffahrtsdirektion von Oktober 1978 hob das Gericht, wie sich aus den Entscheidungsgründen ergibt, jedoch ausschließlich deshalb auf, weil das Herausgabeverlangen unbestimmt war. Über die Frage der Rechtmäßigkeit des Herausgabeverlangens im übrigen hat die Kammer ausdrücklich keine Entscheidung getroffen.
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Die Einführung eines Festfrachtsystemsfürden Binnenschiffsverkehr und die Ermächtigung der zuständigen Wasser- und Schifffahrtsdirektionen zur Durchführung von Kontrollen zur Einhaltung der Tarife dient dem Schutz der Binnenschifffahrt vor ruinösen Wettbewerben. Das BSchVG darf nicht isoliert nur von Belangen der Binnenschifffahrt her betrachtet werden. Es ist vielmehr Teil einer verkehrspolitischen Gesamtkonzeption, die sich aus den gesetzlichen Vorschriften wirtschaftsrechtlichen Inhalts für den Verkehr auf den Schienen, den Straßen und den Binnenwasserstraßen ergibt. Gleichlautende Vorschriften in diesen Gesetzen verpflichten die Bundesregierung, mit dem Ziele bester Verkehrsbedienung darauf hinzuwirken, dass die Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger angeglichen werden und dass durch marktgerechte Entgelte und einen lauteren Wettbewerb der Verkehrsträger eine volkswirtschaftlich sinnvolle Aufgabenteilung ermöglicht wird. Die Leistungen und Entgelte der verschiedenen Verkehrsträger hat der Bundesminister für Verkehr insoweit aufeinander abzustimmen, als es die Verhinderung eines unbilligen Wettbewerbs erfordert (§ 33 BSchVG, § 8 Allgem. Eisenbahngesetz vom 29. März 1951; § 7 Güterkraftverkehrsgesetz).
BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1980 - 2 BvR 1172/79 und 2 BvR 1238/79 -; BGH Urteil vom 3. Juli 1975 - II ZR 71/73-.
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Unter Berücksichtigung des Art. 80 GG rechtfertigt das Genehmigungsverfahren die Annahme einer ausreichenden Entscheidungskompetenz des Ministers zwar nur dann, wenn dem Minister neben der rechtlichen auch die sachliche und politische Prüfungskompetenz im Rahmen des Frachtenfest-setzungsverfahrens zukommt. Das ist hier jedoch gegeben, Bedenken ergeben sich zwar deshalb, weil gemäß § 21 Abs. 2 BSchVG die Entgelte marktgerecht festzusetzen sind und gemäß der Fiktion des § 27c BSchVG die von den Frachtenausschüssen beschlossenen Frachtraten als marktgerecht anzusehen sind. Kann der Minister aber gemäß § 29 Abs. 2 BSchVG und § 30 BSchVG aus Gründen des allgemeinen Wohls die Rechtsverordnung zur Festsetzung der Tarife aufheben und selbständig erlassen, so ist dem als Minus das Recht zu entnehmen, auch die Genehmigung der von den Frachtausschüssen beschlossenen Tarife aus Gründen des allgemeinen Wohls zu versagen. Damit ist er zwar hinsichtlich der Beurteilung der Marktgerechtigkeit der Tarife an die Beschlüsse der Frachtenausschüsse gebunden, in der darüber hinausgehenden Einpassung der Entscheidung in die politische Landschaft ist er jedoch frei und die politische Letztverantwortung für das allgemeine Wohl bleibt ihm im vollen Umfang erhalten. So sieht auch das Bundesverfassungsgericht - BVerfG aaO S. 5 und 6 - aufgrund der in §§ 29 und 30 BSchVG festgelegten Korrektur- und Entscheidungsmöglichkeiten des Ministers die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zur Festsetzung der Frachtraten im Hinblick auf Art. 85 Abs. 1 Satz 1 GG gewahrt.
Auch die in § 31a Abs. 3 BSchVG normierte Mitwirkungspflicht ist nicht rechtswidrig. Die Verpflichtung der Beteiligten, Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere zu gewähren, verstößt weder gegen einzelne Verfassungsgrundsätze noch gegen das in § 31 a Abs. 2 Nr. 2 BSchVG festgelegte Aussage-verweigerungsrecht. Zwar mag eine Pflicht zur Selbstbezichtigung die Menschenwürde verletzen - Art. 1 Abs. 1 GG -, ein allgemeines Verbot der Mitwirkungspflicht gibt es jedoch weder im Straf- noch im Bußgeldverfahren und ist zur Gewährleistung der Menschenwürde auch nicht erforderlich.
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Eine Pflicht, Einsichtnahme in die Bücher zu ermöglichen, stellt keine Pflicht zur Selbstbezichtigung dar, sondern schafft erst die Voraussetzung für die dann von der Behörde vorzunehmende Prüfung und Kontrolle der vorgelegten Geschäftsbücher.
