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528 Z - 3/22 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Datum uitspraak: 30.01.2023
Kenmerk: 528 Z - 3/22
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Afdeling: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 30. Januar 2023

528 Z - 3/22

(Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort)

TATBESTAND

Die Beteiligten streiten über die Verantwortlichkeit für eine Schiffskollision, die sich am 28. Juni 2019 gegen 19:45 Uhr auf dem Rhein bei Rheinkilometer 657,2 – Ortslage Bonn-Graurheindorf –zwischen TMS „Bohemia II“ und FGS „Beethoven“ ereignet hat.

Die Klägerin ist Kaskoversicherer des FGS „Beethoven“ (40,13 m lang, 9,60 m breit, Maschinenleistung 588 kW), das sich zum Zeitpunkt der Havarie mit Partygästen auf der Talfahrt von Bonn nach Köln befand. An Bord war eine Musikanlage in Betrieb. Verantwortlicher Schiffsführer war Alexander Dahm.

Die Beklagte zu 1 ist Ausrüster des TMS „Bohemia II“ (124,86 m lang, 11,40 m breit, Tragfähigkeit 3.349 t, Maschinenleistung 1.566 kW, Bugstrahlanlage ca. 440 kW), das sich beladen mit 1.744 l Heizöl auf der Talfahrt nach Rotterdam befand. Verantwortlicher Schiffsführer war zum Zeitpunkt der Havarie Mark Sneepels, der Beklagte zu 2.

Als FGS „Beethoven“ bei Rheinkilometer 654,6 vom linksrheinischen Ufer ablegte, befand sich TMS „Bohemia II“ noch ungefähr 1.000 m oberhalb. TMS „Bohemia II“ fuhr konstant mit etwas höherer Geschwindigkeit als FGS „Beethoven“ zu Tal, so dass der Abstand zwischen den Schiffen kontinuierlich abnahm.

Bei der Annäherung an die Friedrich-Ebert-Brücke (Rheinkilometer 657,2) reduzierte Schiffsführer Dahm die Geschwindigkeit, um den Fahrgästen den Hall der Musik an Bord unter der Brücke länger zu gönnen. Schiffsführer Sneepels, der die Verringerung der Geschwindigkeit des FGS „Beethoven“ bemerkte, versuchte mehrmals, die Vorbeifahrt über Funk abzusprechen, erhielt aber keine Antwort. Inzwischen hatte sich die Distanz zwischen TMS „Bohemia II“ und FGS „Beethoven“ auf ungefähr 100 m verringert. Schiffsführer Sneepels leitete ein Überholmanöver ein, um FGS „Beethoven“ an dessen Steuerbordseite zu passieren. Dabei kam es zu einer Streifkollision, bei der TMS „Bohemia II“ knapp hinter der Mitte der Backbordseite und FGS „Beethoven“ an der Steuerbordecke des Hecks beschädigt wurden.

Der Rhein beschreibt im Bereich der Unfallstelle talwärts gesehen eine Linkskrümmung. FGS „Beethoven“ fuhr bis zur Kollision beständig in der rechtsrheinischen Hälfte der Fahrrinne. Links der Fahrrinnenmitte war mindestens 80 bis 90 m Raum. Bergfahrt war nicht im Revier.

Die Klägerin hat vorgetragen:

Schiffsführer Dahm habe FGS „Beethoven“ kurz vor der Kollision nicht nach Backbord gesteuert, er sei dem Verlauf der Fahrrinne gefolgt. Die Geschwindigkeitsreduzierung des FGS „Beethoven“ sei für den Unfall nicht ursächlich gewesen.

Die GPS-basierten Angaben zu Geschwindigkeit und Kurs des FGS „Beethoven“ unter der Brücke seien wegen der Ablenkung durch das Brückenbauwerk nicht zuverlässig. Schiffsführer Dahm habe nach dem Unfall den auf FGS „Beethoven“ elektronisch dargestellten Kurs beobachtet und dabei festgestellt, dass regelmäßig ein plötzlicher Backbordkursversatz angezeigt werde, wenn das Schiff unter eine Brücke fahre, ohne dass sich dessen Kurs ändere (Beweis: Augenschein, Sachverständigengutachten).

Selbst wenn ein – nach den Ausführungen der Sachverständigen äußerst geringfügiger und zudem kurzfristiger – Backbord-Kurs vorgelegen haben sollte, würde dies am Alleinverschulden der Schiffsführung des TMS „Bohemia II“ nichts ändern. Denn es sei in keiner Weise nachvollziehbar, weshalb TMS „Bohemia II“ in der raschen Annäherung an das deutlich langsamer vorausfahrende FGS „Beethoven“ über eine Strecke von vielen hundert Metern überhaupt so knapp an FGS „Beethoven“ habe vorbeifahren wollen, obwohl – unstreitig – dafür die gesamte linksrheinische Hälfte der Fahrrinne zur Verfügung gestanden habe und keine Bergfahrt im Revier gewesen sei.

Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht Ersatz des der Eignerin des FGS „Beethoven“ entstandenen Schadens. Sie hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 24.413,65 € sowie 2.202,00 € vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten, jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. Juni 2020 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben vorgetragen:

200 m oberhalb der Friedrich-Ebert-Brücke sei FGS „Beethoven“ mit einer Geschwindigkeit von 19 km/h gefahren, TMS „Bohemia II“ sei mit einer Geschwindigkeit von 22 km/h in 300 m Abstand gefolgt. Kurz vor der Brücke habe FGS „Beethoven“ die Geschwindigkeit auf 12 km/h reduziert, wodurch sich der Abstand auf 200 m verringert habe. Beim Unterqueren der Brücke habe FGS „Beethoven“ innerhalb von 30 Sekunden auf einer Strecke von weniger als 100 m die Geschwindigkeit auf 6,3 km/h und in weiteren 10 Sekunden unter der Brücke auf 2,4 km/h reduziert. Schiffsführer Sneepels habe FGS „Beethoven“ zunächst an Backbord überholen wollen. FGS „Beethoven“ habe jedoch seinen Kurs nach Backbord verlegt, so dass diese Vorbeifahrt nicht möglich erschienen sei. Schiffsführer Sneepels sei deswegen nach Steuerbord ausgewichen, um FGS „Beethoven“ an Steuerbord zu passieren. Während dessen habe FGS „Beethoven“ seine Kursänderung nach Backbord fortgesetzt und sei mit dem Heck nach Steuerbord ausgeschwenkt, was zu der Kollision geführt habe.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat die Ermittlungsakte 114 Js 193/19 der Staatsanwaltschaft Duisburg (18 Cs 3/20 BSch AG Duisburg-Ruhrort) zu Informationszwecken beigezogen und Beweis erhoben durch Vernehmung der beiden Schiffsführer und des Zeugen Schneider sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Auswertung der von TMS „Bohemia II“ aufgezeichneten ECDIS-Daten durch die Gutachter Dipl.-Ing Broß und Dipl.-Ing. Zöllner.

Mit Urteil vom 13. Januar 2022 hat das Rheinschifffahrtsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Klägerin habe keine Ansprüche gegen die Beklagten gemäß § 823 BGB, §§ 3, 92 ff. BinSchG oder aus einem anderen Rechtsgrund.

Aus den überzeugenden Ausführungen der Gutachter Broß und Zöllner ergebe sich, dass FGS „Beethoven“ bei der Annäherung an die Unfallstelle bis zu einem Abstand zur Brücke von 200 m stets in der rechtsrheinischen Fahrrinnenhälfte, TMS „Bohemia II“ nach Backbord versetzt über die Fahrrinnenmitte hinaus gesteuert worden seien, ferner, dass FGS „Beethoven“ etwa 40 m vor der Brücke ein Austoppmanöver eingeleitet, seine Geschwindigkeit auf 16 km/h, sodann auf 12,4 km/h, bei der Einfahrt unter die Brücke auf 6,1 km/h und unter der Brücke auf 2,4 km/h und schließlich auf 0,7 km/h über Grund und 5,1 km/h gegen die Strömung reduziert habe.

Das Gericht sei auch davon überzeugt, dass FGS „Beethoven“ kurz vor Erreichen der Brücke nicht nur die Geschwindigkeit reduziert, sondern auch den Kurs kurzfristig ein wenig nach Backbord verlegt habe oder dass das Schiff, bei dem eine der Maschinen rückwärts gemacht habe, möglicherweise aufgrund der Strömungsverhältnisse einen solchen Kurs genommen habe.

Die von den Gutachtern gewonnenen Ergebnisse zum Kursverlauf des FGS „Beethoven“ seien durch die glaubhafte Aussage des als Zeuge vernommenen Schiffsführers Sneepels bestätigt worden. Der Zeuge habe angegeben, er habe beabsichtigt, FGS „Beethoven“ an dessen Backbordseite zu überholen, und seinen Kurs darauf ausgerichtet. Er habe sich nur wegen des von ihm beobachteten Richtungswechsels des FGS „Beethoven“ nach Backbord angesichts des zu diesem Zeitpunkt sehr geringen Abstands entschlossen, dieses Überholmanöver abzubrechen und zu versuchen, an der Steuerbordseite an FGS „Beethoven“ vorbeizufahren.

Dass ursprünglich eine Vorbeifahrt an Backbord des FGS „Beethoven“ beabsichtigt gewesen sei, werde durch den von den Sachverständigen dargestellten Annäherungskurs des TMS „Bohemia II“ bestätigt. An Backbord habe unstreitig mehr als genügend Raum für eine gefahrlose Passage zur Verfügung gestanden. Es wäre nicht nachvollziehbar und überdies nautisch höchst riskant gewesen, von diesem jede Gefahr ausschließenden Vorhaben in geringer Entfernung der Schiffe voneinander unvermittelt abzusehen, wenn es hierfür keinen zwingenden Grund gegeben hätte, der nur in einem plötzlich veränderten Fahrverhalten des zu überholenden Schiffs gelegen haben könne. Der Zeuge Sneepels habe Sorge gehabt, dass FGS „Beethoven“ möglicherweise ein Aufdrehmanöver durchführe, und befürchtet, das Passagierschiff dann mittig zu treffen. Zu einer kurzfristigen Änderung des geplanten Überholmanövers hätte sich der erfahrene Schiffsführer Sneepels mit Sicherheit nicht entschlossen, wenn nicht tatsächlich zumindest für kurze Zeit eine Kursveränderung des FGS „Beethoven“ nach Backbord erfolgt wäre.

