Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die amtliche Festsetzung der Entgelte der Binnenschifffahrt nach Maßgabe der §§ 21 ff BSchVerkG.
2) Die Vermietung von Schiffsraum gehört - abgesehen von Sonderfällen - zu den entgeltlichen Verkehrsleistungen im Sinne des § 21 Abs. 1 BSchVerkG.
3) Wer die Nachforschung nach dem Vorhandensein einschlägiger amtlicher Frachtvorschriften, u. a. auch etwaiger Schiffsmietsätze unterlässt, handelt zumindest grobfahrlässig.
Schleswig-holsteinischen Oberlandesgerichts
Urteil
vom 29. November 1973
Zum Tatbestand:
Die im Jahre 1923 gegründete Beklagte zu 1 betreibt als GmbH in K. eine Mühle, den Getreide- und Futtermittelimport, entsprechende Handelsgeschäfte und Landwirtschaft. Außerdem war sie Eignerin von 3 Binnenschiffen („T", „KT" und „K" - letzteres 1969 stillgelegt und verschrottet), mit denen sie ausschließlich für eigene Zwecke Getreidetransporte durchführte. Um nach den im Jahre 1962 erlassenen Richtlinien der zuständigen Bundesministerien Frachthilfe für Getreidetransporte beziehen zu können, gründeten die Gesellschafter der Beklagten zu 1 am 1. 1. 1964 eine Transportgesellschaft, nämlich die Beklagte zu 2, die als o.H.G. die Transporte für die Beklagte zu 1 durchführen sollte. Die Gesellschafter waren bei beiden Gesellschaften identisch. In einem Vertrag vom 20. 1. 1964 wurden die Schiffe von der Beklagten zu 1 an die Beklagte zu 2 vermietet. Für Transporte von Hamburg zur Mühle in K. sollte der Mietzins ohne Rücksicht auf das jeweilige Gewicht pro Ladung 500,- DM betragen. Für den Fall, dass andere Häfen angelaufen wurden, sollte sich die Fracht für diese Reisen entsprechend der hierfür gezahlten üblichen Frachten erhöhen oder ermäßigen. Die Schiffsmiete von 500,- DM, die ab 1. 9. 1966 aufgrund einer steuerlichen Betriebsprüfung auf 700,- DM je Reise erhöht wurde, wurde der Beklagten zu 2 für jede Reise von der Beklagten zu 1 in Rechnung gestellt. Andererseits stellte die Beklagte zu 2 der Beklagten zu 1 für jede Reise eine Rechnung unter exakter Zugrundelegung der für die jeweilige Verkehrsrelation festgesetzten FTB-Frachten aus und erhielt demgemäß in den Jahren 1969 und 1970 Frachthilfe in Höhe von rund 20 000,- DM.
Weil in den Jahren 1969 und 1970 im Vergleich zu den laut FTB rechtsverbindlich festgesetzten Tagesmietsätzen je Kalendertag abweichende Schiffsmieten verbotswidrig berechnet und bezahlt worden seien, verlangt die Klägerin von der Beklagten zu 1 wegen zu hoher Berechnung 2134,10 DM, von der Beklagten zu 2 wegen zu niedriger Berechnung 29 603,25 DM. Zur Zahlung der Unterschiedsbeträge seien die Beklagten verpflichtet, weil sie entweder mit bedingtem Vorsatz oder aber grobfahrlässig die festgesetzten Tagesmietsätze nicht beachtet hätten. Spätestens seit dem 20. 11. 1969 hätten die Beklagten positive Kenntnis von den amtlichen Tagesmietsätzen gehabt. Der in § 21 BSchVG enthaltene Begriff „Entgelte für Verkehrsleistungen der Schifffahrt" sei weit auszulegen. Auch Schiffsmieten usw. stünden aus Gründen des Wettbewerbs unter amtlicher Aufsicht. Die Auslegung des § 21 BSchVG habe deshalb unter wettbewerbsmäßigen Gesichtspunkten zu erfolgen.
Die Beklagten bestreiten eine Zahlungsverpflichtung, weil der Vertrag vom 20. 1. 1964 keine Entgeltsverpflichtung für Verkehrsleistungen, sondern nur eine Vereinbarung über den Mietzins für die Gebrauchsüberlassung enthalte. Die Schiffe seien auch nicht täglich auf Reisen gewesen; ferner seien die Liegezeiten auf der Werft und in Häfen nicht berücksichtigt. Keinesfalls liege Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit bezüglich der Nichtbeachtung der festgesetzten Tagesmietsätze vor. In tatsächlicher Hinsicht habe sich in der Abwicklung der Transporte gegenüber der Zeit vor 1964 nichts geändert. In rechtlicher Beziehung beständen außerdem verfassungsrechtliche Bedenken, da die Vertragsfreiheit eingeschränkt werde.
Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die Berufung blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die §§ 31 Abs. 3, 21, 29 Abs. 1, 28 BSchVG und die Rechtsverordnung Nr. 1/68 und Nr. 11/70 des Bundesministers für Verkehr über die Festsetzung von Entgelten für Verkehrsleistungen in der Binnenschifffahrt bestehen nicht. Den Beklagten ist zuzugeben, dass durch die amtliche Festsetzung der im Binnenschiffsverkehr zulässigen Frachten die in Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes garantierte privatrechtliche Vertragsfreiheit eingeschränkt wird. Diese Einschränkung ist nicht durch die Rechtsverordnungen des Bundesministers für Verkehr, sondern durch das Binnenschiffsverkehrsgesetz und damit auf Grund eines Gesetzes im Sinne des Art. 2 Abs. 2 GG erfolgt. Das Binnenschiffsverkehrsgesetz enthält die jeweils geltenden Frachtsätze nicht selbst. Im Binnenschiffsverkehrsgesetz findet sich nur die Generalklausel, nach der die Unterschiedsbeträge zwischen den zulässigen und den vereinbarten Frachten an den Bund zu entrichten sind und die Entgelte für Verkehrsleistungen durch Frachtausschüsse der Binnenschifffahrt festgesetzt werden. Das Binnenschiffsverkehrsgesetz ist Blankettgesetz, das der Ergänzung durch Rechtsverordnungen bedarf.
Gerade im Wirtschaftsrecht ist zur Lenkung des Wettbewerbs und zum Schutz der Mitbewerber sowie im Interesse der Erhaltung einer konkurrenzfähigen Wirtschaft die Verwendung von Generalklauseln verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfGE 8, 326; 13, 161, 31, 42). Die Konkretisierung der das Grundrecht einschränkenden Generalklausel des Binnenschiffsverkehrsgesetzes ist durch die Rechtsverordnung des Bundesministers für Verkehr erfolgt. Diese Ausfüllung ist lediglich Inhaltsbegrenzung der Generalklausel, nicht aber die Grundrechtbeschränkung selbst.
Hier sind die Tagesmietsätze für Gütermotorschiffe je Kalendertag bei Anmietung für 365 Tage und mehr und einer Tragfähigkeit bis zu 200 t mit 152,- DM bzw. 182,- DM festgesetzt. Von diesen festgesetzten Tagesmietsätzen weicht die Vereinbarung zwischen den Beklagten vom 20. Januar 1964 ab. Sie ist daher unzulässig. Das ergibt sich aus § 21 BSchVG. Danach werden die Entgelte für Verkehrsleistungen der Schifffahrt zwischen deutschen Lade- und Löschplätzen (Transportsätze, Schiffsanteilfrachten, Schlepplöhne, Schiffsmieten, Vergütungen für sonstige mit der Schiffsbeförderung unmittelbar zusammenhängende Gegenleistungen) durch Frachtenausschüsse der Binnenschifffahrt festgesetzt, sofern die Verkehrsleistungen entweder ganz oder streckenweise auf Bundeswassertraßen erbracht werden.