Den vor der Achtung vor der menschlichen Würde geprägten rechtsstaatlichen Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, gegen sich selbst auszusagen, gewährleistet im vorliegenden Zusammenhang das in § 31a Abs. 2 Nr. 2 BSchVG umschriebene Auskunftsverweigerungsrecht. Daraus folgt indes nicht, dass auch andere Erkenntnismöglichkeiten, die den Bereich der Aussagefreiheit nicht berühren, von den Betroffenen unter Hinweis auf diese Freiheit eingeschränkt und behindert werden dürfen.
Vgl. hierzu auch ausführlich BVerfG aaO S. 7 und 8; zur vergleichbaren Regelung des § 55 Abs. 1 Nr. 2 Güterkraftverkehrsgesetz OLG Hamm vom 24. Juni 1979 - 5 Ss OWi 2668/78.
Die angeordnete Vorlage der Geschäftspapiere wird von § 31 a BSchVG sowohl der Art als auch dem Umfang nach gedeckt. Es kann dahinstehen, ob hier ein konkreter Verdacht eines Tarifverstoßes vorlag, jedenfalls sind auch Initiativprüfungen als zulässig anzusehen. Das entspricht nicht nur der Begründung des Gesetzentwurfs und damit den Absichten des Gesetzgebers - Bundestagsdrucksache V/2494 S. 34-, sondern ergibt sich auch aus Sinn und Zweck der Vorschriften und wird von ihrem Wortlaut gedeckt.
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Auch die Einsichtnahme in die Papiere, die den grenzüberschreitenden Verkehr betreffen, wird von § 31a BSchVG gedeckt. Gemäß Abs. 1 Nr. 1 dieser Vorschrift sind die erforderlichen Ermittlungen anzustellen. Da § 31 a BSchVG der Sicherung des durch das BSchVG geregelten Festfrachtensystems dient, haben die zuständigen Wasser- und Schiffahrtsdirektionen Ermittlungen anzustellen, die nach pflichtgemäßem Ermessen nötig sind, Verstöße gegen dieses Gesetz aufzudecken. Dabei kann auch die Einsicht in Papiere notwendig werden, die den grenzüberschreitenden Verkehr betreffen. Wird zum Ausgleich für einen nach dem festgesetzten Tarif geschlossenen Vertrag im Rahmen eines anderen den grenzüberschreitenden Verkehr betreffenden Vertrags ein Ausgleich gewährt, wird durch diese Kopplung der Verträge faktisch der festgesetzte Tarif unterboten.
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Dieser Auslegung steht auch nicht die Vorschrift des § 42 BSchVG entgegen. Dass das BSchVG im Verkehr von und nach dem Ausland keine Anwendung findet, hindert nicht die Kontrolle der Papiere des grenzüberschreitenden Verkehrs. Entscheidend ist die Intention, die Zielrichtung der Kontrolle. Die hier in Frage stehende Kontrolle dient der Durchsetzung der Regelung des innerdeutschen Verkehrs und dient nicht der Regelung des Verkehrs mit dem Ausland. § 42 BSchVG will aber allein verhindern, dass die für den innerdeutschen Verkehr geltenden Regelungen (Festfrachtsystem) auch im grenzüberschreitenden Verkehr Anwendung finden. In die Regelung bezüglich des grenzüberschreitenden Verkehrs soll durch diese Kontrolle nicht eingegriffen werden.
Für eine Einbeziehung des grenzüberschreitenden Verkehrs vgl.: OLG Hamm aaO, S. 3.
Eine solche die Papiere des grenzüberschreitenden Verkehrs einbeziehende Auslegung verstößt nicht nur nicht gegen das Grundgesetz, speziell, wie gezeigt, auch nicht gegen das Willkürverbot gern. Art. 3 GG - vgl. dazu BVerfG aaO, S. 10, das eine dahingehende Auslegung des § 31a) als naheliegend bezeichnet -,sondern ist verfassungsrechtlich sogar geboten.
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Entsprechend der Zulässigkeit von Initiativprüfungen sowie der Zulässigkeit der Einbeziehung der Papiere, die den grenzüberschreitenden Verkehr betreffen, ist es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu beanstanden, wenn die Wasser- und Schifffahrtsdirektion West sich im Rahmen einer Prüfung die Geschäftspapiere nahezu umfassend vorlegen lässt. Entscheidend ist allein, dass die Papiere mit Abschluss und Abwicklung von innerdeutschen Frachten in Zusammenhang stehen können. Das ist bei den in der angefochtenen Verfügung aufgeführten Papieren der Fall.
Die Verfügung zur Vorlage der Geschäftspapiere ist auch hinreichend bestimmt. Diese Bestimmtheit ergibt sich aus der Bestimmung des Prüfungszeitraums und der Auflistung der Arten der Geschäftspapiere und Bücher. Anhand der aufgestellten Kriterien lässt sich für jedes bei der Klägerin befindliche Papier eindeutig entscheiden, ob es der Vorlagepflicht unterfällt oder nicht.