Jurisprudentiedatabank
I. Sachverhalt und erstinstanzliches Verfahren
Am 11. Oktober 2012 meldete Herr M., Leiter der Werkgruppe EDF M./R. bei der Wasserschutzpolizei eine am 10. Oktober 2012 zwischen 15.00 Uhr und 16.00 Uhr entstandene Beschädigung des rechtsufrigen Wehrs am oberen Vorhafen der Schleusen MARCKOLSHEIM bei Rhein-km 239-400 in Form einer herausgerissenen Asphaltplatte an der Fahrbahn der Wehrstraße und eine aufgrund eines Wasserschwalls böschungsseitig niedergebrochene Wehrstelle.
Die Ermittler stellten vor Ort fest, dass Wasser aus dem Rheinseitenkanal über das Wehr getreten war und eine Asphaltplatte angehoben und herausgerissen hatte, wodurch es auf einer Ausdehnung von 20 Metern zu einer 50 bis 80 Zentimeter tiefen Erosion mit anschließendem Erdrutsch gekommen war. Sämtliches herausgerissenes Material kam am Wehrfuß zu liegen und blockierte dort die Durchfahrt.
Eine Überprüfung der Liste der geschleusten Schiffe ergab, dass der Verband C. II, III, XIII und XIV zwischen 15.07 Uhr und 16.02 Uhr, dem Zeitraum, in dem die Schäden laut Vernehmung der Herren M. und G. verursacht wurden, den oberen Vorhafen der Schleusen Marckolsheim passiert hatte.
Herr S., Schiffsführer des Schubverbands C., bestritt jede Verantwortung und der Schleusenwärter machte zum Hergang des Schadens keine Angaben.
Herr S. (im Folgenden: Vorgeladener) war wegen einer schifffahrtlichen Zuwiderhandlung durch Erzeugung von Wellenschlag oder Sogwirkungen, die Schäden verursachen können, vor das Schifffahrtsgericht geladen, für schuldig befunden und durch kontradiktorisches Urteil vom 26. Mai 2014 zu einer Geldstrafe von 500 Euro verurteilt worden. Nachdem die haftpflichtige Firma C. nicht geladen worden war, wurde die Geltendmachung des Zivilschadens durch die Firma EDF als Nebenklägerin gegen den alleinigen Geladenen für zulässig erklärt, der dazu verurteilt wurde, ihr als Ersatz für den ihr entstandenen Schaden neben einem Betrag von 1 000 Euro gemäß den Bestimmungen des Artikels 475-1 der französischen Strafprozessordnung einen Betrag in Höhe von 17 836,90 Euro zu zahlen.
II. Zulässigkeit der Berufung
Der Geladene hat per Zustellungsurkunde vom 4. Juni 2014 gegen die straf- und zivilrechtlichen Verfügungen des ergangenen Urteils ordnungsgemäß Berufung eingelegt und ausdrücklich erklärt, seine Berufung solle von der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt geprüft werden.
Am 5. Juni 2014 hat die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil ordnungsgemäß Anschlussberufung eingelegt.
Die Firma EDF als Nebenklägerin und Berufungsbeklagte hat ihrerseits die Bestätigung des Urteils beantragt.
Die form- und fristgerecht eingelegten Berufungen sind zulässig.
III. Vorbringen der Parteien
Der Geladene, der mit der am 30. Juni 2014 eingegangenen Berufungsbegründung seinen Freispruch und die Zurückweisung der Nebenklage beantragt, weist darauf hin, dass der Verband C., dessen Schiffsführer er war, in zwei Teile geteilt worden sei, um zunächst die Leichter C. XIII und C. XIV zu schleusen, die anschließend rechtsufrig beim oberen Schleusenvorhafen stillgelegen hätten, und dann zwischen 15.52 Uhr und 16.02 Uhr den zweiten Verband bestehend aus dem Leichter C. III und dem schiebenden Motorschiff C. II zu schleusen, bevor die vier Teile am linken Ufer wieder gekuppelt worden seien.
Er führt aus, dass der Schleusenwärter nichts Auffälliges bemerkt habe und zwischen 14.30 Uhr und 16.00 Uhr zwei andere zu Tal fahrende Schiffe geschleust worden seien. Das Schadensereignis sei nach dem Vorbringen der EDF-Bediensteten zwischen 15.00 Uhr und 16.00 Uhr eingetreten. Diesen lägen auch keine Erkenntnisse dahingehend vor, dass der Schaden durch den Verband C. verursacht wurde.
Er ist der Ansicht, dass die Zuwiderhandlung mangels Beweises einer Geschwindigkeitsüberschreitung und der Erzeugung von Wellenschlag oder Sogwirkungen, die Schäden verursachen konnten, in keiner Weise erwiesen sei, zumal der Verband C. für die Schleusung geteilt worden sei, die Verzurrung nur bei niedriger Geschwindigkeit habe erfolgen können und nichts darauf hinweise, dass der Verband eine starke Welle erzeugt habe; dies sei physisch schlicht nicht möglich gewesen.
Die Nebenklägerin EDF beantragt mit am 13. Oktober 2014 eingegangenem Schriftsatz die Bestätigung des Urteils. Zusätzlich beantragt sie die Verurteilung des Berufungsklägers zur Zahlung eines Betrages von 2 000 Euro zur Deckung ihrer nicht erstattungsfähigen Kosten.
Sie führt aus, dass die Schäden auf einen Wehrbruch bedingt durch einen von einem Schiffskörper ausgelösten und über die Böschung getretenen Wasserschwall zurückführen sei, dass dieser 1,60 m hohe Wasserschwall durch die Manöver des zu Berg fahrenden Verbandes C. verursacht worden sei; der Wasserschwall sei bei der Kupplung der beiden – sehr großen – Fahrzeuge und nicht etwa durch eine Bugwelle entstanden.
Die Staatsanwaltschaft beantragt die Bestätigung des ergangenen Urteils.
IV. Zur öffentlichen Klage
Die Ermittlungen und die Verhandlung haben durch logische Folgerung aus den Äußerungen der EDF-Bediensteten M. und G. ergeben, dass am 10. Oktober 2012 zwischen 15.00 Uhr und 16.00 Uhr am rechten Ufer bei Rhein-km 239-400 oberhalb des oberen Vorhafens der Schleusen Marckolsheim ein Wasserschwall aus dem Rheinseitenkanal über das Wehr getreten ist.
Dieser Wasserschwall hat den Asphaltbelag der Wehrstraße weggerissen und auf der Schräge auf einer Länge von 20 Metern eine 50 bis 80 Zentimeter tiefe Furche gegraben, wobei das herausgerissene Material auf den Weg am Wehrfuß rutschte.
Fest steht, dass zwischen 15.00 Uhr und 16.00 Uhr der zu Berg fahrende Verband C. XIV und XIII die Schleuse zwischen 14.57 Uhr und 15.07 Uhr passierte und anschließend rechtsufrig beim oberen Schleusenvorhafen stilllag, dass das zu Tal fahrende Schiff T. um 15.30 Uhr aus den Schleusen herausfuhr und der zu Berg fahrende Verband C. II und III zwischen 15.52 Uhr und 16.02 Uhr die Schleuse passierte, bevor er am linken Ufer vom ersten Verband C. eingeholt wurde, um gekuppelt zu werden und die Fahrt fortzusetzen.
Der Schleusenwärter A. hat nichts Auffälliges bemerkt und kein Schiff gesehen, das die den Wehrschaden verursachenden Wellenschläge oder Wellen erzeugt haben könnte.
Der Geladene S., der jede Verantwortung für den Eintritt des Schadensfalls bestreitet, war ebenso wie Herr V. Mitglied der Besatzung des Verbandes C.; beide behaupten, das Manöver sei normal verlaufen.
Aus der Anschuldigung in der Ladungsschrift („schifffahrtliche Erzeugung von Wellenschlag oder Sogwirkungen, die Schäden verursachen können“, wie in § 6.20 der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung vorgesehen und in der Mannheimer Akte unter Strafe gestellt) geht nicht klar hervor, welche Zuwiderhandlung dem Geladenen genau zur Last gelegt wird.
Die Staatsanwaltschaft hat zudem das Vorliegen einer Zuwiderhandlung seitens des Geladenen als Schiffsführer oder Kapitän, der den Schaden verursacht hätte, nicht bewiesen.
Daher ist das ergangene Urteil aufzuheben und der Geladene freizusprechen.
V. Zur Nebenklage
Aufgrund des obigen Freispruchs ist die gegen Herrn S. erhobene Nebenklage abzuweisen.
Das ergangene Urteil ist aufzuheben und die Nebenklage einschließlich des neuen Antrags nach Artikel 475-1 der französischen Strafprozessordnung abzuweisen.
Aus diesen Gründen:
Erklärt die Berufungskammer Folgendes:
Die Berufung von Herrn S. ist in der Form zulässig.
- Zur öffentlichen Klage:
Das ergangene Urteil wird aufgehoben.
Herr S. wird freigesprochen.
Die Kosten und Auslagen werden der französischen Staatskasse auferlegt.
- Zur Nebenklage:
Das ergangene Urteil wird aufgehoben.
Die Klage der Firma EDF wird abgewiesen.
Die Gerichtskanzlerin: Der Vorsitzende: