Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Im unten wiedergegebenen Bußgeldverfahren geht es in erster Linie um die Frage, inwieweit der Schiffsführer eines Tankschiffes verpflichtet und in der Lage ist, zur Beachtung
des Füllstandes einzelner Tanks die auf eine bestimmte Produkttemperatur urgerechnete Füllmenge vor Beginn oder während des Ladevorgangs zu ermitteln.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt
vom 10.01.2005
429 B - 7/04
(Vorinstanz: Rheinschifffahrtsgericht Mainz, Urteil vom 09.02.2004 - 3255 Js 29594/0303.51 OWi)
Am 25.11.2004 ist vor der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt
in Straßburg die nachfolgende form- und fristgerecht eingelegte Berufung eines Schiffsführers gegen ein Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mainz vom 09.02.2004 verhandelt und durch Urteil wie folgt entschieden worden:
1. Die durch Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mainz v. 09.02.2005 verhängte Geldbuße wird auf € 250,-- ermäßigt.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
4. Dem Betroffenen sind zwei Drittel seiner notwendigen Ausgaben zu erstatten.
5. Die Festsetzung der zu erstellenden Kosten erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Mainz gemäß Art. 39 der Mannheimer Akte.
Tatbestand:
Der Betroffene ist Schiffsführer des TMS„X". Das Tankschiff Typ N wurde am 20.01.2003 in Wesseling mit Benzin (UNNummer 1203) beladen. Ausweislich des Reiseberichtes, der die Tankinnenvermessung der Ladetanks (nach Ladeende) sowie die sich daraus ergebenden Ladungsmengen in den einzelnen Tanks enthält, betrug die Durchschnittstemperatur der Ladung 6° C. Bei einer Überprüfung am folgenden Tage stellte die Wasserschutzpolizei anhand der Ladungspapiere (AS 10, 11 und 26-29) und der Ladetanktabellen (AS 12 - 25) fest, dass bei einem Teil der Ladetanks der für dieses Produkt maximal zulässige Füllungsgrad von 97 % überschritten war. Die Umrechnung der durch Tankpeilung bei Ladeende ermittelten Litermengen in den Tanks bei durchschnittlich 6° C auf 15° C und der Vergleich mit den in den Ladetanktabellen für einen Füllungsgrad von 97 % ausgewiesenen Litermengen führte zu dem Ergebnis, dass die Ladetanks 1 - 5, jeweils Backbord und Steuerbord, bezogen auf eine Temperatur von 15° C mit insgesamt 15.595 Litern Benzin über den maximal zulässigen Füllungsgrad von 97 % hinaus gefüllt waren. Das Rheinschifffahrtsgericht hat den Betroffenen mit Urteil vom 09.04.2004 wegen Überschreitens des zulässigen Füllungsgrades beim Laden eines Schiffes auf dem Rhein gem. § 4 Abs. 6 Nr. 47, § 5 Abs. 2 Nr. 43 GGVBinSch, Randnummer 210 421 iVm. Anhang 4 ADNR zu einer Geldbuße von 780,-- € verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen auf die Begriffsbestimmungen in Randnummer 210 014 ADNR abgehoben. Danach beziehe sich der Füllungsgrad, wenn er für Ladetanks angegeben sei, auf einen Prozentsatz des Volumens bei einer Stofftemperatur beim Laden von 15° C, sofern nicht eine andere Temperatur angegeben sei. Die Verteidigung des Betroffenen, dass es bei dem höchstzulässigen Füllungsgrad der einzelnen Tanks lediglich auf die reine volumenmäßige Raummenge von 97 % ankomme, ihm eine jeweilige Umrechnung auf die Produkttemperatur nicht zumutbar und für ihn auch nicht durchführbar sei, hat es nicht als entlastend anerkannt. Mit der Berufung strebte der Betroffene einen Freispruch an.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat den Betroffenen in Übereinstimmung mit dem vorausgegangenen Bußgeldbescheid der WSD Südwest wegen einer Ordnungswidrigkeit gern. § 5 Abs. 2 Nr. 53 GGVBinSch, § 10 Abs. 1 Nr. 1 GGBefG in Gestalt eines Verstoßes gegen § 4 Abs. 6 Nr. 47 GGVBinSch, Randnummer 210 421 der Anlage B 2 iVm. Anhang 4 zum ADNR verurteilt.
