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Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 18. September 2013
472 Z - 6/13
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar vom 13. Oktober 2011 - 4 C 6/10 BSchRh -)
Im Rechtsstreit
Vereniging O
Klägerin, Berufungsklägerin und Anschlussberufungsbeklagte
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Dr. v. W.
Plädierender Rechtsanwalt: RA Dr. Dr. v. W.
gegen
1. E S.A.R.L., Luxemburg
2. EN
Beklagte, Berufungsbeklagte und Anschlussberufungskläger
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte NJP GROTSTOLLEN
Plädierender Rechtsanwalt: RA GROTSTOLLEN
hat die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt in Straßburg nach öffentlicher Verhandlung vom 6. Juni 2013, an welcher teilgenommen haben die Richter Frau GEBHARDT (Vorsitzende), die Herren BALL, DE SAVORNIN LOHMAN, RAPP, VERSTREKEN und in Anwesenheit der Gerichtskanzlerin, Frau TOURNAYE, gestützt auf Art. 37 und 45bis der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17.10.1868 in der Fassung vom 20.11.1963 sowie des Art. III ihres Zusatzprotokolls Nr. 3 vom 17.10.1979, folgendes Urteil gefällt:
Es wird Bezug genommen auf:
1. das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar vom 13. Oktober 2011, das der Klägerin am 18. Oktober 2011 und den Beklagten am 19. Oktober 2011 zugestellt worden ist;
2. die Berufungsschrift der Klägerin vom 11. November 2011, eingegangen beim Rheinschifffahrtsgericht St. Goar am 14. November 2011;
3. die Berufungsbegründungsschrift der Klägerin vom 7. Dezember 2011, eingegangen beim Rheinschifffahrtsgericht St. Goar am 14. Dezember 2011;
4. die Anschlussberufung und Berufungserwiderung der Beklagten vom 18. Januar 2012, eingegangen beim Rheinschifffahrtsgericht St. Goar am 19. Januar 2012;
5. die Akten 4 C 6/10 BSch des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar.
6. die Verklarungsakten 4 II 1/10 BSch des Schifffahrtsgerichts St. Goar
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Verantwortlichkeit für eine Havarie des SV „H I/H II“, bestehend aus MS „H I“ (Länge 104 m, Breite 11,45 m, Tragfähigkeit 2449 t, Motorleistung zweimal 1176 kW) und dem vorgespannten Schubleichter „H II“ (Länge 78,8 m, Breite 11,45 m, Tragfähigkeit 2015 t) am 18. Januar 2010 bei Rheinkilometer 532 in der Ortslage Assmannshausen.
Die Klägerin nimmt als Flusskaskoversicherer beider Fahrzeuge, deren Eignerin die niederländische Knossos Shipping B.V. ist, die Beklagte zu 1 als Ausrüsterin und den Beklagten zu 2 als Schiffsführer des TMS „E“ (Länge 110 m, Breite 11,45 m, Tragfähigkeit 2540 t, Maschinenleistung 975 kW) auf Schadensersatz in Anspruch.
In der Nacht vom 17. auf den 18. Januar 2010 befuhr der von Schiffsführer S geführte mit 145 Containern auf etwa 2 m abgeladene SV „H I/H II“ den Rhein mit einer Geschwindigkeit von geschätzten 9 km/h zu Berg. Gegen 1.00 Uhr schloss er bei Rheinkilometer 533,8 auf das mit 6 bis 7 km/h über Grund vorausfahrende TMS „E“ auf. Nachdem er sich über Sprechfunk bei einem weiter voraus fahrenden Bergfahrer (MS „G“) vergewissert hatte, dass keine Talfahrt im Revier war, kündigte Schiffsführer S gegenüber dem Beklagten zu 2 über Funk ein Überholmanöver an Backbord an, mit dem dieser sich einverstanden erklärte. Schiffsführer S erhöhte daraufhin die Geschwindigkeit des SV „H I/H II“ auf 10 km/h und leitete das Überholmanöver ein. Während des Überholvorgangs geriet TMS „E“, das zuvor linksrheinisch am grünen Tonnenstrich gefahren war, nach Backbord, so dass Schiffsführer S sich veranlasst sah, seinerseits nach Backbord in Richtung auf das rechtsrheinische Ufer auszuweichen. Dabei lief der Schubverband bei Rheinkilometer 532 am rechtsrheinischen Rand der Fahrrinne auf Grund, wobei die Kette der dort ausgelegten roten Tonne in eine der Schrauben des Schubverbands geriet.