Die Klägerin habe keinen Beweis dafür erbracht, dass die Havarie auf ein nautisches Verschulden des Schiffsführers Sneepels, Beklagten zu 2, das die Beklagte zu 1 sich zurechnen lassen müsste, zurückzuführen sei. Schiffsführer Sneepels habe nicht gegen die Verhaltensvorschriften gemäß §§ 6.09, 6.03 Nr. 3 oder 1.04 RheinSchPV verstoßen.

Schiffsführer Sneepels habe die ihn nach § 6.09 RheinSchPV als Überholer treffenden besonderen Sorgfaltspflichten nicht verletzt.

Fahre der Überholer ein vorausfahrendes Schiff an, spreche der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden der Schiffsführung des Überholers. Dieser müsse dann den Entlastungsbeweis führen, dass ihn kein Verschulden treffe. Die Beklagten hätten diesen Entlastungsbeweis geführt.

Der Schiffsführer eines überholenden Schiffs müsse gemäß § 6.09 RheinSchPV umsichtig handeln und auf Sicherheit bedacht sein. Er könne jedoch darauf vertrauen, dass die Führung des anderen, in Fahrt befindlichen Fahrzeugs sich schifffahrtsüblich und situationsgerecht verhalte. Wenn eine Gefahrenlage entstehen könne, sei das Überholen zu unterlassen.

Schiffsführer Sneepels habe angesichts des Fahrverhaltens des FGS „Beethoven“ bis kurz vor Erreichen der Friedrich-Ebert-Brücke keine Veranlassung gehabt, eine mögliche Gefahrenlage anzunehmen. Erst mit dem Maschine-rückwärts-Manöver des zu Überholenden zu einem Zeitpunkt, als das Überholen unmittelbar bevorgestanden habe, sei ein nicht vorhersehbarer, außergewöhnlicher Umstand eingetreten. Für ein Aufstoppen des TMS „Bohemia II“ bis zur Klärung des weiteren Fahrverhaltens des FGS „Beethoven“ sei die Zeit zu kurz und der Abstand der Schiffe zu gering gewesen.

Zudem sei durch die kurzzeitige Kursveränderung des FGS „Beethoven“ nach Backbord bei objektiver Betrachtung ex ante der Eindruck erweckt worden, FGS „Beethoven“ werde möglicherweise während des Überholvorgangs über Backbord aufdrehen. Die damit verbundene Gefahr für Leib und Leben der Passagiere des Fahrgastschiffs habe Schiffsführer Sneepels dazu veranlasst, den Überholvorgang an Backbord im letzten Moment abzubrechen, um die Passage an Steuerbord durchzuführen und damit den weniger gefahrträchtigen Weg zu wählen.

Die damit verbunden Kursänderung des TMS „Bohemia II“ habe nicht gegen § 6.03 Nr. 3 RheinSchPV verstoßen. Dieses Manöver des letzten Augenblicks habe Schiffsführer Sneepels nur wegen des Backbordversatzes des vorausfahrenden FGS „Beethoven“ eingeleitet.

Schiffsführer Sneepels habe zwar dadurch gegen § 6.10 Nr. 2 RheinSchPV verstoßen, dass er Schallzeichen erst unmittelbar vor der Kollision abgegeben habe. Eine frühere Warnung des zu Überholenden durch Schallzeichen hätte sich jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf das weitere Geschehen ausgewirkt. Schiffsführer Dahm sei nach eigenem Bekunden allein darauf konzentriert gewesen, das Musikerlebnis unter der Brücke zu ermöglichen. Den Kursversatz des FGS „Beethoven“ nach Backbord und die Funkdurchsagen habe er nicht wahrgenommen. Angesichts dessen sei nicht anzunehmen, dass er seinen Kurs noch rechtzeitig korrigiert und umgehend wieder Fahrt aufgenommen hätte, um die Gefahr für den Überholer zu beseitigen.

Die Havarie sei auf das nautische Fehlverhalten des Schiffsführers Dahm bei der Annäherung an die Friedrich-Ebert-Brücke und unter derselben zurückzuführen.