Zwischen den Beklagten ist aber nicht nur insoweit eine Verkehrsleistung erbracht worden, als die Transportgesellschaft für die Mühle deren Produkte und Rohstoffe transportiert hat. Auch die durch Vertrag vom 20. Januar 1964 erfolgte Vermietung des Schiffsraums von der Mühle an die Transportgesellschaft ist entgeltliche Verkehrsleistung der Schifffahrt im Sinne des § 21 Abs. 1 BSchVG, weil sie die typischen Merkmale der Schiffsmiete im eigentlichen Sinn enthält. Allerdings kann nicht jede Schiffsvermietung als Verkehrsleistung der Schifffahrt im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden. Darauf weisen die Beklagten zu Recht hin. Die Vermietung eines Schiffes zum Betreiben eines Restaurationsbetriebes oder zum Einlagern von Waren unterfällt nicht den Vorschriften des Binnenschiffsverkehrsgesetzes. Derartige Verträge stehen wirtschaftlich der Vermietung und Verpachtung von Räumen in Bauwerken gleich und sind nur deshalb Verträge über Schiffsraum, weil die Lagerfläche oder die Restaurationsräume sich in Schiffskörpern befinden. Derartiges trifft aber auch auf das Vertragsverhältnis der Mühle und der Transportgesellschaft gerade nicht zu. Vielmehr hat die Mühle ihre Schiffe der Transportgesellschaft vermietet, damit die Transportgesellschaft die bisher von der Mühle im Werkverkehr erbrachten Leistungen übernehmen konnte. Diese entgeltliche Vereinbarung der Überlassung des Schiffsraums an die Transportgesellschaft zur Vornahme von Beförderungsleistungen stellt den typischen Fall einer Schiffsmiete im Sinne des § 21 Abs. 1 BSchVG dar. Schiffsmieten im engeren Sinne werden für die Fälle gezahlt, dass ein Schiff als Ganzes auf Zeit zur Verwendung in der Binnenschifffahrt vermietet wird. Insoweit entspricht die Schiffsmiete der Binnenschifffahrt der Vercharterung der Hochseeschifffahrt.
Obwohl die Vermietung von Schiffsraum vordergründig keinen Transport von Gütern beinhaltet, wird sie den Verkehrsleistungen der Schifffahrt ausdrücklich im Gesetz gleichgestellt, weil andernfalls der wirtschaftslenkende Sinn der §§ 21, 31 BSchVG nicht zu erreichen wäre. Nur dann, wenn sämtliche Leistungen der Binnenschifffahrt lückenlos amtlich geregelt sind, ist die Umgehung der festgesetzten Frachten und Tarife unmöglich. Das ist bei der Frage, ob von dem absoluten Tarifzwang der §§ 31, 21 BSchVG abgewichen wird oder nicht, zu beachten, weil bei der Auslegung wirtschaftslenkender Gesetze auf eine wirtschaftliche Betrachttungsweise abzustellen ist. (BGH BB 60, 61; 60, 462 für die vergleichsweise Regelung des GüKG.) Wirtschaftlich betrachtet stellen die vereinbarten Pauschalmietsätze für einzelne Frachtreisen genauso ein Entgelt für die Überlassung des Schiffsraums dar, wie die zwingend geboten gewesene Vereinbarung der festgesetzten Tagesmietsätze.
Die Beklagten können sich als Beteiligte eines Vertrages über eine Verkehrsleistung im Sinne des § 21 Abs. 1 BSchVG zur Begründung ihrer abweichenden Vereinbarung der Pauschalmietsätze auch nicht auf die zwischen ihnen getroffene rechtsgeschäftliche Vereinbarung berufen. Das ergibt sich aus § 42 a BSchVG. Mit dieser gesetzlichen Bestimmung sollten Vertragsgestaltungen unterbunden werden, die es als unsicher erscheinen lassen, ob die festgesetzten Tagesmietsätze eingehalten wurden oder nicht, Die Pauschalmietsätze der Beklagten sind, wie erwähnt, geeignet, die Bestimmungen des Binnenschiffsverkehrsgesetzes und der aufgrund des Gesetzes ergangenen Rechtsverordnungen zu umgehen.
Seit dem 20. November 1969 haben die Beklagten wissentlich ein von den festgesetzten Tagesmietsätzen nach den FTB abweichendes Pauschalentgelt vereinbart und für die einzelnen Frachtreisen bezahlt. Dass dieses Schreiben der Mühle den Geschäftsführern möglicherweise nicht bekannt geworden ist, ist unerheblich, weil die Beklagten ein Verschulden ihrer Angestellten zu vertreten haben (§ 278 BGB).
Auch vor dem 20. November 1969 handelten die Beklagten schuldhaft, und zwar grob fahrlässig, als sie Pauschalmieten für die Binnenschiffe vereinbarten und abrechneten, die nicht den festgesetzten Tagesmietsätzen entsprachen. Die Beklagten betrieben, nachdem die Mühle zuvor jahrzehntelang den Schiffswerkverkehr unterhalten hatte, spätestens seit dem 1. Januar 1964 Binnenschiffsverkehr. Seitdem führte die Transportgesellschaft für die Mühle Frachtfahrten auf Bundeswasserstraßen durch.
Für diese Frachtreisen berechnete die Transportgesellschaft zutreffend die vom Frachtführer nach den FTB zu erhebende Fracht. Die unstreitig bei den Beklagten vorhandene Kenntnis der Transportsätze für die beförderten Güter lässt im Sinne des § 21 BSchVG nur den Schluss zu, dass die Beklagten vom Vorhandensein amtlicher Frachtsätze Kenntnis hatten. Das entspricht auch ihren Pflichten als Teilnehmer am Binnenschiffsverkehr. Denn wer ständig Binnenschiffsverkehr durchführt, ist verpflichtet, sich über die für seinen speziellen Gewerbezweig geltenden Vorschriften und dabei auch über die geltenden Tarifbestimmungen zu unterrichten und diese einzuhalten (Hans. OLG Hamburg, VRS 1972, 141 ff.). Wussten die Beklagten, wie sie selbst auch nicht in Abrede stellen, dass für die Beförderung von Gütern im Binnenschiffsverkehr bestimmte Transportsätze amtlich festgesetzt waren, so kann die von ihnen behauptete Unkenntnis der amtlich festgesetzten Tagesmietsätze für die Vermietung von Binnenschiffen nur darauf beruhen, dass sie davon abgesehen haben, sich die erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen. Der Senat kann nicht mit letzter Sicherheit feststellen, dass die Beklagten bewusst davon abgesehen haben, sich um die Frage der Tarife für Schiffsmieten zu kümmern. Der Senat ist jedoch überzeugt, dass die Beklagten in besonders krasser Weise davon abgesehen haben, die naheliegende Nachforschung nach dem Vorhandensein von amtlichen Schiffsmietsätzen vorzunehmen, um so sich zumindest grob fahrlässig der Kenntnisnahme der amtlichen Tagesmietsätze für Gütermotorschiffe verschlossen haben.
Zu Unrecht haben die Beklagten gegen die Höhe der Forderung der Kläger eingewandt, die Werftliege- und Ruhezeiten seien nicht berücksichtigt. Das ergibt sich aus den §§ 31 Abs. 2, 21 Abs. 1, 28, 29 Abs. 1 BSchVG in Verbindung mit den Rechtsverordnungen über die Höhe der Tagesmietsätze für Gütermotorschiffe je Kalendertag. Nach den FTB D 101/5 und 101/6 sind die Tagesmietsätze bei Schiffsmietverträgen für eine längere Vertragszeit als einem Jahr unabhängig davon anzuwenden, ob die Schiffe während der Mietzeit stillgelegen oder sich in der Werft befunden haben.