Durch die Havarie sind an SV „H I/H II“ Schäden entstanden, deren Reparatur nach der kontradiktorischen Schadenstaxe 81.236,37 € kostet. Darüber hinaus macht die Klägerin aus abgetretenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin einen Nutzungsausfallschaden in der behaupteten Höhe von 36.626,30 €, Sachverständigenkosten von 5.084,40 € und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 1.980,40 €, jeweils nebst Zinsen, geltend.
Die Klägerin hat im Wesentlichen vorgetragen:
Verantwortlich für die Havarie sei allein der Beklagte zu 2. Er sei mit TMS „E“, das seine Geschwindigkeit nicht nennenswert reduziert habe, während des Überholvorgangs immer mehr in die Fahrrinnenmitte geraten. Bei Rheinkilometer 532,2 bis 532,3 seien beide Schiffe mit den Steuerhäusern auf gleicher Höhe und mit einem seitlichen Abstand von nur noch 10 m voll im rechtrheinischen Teil der Fahrrinne gewesen. Trotz gegensteuernden Einsatzes der Bugstrahlruder durch Schiffsführer S habe TMS „E“ den Schubverband so weit nach rechtsrheinisch abgedrängt, dass dieser sich schließlich bei Rheinkilometer 532 auf Höhe der rechtsrheinischen Tonnenlinie festgefahren habe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten zu 1 und 2 gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin 118.946, 07 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14. Juni 2010 und 1.980,40 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
festzustellen, dass die Beklagten zu 1 und 2 gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin den darüber hinausgehenden Schaden aus Anlass der Havarie des Koppelverbandes „H I/ H II“ am 18. Januar 2010 bei Assmannshausen zu ersetzen,
und den Beklagten gesamtschuldnerisch die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Verklarungsverfahrens des Schifffahrtsgerichts St. Goar, Az. 4 II 1/10 BSch, aufzuerlegen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Verklarungsverfahrens des Schifffahrtsgerichts St. Goar, Az. 4 II 1/10 BSch, aufzuerlegen.
Sie haben im Wesentlichen vorgetragen:
SV „H I/H II“ sei nicht von TMS „E“ nach rechtrheinisch abgedrängt, sondern von den im Bereich von Rheinkilometer 533 herrschenden Querströmungen an den Rand des rechtsrheinischen Fahrwassers gedrückt worden. TMS „E“ sei zwar durch die Querströmung ebenfalls in Richtung Fahrrinnenmitte, aber zu keinem Zeitpunkt in den rechtrheinischen Teil der Fahrrinne geraten. Unzutreffend sei auch die Behauptung, TMS „E“ habe während des Überholvorgangs seine Geschwindigkeit nicht nennenswert reduziert. Tatsächlich habe der Beklagte zu 2 die Maschinenleistung von 340 auf 320 Wellenumdrehungen reduziert, so dass die Geschwindigkeit des TMS „E“ im Bereich der Leisten (Rheinkilometer 532,2/3) nur noch etwa 2,8 bis 3 km/h über Grund betragen habe.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 17. November 2010 Beweis erhoben durch Einholung eines nautischen Gutachtens des Sachverständigen F vom 23. Februar 2011, das dieser im Termin vom 4. August 2011 mündlich erläutert hat.
Mit Grundurteil vom 13. Oktober 2011 hat das Rheinschifffahrtsgericht die Klage dem Grunde nach zu einem Viertel für gerechtfertigt erklärt und sie im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Beide Schiffsführer seien – in unterschiedlichem Umfang – für die Havarie des SV „H I/H II“ verantwortlich. Die Beklagten hafteten daher nach §§ 92 Abs. 2, 92b, 2, 3 BinSchG, § 823 Abs. 1, Abs. 2 in Verbindung mit § 6.09 Nr. 2 RheinSchPV. Andererseits liege auch ein Fehlverhalten des Schiffsführers des SV „H I/H II“ im Hinblick auf §§ 1.04, 6.03, 6.09 und 6.20 RheinSchPV vor, das nach § 92c BinSchG zu berücksichtigen sei.
Die Klägerin habe allerdings nicht beweisen können, dass der Beklagte zu 2 aus von ihm zu verantwortenden Umständen den grünen Tonnenstrich verlassen habe. Vielmehr stehe aufgrund der Angaben des Schiffsführers S im Verklarungsverfahren und den Ausführungen des Sachverständigen F fest, dass TMS „E“ durch die Querströmung im Bereich der Unfallstelle und die von dem überholenden Schubverband ausgehende Ansaugwirkung in die Flussmitte gezogen beziehungsweise geschoben worden sei.
Der einzige Fehler, den der Beklagte zu 2 im Rahmen des Überholmanövers begangen habe, sei aufgrund der nachvollziehbaren Einschätzung des Sachverständigen darin zu sehen, dass der Beklagte zu 2, als er bemerkt habe, dass er mit seinem Schiff weiter in Richtung Flussmitte gerate, nicht Vollgas gegeben habe, um die Fahrrinne wieder so schnell wie möglich für den überholenden Schubverband wieder so breit wie möglich zu machen. Die gut gemeinte Absicht des Beklagten zu 2, das Überholmanöver des SV „H I/H II“ durch eine Geschwindigkeitsreduzierung zu unterstützen, sei kontraproduktiv gewesen. Sie sei auch nicht als Maßnahme des letzten Augenblicks entschuldigt, da der Beklagte zu 2 sich nach seinen Bekundungen im Verklarungsverfahren gar nicht bewusst gewesen sei, dass die von seinem Schiff ausgehende Fahrrinnenverengung dazu geführt habe, dass der Schubverband immer mehr an den roten Tonnenstrich geraten sei.
Allerdings handele es sich bei dem Fehlverhalten des Beklagten zu 2 um ein Sekundärverschulden; denn wäre er nicht überholt und dabei von SV „H I/H II“ angesaugt worden, wäre die Kursabweichung nicht so gravierend ausgefallen und mit einfachem Gegensteuern wieder zu korrigieren gewesen, wie sowohl der Beklagte zu 2 als auch der Sachverständige bestätigt hätten.
Den Schiffsführer des Schubverbands treffe demgegenüber das Primärverschulden, weil er an einer in der Schifffahrt allgemein bekannten Gefahrenstelle oberhalb des Clemensgrundes einen Überholvorgang eingeleitet habe. Er habe wissen müssen, dass die Bergfahrt zum Ausgleich der erheblichen Querströmung nach Steuerbord gegensteuern müsse, so dass zwangsläufig das Heck mehr in Richtung Fahrrinnenmitte gerate. Schiffsführer S hätte daher den erhöhten Raumbedarf einkalkulieren und zudem das Ansaugphänomen während des Überholvorgangs bedenken müssen. Deren Nichtberücksichtigung bei Beginn des Überholvorgangs stelle einen Verstoß gegen § 6.03 Nr. 1 und § 6.09 Nr. 1 RheinSchPV dar. Außerdem habe Schiffsführer S im Hinblick auf § 6.20 Nr. 1 RheinSchPV die unzulässige Sogwirkung seines Schiffes durch schnelle Vorbeifahrt im Bereich einer dies unterstützenden Querströmung missachtet. Bei dieser Sachlage sei das Verschulden des Schiffsführers des SV „H I/H II“ wesentlich gravierender als das des Beklagten zu 2, so dass eine Haftungsquote von 75 zu 25 zu Lasten der Klägerin angemessen sei.
