Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Rechtsverordnungen der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (wie die Rheinschiffsuntersuchungsordnung) werden von den Mitgliedsstaaten nach unterschiedlichen, jeweils eigenen Modalitäten durch Beschluss in Kraft gesetzt, in Frankreich durch Veröffentlichung im Amtsblatt der französischen Republik. Die Rheinschiffsuntersuchungsordnung, die am 31. Dezember 2008 weggefallen ist und durch die Binnenschiffsuntersuchungsordnung ersetzt wurde, ist in Frankreich weiterhin geltendes Recht.
2) Die Bemannungsvorschriften der Rheinschiffsuntersuchungsordnung sind zwingendes Recht; es ist nicht zulässig, vom Wortlaut dieser Bemannungsvorschriften abzuweichen. Sind die Vorschriften dieser Verordnung nach ihrem Wortlaut nicht erfüllt, ist ein Schiff unterbemannt, auch wenn - im Einzelfall - eine insgesamt deutlich überqualifizierte Mannschaft an Bord ist.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt
vom 17. März 2011
Aktenzeichen 462 P - 1/11
(Rheinschifffahrtsgericht Straßburg)
Die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt in Straßburg hat nach öffentlicher Verhandlung ..., gestützt auf die Artikel 37 und 45bis der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17. Oktober 1868 in der Fassung vom 20. November 1963 folgendes Urteil gefällt:...
I. Tatbestand und Verfahren bis zur Berufungserklärung
Am 8. August 2009 um 15.10 Uhr kontrollierte die Schifffahrtspolizei den Schubverband LAURENT mit seinem Leichter LAURENS bei Stromkilometer 318 in der Gemarkung der Gemeinde DRUSENHEIM. Der mit Containern beladene Schubverband fuhr mit Zielort BASEL in der Betriebsform B mit Fahrtenschreiber und einer Besatzung bestehend aus zwei patentierten Schiffsführern, drei Steuermännern und einem Decksmann.
Eine erste Zuwiderhandlung wurde festgestellt auf Grund der Tatsache, dass sich unter den Besatzungsmitgliedern kein Maschinist oder Motorwart-Matrose befand, was bei dieser Art von Fahrt in der Betriebsform B S2 Vorschrift ist.
Zudem war die Besatzung für die Fahrten vom 6. bis 8. August 2009 nicht in das Bordbuch eingetragen, so dass die Polizisten eine zweite Zuwiderhandlung zu Protokoll nahmen, nämlich Fahren ohne ordnungsgemäß ausgefülltes Bordbuch an Bord.
Schließlich wurde eine dritte Zuwiderhandlung festgestellt, indem der Kapitän, B, beschloss, seine Fahrt trotz nicht vorschriftsmäßiger Besatzung fortzusetzen, wohingegen der Schubverband hätte festmachen und den fehlenden Maschinisten ergänzen müssen.
B gab bei seiner Vernehmung durch die Polizeibeamten zu, dass die drei Steuermänner kein Patent hatten und dass die Besatzung nicht auf Seite 151 im Bordbuch Nr. 4 eingetragen war. Er war der Auffassung, dass ein Steuermann als Ersatz für den Maschinisten ausreichend sei und setzte seine Fahrt fort.
B, wohnhaft in Deutschland, wurde, da er im Ausland lebt, am 7. Mai 2010 durch Zustellungsurkunde an die Staatsanwaltschaft und an die von ihm angegebene Adresse, nämlich die seines Arbeitsgebers ... in Basel (Empfang quittiert am 21. Mai 2010) vorgeladen. Er erschien zu der Verhandlung. Nach den von der Gerichtskanzlerin in das Vernehmungsprotokoll eingetragenen Vermerke, hat B erklärt, dass die Besatzung aus 4 Steuermännern - allesamt Patentinhaber - bestand, und nicht aus 3 Steuermännern ohne Patent und einem Decksmann, und hinzugefügt, ein Steuermann sei qualifizierter als ein Decksmann und habe sämtliche Befähigungen eines Motorwart-Matrosen. Er hat seine Aussagen gegenüber den vernehmenden Polizisten abgestritten.
Mit seinem Urteil vom 28. Juni 2010 verurteilte das Rheinschifffahrtsgericht Straßburg B zu einer Bußgeldstrafe von 150 € wegen unvorschriftsmäßig ausgefüllten Bordbuchs, zu einem Bußgeld von 250 € wegen Fahrens ohne Mindestbesatzung oder nicht mit der für die angegebenen Betriebsform vorgeschriebenen Besatzung so wie zu einem Bußgeld von 250 € wegen Führens eines Schiffes ohne Berücksichtigung der Vorschriften für die Fortsetzung einer Fahrt bei Fehlen eines Besatzungsmitgliedes und zur Zahlung der Verfahrenskosten.