Schiffsführer Dahm habe gegen § 1.04 lit. b RheinSchPV verstoßen. Die nautische Sorgfalt hätte es geboten, auf den nachfolgenden Talfahrer zu achten und ihn per Funk rechtzeitig auf die nicht dem üblichen Fahrverhalten von Talfahrern auf dem Rhein entsprechende Absicht, unter der Brücke mit nahezu ständig gemachtem Schiff zu verweilen, aufmerksam zu machen. Dies gelte umso mehr, als TMS „Bohemia II“ FGS „Beethoven“ zu Beginn der erheblichen Geschwindigkeitsreduzierung bereits sehr nahe gekommen sei. Schiffsführer Dahm habe zudem auf die mehrfachen Anrufe seitens TMS „Bohemia II“ nicht reagiert, dem Funkverkehr nach eigenem Bekunden nur dann Beachtung geschenkt, wenn deutlich der Name „Beethoven“ gefallen sei, und damit die angesichts seines Fahrverhaltens erforderliche kollisionsvermeidende Kommunikation unmöglich gemacht.

Schiffsführer Dahm habe auch gegen § 6.09 Abs. 2 RheinSchPV verstoßen, indem er nicht die gebotene Umsicht habe walten lassen. Obwohl er damit habe rechnen müssen, dass der hinter ihm fahrende Talfahrer ihn überholen werde, habe er sich um dessen Verbleib nicht gekümmert. Hätte er den Fahrtverlauf des TMS „Bohemia II“ verfolgt, so hätte er erkannt, dass zum Zeitpunkt MESZ 19:43:52 Uhr der Abstand zwischen den Schiffen nur noch 140 m betragen habe. Es habe sich ihm aufdrängen müssen, dass bei einem solchen Abstand und einer Geschwindigkeitsreduktion innerhalb einer Minute von 18,71 km/h auf 0,74 km/h über Grund eine erhebliche Havariegefahr bestanden habe, angesichts derer sich die Geschwindigkeitsreduktion verboten habe.

Schiffsführer Dahm habe schließlich auch gegen das in § 6.03 RheinSchPV normierte, auch für das Überholen geltende Kursänderungsverbot verstoßen. Die kurz vor Erreichen der Brücke festgestellte leichte Kursveränderung des FGS „Beethoven“ nach Backbord sei für die Havarie kausal. Ohne sie hätte TMS „Bohemia II“ nicht im letzten Moment versucht, FGS „Beethoven“ statt an Backbord an Steuerbord zu überholen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung mit dem Antrag auf Entscheidung durch die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt eingelegt und das Rechtsmittel form- und fristgerecht begründet.

Sie trägt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen vor:

Fahrweise und Positionen des FGS „Beethoven“ seien in dem Gutachten der Sachverständigen Broß und Zöllner unrichtig dargestellt. Bei der Beschreibung der Phase unmittelbar vor der Kollision sei unberücksichtigt geblieben, dass sich zumindest FGS „Beethoven“ bereits in unmittelbarer Nähe zur Brücke befunden habe und es gerichtsbekannt sein dürfte, dass die Nähe eines solchen Bauwerks zu einer mitunter beträchtlichen Verfälschung der GPS-Daten führen könne. Einem entsprechenden Beweisangebot sei das Rheinschifffahrtsgericht nicht nachgegangen. Die grafische Darstellung der Lage des FGS „Beethoven“ in den Karten des Gutachtens sei gänzlich unplausibel. So „hüpfe“ FGS „Beethoven“ beispielsweise von der Karte Anlage 07 von einem eher nach Steuerbord gerichteten Kurs innerhalb von 9 Sekunden auf einen stark nach Backbord gerichteten Kurs auf der Karte Anlage 08, um dann innerhalb von weiteren 11 Sekunden wieder auf einen eher nach Steuerbord gerichteten Kurs zu springen (Anlage 09).

Die Aussage des Schiffsführers Sneepels sei unzuverlässig und stimme nicht mit den Behauptungen der Sachverständigen überein. Die angebliche, in der Karte Anlage 03 eingezeichnete Backbordlage des FGS „Beethoven“ habe der Zeuge ausdrücklich nicht bestätigt, sondern angegeben, FGS „Beethoven“ habe erst unter der Brücke den Backbordkurs eingelegt. Eine Backbordlage des FGS „Beethoven“ unter der Brücke sei in dem Gutachten nicht verzeichnet. Vermerkt seien vielmehr zwei Backbordlagen des FGS „Beethoven“ vor der Brücke (Anlagen 03 und 08), die Schiffsführer Sneepels aber nicht wahrgenommen habe. Nach alledem könne ein nautisch fehlerhafter Kurs des FGS „Beethoven“ nicht in belastbarer Weise festgestellt werden.

Damit seien auch die Feststellungen des Rheinschifffahrtsgerichts zu einem angeblich fehlenden Verschulden des Schiffsführers Sneepels an der Kollision nicht haltbar. Vielmehr sei Schiffsführer Sneepels insbesondere ein Verstoß gegen § 6.09 RheinSchPV vorzuwerfen. Für TMS „Bohemia II“ habe jederzeit auf der Backbordseite des FGS „Beethoven“ ein weit hinreichender Raum für ein Überholmanöver zur Verfügung gestanden. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb TMS „Bohemia II“ dessen ungeachtet mit kaum reduzierter Geschwindigkeit immer weiter auf das deutlich langsamer fahrende FGS „Beethoven“ mit praktisch kaum versetzter Kurslinie aufgelaufen sei und sodann versucht habe, in einer Linkskurve noch kurz vor der Kollision an der Steuerbordseite des FGS „Beethoven“ vorbeizufahren. Nach eigenem Bekunden habe Schiffsführer Sneepels den Überholvorgang erst in einer Entfernung von 200 bis 300 m zu FGS „Beethoven“ eingeleitet, was angesichts der deutlich unterschiedlichen Geschwindigkeiten früher hätte geschehen müssen.

Entgegen der Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts stelle das Aufstoppen des FGS „Beethoven“ keinen Verstoß gegen § 1.04 lit. b RheinSchPV dar. Für Fahrgastschiffe, zumal Tagesausflugsschiffe sei es üblich, dass sie sich nicht nur langsam fortbewegten, sondern manchmal auch unvermittelt aufstoppten. Der Charakter des FGS „Beethoven“ als Tagesausflugsschiff sei Schiffsführer Sneepels jedenfalls aufgrund des AIS bekannt gewesen.

Die Funkdurchsagen habe Schiffsführer Sneepels offenbar erst zu einem Zeitpunkt abgesetzt, als TMS „Bohemia II“ schon viel zu dicht auf FGS „Beethoven“ aufgelaufen gewesen sei. Sie wären nicht erforderlich gewesen, wenn TMS „Bohemia II“ den gebührenden und möglichen Abstand zu FGS „Beethoven“ gehalten hätte.

Entgegen der Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts habe nicht Schiffsführer Dahm die Kollision verschuldet, weil er sich nicht nach hinten orientiert habe, sondern Schiffsführer Sneepels, weil er sehenden Auges viel zu dicht auf das vorausfahrende FGS „Beethoven“ aufgelaufen sei.

Eine nach § 6.03 RheinSchPV verbotene Kursänderung könne Schiffsführer Dahm nicht nachgewiesen werden. Die vom Rheinschifffahrtsgericht unterstellte geringfügige Kursänderung des FGS „Beethoven“ wäre jedenfalls für die Kollision nicht kausal gewesen, wenn TMS „Bohemia II“ den gebührenden Abstand zur Vorausfahrt eingehalten hätte. Wenn ein Schiff den Kurs kurzfristig ein wenig nach Backbord verlege, sei es im Übrigen völlig abwegig zu befürchten, dass dieses Schiff ein Aufdrehmanöver durchführen wolle.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgerichts – Duisburg-Ruhrort vom 13. Januar 2022 zu ändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 24.413,65 € sowie 2.202,00 € vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten, jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. Juni 2020 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das angefochtene Urteil und tragen ergänzend im Wesentlichen vor:

Die kurzfristige Kursänderung des FGS „Beethoven“ nach Backbord kurz vor der Brücke bei MESZ 19:44:12 gemäß Anlage 08 des Gutachtens sei vom Sachverständigen eindeutig festgestellt und einleuchtend so erklärt worden, dass ansonsten die Position des Schiffs bei MESZ 19:44:03 gemäß Anlage 08 nicht mit der Position bei MESZ 19:44:23 gemäß Anlage 09 in Einklang zu bringen sei. Außerdem stimme die Backbord-Schräglage mit der Feststellung überein, dass FGS „Beethoven“ um MESZ 19:44:00 begonnen habe, seine Geschwindigkeit drastisch durch eine rückwärts drehende Antriebsanlage zu reduzieren. Ein solches Maschine-zurück-Manöver gehe erfahrungsgemäß mit einer Schräglage des Schiffs einher, wie sie von dem Schiffsführer Sneepels beobachtet worden sei und ihn veranlasst habe, den Kurs nach Steuerbord zu ändern, um sicher zu vermeiden, FGS „Beethoven“ mit den vielen Fahrgästen an Bord breitseits zu treffen.

ZU DEN ENTSCHEIDUNGSGRÜNDEN

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Das Rheinschifffahrtsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass den Beklagten zu 2 als Schiffsführer des TMS „Bohemia II“ kein Verschulden an der Kollision trifft.

I. Die Berufungskammer ist mit dem Rheinschifffahrtsgericht davon überzeugt, dass FGS „Beethoven“ kurz vor der Einfahrt unter die Friedrich-Ebert-Brücke von dem bis dahin gehaltenen Kurs nach Backbord abgewichen ist. Dies ergibt sich, wie das Rheinschifffahrtsgericht richtig gesehen hat, aus den in dem Gutachten der Sachverständigen Broß und Zöllner getroffenen Feststellungen zur Fahrweise der unfallbeteiligten Fahrzeuge. Aus der grafischen Darstellung der Positionen und Kurse der Schiffe ist klar zu erkennen, dass FGS „Beethoven“ bis zu dem Zeitpunkt MESZ 19:44:03 mit im Wesentlichen gleichbleibender Geschwindigkeit im linken Drittel der rechtsrheinischen Fahrrinnenhälfte fuhr, anschließend aber kurz vor dem Erreichen der Friedrich-Ebert-Brücke von dem bis dahin gehaltenen Kurs nach Backbord abwich.