Die in Bezug genommenen Bestimmungen des ADNR waren zur Tatzeit, am 21.01.2003, nicht mehr in Kraft, weil die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt mit Beschluss vom 29.11.2001 und vom 30.05.2002 die Neufassung des ADNR (ADNR 2003) mit Wirkung vom 01.01.2003 in Kraft gesetzt und zum selben Zeitpunkt die bis dahin geltende Fassung des ADNR (ADNR 1994) aufgehoben hat. Der deutsche Verordnungsgeber hat dem erst durch Verordnung vom 12.07.2003 (BGBl. II S. 648) - rückwirkend zum 01.01.2003 - Rechnung getragen. Das ist indessen unschädlich. Die Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen die von den Uferregierungen für den Rhein gemeinsam erlassenen schifffahrtspolizeilichen Vorschriften durch Geldbußen ist schon in Art. 32 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte ausdrücklich vorgesehen. Zudem sind die Verhaltensvorschriften, gegen die der Betroffene verstoßen haben soll, inhaltlich unverändert in die Neufassung übernommen worden (Nrn. 1.2.1, 3.2.3 Tabelle C, 7.2.4.21.1 ADNR 2003).
Unter diesen Umständen fehlt es auch nicht etwa deshalb für die Tatzeit an einem wirksamen Bußgeldtatbestand, weil die Verweisung Verweisung des § 4 Abs. 6 Nr. 47 GGVBinSch auf die seit 01.01.2003 aufgehobene Randnummer 210.421 der Anlage B 2 zum ADNR 1994 erst mit dem Inkrafttreten der neuen GGVBinSch am 31.01.2004 auf die Bestimmungen des ADNR 2003 umgestellt worden ist.
Dem Beklagten war nach Auffassung der Berufungskammer nicht anzulasten, dass er beim Beladen des TMS „X." die Füllmengen überschritten hat, die sich bei einer Umrechnung auf eine Produkttemperatur von 15° C als Maximalwerte ergeben, soweit die tatsächlich festgestellten Tankinhalte den Füllungsgrad von jeweils 97 % nicht überschritten. Der Schiffsführer eines Tankschiffs des hier gegebenen Typs N hat keine praktikable Möglichkeit, mit Hilfe der für diesen Schiffstyp vorgeschriebenen Sicherheits- und Kontrolleinrichtungen (Nr. 9.3.3.21 ADNR 2003, früher gleichlautend Randnummer 331 221 der Anlage B 2 zum ADNR 1994) die auf eine Produkttemperatur von 15° C umgerechnete Füllmenge vor Beginn oder während des Ladevorgangs zuverlässig zu ermitteln.
Nach den genannten Bestimmungen muss jeder Ladetank neben einem Grenzwertgeber, der spätestens bei einer Füllung von 97,5 % auslöst, mit einer Innenmarkierung für den Füllungsgrad 97 % und mit einem Niveau-Anzeigegerät sowie mit einer Peilöffnung versehen sein. Hiermit wird dem Schiffsführer allein die Möglichkeit eröffnet, anhand der tatsächlichen Produkthöhe im Ladetank die Einhaltung des maximal zulässigen Füllungsgrades von 97 % des gesamten Tankvolumens zu überwachen. Hinzu kommt, dass während des Beladevorganges der Flüssigkeitsstand und damit der Füllungsgrad nur durch das Niveau-Anzeigegerät kontrolliert werden kann. Eine Tankpeilung, mit der der Flüssigkeitsstand im Tank sich sehr genau ermitteln lässt, ist während des Beladevorganges bei gefährlichen Gütern nicht zulässig; das Öffnen der Peilöffnungen ist gern. Nr. 7.2.4.22.3 Satz 2 ADNR 2003 nur gestattet, nachdem das Laden seit mindestens 10 Minuten unterbrochen ist. Mit den vorhandenen technischen Einrichtungen kann demzufolge immer nur das tatsächliche Volumen der Flüssigkeit bei der jeweiligen Ladetemperatur festgestellt werden. Insbesondere im Hinblick auf diese Problematik strebt die Arbeitsgruppe „Gefährliche Güter" der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt eine Änderung der Begriffsbestimmung „Füllungsgrad" in Nr. 1.2.1 ADNR 2003 dahin an, dass damit allein der Prozentsatz des Ladetankvolumens angegeben wird, der beim Laden mit Flüssigkeit - unabhängig von deren Temperatur - gefüllt werden darf.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2004 - Nr.4 (Seite 47); ZfB 2004, 47