Jurisprudentiedatabank
Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
430 B - 1/05
vom 16. März 2005
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 29. Dezember 2003 - 18 OWi 373 Js 979/03 (42/03) BSch -)
Tatbestand:
Der Betroffene ist Schiffsführer. Am 26.04.2002 lag er mit dem von ihm verantwortlich geführten TMS A im Rheinpreußenhafen von Duisburg, wo die Ladetanks 1, 5 und 8 mit Isopropylalkohol (UN-Nummer 1219, Klasse 3 Ziffer 3 b ADNR) beladen wurden. TMS A ist ein Fahrzeug des Typs C mit drei Tankgruppen und den dazugehörigen Über- und Unterdruckarmaturen. Die Hochgeschwindigkeitsventile haben einen Öffnungsdruck von 500 mbar, die Unterdruckarmaturen einen Öffnungsdruck von 20 mbar. Bei einer Überprüfung des Schiffes gegen 12.30 Uhr durch die Wasserschutzpolizei wurde von einem Polizeibeamten bei dem Kontrollgang ein Zischgeräusch wahrgenommen und bei näherer Überprüfung festgestellt, dass die Peilöffnung von Raum 1 nicht gasdicht verschlossen war und dort Produktgase austraten. Ein Gasaustritt wurde ferner bei zwei der insgesamt vorhandenen drei Unterdruckventile, über die der beim Löschen der Ladung in den Tanks entstehende Unterdruck ausgeglichen wird, festgestellt. Der Druck in der Gassammelleitung betrug zu diesem Zeitpunkt 150 mbar. Der Gasaustritt am Peilrohrverschluss wurde durch Nachziehen der Flügelmutter beseitigt. Wegen des Gasaustritts an den Unterdruckventilen wurde auf Veranlassung des Polizeibeamten der Beladevorgang zunächst unterbrochen und die SUK eingeschaltet. Auf Anordnung des Sachverständigen der SUK wurden zur Vermeidung eines weiteren Gasaustritts die beiden Unterdruckventile ausgebaut und die Anschlussöffnungen dichtgeflanscht. Nachfolgend wurde der Beladungsvorgang fortgesetzt.
Mit Urteil vom 5.12.2003 hat das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort gegen den Betroffenen wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 6 Nr. 55 GGVBinSch eine Geldbuße in Höhe von 250 € festgesetzt. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:
Der Betroffene habe der ihn als Schiffsführer treffenden Verpflichtung zuwidergehandelt, während des Beladevorgangs für einen gasdichten Verschluß der Ladetanköffnungen zu sorgen. Er habe sich zwar dahin eingelassen, vor Beginn der Beladung hätten er und sein Steuermann, der Zeuge Bergmann, einen Kontrollgang über das Schiff gemacht. Dabei sei alles in Ordnung gewesen. Während der daraufhin freigegebenen Beladung habe sich der Steuermann Bergmann ständig als Wache an Deck aufgehalten. Auch er, der Betroffene, selbst habe noch zusätzlich kontrolliert; er sei die Leitungen abgelaufen und habe festgestellt, dass alles dicht gewesen sei. Den dann von der Wasserschutzpolizei festgestellten Gasaustritt aus der Unterdruckarmatur könne er sich nur so erklären, dass bei einer früheren Gelegenheit, als wegen Unterdrucks im Tank Luft angesogen worden sei, ein wenig Schmutz, etwa ein Insekt, in das Ventil gelangt sei, so dass das Ventil bei dem Beladevorgang am 24.06.02 nicht mehr vollständig dicht geschlossen habe. Die weitere Undichtigkeit an der Peilöffnung müsse dadurch entstanden sein, dass während der Beladung der Druck in den Schiffsleitungen und dem Schiffstank angestiegen sei. Auf den Hinweis der Polizeibeamten, dass dort Gas austrete, sei dies durch das Anziehen einer Flügelschraube behoben worden.
Diese durch die Aussagen der Zeugen R und B teilweise bestätigte Einlassung sei nicht geeignet, den Betroffenen von dem Vorwurf der Zuwiderhandlung gegen § 4 Abs. 6 Nr. 55 GGVBinSch zu entlasten. Das TMS A habe während der Beladung vollständig gasdicht sein müssen. Es habe weder aus dem Unterdruckventil noch aus der Peilöffnung Gas entweichen dürfen. Dabei könne der Entscheidung entsprechend der Aussage des Zeugen R zugrunde gelegt werden, dass die beiden Unterdruckventile grundsätzlich in Ordnung gewesen seien und das Gas nur wegen einer Verschmutzung ausgetreten sei. Weiter könne der Entscheidung zugrunde gelegt werden, dass der Austritt des Gases aus der Peilöffnung durch das schlichte Anziehen einer Flügelschraube habe abgestellt werden können. Dem Betroffenen sei gleichwohl als fahrlässiges Verhalten anzulasten, dass er während der Beladung die Dichtigkeit der Schiffsarmaturen nicht hinreichend selbst überprüft habe oder habe überprüfen lassen. Der Umstand, dass die Beamten der Wasserschutzpolizei bei ihrem Kontrollgang die Undichtigkeiten festgestellt hätten, während sie zuvor weder dem Betroffenen noch seiner Deckswache aufgefallen seien, zeige, dass der Betroffene seiner Kontrollpflichten während der Beladung nur unzureichend nachgekommen sei. Die Undichtigkeiten beruhten auch nicht auf einer ungewöhnlichen Erhöhung des Drucks im Inneren der Tanks oder der schiffseigenen Leitungen. Denn nach den Feststellungen des Zeugen N, kontrollierender Beamter der Wasserschutzpolizei, hätten die Druckmanometer zum Zeitpunkt der Kontrolle lediglich einen Überdruck von 150 mbar angezeigt, während das schiffseigenen Überdruckventil erst bei einem Überdruck von 500 mbar reagiere. Der tatsächlich vorhandene Überdrück sei also nicht erheblich gewesen. Gegen dieses Urteil hat der Betroffene durch seinen Verteidiger am 2.1.2004 Berufung mit dem Antrag auf Entscheidung durch die Berufungskammer der Zentralkommission eingelegt und hat diese mit einem am 27.1.2004 eingegangenen Schriftsatz vom 23.1.2004 begründet.
Entscheidungsgründe:
I.
Nach der Vorschrift des § 4 Abs. 6 Nr. 55 GGVBinSch, die gemäß § 3 Nr. 10 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über den Verkehr und den Güterumschlag in Häfen vom 8.1.2000 (Allgemeine Hafenverordnung – AHVO) des Landes Nordrhein-Westfalen (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen S. 34) für die Häfen in Nordrhein-Westfalen entsprechend gilt, hat der Schiffsführer dafür zu sorgen, dass bei einem Tankschiff des hier gegebenen Typs C die Tanköffnungen gemäß den Vorschriften der Randnummer 321 222 Abs. 2 der Anlage B 2 zum ADNR gasdicht bleiben. Der vorsätzliche oder fahrlässige Verstoß hiergegen stellt eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des Wassergesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LWG) dar (§ 5 Abs. 2 Nr. 49 GGVBinSch i.V.m. § 43 Abs. 2 AHVO, § 161 Abs. 1 Nr. 2 LWG), die mit einer Geldbuße geahndet werden kann.
1. Gasaustritt am Peilrohrverschluß des Laderaums 1
Das Verhalten, das nach den Feststellungen des Rheinschifffahrtsgerichts zu dem Austritt von Gas am Peilrohrverschluß des Laderaums 1 geführt hat, ist dem Betroffenen nach seiner eigenen Einlassung als fahrlässig begangene Ordnungswidrigkeit zur Last zu legen. Nach seinen Angaben wurde während des Beladungsvorgangs die Peilöffnung unter seiner Mitwirkung geöffnet, um eine Probe zu ziehen. Wie er weiter einräumt, genügte ein Anziehen der Flügelmutter am Peilrohrdeckel, um den später bemerkten Gasaustritt zu stoppen. Ursache des Gasaustritts war demnach allein der Umstand, dass nach dem Probeziehen die Flügelmutter des Peilrohrdeckels nicht richtig festgezogen worden war, was bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erforderlich gewesen wäre, um den Austritt von Gas zu verhindern. Hierin liegt mithin ein fahrlässiger Verstoß gegen die genannte Vorschrift.
2. Gasaustritt an zwei Unterdruckventilen
Das Rheinschifffahrtsgericht geht aufgrund der Aussage des Zeugen R davon aus, dass sich die Dichtungen der beiden Unterdruckventile – anders als von der Polizei zunächst angenommen – in ordnungsgemäßem Zustand befanden und dass der Gasaustritt demnach darauf zurückzuführen ist, dass zuvor in den Dichtungsbereich gelangte Fremdkörper ein dichtes Schließen der Ventile verhindert haben. Es meint gleichwohl, den Betroffenen treffe ein Verschulden an dem Gasaustritt, weil er diesen ebenso wie die Polizei hätte bemerken können. Hiergegen wendet sich der Betroffene zu Recht.
a) Ein schuldhaftes Verhalten des Betroffenen, das als Ursache der Undichtigkeit der beiden Unterdruckventile angesehen werden könnte, ist nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht feststellbar.
Wie die zur Akte gelangten Lichtbilder zeigen, besteht das an der Gassammelleitung der einzelnen Tankgruppen angebrachte Ventil aus einer vertikal nach unten weisenden Öffnung, auf der oben ein loser mit einer Dichtung versehener Deckel aufliegt, auf den von unten her ein Federdruck einwirkt, damit sich der Deckel dann öffnet, wenn in der Gassammelleitung ein Unterdruck von 0,02 bar entstanden ist. Ansonsten verschließt der Deckel durch sein Eigengewicht die Öffnung, wobei beim Laden durch den dabei entstehenden geringen Überdruck in der Gassammelleitung (hier in der Schlussphase des Ladens 150 mbar) der Deckel noch zusätzlich einen Anpressdruck von innen erfährt. Gerät bei dieser Konstruktion beispielweise ein Insekt, das unschwer beim Löschen von außen in den Bereich des Ventildeckels gelangen kann, oder sonst ein kleines Schmutzpartikel in den Bereich der Dichtung des Deckels, so kann dies zum Versagen der Dichtungsfunktion führen. Eine derartige Verunreinigung ist von außen bei der Beschaffenheit des Ventils nicht erkennbar, wie die Lichtbilder deutlich machen. Vielmehr müsste dazu das Ventil ausgebaut und sodann auf etwaige Verunreinigungen der Dichtung untersucht werden. Ersichtlich besteht auch keine Verschlussmöglichkeit wie etwa ein von außen bedienbares Absperrventil; denn wäre ein solches vorhanden, so wäre es zum gasdichten Verschluß nicht erforderlich gewesen, die zu den undichten Ventilen führenden Rohrleitungen dichtzuflanschen. Unter diesen Umständen ist nichts dafür ersichtlich, dass die Undichtigkeit der beiden Unterdruckventile auf ein schuldhaftes Versäumnis des Betroffenen zurückzuführen sein könnte.
b) Auch schuldhafte Versäumnisse des Betroffenen bei der Überwachung des Ladevorgangs sind nach dem Ergebnis der Ermittlungen und unter Berücksichtigung der Einlassung des Betroffenen im Hinblick auf den Gasaustritt an den beiden Unterdruckventilen nicht feststellbar.
Nach dem unwiderlegten Vortrag des Betroffenen hat er seinen Steuermann, wie gemäß § 40 AHVO vorgeschrieben, als Schlauchwache eingeteilt, daneben selbst nach einer vorausgegangenen Erstkontrolle vor Beginn der Beladung bei einem weiteren Kontrollgang während des Beladens die Schiffsleitungen auf Dichtigkeit überprüft und hierbei einen Gasaustritt nicht bemerkt. Davon geht auch das Rheinschifffahrtsgericht aus. Es meint indessen, der Betroffene sei seiner Kontrollpflicht nur ungenügend nachgekommen, weil ihm andernfalls der Gasaustritt an den beiden Unterdruckventilen ebenso hätte auffallen müssen wie dem kontrollierenden Polizeibeamten. Diese Schlussfolgerung ist jedoch nicht zwingend.
Der Polizeibeamte war nach den Feststellungen des Rheinschifffahrtsgerichts durch ein Zischgeräusch auf den Gasaustritt aufmerksam geworden. Ein solches Geräusch entsteht hörbar erst, wenn sich mit fortschreitender Beladung ein gewisser Überdruck im Tankraum aufgebaut hat. Nach den getroffenen Feststellungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Zischgeräusch noch nicht vernehmbar war, als der Betroffene bei seinem zweiten Kontrollgang den Bereich der Unterdruckventile abschritt, und der dazu erforderliche Druck sich erst kurz vor dem Zeitpunkt aufgebaut hatte, zu welchem später der Polizeibeamte das Geräusch wahrnahm. Denn bei Beginn der Beladung steigt der Innendruck in den Tanks und der Gassammelleitung nur langsam an, weil insoweit der noch leere Ladetank wie ein Pufferspeicher wirkt. Das ist anders gegen Ende des Ladevorgangs, wenn der Tank weitgehend gefüllt ist.
Dem Betroffenen kann auch nicht vorgeworfen werden, er habe es versäumt, gerade die Unterdruckventile während des Ladevorgangs permanent auf einen etwaigen Gasaustritt zu kontrollieren; denn in Anbetracht ihrer Funktionsweise ist ein Gasaustritt bei diesen Ventilen regelmäßig nicht zu befürchten.
II.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben, soweit der Betroffene wegen des Gasaustritts an den beiden Unterdruckventilen des TMS A zu einer Geldbuße verurteilt worden ist. Insoweit ist der Betroffene freizusprechen.
Zur Ahndung des verbleibenden Verstoßes gegen § 4 Abs. 6 Nr. 55 GGVBinSch in Gestalt des unzureichenden Verschlusses der Peilrohröffnung des Laderaums 1 hält die Berufungskammer unter Berücksichtigung aller Umstände eine Geldbuße von 100 € für tat- und schuldangemessen.
Das Verfahren ist gemäß Art. 39 der Mannheimer Akte gerichtsgebührenfrei. Die Auslagen des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen im Umfang des Freispruchs der Staatskasse, im übrigen dem Betroffenen zur Last.
III.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Betroffenen wird das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 5.12.2003 unter Aufhebung im übrigen wie folgt abgeändert:
Der Betroffene wird wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 4 Abs. 6 Nr. 55 GGVBinSch (nicht gasdichter Verschluß eines Peilrohrdeckels als einer Ladetanköffnung) zu einer Geldbuße in Höhe von 100 € verurteilt. Im übrigen wird der Betroffene freigesprochen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Der Betroffene trägt die Hälfte der gerichtlichen und seiner eigenen notwendigen Auslagen; im übrigen werden sie der Staatskasse auferlegt.
Die Festsetzung der zu erstattenden Kosten erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort gemäß Art. 39 der Mannheimer Akte.