Die Zweifel der Klägerin an der Richtigkeit der der grafischen Darstellung zugrunde liegenden gutachterlichen Feststellungen teilt die Berufungskammer nicht.

Entgegen der Darstellung der Klägerin kann nicht als gerichtsbekannt unterstellt werden, dass die Nähe eines Brückenbauwerks zu einer mitunter beträchtlichen Verfälschung der GPS-Daten führen könne. Gerichtsbekannt ist, dass bei der Radarortung im Bereich von Brücken Fehlechos auftreten können; für GPS-Daten ist der Berufungskammer und offenbar auch dem Rheinschifffahrtsgericht dergleichen nicht bekannt. In erster Instanz hat die Klägerin auch nicht unter Beweis gestellt, dass im unmittelbaren Bereich einer Brücke mit erheblichen Störungen des GPS-Signals gerechnet werden müsse. Der in der Berufungsbegründung aufgezeigter Beweisantritt in erster Instanz bezieht sich, wie das Rheinschifffahrtsgericht richtig gesehen hat, auf die Behauptung, Schiffsführer Dahm habe bei nach der Havarie durchgeführten Reisen das Verhalten des Tresco-Kurses des FGS „Beethoven“ bei der Annäherung an Brücken beobachtet und dabei festgestellt, dass regelmäßig ein plötzlicher Backbordversatz des aufgezeichneten Kurses in dem Moment stattfinde, in dem das FGS „Beethoven“ unter eine Brücke fahre (Schriftsatz der Beklagten des Parallelverfahrens umgekehrten Rubrums 5 C 9/20 BSch vom 31. August 2021 S. 3, GA 154). Für die Phase bei und nach der Einfahrt des FGS „Beethoven“ unter die Friedrich-Ebert-Brücke enthält das Gutachten keine Angaben zu dessen Kurs, wie die Berufung in anderem Zusammenhang selbst anmerkt (Berufungsbegründung S. 8). Die in dem Gutachten festgestellte Kursänderung nach Backbord ist für den Zeitpunkt MESZ 19:44:12 dokumentiert (Gutachten S. 15, Anlage 08). Zu diesem Zeitpunkt betrug der Abstand von FGS „Beethoven“ zur Brücke noch etwa 40 m (Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts S. 8), was die Berufung nicht in Abrede stellt. Unter diesen Umständen hat das Rheinschifffahrtsgericht zu Recht keinen Anlass gesehen, dem von der Berufung als übergangen gerügten Beweisantritt nachzugehen.

Auch das mit der Berufung weiter bemängelte „Hüpfen“ in der grafischen Darstellung des von FGS „Beethoven“ gefahrenen Kurses begründet keinen Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung, dass FGS „Beethoven“ zwischen den Zeitpunkten MESZ 19:44:03 (Anlage 07) und 19:44:23 (Anlage 09) seinen Kurs – wie das Rheinschifffahrtsgericht seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat –kurzfristig ein wenig nach Backbord verändert hat. Entscheidend für diese Feststellung sind die aus den Anlagen 07 bis 09 ersichtlichen Positionspunkte der GPS-Antenne des FGS „Beethoven“, die sich nach Backbord zur Mitte der Fahrrinne hin verlagern. Dass diese Positionspunkte falsch angegeben wären, macht die Berufung nicht geltend.

Zweifel an der Feststellung, dass FGS „Beethoven“ bei der Annäherung an die Friedrich-Ebert-Brücke seinen Kurs nach Backbord veränderte, ergeben sich auch nicht aus der Aussage des Schiffsführers Sneepels oder aus dem Vergleich seiner Angaben mit den gutachterlichen Feststellungen.

Schiffsführer Sneepels hat zwar seine Wahrnehmung dahin bekundet, dass FGS „Beethoven“ nach Backbord gemacht habe, als dessen Kopf unter der Brücke gewesen sei, während nach dem Gutachten der Sachverständigen Broß und Zöllner FGS „Beethoven“ zu Beginn der Kursänderung nach Backbord noch ca. 40 m von der Brücke entfernt war. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Entfernung zwischen dem Steuerhaus des TMS „Bohemia II“ und der Brücke zu diesem Zeitpunkt noch etwa 300 m betrug, was eine optische Lokalisierung des Geschehens in Längsrichtung erschwert haben dürfte. Im Übrigen hat Schiffsführer Sneepels klar bestätigt, dass FGS „Beethoven“ mit dem Kopf nach Backbord und mit dem Hinterschiff nach Steuerbord gegangen sei.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat sich mit der Frage der Glaubhaftigkeit der Aussage des Schiffsführers Sneepels auseinandergesetzt und sie mit überzeugender Begründung, der sich die Berufungskammer anschließt, bejaht. Wie aus den Anlagen 01 bis 07 zum Gutachten der Sachverständigen Broß und Zöllner hervorgeht, war der Kurs des TMS „Bohemia II“ bis zu dem Zeitpunkt MESZ 19:44:03 klar auf ein Überholmanöver an der Backbordseite des FGS „Beethoven“ ausgerichtet, für das die gesamte linksrheinische Hälfte der Fahrrinne zur Verfügung stand. Wenn Schiffsführer Sneepels bei dieser Ausgangssituation die Absicht aufgab, FGS „Beethoven“ an dessen Backbordseite zu überholen, und statt dessen auf kurze Distanz versuchte, das Fahrgastschiff an Steuerbord zu passieren, muss es dafür aus seiner Sicht einen zwingenden Grund gegeben haben, der nur in der Kursveränderung des FGS „Beethoven“ nach Backbord gelegen haben kann.

Die Aussagen des Schiffsführers Dahm von FGS „Beethoven“ und des Zeugen Schneider stehen dem nicht entgegen. Schiffsführer Dahm hat zwar bekundet, dass er in der Linkskurve unter der Brücke ganz normal in seinem Kurs entlang der Linie weitergefahren sei und den Kurs nicht nach Backbord oder Steuerbord verändert habe. Der Zeuge Schneider hat angegeben, dass er sich an eine Kursänderung nicht erinnern könne, man sei eigentlich immer im gleichen Kurs geradeaus gefahren. Das schließt jedoch nicht aus, dass die gutachterlich festgestellte Kursveränderung des FGS „Beethoven“ durch die innerhalb einer Minute bewirkte starke Geschwindigkeitsreduzierung um knapp 18 km/h bei einer Fließgeschwindigkeit von 5,8 km/h (Gutachten S. 10) und das dazu durchgeführte Maschine-zurück-Manöver verursacht wurde, wovon auch das Rheinschifffahrtsgericht ausgeht.

II. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Rheinschifffahrtsgericht ein Verschulden des Beklagten zu 2 als Schiffsführer des TMS „Bohemia II“ zu Recht verneint.

Für ein Verschulden spricht nicht der Beweis des ersten Anscheins (vgl. dazu Urteil der Berufungskammer vom 10. Juni 1999 – 391 Z). Zwar handelt es sich beim Auffahren auf ein vorausfahrendes Fahrzeug um einen Geschehensablauf, der nach der Lebenserfahrung typischerweise auf eine Verletzung der Sorgfaltspflicht des Auffahrenden zurückzuführen ist. Treten jedoch außergewöhnliche Umstände hinzu, die keinen auf einen Erfahrungssatz gestützten Rückschluss von der eingetretenen Wirkung auf ein dafür ursächliches Verhalten ermöglichen, scheidet ein Anscheinsbeweis aus. So liegen die Dinge hier. Ausgelöst wurde der zur Kollision führende Geschehensablauf durch die nicht aus Unachtsamkeit, sondern bewusst zur Kollisionsvermeidung vorgenommene Kursänderung des TMS „Bohemia II“ nach Steuerbord in Reaktion auf die vorausgegangene Kursänderung des FGS „Beethoven“ nach Backbord.

Schiffsführer Sneepels hat nicht gegen § 6.09 Nr. 1 RheinSchPV verstoßen, wonach das Überholen nur gestattet ist, nachdem sich der Überholende vergewissert hat, dass dieses Manöver ohne Gefahr ausgeführt werden kann.

Die Behauptung der Klägerin, TMS „Bohemia II“ sei bei der Annäherung an das mit geringerer Geschwindigkeit vorausfahrende FGS „Beethoven“ in dessen Kiellinie gefahren und dabei zu dicht auf FGS „Beethoven“ aufgelaufen, findet in den gutachterlichen Feststellungen zur Fahrweise beider Schiffe keine Stütze. Aus den Anlagen 01 bis 07 des Gutachtens ist vielmehr klar zu erkennen, dass TMS „Bohemia II“ schräg nach Backbord versetzt mit konstantem Backbordkurs aus der rechtsrheinischen Hälfte der Fahrrinne auf deren linke Hälfte zuhält, während FGS „Beethoven“ sich in der rechtsrheinischen Hälfte der Fahrrinne mit gleichbleibendem Abstand zur Mitte der Fahrrinne bewegt. Zu einem Auflaufen auf FGS „Beethoven“ kommt es erst, als TMS „Bohemia II“ in Reaktion auf die Kursabweichung des FGS „Beethoven“ nach Backbord seinen Kurs nach Steuerbord ändert, um FGS „Beethoven“ an dessen Steuerbordseite zu passieren. Dass dabei die Entfernung zwischen beiden Schiffen schnell abnimmt, ist allerdings nicht Folge eines zu dichten Auffahrens der Schiffsführung des TMS „Bohemia II“, sondern darauf zurückzuführen, dass FGS „Beethoven“ vor der Brücke aufstoppte und seine Geschwindigkeit in kurzer Zeit bis fast zum Stillstand reduzierte.

Ein den Beklagten anzulastendes Verschulden kann auch nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass die Schiffsführung des TMS „Bohemia II“ zur Durchführung des Überholmanövers nicht die gesamte Breite der linksrheinischen Fahrrinnenhälfte genutzt hat. Wie aus der Anlage 07 des Gutachtens ersichtlich ist, hielt TMS „Bohemia II“ die Mitte der Fahrrinne an, um das deutlich weiter in der rechtsrheinischen Hälfte fahrende FGS „Beethoven“ zu überholen. Dass dieser Abstand, falls beide Schiffe ihren Kurs beibehalten hätten, für das Überholmanöver zu gering gewesen wäre, ist nicht ersichtlich und wird auch von der Klägerin nicht behauptet. Dass die Schiffsführung des TMS „Bohemia II“ nicht einen noch weiteren als den ausreichenden seitlichen Abstand zu dem zu überholenden Fahrzeug einhielt, stellt kein schuldhaftes Versäumnis dar.

Auch einen Verstoß gegen das Kursänderungsverbot nach § 6.03 Abs. 3 Nr. 3 RheinSchPV hat das Rheinschifffahrtsgericht zu Recht verneint.

Das gilt ungeachtet des für die Kollision mitursächlichen Umstands, dass Schiffsführer Sneepels in letzter Minute den Kurs des TMS „Bohemia II“ geändert und FGS „Beethoven“ an dessen Steuerbordseite passiert hat. Rückblickend war dieses in hohem Maße riskante Manöver zwar nicht erforderlich. Aus der maßgeblichen damaligen Sicht des Schiffsführers des Tankmotorschiffs kann dieses Manöver jedoch nicht als schuldhaft bewertet werden. Für Schiffsführer Sneepels war unklar, ob FGS „Beethoven“ mit der Geschwindigkeitsreduzierung und der Kursveränderung nach Backbord ein Wendemanöver einleiten wollte. Um dies zu klären, setzte er drei Funkdurchsagen ab, auf die keine Reaktion erfolgte. Da bei einem Überholmanöver an der Backbordseite des FGS „Beethoven“ die Gefahr einer Kollision mittschiffs des FGS „Beethoven“ bestand, falls dieses über Backbord wenden würde, blieb nur der Ausweg, TMS „Bohemia II“ nach Steuerbord zu lenken und zu versuchen, FGS „Beethoven“ an dessen Steuerbordseite zu passieren. Diese Maßnahme ist als Manöver des letzten Augenblicks nicht als verbotene Kursänderung zu bewerten. Die Berufungskammer hält im Gegensatz zu der Auffassung der Klägerin die Befürchtung nicht für abwegig, dass ein Fahrgastschiff, das seine Geschwindigkeit deutlich reduziert und gleichzeitig seinen Kurs nach Backbord verändert, zu einem Wendemanöver über Backbord ansetzen könnte.

Schiffsführer Sneepels hat zwar dadurch gegen § 6.10 Nr. 2 RheinSchPV verstoßen, dass er Schallzeichen zu spät, nämlich erst unmittelbar vor der Kollision abgegeben hat. Eine frühere Warnung des zu Überholenden durch Schallzeichen hätte sich jedoch, wie das Rheinschifffahrtsgericht zu Recht angenommen hat, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf das weitere Geschehen ausgewirkt. Schiffsführer Dahm war nach eigenem Bekunden allein darauf konzentriert, das Musikerlebnis unter der Brücke zu ermöglichen. Den Kursversatz des FGS „Beethoven“ nach Backbord und die Funkdurchsagen hat er nicht wahrgenommen. Angesichts dessen ist nicht anzunehmen, dass er seinen Kurs noch rechtzeitig korrigiert und umgehend wieder Fahrt aufgenommen hätte, um die Gefahr für den Überholer zu beseitigen.

Schließlich ist Schiffsführer Sneepels auch kein Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht nach § 1.04 lit. b RheinSchPV vorzuwerfen.

Schiffsführer Sneepels hat, nachdem er die Geschwindigkeitsreduzierung und die Kursveränderung des FGS „Beethoven“ wahrgenommen hatte, dreimal versucht, über Funk Kontakt mit dem Fahrgastschiff aufzunehmen, um für das anstehende Überholmanöver dessen beabsichtigte Fahrweise zu klären. Mehr konnte er in dieser Situation zunächst nicht tun. Für ein Aufstoppen war weder ausreichend Raum noch genügend Zeit. Einem – unter den gegebenen örtlichen Verhältnissen naheliegenden – Ausweichmanöver nach Backbord stand die Ungewissheit entgegen, ob FGS „Beethoven“ beabsichtigte, ein Wendemanöver über Backbord durchzuführen. Mit der Entscheidung, das Fahrgastschiff an Steuerbord zu passieren, hat Schiffsführer Sneepels die nach seiner Erkenntnismöglichkeit am wenigsten gefahrträchtige Fahrweise gewählt.

IV. Aus den dargelegten Gründen wird daher für Recht erkannt:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts - Rheinschifffahrtsgerichts - Duisburg-Ruhrort vom 13. Januar 2022 - 5 C 11/20 BSch - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.