B legte mit einfachem Schreiben, das am 19. Juli 2010 in der Gerichtskanzlei einging, vor der Berufungskammer der Zentralkommission für die Reinschifffahrt gegen dieses Urteil Berufung ein und benannte einen Rechtsanwalt für die Zustellungen. Von der Staatsanwaltschaft wurde keine Anschlussberufung eingelegt.
II. Standpunkt der Parteien
B bestreitet in seinem Berufungserklärungsschreiben vom 6. Juli 2010, gegen die Vorschrift der Mindestbesatzung verstoßen zu haben, indem er geltend macht, dass sich an Bord zwei Schiffsführer mit Patent und vier Steuermänner befanden, ohne dieses Mal anzugeben, dass letztere ein Patent gehabt hätten. Seiner Meinung nach war die Qualifizierung der Besatzung also höher als gesetzlich vorgeschrieben.
Zudem macht der Geladene geltend, dass die Vorschrift, die Gegenstand der Ladung ist, nicht mehr gültig ist. (,Die Rheinschiffsuntersuchungsordnung wurde vor dem hier streitbefangenen Vorfall ersetzt durch die Binnenschiffsuntersuchungsordnung`).
III. Rechtliche Würdigung und Begründung der Entscheidung
1) Zulässigkeit der Berufung:
Laut Artikel 37, Absatz 2 der Revidierten Schifffahrtsakte muss die Berufung innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung des Urteils erfolgen. Das Rechtsmittel ist nach den Landesgesetzen einzulegen, somit in Frankreich durch Berufungserklärung. Im vorliegenden Fall erfolgte die Erklärung am 20. Juli 2010 durch Übertragung eines am Vortag, dem 19. Juli 2010, eingegangenen Schreibens, wobei das Urteil kontradiktorisch am 28. Juni 2010 ergangen war.
Die Begründung des Rechtsmittels, die innerhalb von 30 Tagen nach der Berufung zu schicken ist, ist in der Berufungserklärung in eben diesem Brief erfolgt, somit also vor dem 28. Juli 2010 und erfüllt Absatz 3 des vorgenannten Artikels 37.
Folglich ist die Berufung zulässig.
2) Rechtsgültigkeit der dem Tatvorwurf zugrunde liegenden Texte:
Laut Gründungsvertrag liegt die Zuständigkeit für die Erlassung von Rechtsverordnungen bei der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (ZKR). Jeder Staat ist verpflichtet, die einstimmig von der ZKR verabschiedeten und von ihm nach den eigenen Modalitäten ratifizierten Beschlüsse umzusetzen. Die Methode der Umsetzung ist von Land zu Land unterschiedlich.
Der Umstand, dass Deutschland die Rheinschiffsuntersuchungsordnung (Vorschrift für den Rhein) am 31. Dezember 2008 durch die Binnenschiffsuntersuchungsordnung (Vorschrift für die Binnenschifffahrt) ersetzt hat, ist lediglich auf deutschem Hoheitsgebiet relevant, hingegen wurden die drei Zuwiderhandlungen, die Gegenstand der Klage sind, auf französischem Hoheitsgebiet festgestellt. Diese beiden Rechtsvorschriften sind im Übrigen inhaltlich identisch.
Die drei Zuwiderhandlungen, die B vorgeworfen werden, fallen unter die Reinschiffspolizeiverordnung (RheinSchPV) so wie unter die Rheinschiffsuntersuchungsordnung (RheinSchUO), die ordnungsgemäß im Amtsblatt der Französischen Republik veröffentlicht werden, Verfahren, das speziell für die Ratifizierung internationaler von Frankreich unterzeichneter Verpflichtungen vorgeschrieben ist.
Folglich wird das Rechtsmittel abgewiesen.
3) Unvollständigkeit des Bordbuches:
In Artikel 1.10 c RheinSchPV wird vorgeschrieben, dass ein ordnungsgemäß fortgeschriebenes Bordbuch an Bord mitzuführen ist.
Laut Artikel 23.08 Ziffer 1 RheinSchUO in der zum Zeitpunkt der Tatbestände gültigen Fassung « ist das Bordbuch entsprechend den darin enthaltenen Anweisungen zu führen. Verantwortlich für das Mitführen des Bordbuches und die darin vorzunehmenden Eintragungen ist der Schiffsführer«.
B hat zugegeben, dass das Bordbuch Nr. 4 auf Seite 151 für die Zeit 6. bis 8. August 2009 nicht aktualisiert wurde. Die Zuwiderhandlung wird in dem Berufungsschreiben nicht bestritten und ist erwiesen. In der Verhandlung wurde nichts vorgetragen, was etwas an den von der Strompolizei aufgenommenen Fakten geändert hätte.
4) Mindestbesatzung eines Verbandes bei gegebener Betriebsform:
Laut Artikel 1.08 Ziffer 2 RheinSchPV «muss die Besatzung aller Fahrzeuge nach Zahl und Eignung ausreichen, um die Sicherheit der an Bord befindlichen Personen und der Schifffahrt zu gewährleisten«.
In Artikel 23.09 bis 23.12 RheinSchUO wird im einzelnen die Mindestbesatzung für die verschiedenen Fahrzeuge je nach Betriebsform festgelegt, insbesondere für starre Verbände nach der Tabelle in Artikel 23.11. Im Protokoll ist von dem Schubverband und einem Leichter die Rede, ohne Angabe von Schiffstyp und Länge. Auf der Internetseite der ... Eigentümerin des Verbandes sind die Daten der ganzen Einheit, Motorverband LAURENT + Leichter LAURENS mit Inbetriebnahme 1987 und Länge über alles von 175 m angegeben, so dass der starre Verband unter die Gruppe 4 der oben genannten Tabelle fällt. Bei Betriebsform B S2 muss die Besatzung eines derartigen Fahrzeuges bestehen aus 2 Schiffsführern plus -entweder 1 Steuermann, 1 Bootsmann, 1 Leichtmatrosen und 1 Maschinisten oder 1 Matrose- Motorwart -oder 1 Steuermann mit Patent gemäß Rheinpatentordnung so wie 1 Bootsmann und 1 Leichtmatrosen.
Diese Verpflichtung wurde von dem Geladenen nicht grundsätzlich in Frage gestellt, er beschränkte sich lediglich darauf zu behaupten, seine Besatzung sei überqualifiziert gewesen, da sie mehr als einen Steuermann zählte.
Laut Bestimmung ist hingegen vorgeschrieben, dass eines der Besatzungsmitglieder einschlägige Maschinen oder Motorkenntnisse besitzen muss, entweder ein Maschinist oder ein Matrose — Motorwart (d.h., nach Artikel 23.02, Punkt 2.4 ein Matrose, der mit Erfolg eine Prüfung abgelegt oder Grundkenntnisse von Motoren hat), oder ein Steuermann mit Patent (d.h., laut Anlage D1 Patentverordnung für die Rheinschifffahrt vom 31. Mai 2007 Punkt 3.2 jemand mit »Maschinenkenntnis«).
Folglich ist der Umstand, dass es in der Besatzung mehr als einen Steuermann gab, unwirksam, denn die Steuerleute sind sicherlich generell qualifizierter als Bootsleute oder Matrosen, im vorliegenden Fall laut Protokoll 3 Steuermänner und ein Decksmann, aber es steht überhaupt nicht fest, dass einer der Steuermänner Inhaber eines Patentes war, so dass, da es sich um ein Motorschiff mit Leichter handelt und es kein Besatzungsmitglied gab, dass einschlägige Maschinen — oder Motorkenntnisse besessen hätte, der Vorwurf der Zuwiderhandlung begründet ist.
5) Fortsetzung der Fahrt trotz unzureichender Besatzung:
Laut Artikel 23.01 RheinSchUO muss die für die gewählte Betriebsform und Fahrtzeit vorgeschriebene Besatzung während der gesamten Fahrt des Schiffes an Bord sein und wenn aus einem unvorhergesehen Grund maximal ein Mitglied der vorgeschriebenen Besatzung während der Fahrt an Bord fehlt, darf das Fahrzeug dennoch seine Fahrt fortsetzen, jedoch lediglich bis zum ersten geeigneten Liegeplatz in Fahrtrichtung. Bei seiner Vernehmung erklärte B, er werde seine Fahrt trotz des Protokolls wegen unvollständiger Besatzung bis Basel fortsetzen und die Gendarmen hielten schriftlich fest, dass er seine Fahrt über die Liegeplätze in GAMBSHEIM hinaus in Richtung Basel fortgesetzt habe. Diese dritte Zuwiderhandlung ist somit also auch begründet.
Unter Berücksichtigung aller dieser Feststellungen ist die Entscheidung des ersten Richters zu bestätigen. Die drei verkündeten Bußgelder sind den vorliegenden Umständen angemessen.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2011 - Nr.11 (Sammlung Seite 2154 ff.); ZfB 2011, 2154 ff.