Gegen dieses ihr am 18. Oktober 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 14. November 2011 eingegangenen Schriftsatz Berufung mit dem Antrag auf Entscheidung durch die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt eingelegt und das Rechtsmittel mit einem weiteren, am 14. Dezember 2011 eingegangenen Schriftsatz begründet. Die Beklagten haben mit einem vorab am 18. Januar 2012 per Telefax eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag Anschlussberufung eingelegt und diese zugleich begründet.
Die Klägerin wendet sich unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens gegen die Beurteilung der Verursachungsbeiträge und der Verschuldensfrage durch das Rheinschifffahrtsgericht. Sie trägt im Wesentlichen vor:
TMS „E“ habe während des Überholvorgangs seinen Kurs nach Backbord geändert; daher trügen die Beklagten die Beweislast dafür, dass die Kursänderung gefahrlos und deshalb zulässig gewesen sei. Dies hätten die Beklagten nicht einmal behauptet, sie könnten es jedenfalls nicht beweisen. Die Bewertung des Rheinschifffahrtsgerichts, der einzige Fehler des Beklagten zu 2 während des Überholmanövers habe darin bestanden, dass er nicht Vollgas gegeben habe, werde zur Überprüfung durch die Berufungskammer gestellt. Tatsächlich habe es der Beklagte zu 2 rechtswidrig und schuldhaft versäumt, den bekannten Querströmungen durch rechtzeitiges Steuerbordmanöver entgegenzuwirken. Hätte er dies getan, so hätte er seinen ursprünglich guten Kurs an der grünen Tonnenlinie jedenfalls im Wesentlichen beibehalten können, ohne dass es zu irgendwelchen Ansaugphänomenen oder Ähnlichem gekommen wäre (Beweis: Sachverständigengutachten).
Die Annahme des Rheinschifffahrtsgerichts, Schiffsführer S habe die schifffahrtsübliche Fahrweise der Bergfahrt oberhalb des Clemensgrundes missachtet, entbehre jeder Grundlage. Schiffsführer S habe sehr wohl die von linksrheinisch absetzende Querströmung beachtet und sein Überholmanöver darauf eingerichtet. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass der linksrheinisch fahrende Bergfahrer rechtzeitige nautische Maßnahmen zur Beherrschung der Querströmung unterlassen werde. Es treffe daher auch nicht zu, dass Schiffsführer S den erhöhten Raumbedarf der Bergfahrt im Bereich der Querströmung nicht einkalkuliert hätte. Erhöhter Raumbedarf bedeute aber nicht, dass der überholte Bergfahrer plötzlich nahezu die gesamte Fahrrinne in Anspruch nehme. Schiffsführer S habe auch nicht das Ansaugphänomen unterschätzt; vielmehr habe er nicht damit rechnen müssen, dass es im Verlauf des Überholmanövers zu einer pflichtwidrigen Annäherung des TMS „E“ und damit in Zusammenhang stehenden Ansaugphänomenen kommen würde. Den Beklagten zu 2 treffe daher das alleinige Verschulden, zumindest aber ein überwiegendes, mit 75 % zu veranschlagendes Mitverschulden an der Havarie des SV „H I/H II“.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagten zu 1 und 2 gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin 118.946, 07 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14. Juni 2010 und 1.980,40 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
festzustellen, dass die Beklagten zu 1 und 2 gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin den darüber hinausgehenden Schaden aus Anlass der Havarie des Koppelverbandes „H I/ H II“ am 18. Januar 2010 bei Assmannshausen zu ersetzen,
und den Beklagten gesamtschuldnerisch die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Verklarungsverfahrens des Schifffahrtsgerichts St. Goar, Az. 4 II 1/10 BSch, aufzuerlegen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils insgesamt abzuweisen.
Sie treten dem Berufungsvorbringen der Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens entgegen und machen im Wesentlichen geltend:
Gemessen an den strengen Anforderungen des § 6.09 Abs. 1 RheinSchPV sei das Überholmanöver des SV „H I/H II“ in Anbetracht der starken Querströmung nicht zulässig gewesen. Zu Unrecht versuche die Klägerin, die Positionsverlagerung des TMS „E“ nach Backbord als Kursänderung hinzustellen. TMS „E“ sei von der gravierenden Querströmung in Richtung Flussmitte gedrückt worden. Dem entgegenwirkend habe der Beklagte zu 2 das Ruder in Steuerbordfahrt ausgerichtet, was aber ein Ausweichen des Hecks nach Backbord bewirkt habe. Dadurch habe für TMS „E“ ebenso wie für den der gleichen Strömung ausgesetzten SV „H I/H II“ ein erhöhter Raumbedarf bestanden, den Schiffsführer S hätte bedenken müssen. Offenbar habe er aber mit der Querströmung nicht gerechnet. Nautisch fehlerhaft sei es ferner gewesen, dass Schiffsführer S den von seinem wesentlich stärker motorisierten Schiff ausgehenden starken Sog durch Erhöhung seiner Geschwindigkeit auf 10 km/h noch verstärkt habe. Schiffsführer S hätte richtigerweise seine Geschwindigkeit etwas verringern müssen, zumal er damit habe rechnen müssen, dass der Beklagte zu 2 als Vorausfahrender das Überholmanöver wie geboten durch Verminderung seiner Fahrgeschwindigkeit unterstützen und dadurch an Kursstabilität einbüßen würde. Der Beklagte zu 2 habe unter den gegebenen Umständen, wie das Rheinschifffahrtsgericht zutreffend erkannt habe, sein Schiff nicht am Tonnenstrich halten können (Beweis: Sachverständigengutachten).
Zu Unrecht habe das Rheinschifffahrtsgericht dagegen dem Beklagten zu 2 ein Mitverschulden an der Havarie des SV “H I/H II“ angelastet. Die Reduzierung der Geschwindigkeit des TMS „E“ im Bereich der Leisten sei richtig und dazu bestimmt gewesen, dem bereits auf gleicher Höhe fahrenden Schubverband einen beschleunigten Abschluss des Überholmanövers zu ermöglichen. Zumindest aber sei die Geschwindigkeitsreduzierung als Manöver des letzten Augenblicks entschuldigt, ohne dass es darauf ankommen könne, ob der Beklagte zu 2 die Gefahrensituation erkannt gehabt habe. Nicht bewiesen sei zudem, dass die Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit des TMS „E“ überhaupt noch Einfluss auf das Geschehen gehabt habe. Diese sei erst kurz vor dem Abbruch des Überholmanövers erfolgt, durch den Schiffsführer S Kraft aus der Maschine des Schubverbands genommen habe, was zum Verlust der Kursstabilität geführt habe.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Anschlussberufung der Beklagten ist dagegen begründet und führt zur vollständigen Klageabweisung.
Eine Ersatzpflicht der Beklagten für den an SV „H I/H II“ entstandenen Schaden setzt gemäß § 823 Abs. 1, 2 BGB, §§ 3, 92 ff. BinSchG ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 2 als Schiffsführer des TMS „E“ voraus, das für das Festfahren des Schubverbands am rechtsrheinischen Rand der Fahrrinne ursächlich war.
Ein solches Verhalten behauptet die Klägerin, indem sie vorträgt, der Beklagte zu 2 sei mit TMS „E“, das seine Geschwindigkeit nicht nennenswert reduziert habe, während des Überholvorgangs immer mehr in die Fahrrinnenmitte geraten, so dass er bei Rheinkilometer 532,2 bis 532,3 mit einem seitlichen Abstand von nur noch 10 m voll im rechtrheinischen Teil der Fahrrinne gewesen sei und den Schubverband so weit nach rechtsrheinisch abgedrängt habe, dass dieser sich schließlich bei Rheinkilometer 532 auf Höhe der rechtsrheinischen Tonnenlinie festgefahren habe.
Die Beklagten bestreiten dies. Nach ihrer Behauptung ist TMS „E“ zwar durch die linksrheinisch einsetzende Querströmung in Richtung Fahrrinnenmitte, aber zu keinem Zeitpunkt in den rechtrheinischen Teil der Fahrrinne geraten. Wenn dies zutrifft, fehlt es schon an einem für die Festfahrung kausalen Verhalten des Beklagten zu 2. Denn wenn dem Schubverband zur Durchführung des Überholvorgangs jedenfalls die gesamte rechtsrheinische Hälfte der 100 m breiten Fahrrinne zur Verfügung stand, kann von einem Abdrängen des Schubverbands durch TMS „E“ an den roten Tonnenstrich keine Rede sein.
Die Beweisaufnahme hat kein eindeutiges Ergebnis erbracht.
Zwar hat der Zeuge S, Schiffsführer des SV „H I/H II“, bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren ausgesagt, als er habe überholen wollen, sei TMS „E“ „immer mehr in die Flussmitte, also in die Fahrrinnenmitte (geraten)“. Als er bemerkt habe, dass die „Eiltank“ „immer weiter in Richtung Flussmitte“ gekommen sei, sei er selbst immer weiter nach Backbord ausgewichen, bis er an der roten Tonne gefahren sei. Als es dann „ganz gefährlich“ geworden sei und die Steuerhäuser beider Schiffe auf gleicher Höhe gewesen seien, habe der Innenabstand zwischen beiden Schiffen nur noch etwa 10 m und der seitliche Abstand der Steuerbordseite der „Eiltank“ zur grünen Tonne mindestens 50 m betragen.
Der Zeuge D, zweiter Schiffsführer auf dem SV „H I/H II“, hat den Abstand der Steuerbordseite des TMS „E“ zu den grünen Tonnen dagegen auf nur ca. 40 m geschätzt.
Und der Schiffsführer E von TMS „E“, der Beklagte zu 2, hat ausgesagt, er sei zwar wegen der Querströmung etwas mehr in die Flussmitte geraten, aber nicht weiter als 30 m vom grünen Tonnenstrich entfernt gewesen; SV „H I/H II“ habe in einem Abstand von etwa 25 m bzw. 20 bis 30 m überholt.
Unbeteiligte Zeugen des Unfallgeschehens sind nicht vorhanden. Das vom Rheinschifffahrtsgericht eingeholte Gutachten des Sachverständigen F und dessen mündliche Erläuterung durch den Sachverständigen haben gleichfalls keinen Aufschluss über die Lage der beteiligten Fahrzeuge vor der Havarie erbracht. Der Sachverständige hat zwar ausgeführt, die gravierende Querströmung im Unfallstellenbereich führe dazu, dass ein (linksrheinisch fahrender) Bergfahrer mehr in Richtung Flussmitte gedrückt werde und dass er, um am grünen Tonnenstrich zu bleiben, das Ruder mehr nach Steuerbord stellen müsse. Dies bewirke allerdings, dass das Heck eines Bergfahrers zwangsläufig mehr nach Backbord ausweiche und damit mehr in Richtung Flussmitte gerate. Durch das so genannte Driften entstehe also ein höherer Breitenbedarf. Wenn dann zusätzlich durch das Überholmanöver eine Ansaugwirkung entstehe, verliere der (vorausfahrende) Bergfahrer weiter an Fahrt und werde dadurch und durch die vom linksrheinischen Ufer herrührende Strömung weiter in die Flussmitte gezogen bzw. geschoben.
Diesen Ausführungen ist zwar zu entnehmen, dass Querströmung und Ansaugwirkung zwangsläufig dazu führten, dass TMS „E“ in Richtung Flussmitte geriet; eine Antwort auf die entscheidende Frage, wie weit TMS „E“ sich dadurch vom grünen Tonnenstrich entfernte, ist den Ausführungen des Sachverständigen jedoch nicht zu entnehmen.
Damit ist nicht bewiesen, dass TMS „E“ während des Überholmanövers über die Fahrrinnenmitte hinaus in die rechtsrheinische Fahrrinnenhälfte gelangte und den Schubverband an den rechtsrheinischen Fahrrinnenrand abdrängte. Diese Ungewissheit geht zu Lasten der Klägerin; sie trägt die Beweislast für diejenigen Tatsachen, die für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch anspruchsbegründend sind. Zu Unrecht hält die Klägerin dem entgegen, die Beweislast liege bei den Beklagten, weil TMS „E“ während des Überholvorhangs seinen Kurs geändert habe. Eine absichtliche Kursänderung haben die Beklagten bestritten; Gegenteiliges hat die Klägerin nicht substantiiert behauptet, jedenfalls nicht unter Beweis gestellt. Der Umstand, dass TMS „E“ durch Querströmung und Ansaugeffekt in Richtung Flussmitte geriet, stellt keine Kursänderung dar. Nach den auf das Gutachten des Sachverständigen F gestützten Feststellungen des Rheinschifffahrtsgerichts führt vielmehr die gravierende Querströmung im Bereich der Unfallstelle dazu, dass ein Bergfahrer mehr in Richtung Flussmitte gedrückt wird.
Die Behauptung der Klägerin, der Beklagte zu 2 habe es rechtswidrig und schuldhaft versäumt, den bekannten Querströmungen durch rechtzeitiges Steuerbordmanöver entgegenzuwirken, haben die Beklagten bestritten. Tauglichen Beweis für ihre Behauptung hat die Klägerin nicht angetreten. Die von ihr beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens ist zur Beweisführung offensichtlich ungeeignet, weil schon nicht feststeht und auch nicht festgestellt werden kann, dass TMS „E“ durch die Querströmung mehr als 30 m vom grünen Tonnenstrich abgekommen ist. Ob der Beklagte zu 2 diesen seitlichen Abstand noch hätte geringer halten können, ist unerheblich, weil bei diesem Abstand dem Schubverband für das Überholmanöver die volle rechtsrheinische Fahrrinnenhälfte und damit ausreichend Raum zur Verfügung stand.
Ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 2 als Schiffsführer des TMS „E“, das für das Festfahren des Schubverbands am rechtsrheinischen Rand der Fahrrinne ursächlich war, kann entgegen der Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts auch nicht darin gesehen werden, dass der Beklagte zu 2 während des Überholvorgangs nicht Vollgas gegeben hat, um die Fahrrinne so schnell wie möglich für den überholenden Schubverband wieder so breit wie möglich zu machen. Aus § 6.09 Nr. 2 RheinSchPV lässt sich eine dahin gehende Verhaltenspflicht nicht herleiten; nach § 6.09 Nr. 2 Satz 2 RheinSchPV muss bei einem Überholvorgang der Vorausfahrende vielmehr nötigenfalls seine Geschwindigkeit vermindern, um ein gefahrloses und möglichst schnelles Überholen zu ermöglichen. Davon abgesehen bieten die Ausführungen des Sachverständigen F auch in tatsächlicher Hinsicht keine Grundlage für die Annahme des Rheinschifffahrtsgerichts. Denn nach der Einschätzung des Sachverständigen hätte es „die Situation auch nicht entschärft“, wenn der Schiffsführer des TMS „E“, um den Versatz seines Fahrzeugs nach Backbord auszugleichen, die Hauptmaschine auf volle Leistung und das Ruder auf Hart-Steuerbord gelegt hätte. In Anbetracht dessen fehlt es jedenfalls an einem Verschulden des Beklagten zu 2 im Hinblick auf das unterbliebene Vollgasgeben. Zudem ist, wie bereits dargelegt wurde, nicht bewiesen, dass TMS „E“ mehr als 30 m vom grünen Tonnenstrich nach rechtsrheinisch abgekommen ist; bei dieser Lage im Strom bestand für den Beklagten zu 2 keine Veranlassung, den Überholvorgang anders als durch Herabsetzung der eigenen Geschwindigkeit zu unterstützen.
Aus den dargelegten Gründen wird daher für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgerichts – St. Goar vom 13. Oktober 2011 – 4 C 6/10 BSchRh –wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird das vorgenannte Urteil geändert, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Gerichtskanzlerin: Die Vorsitzende: