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498 Z - 9/15 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Datum uitspraak: 07.12.2015
Kenmerk: 498 Z - 9/15
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Afdeling: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von den Beklagten materiellen und immateriellen Schadensersatz aufgrund eines Schiffsunfalls, der sich auf dem Rhein am 10. Oktober 2009 ereignet hat.

Die Klägerin ist die Ehefrau des Eigners des MS "S". Dieses lag am Morgen des Unfalltags linksrheinisch zu Berg stillliegend an der Spundwand bei Rhein-Kilometer 447,9. Zur selben Zeit befand sich das MS "M" in der Talfahrt auf dem Rhein von Obrigheim nach Lixhe (Belgien). Der frühere Beklagte zu 1 war Eigner des MS "M" und ist während des Rechtsstreits verstorben; die jetzige Beklagte zu 1 ist seine Rechtsnachfolgerin. Verantwortlich geführt wurde das MS "M" zum Unfallzeitpunkt von dem Beklagten zu 2. In der Zeit zwischen 7.00 Uhr bis 7.30 Uhr passierte es die Ortslage Worms und fuhr mit eingeschaltetem Autopilot rechtsrheinisch. Nach dem Passieren eines Schubverbands nahm der Beklagte zu 2 mit MS "M" Kurs nach Backbord, um die Fahrt am linksrheinischen Rand der Fahrrinne fortzusetzen. Als der Beklagte zu 2 danach aus der Backbordschräglage wieder aufstrecken wollte, ließ sich das Ruder nicht bewegen. In der Folge geriet MS "M" mit dem Vorschiff oberhalb der linksrheinischen Spundwand in die Steinböschung, rutschte mit dem Backbordvorschiff an dieser und anschließend an der Spundwand entlang und kollidierte schließlich mit dem Vorschiff des dort stillliegenden MS "S". Durch den Aufprall riss MS "S" ab und trieb mit MS "M" mehrere 100 Meter unkontrolliert zu Tal, bis beide Schiffe mit Hilfe des Heckankers von MS "M" ständig gemacht werden konnten. Die Klägerin wurde durch die Kollision unvermittelt aus dem Schlaf herausgerissen.

Die Klägerin hat vorgetragen:

Die Beklagten hafteten für den Schiffsunfall, weil dieser schuldhaft allein von dem Beklagten zu 2 verursacht worden sei. Zur näheren Begründung hat sich die Klägerin auf einen Parallelrechtsstreit (76 C 2/10 BSchRh Rheinschifffahrtsgericht Mainz) bezogen, in dem ihr Ehemann die Beklagten wegen derselben Kollision auf Ersatz des ihm als Schiffseigner entstandenen materiellen Schadens in Anspruch genommen hat. In diesem Verfahren erklärte das Rheinschifffahrtsgericht die Klage durch Urteil vom 16. Juni 2011 dem Grunde nach für gerechtfertigt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten wurde durch die Berufungskammer durch Urteil vom 10. Dezember 2012 zurückgewiesen (470 Z - 3/12). Der Rechtsstreit ist durch einen vor dem Rheinschifffahrtsgericht am 2. September 2013 abgeschlossenen Prozessvergleich beendet worden.

