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Urteil des Amtsgerichts – Schiffahrtsgericht – Duisburg-Ruhrort
vom 26.10.1998
5 C 3/98 BSch
Tatbestand:
Die Klägerin ist Versicherer des MS E.
Die Beklagte, zu 1) ist Eigentümer, zumindest Ausrüsterin, des MS R.
Der Beklagte zu 2) war Schiffsführer des MS R zum Zeitpunkt des nachstehend beschriebenen Unfalls, der Beklagte zu 3) war sein Steuermann, der das Schiff bei dem Unfall gerade führte.
Die Klägerin verlangt aus übergegangenem bzw. abgetretenem Recht Schadensersatz aus diesem Unfall.
Am 17.12.95 befand sich das mit 695 ts Feinkohle beladene MS E auf dem Dortmund-Ems-Kanal in der Talfahrt. Das Schiff ist 66,93 m lang, 8,20 m breit, hat eine Tragfähigkeit von 995 ts und war während der Talfahrt auf 2,18 m abgeladen.
Das MS R befand sich mit 784 ts Kali beladen in der Bergfahrt. Dieses Schiff ist 79,35 m lang, 9 m breit und hat eine Tragfähigkeit von 1.057 ts. Es war auf 2,08 m abgeladen.
Gegen 07:00 Uhr des 17.12.95 näherte sich das MS E der Schulze-Farwick-Brücke, die sich etwa bei km 88,75 befindet. Der Dortmund-Ems-Kanal hat in diesem Bereich eine Fahrwasserbreite von 32,50 m. Etwa 200 m unterhalb der Brücke, d. h., bei km 88,93 beginnt eine Verbreiterung des Kanals. Wegen der Einzelheiten der Örtlichkeiten wird auf die Karte Blatt 11 der beigezogenen Bußgeldakte 83 Js 120/96 der Staatsanwaltschaft Dortmund verwiesen. Dem MS E kam in der Bergfahrt das MS R entgegen. Die Kurse der beiden Schiffe waren auf eine Begegnung Backbord an Backbord eingerichtet. Zwischen km 88,7 und etwa 88,9 kam es dann. zur Kollision der beiden Schiffe, indem jeweils die Backbordvorschiffe gegeneinander stießen. Im Bereich der Unfallstelle befand sich auf der Steuerbordseite des MS E eine schräge Böschung; auf der Steuerbordseite des MS R eine Spundwand. In Kenntnis des Schadensfalles hat die Beklagte zu 1 ihr Schiff zu neuen Reisen ausgesandt.
Die, Klägerin trägt vor,
MS R habe sich noch im verbreiterten Teil des Kanals befunden, als es mit allen Scheinwerfern das Ufer abgeleuchtet habe, ersichtlich, um die Verengung besser finden zu können. MS E habe sich etwa 4 m aus dem rechten Ufer befunden. Wegen der dortigen Böschung habe es nicht näher an das Ufer heranfahren können. Der Schiffsführer von MS E habe erkannt, daß MS R nach der Einfahrt in die engere, nicht ausgebaute Kanalstrecke in die Mitte des Kanals gekommen sei. Er sei indes davon ausgegangen, MS R werde sich noch wie üblich aufstrecken. Nur vorsorglich habe er mit seinem Scheinwerfer sein Ufer angeleuchtet, um dem entgegenkommenden Schiff anzuzeigen, daß MS E nicht weiter nach Steuerbord ausweichen könne.-Zudem habe der Schiffer die Fahrt vollständig aus dem Schiff herausgenommen.. Die Maschine sei nur noch so gelaufen, daß Ruderwirkung bestand. MS R habe aber weder aufgestreckt, noch sei es zu seinem Ufer ausgewichen, obwohl dies möglich gewesen wäre. Es sei. dann im Fahrwasser von MS E zur Kollision gekommen. Auch der Beklagte zu 2) hafte aus dem Unfall, weil er zum Frühstück gegangen sei, statt den nicht patentierten Steuermann auf die Besonderheit der Enge hinzuweisen. Durch den Unfall sei ein Schaden von 43.480,-- hfl nebst weiterer 13.903,-- DM entstanden.
Die Klägerin beantragt, wie folgt zu erkennen:
1.
Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin 43.480,-- hfl oder den Gegenwert in Deutscher Mark zum Kurs am Zahlungstage und 13.903,-- DM nebst jeweils 4 % ,Zinsen ab dem 15.02.96 als Gesamtschuldner zu zahlen.
2.
Wegen dieser Forderung haftet die Beklagte zu 1) nicht nur dinglich mit dem ihr gehörenden MS R, sondern im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich.
Die Beklagte beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten tragen vor,
der Schiffsführer habe wegen der Verjüngung des Kanals die Fahrt verlangsamt, sei in den schmaleren Bereich des Kanals eingefahren und dort mit einem Abstand von ca. 2 bis 3 m von der Spundwand weitergefahren, so daß eine problemlose Begegnung mit dem Talfahrer zu erwarten gewesen sei. Als MS R mit dem Steuerhaus die Brücke passiert habe, habe der Talfahrer plötzlich einen Bugscheinwerfer eingeschaltet. In diesem Moment habe der Schiffsführer von MS R bemerkt, daß der Talfahrer zu weit in die Fahrwasserhälfte von MS R geraten sei. Er habe deshalb sofort das Ruder nach Steuerbord gelegt. Die Kollision habe sich jedoch nicht mehr verhindern lassen. Seine Scheinwerfer habe MS R bereits ausgeschaltet; als MS E noch ca. 1 km entfernt war.
Die Klage gegen den Beklagten zu 2) sei offensichtlich nur erhoben, um diesen als Zeugen, auszuschalten. Es habe für den Beklagten zu 2) kein Anlaß bestanden, den erfahrenen und auch mit Streckenkenntnissen versehenen Beklagten zu 3) besonders einzuweisen.
Vorsorglich bestreiten die Beklagten die Höhe des geltend gemachten Schadens, insbesondere den geltend gemachten Nutzungsausfall.
Desweiteren erheben die Beklagten die Einrede der Verjährung. Soweit seitens der Interessenten von MS R einseitig auf die Einrede der Verjährung verzichtet worden sei, werde dieser Verzicht wegen arglistiger Täuschung angefochten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Die Bußgeldakten 83 Js 120/96 der Staatsanwaltschaft Dortmund waren zu Informationszwecken Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen, mit dem aus den Sitzungsprotokollen vom 14.09.98 und 28.09.98 ersichtlichen Ergebnis.
Entscheidungsgründe:
Die Klage war als unbegründet abzuweisen.
I.
Der Klägerin kann der aus übergegangenem bzw. abgetretenem Recht (§§ 67 VVG, 398 BGB) geltend gemachte Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu 1) als Eigner oder Ausrüster des MS R aus §§ 3, 4, 92 ff, 114 Binnenschiffahrtsgesetz oder gegen den Beklagten zu 3) als verantwortlichen Schiffsführer zum Zeitpunkt des Unfalles aus §§ 92 ff Binnenschiffahrtsgesetz, 823 BGB nicht zugesprochen werden.
1.
Ein schuldhafter Verstoß des Beklagten zu 3), der Beklagten zu 1) zuzurechnen, gegen § 6.07 Binnenschiffahrtsstraßenordnung kannn schon deshalb nicht festgestellt werden, weil die Schiffe sich nicht im engen Fahrwasser begegnet sind. Gewährt nämlich das Fahrwasser unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse hinreichend Raum für die Vorbeifahrt, liegt keine Fahrwasserenge vor (BGH, VersR 1964, 713). Vorliegend hatte der Kanal aber auch in seinem schmalen Bereich, wo sich der Unfall zugetragen hat, eine Fahrwasserbreite von 32,5 m, wie aus der Karte Blatt 11 der Bußgeldakte zu entnehmen ist, so daß die beiden Schiffe ausreichend Platz zur Begegnung hatten.
2.
Ein schuldhafter Verstoß des Beklagten zu 3) wegen § 6.03 Nr. 3 oder § 6.04 Nr. 1 Binnenschiffahrtsstraßenordnung wegen eines Kurswechsels in den Kurs des entgegenkommenden MS E kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden. Die Beweislast für einen solchen Kurswechsel liegt bei der Klägerin (vgl. Bemm/von Waldstein, Rheinschiffahrtspolizeiverordung, 3. Auflage, § 6.03, RdNr. 50). Dieser Beweis ist nicht geführt. Der Zeuge G, seinerzeit Auszubildender auf MS R, hat dies nicht bekundet, und dieser Zeuge hatte auch nur einen sehr geringen Beweiswert. Aus seiner Vernehmung ergab sich, daß er an dem Vorfall wenig interessiert war. Weiter ergab sich, daß er erst unmittelbar vor der Kollision auf das MS E aufmerksam geworden ist. Zu den Kursen befragt, hat er ausgesagt, MS R habe ganz normal im Kanal gelegen; um das andere Schiff habe er sich nicht gekümmert. Insgesamt konnte auf die unbestimmte Aussage dieses Zeugen keine Überzeugung hinsichtlich näherer Einzelheiten über den Unfallhergang gestützt werden.
Das Gericht vermochte sich aber auch aus den Aussagen der Zeugen B und seiner Ehefrau,, der Zeugin R, keine Überzeugung zu konkreten Einzelheiten des Unfallherganges zu bilden. Diese Zeugen habe in eigener Sache ausgesagt. Der Zeuge van den Boogaard war zum Zeitpunkt des Unfalles verantwortlicher Schiffsführer des MS E, seine Ehefrau ist mit ihm verbunden. Das Gericht hat in zahlreichen Rechtsstreitigkeiten gerade in Verkehrssachen die Erfahrung gemacht, daß in der Regel die Fahrzeugführer und Fahrzeuginsassen der wechselseitig beteiligten Fahrzeuge die Schuld jeweils der anderen Seite zuweisen und in übereinstimmenden Aussagen entsprechende Sachverhaltsdarstellungen geben.
Unter Berücksichtigung dessen, daß ohnehin der Zeugenbeweis aus unterschiedlichen Gründen stets Fehlerquellen aufweist (vgl. dazu Baumbach/Hartmann, Kommentar zur ZPO, 55. Auflage, Übersicht ,§ 373,-Rd-Nr. 3 ff), wäre es dem Gericht auch in dem vorliegenden Fall nur dann möglich, der Sachdarstellung der Zeugen B und seiner Ehefrau zu folgen, wenn diese Darstellung gestützt würde durch die Aussagen unbeteiligter Zeugen, der Besatzung des anderen unfallbeteiligten Schiffes oder sonstiger objektiver konkreter Umstände. Derartiges ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Die Aussage des Zeugen G ist - wie ausgeführt - im wesentlichen ungeeignet, aus der beigezogenen Bußgeldakte können ausreichen konkrete Umstände zugunsten des MS E ebenfalls nicht hergeleitet werden. Im Gegenteil kam die Wasserschutzpolizei nach ihren Ermittlungen zu dem Ergebnis, dem Schiffsführer von MS E, dem Zeugen B, ein Verschulden anzulasten, weil er den Kurs seines Schiffes nicht so eingerichtet habe, daß dem MS R genügend Raum für eine gefahrlose Begegnung blieb. Es mag dahinstehen, inwieweit diese Einschätzung der Wasserschutzpolizei zutreffend war. Entscheidend ist für den vorliegenden Rechtsstreit, daß der Inhalt der Ermittlungsakten jedenfalls die Darstellung des Zeugen B und seiner Ehefrau nicht stützt.
3.
Ein Verschulden des Beklagten zu 3) gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht aus § 1.04 Binnenschiffahrtsstraßenordnung kann ebenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden.
Zwar hat der Beklagte zu 3) vor der Kollision nicht versucht, über Funk eine Absprache mit dem entgegenkommenden MS E zu treffen, er hat auch keine Schallsignale zur Warnung abgegeben. Die Benutzung der gegebenen technischen Einrichtungen gehört aber im erforderlichen Fall zu den allgemeinen Sorgfaltspflichten eines Schiffsführers (vgl. Bemm/von Waldstein, § 1,04, Rd-Nr. 4 und 43). Im vorliegenden Falle gingen aber die Schiffsführer beider beteiligten Schiffe bis zur Kollision davon aus, daß eine Funkabsprache oder Schallsignale aufgrund der Situation nicht notwendig waren. Die Begegnung der beiden Schiffe war eindeutig ausgerichtet auf Backbord an Backbord. Beide Schiffsführer gingen offenbar bis zum Schluß davon aus, eine solche Begegnung werde auch stattfinden. Als es erkennbar wurde, daß es anders verlaufen würde, war es zu spät.
Ein Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht wegen Nichtverlangsamung der Geschwindigkeit trotz Begegnung in beengten Verhältnissen (vgl. dazu'Bemm/von Waldstein, a. 0., Rd-Nr.-36), kann ebenfalls nicht festgestellt werden, weil auch dazu keine ausreichend sicheren Feststellungen möglich sind. Die Beklagten haben vorgetragen, der Schiffsführer von MS R habe die Geschwindigkeit verlangsamt. Dies ist - wie ausgeführt - nicht widerlegt.
II.
Ein Anspruch gegen den Beklagten zu 2) aus § 823 BGB in Verbindung mit § 1.09 Binnenschiffahrtsstraßenordnung, weil er einen ungeeigneten Rudergänger ans Steuer von MS R gelassen habe, zumindest den Rudergänger nicht genügend eingewiesen habe, kann nicht festgestellt werden. Unwidersprochen tragen die Beklagten vor, der Beklagte zu 3) sei erfahren gewesen, habe auch über ausreichende Streckenkenntnisse verfügt, eine Einweisung sei deshalb nicht nötig gewesen.
Hinzu kommt, daß auch eine ungenügende Eignung oder Einweisung des Rudergängers nicht als ursächlich für den Unfall angenommen werden könnte, weil - wie unter I. ausgeführt - eine schuldhafte Verursachung des Unfalles durch den Beklagten zu 3) nicht festgestellt werden kann.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 709, 108 ZPO.