Die Klägerin hat behauptet, sie leide seit der Anfahrung unter chronischen Angstzuständen. Sie könne ihre berufliche Tätigkeit als Schiffsführerin infolge des Havarieereignisses ohne erhebliche Beeinträchtigung nicht mehr ausüben. Gegebenenfalls müsse sie ihre berufliche Tätigkeit als Schiffsführerin aufgeben. Es sei ihr nicht mehr möglich, ohne erhebliche Angstzustände nachts an Bord zu schlafen bzw. sich in der Wohnung im Schiffsinneren aufzuhalten.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr den materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr infolge der psychischen und psychosomatischen Belastung als Folge der Kollision vom 10. Oktober 2009 zwischen MS "S" und MS "M" bei Rhein-Kilometer 448 bereits entstanden ist und künftig noch entsteht.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben die Verantwortlichkeit für die Kollision in Abrede gestellt und behauptet, die Klägerin habe infolge der streitgegenständlichen Havarie keinen gesundheitlichen Schaden erlitten, der nicht schon vor der Havarie bestanden habe.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat mit Urteil vom 21. Juni 2013 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Die Klage sei unbegründet. Zwar bestünden bei der Klägerin ausweislich des eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachtens infolge des Unfallereignisses leicht bis mittelgradig ausgeprägte Angstsymptome sowie auch mittelgradige depressive Symptome. Es lägen gleichzeitig Symptome von Angst und Depression vor, jedoch erreiche keine dieser beiden Störungen ein Ausmaß, das eine entsprechend einzelne Diagnose rechtfertigen würde. Therapieversuche seien bislang durch die Klägerin weder ambulant noch stationär unternommen worden. Die Klägerin habe durch ihre Überzeugung, keine Zeit für Arztbesuche bzw. eine Psychotherapie zu haben, zumindest zur fehlenden Besserung der vorliegenden Symptome beigetragen. Sie habe bis zur gutachtlichen Exploration im Rahmen des vorliegenden Gerichtsverfahrens keinen Spezialisten für psychische Störungen aufgesucht. Sie übe ihren Beruf als Schiffsführerin weiter aus und wolle dies auch fortführen. Sie sei zur Verrichtung ihrer Tätigkeiten an Bord trotz der festgestellten Ängste und Depressionen weiterhin in der Lage. Lediglich ihre Anspannung und Anstrengung müsse sie intensivieren. Es bestünden keine Anhaltspunkte, dass die Klägerin ihre Tätigkeiten auf dem Schiff trotz der Schiffskollision nicht weiterhin wie zuvor auch ausüben könnte. Eine schadensersatzrechtlich relevante Beeinträchtigung ihres körperlichen oder seelischen Wohlbefindens infolge der Schiffskollision sei nicht feststellbar.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung mit dem Antrag auf Entscheidung durch die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt eingelegt und diese fristgerecht begründet. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht insbesondere geltend:

Das Rheinschifffahrtsgericht habe verkannt, dass nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung dem Geschädigten Schadensersatzansprüche für die psychischen Folgen eines Unfalls zustünden, wenn die medizinisch feststellbaren geistig-seelischen Folgen nach der Verkehrsauffassung als Verletzung der Gesundheit betrachtet werden könnten. Es genüge die hinreichende Gewissheit, dass die psychisch bedingten Ausfälle ohne den Unfall nicht eingetreten wären. Im vorliegenden Fall ergebe sich aber aus dem Gutachten ausdrücklich das Vorliegen einer psychischen Erkrankung der Klägerin. Zudem würde ausdrücklich festgestellt, dass die streitgegenständliche Kollision Auslöser der zuvor bei der Klägerin nicht vorhandenen, nicht unerheblichen psychischen Beeinträchtigungen sei. Ein Bagatellfall, der allenfalls die Haftung der Beklagten entfallen lassen könnte, könne ausgeschlossen werden. Es sei auch für eine Schiffsführerin alles andere als alltäglich, nachts im Schlaf, mit einem Schiff stillliegend und an einer Spundwand ordnungsgemäß festgemacht frontal gerammt und losgerissen und mehrere 100 m führerlos zu Tal getrieben zu werden. Angesichts dessen könne die Bewertung des Rheinschifffahrtsgerichts, dass insgesamt eine schadensersatzrechtlich relevante Beeinträchtigung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens der Klägerin nicht feststellbar sei, keinen Bestand haben. Darauf, ob die Klägerin ihren Beruf noch ausüben könne und dass sie bislang in der Hoffnung auf eine Remission der Symptome und wegen des hiermit verbundenen, auch finanziellen Aufwands davon abgesehen habe, sich in eine professionelle psychiatrische Behandlung zu begeben, komme es nicht an. Auch um den entstehenden Schaden so gering wie möglich zu halten, habe die Klägerin bislang darauf verzichtet, durch eine sich über Monate erstreckende Behandlung wiederholt tageweise Ausfälle des MS "S" zu provozieren. Die Klägerin habe somit ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet seien, der Klägerin alle, auch künftige Schäden zu erstatten, die ihr oder ihrem Ehemann aus den unfallbedingten psychischen Störungen erwachsen würden: Behandlungskosten, Betriebsunterbrechungsschäden, zusätzliche Fahrtkosten, entgangener Gewinn etc.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgerichts - Mainz vom 21. Juni 2013 (76 C 5/11 BSchRh) im Kostenpunkt aufzuheben und im übrigen dahingehend abzuändern, dass festgestellt wird, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr den materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr infolge der psychischen und psychosomatischen Belastung als Folge der Kollision vom 10. Oktober 2009 zwischen MS "S" und MS "M" bei Rhein-Kilometer 448 bereits entstanden ist und künftig noch entsteht.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und tragen im Wesentlichen vor:

Es müsse zunächst berücksichtigt werden, dass außer der Klägerin keiner der an Bord befindlichen Personen behaupte, durch den Anstoß und das zeitweise Verfallen des Schifffes auch nur irgendeine Beeinträchtigung erlitten zu haben. Auch habe die Klägerin erst kurz vor Eintritt der Verjährung eine angebliche Beeinträchtigung behauptet. Wenn sie jedoch tatsächlich einen körperlichen oder seelischen Schaden durch die Havarie erlitten hätte, hätte sie solches mit Sicherheit den Beklagten zu einem erheblich früheren Zeitpunkt mitgeteilt, um hierfür einen geldwerten Ausgleich zu beanspruchen. Es dränge sich geradezu zwangsläufig der Gedanke auf, dass die Klägerin sich eine „Geschichte“ zurecht gelegt habe, um aus der Havarie „noch mehr Geld herauszuholen“. Der Gerichtssachverständige habe die von der Klägerin selbst behaupteten Störungen im wesentlichen nicht zu bestätigen vermocht. Die Exploration durch den psychiatrischen Sachverständigen habe vielmehr ergeben, dass die Klägerin sich in ihren Gedanken durch zahlreiche Probleme beeinträchtigt fühle, die mit dem Havariefall wenn überhaupt nur in einem entfernten Zusammenhang stünden. Zudem ergebe sich aus dem Gutachten, dass die Klägerin schon vor dem Havarieereignis schreckhaft gewesen und bereits durch Kleinigkeiten aus der Ruhe zu bringen gewesen sei. Den Beklagten könne nicht angelastet werden, dass sich die Klägerin wegen ihrer schon vor dem Havariefall permanent vorhandenen Störung nicht in eine Therapie begeben habe; dies gehe vielmehr allein zu Lasten der Klägerin. Soweit sich die Klägerin schließlich auf einzelne Zitate aus dem Gerichtsgutachten berufe, gäben diese lediglich die bestrittenen Parteibehauptungen der Klägerin wieder, ohne dass dazu objektive Angaben über deren Wahrheitsgehalt gemacht werden könnten. 

Entscheidungsgründe: 

Die zulässige Berufung führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Rheinschifffahrtsgericht.

1. Der Tod des früheren Beklagten zu 1 steht einer Entscheidung der Berufungskammer nicht entgegen. Eine Unterbrechung des Rechtsstreits i.S.d. § 239 ZPO ist nicht eingetreten, weil der frühere Beklagte zu 1 anwaltlich vertreten war und eine Aussetzung nicht beantragt worden ist (§ 246 Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit wird nunmehr von der jetzigen Beklagten zu 1 als Rechtsnachfolgerin des früheren Beklagten zu 1 fortgeführt.

2. Die Begründung, mit der das Rheinschifffahrtsgericht die Feststellungsklage abgewiesen hat, hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

a) Die Haftung der Beklagten für die Folgen der Schiffskollision vom 10.10.2009 folgt aus den §§ 3, 92b BinSchG, § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 1.04 Buchst. b RheinSchPV. Die Berufungskammer nimmt insoweit in vollem Umfang Bezug auf die Ausführungen in dem den Parteien bekannten Urteil in dem Parallelverfahren vom 10. Dezember 2012 (470 Z - 3/12), an denen - was den Haftungsgrund anbelangt - auch für das Rechtsverhältnis der Beklagten zu der Klägerin festgehalten wird. Für die Verbindlichkeiten des früheren Beklagten zu 1 haftet die jetzige Beklagte zu 1 als dessen Alleinerbin gem. §§ 1922 Abs. 1, 1967 Abs. 1 BGB.

b) Entgegen der Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts hat die Klägerin infolge der Schiffskollision eine Gesundheitsbeeinträchtigung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB erlitten.

aa) Wenn - wie hier die Klägerin - ein von einem Unfall Betroffener psychische Schäden geltend macht, ist zwischen einer psychischen Primärverletzung und psychischen Sekundärschäden einer primären physischen Verletzung zu unterscheiden. Treten die psychischen Beeinträchtigungen haftungsbegründend durch die unmittelbare psychische Reaktion auf das Unfallgeschehen ein, kommt eine Haftung des Unfallverursachers nur in Betracht, wenn die Beeinträchtigungen selbst Krankheitswert besitzen, also eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen. Davon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen der Betroffene bei dem Unfall körperliche Verletzungen erlitten hat, die aufgrund psychischer Fehlverarbeitung zu psychosomatischen Beschwerden geführt haben. Insoweit geht es um die haftungsausfüllende Kausalität; für die Haftung des Schädigers genügt bereits die hinreichende Gewissheit, dass die psychisch bedingten Ausfälle ohne den Unfall nicht aufgetreten wären (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 344 m.w.N).

bb) Vorliegend kann offen bleiben (offengelassen auch von BGH, Urteil vom 12. November 1985 - VI ZR 103/84, NJW 1986, 777, 778), ob die von der Klägerin behaupteten psychischen Beeinträchtigungen unmittelbar durch das Erleben des Unfallgeschehens ausgelöst worden sind (Primärverletzung) oder ihrerseits einen Folgeschaden der bei dem Unfall ausweislich des von den Beklagten vorgelegten Attestes von Dr. Ritz vom 5. November 2009 erlittenen organischen Verletzungen (Prellmarken mit Hämatomen am rechten Oberschenkel, am rechten Kniegelenk und am linken Oberarm, Schock) darstellen. Nach den eindeutigen Feststellungen in dem von dem Rheinschifffahrtsgericht eingeholten Sachverständigengutachten hat die Klägerin eine im psychiatrischen Sinne relevante psychische Erkrankung erlitten, der deshalb auch ein Krankheitswert zukommt. Die Gutachter haben das Vorliegen von Angst und Depression gemischt in leichter bis mittelgradiger Ausprägung (ICD-10 F41. 2) festgestellt ohne Vorherrschen des einen oder anderen. Dass die psychische Erkrankung der Klägerin nicht schwerwiegend ist, steht der Annahme eines Gesundheitsschadens i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB nicht entgegen. Nach den weiteren Feststellungen des Gutachtens ist auch davon auszugehen, dass die Klägerin ohne den Unfall die von den Gutachtern festgestellte psychische Störung nicht entwickelt hätte.

cc) Es ist auch nicht aus sonstigen Gründen ausgeschlossen, den Beklagten diese psychischen Schäden zuzurechnen.

(1) Selbst wenn die seelisch bedingten Schäden auf einer psychischen Prädisposition oder einer neurotischen Fehlverarbeitung des Geschädigten beruhen, hat der Schädiger hierfür haftungsrechtlich grundsätzlich einzustehen. Eine Ausnahme gilt nur für Begehrens- und Rentenneurosen, in denen der Geschädigte den Vorfall in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherung lediglich zum Anlass nimmt, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen. Auch kann eine Haftungsbegrenzung in Fällen extremer Schadensdisposition des Geschädigten eingreifen; das ist jedoch nur dann der Fall, wenn das schädigende Ereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle), nicht gerade speziell die Schadensanlage des Verletzten trifft und deshalb die psychische Reaktion im konkreten Fall wegen ihres groben Missverhältnisses zum Anlass schlechterdings nicht mehr verständlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 346; Urteil vom 25. Februar 1997 – VI ZR 101/96, NJW 1997, 1640, 1641).

(2) Auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens liegt bei der Klägerin aber weder eine Begehrensneurose vor noch handelt es sich um eine Bagatelle im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Die Klägerin hat den Unfall gerade nicht zum Anlass genommen, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen, vielmehr hat sie auch nach den Feststellungen der Gutachter ihre Aufgaben an Bord weiterhin wahrgenommen und beabsichtigt dies auch in Zukunft weiter zu tun. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin aufgrund der Kollision unvermittelt aus dem Schlaf herausgerissen wurde und es sich um einen erheblichen Anstoß handelte, ist ihre psychische Reaktion auf das Unfallgeschehen auch nicht völlig unverständlich, sondern jedenfalls nachvollziehbar.

dd) Die weiteren Überlegungen des Rheinschifffahrtsgerichts stehen einer Haftung der Beklagten nicht entgegen.

(1) Dass die Klägerin ihren Beruf als Schiffsführerin weiterhin ausüben kann, ändert an der von den Gutachtern festgestellten unfallbedingten psychischen Beeinträchtigung nichts. Dies kann allerdings Auswirkungen auf die Höhe des von der Klägerin geltend gemachten Schmerzensgeldes haben.

(2) (Nur) für die Bemessung der Schmerzensgeldhöhe spielt es auch eine Rolle, ob und wenn ja in welchem Umfang die Klägerin zu ihrem derzeitigen Zustand mit beigetragen und ihn mitverschuldet (§ 254 Abs. 2 BGB) hat. Von dem Verletzten kann verlangt werden, dass er, soweit er dazu im Stande ist, zur Heilung oder Besserung seiner Krankheit oder Schädigung die nach dem Stande der ärztlichen Wissenschaft sich darbietenden Mittel anwendet. Er darf in der Regel nicht anders handeln als ein verständiger Mensch, der die Vermögensnachteile selbst zu tragen hat, es bei gleicher Gesundheitsstörung tun würde (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 Rn. 15). Die Feststellung der Sachverständigen, dass davon auszugehen sei, die Klägerin habe durch ihre Weigerung, einen Spezialisten für psychische Störung aufzusuchen, zur fehlenden Besserung der vorliegenden psychischen Symptome beigetragen, schließt deshalb den Schmerzensgeldanspruch der Klägerin nicht aus, ist jedoch im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes zum Nachteil der Klägerin zu berücksichtigen.

3. Die Abweisung der Klage durch das Rheinschifffahrtsgericht erweist sich auch nicht aus einem anderen Grund als richtig. Zwar ist der Feststellungsantrag mangels Feststellungsinteresses (§ 256 Abs. 1 ZPO) derzeit unzulässig. Hierbei handelt es sich aber um einen neuen Gesichtspunkt, der bislang in dem Rechtsstreit keine Rolle gespielt hat. Der Klägerin muss zur Wahrung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör Gelegenheit gegeben werden, sich hierzu zu äußern bzw. hierauf prozessual zu reagieren.

a) Soweit es um die begehrte Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für materielle Schäden geht, ist nicht dargetan, welche Schäden der Klägerin selbst durch den Unfall entstanden sein sollen oder noch zukünftig entstehen werden. Zu denken wäre insoweit zwar theoretisch an Kosten für eine medizinische Behandlung wegen der psychischen Schäden, soweit diese nicht ohnehin von einem Sozialversicherungsträger übernommen worden sind. Die Klägerin hat eine solche Behandlung aber gerade nicht durchführen lassen und auch nicht behauptet, dies in Zukunft zu tun.

Auf mögliche bereits entstandene oder noch entstehende materielle Schäden ihres Ehemannes, des Schiffseigners des MS "S", kommt es nicht an, weil sie nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind. Nach dem eindeutigen Klageantrag (Schaden, der "ihr" ... entstanden ist und künftig noch entsteht) beansprucht die Klägerin nur den Ersatz eigener Schäden. Ihre ergänzenden Hinweise in der Berufungsbegründung auf Schäden ihres Ehemannes (u.a. Betriebsunterbrechungsschäden, entgangener Gewinn) geben keinen Anlass, den Klageantrag entgegen dem Wortlaut dahingehend auszulegen, dass auch materielle Schäden ihres Ehemannes erfasst werden sollen. Dies ist bereits deshalb nicht interessegerecht, weil derartige materielle Schäden Gegenstand des durch einen Prozessvergleich beendeten Parallelverfahrens (76 C 2/10 Rheinschifffahrtsgericht Mainz) waren. Es kann nicht angenommen werden, dass dieselben Schadenspositionen zweimal geltend gemacht werden sollen, obwohl sie nur einmal verlangt werden können.

b) Bezogen auf bereits entstandene und zukünftige immaterielle Schäden (§ 253 Abs. 2 BGB) fehlt es deshalb an dem Feststellungsinteresse der Klägerin i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO, weil sie insoweit auf Leistung klagen kann.

aa) Verlangt ein Kläger für erlittene Körperverletzungen oder Gesundheitsschäden uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den zuerkannten Betrag alle diejenigen Schadensfolgen abgegolten, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet es, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2015 – VI ZR 27/14, NJW 2015, 1252 Rn. 8). Deshalb scheidet eine Klage auf Feststellung der Ersatzverpflichtung für künftige immaterielle Schäden aus, wenn ausschließlich voraussehbare Schädigungsfolgen in Betracht kommen, die von der Zubilligung des Schmerzensgeldes umfasst wären (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 2007 – VI ZR 133/06, NJW-RR 2007, 601 Rn. 13).

bb) So liegt der Fall aber hier. Auf der Grundlage des von dem Rheinschifffahrtsgericht eingeholten Sachverständigengutachtens können auch die zukünftigen psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin eindeutig bestimmt und in die Bemessung des Schmerzensgeldes mit einbezogen werden. Es stehen ausschließlich voraussehbare Schädigungsfolgen in Rede, die eine einheitliche Bemessung des Schmerzensgeldes ermöglichen. Die Klägerin hat deshalb die Möglichkeit, eine Klage auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und damit auf Leistung zu erheben. Ein schutzwürdiges Interesse, die Haftung der Beklagten für immaterielle Schäden feststellen zu lassen, besteht deshalb nicht. Die Klägerin wird hierdurch auch nicht unzumutbar in ihren Rechtsschutzmöglichkeiten eingeschränkt. Solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar war, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden musste und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben müssen, werden von der vom Gericht ausgesprochenen Rechtsfolge nicht umfasst und können deshalb Grundlage für einen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld sein (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 2006 – VI ZR 322/04, NJW-RR 2006, 712 Rn. 7).

cc) Die Zulässigkeit der Feststellungsklage lässt sich auch nicht damit begründen, dass der Klägerin die Bezifferung des Anspruches nicht möglich ist, weil dessen Höhe dem Ermessen des Gerichts unterliegt (§ 253 Abs. 2 BGB). Ihr steht nämlich die unbezifferte Leistungsklage zur Verfügung (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13, NJW 2014, 939 Rn. 54 ff.). Allerdings muss ein Kläger, um dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen, auch bei unbezifferten Leistungsanträgen nicht nur die tatsächlichen Grundlagen, sondern auch die Größenordnung des geltend gemachten Betrages so genau wie möglich angeben (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 350). Hieran fehlt es derzeit noch, weil die Klägerin in der Klageschrift für den gesamten Feststellungsantrag, d. h. ohne weitere Differenzierung bezogen auf alle bereits entstandenen und zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden den Streitwert pauschal mit 10.000 € angegeben hat.

4. Die Sache ist hiernach nicht entscheidungsreif. Auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstands und der bislang gestellten Klageanträge kann der Klage weder stattgegeben werden noch kommt eine Klageabweisung in Betracht. Die Berufungskammer macht im Hinblick auf die noch klärungsbedürftigen Fragen von der ihr gemäß Art. 24 Abs. 3 der Verfahrensordnung eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die Sache unter Aufhebung des Urteils an das Rheinschifffahrtsgericht zurückzuverweisen.

Aus den dargelegten Gründen wird daher für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgerichts – Mainz vom 21. Juni 2013 – 76 C 5/11 BSchRh – aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Rheinschifffahrtsgericht zurückverwiesen.

Die Gerichtskanzlerin:                                                                                  Der Vorsitzende: