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Leitsätze:
1. Im Bereich der geregelten Begegnung gemäß § 9.04 Nr. 1 b) RheinSchPV ist das Fahrwasser nicht zwischen Berg- und Talfahrt im Sinne eines strengen Rechtsfahrgebots aufzuteilen.
2. Die beiderseitigen Pflichten beim Begegnungsverkehr auf einem Streckenabschnitt, für den die Vorschriften der geregelten Begegnung gemäß § 9.04 Nr. 1 b), 2 RheinSchPV gelten, sind an den Gefahren auszurichten, die in diesem Bereich möglich sind.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt
vom 03.06.2002
- 414 Z - 3/02 -
(Vorinstanz: AG Duisburg-Ruhrort, Rheinschifffahrtsgericht, vom 26.03.2001 - 5 C 28/00 BSch)
Stichwörter: Geregelte Begegnung; mitwirkendes Verschulden an einer Schiffskollision
Vorschriften: § 9.04 Nr. 1 b), 2 RheinSchPV
Tatbestand und Entscheidungsgründe:
Es geht um den Ersatz des Schadens nach einer Schiffskollision zwischen dem bei der Klägerin und Berufungsbeklagten versicherten KMS „S.E." und dem TMS „K.". Die Kollision ereignete sich am 29. Februar 2000 gegen 21.30 Uhr auf dem Rheinstrom bei Kilometer 823,8 - Ortslage Xanten.
Am Unfalltag befuhr das KMS „S.E." den Rhein in der Bergfahrt mit Ballast bei einem Tiefgang von 2,70 m und einer Geschwindigkeit von 9-10 km/h. Gegen 21.30 Uhr näherte es sich der Ortslage Xanten. Die Nacht war klar. Es herrschte Wind von WSW aus Richtung des linksrheinischen Ufers mit einer Stärke von ca. 6 Beaufort. Der Rhein führte Hochwasser. Entgegen kam zu Tal das unbeladene TMS „K." mit einem gemittelten Tiefgang von ca. 1 m und einer Geschwindigkeit von ca. 23-24 km/h. Wegen des starken Windes, der auf die 3 m hohen Aufbauten des leeren Schiffes drückte, durchfuhr es den nach seiner Sicht nach rechts führenden Bogen des Rheins in Backbord-Schräglage. Bei Rhein-km 823,8 kam es zur Kollision der beiden Schiffe, indem KMS „S.E." mit seinem Bug gegen den vorderen Bereich der Steuerbordseite von TMS „K." stieß und dann an dieser bis zum Heck entlangschrammte. Anschließend fuhr TMS „K." weiter in Backbord- Schräglage gegen das linksrheinische Ufer. Das Rheinschifffahrtsgericht hat nach Beiziehung der Verklarungsakten durch Grundurteil die Klage für gerechtfertigt erklärt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Unfall sei durch ein Verschulden des Schiffsführers des TMS „K." verursacht worden. Dieser sei entgegen § 9.04 Nr. 1 b), 2 RheinSchPV in den Kurs der Bergfahrt geraten. Nach der Aussage des Schiffsführers habe der genaue Kollisionspunkt in der Mitte des Fahrwassers gelegen. Da TMS „K." bis zur Kollision unverändert in Backbord-Schräglage durch die dortige Kurve des Rheins gefahren und mit der Steuerbordseite gegen KMS „S.E." gestoßen sei, müsse der Kopf des TMS „K." über die Fahrwassermitte hinausgeragt haben. Zudem spreche der Umstand, dass es nach der Kollision gegen das linksrheinische Ufer gefahren sei - also offensichtlich nicht in der Lage war, aufzustrecken und zwischen KMS „S.E." und dem linken Ufer hindurch zu Tal zu fahren - nachhaltig dafür, dass der Kollisionspunkt im linksrheinischen Teil des Fahrwassers gelegen habe.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat unter keinem Gesichtspunkt ein Mitverschulden der Schiffsführung von KMS „S.E." gesehen. Die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten - Schiffseignerin/Ausrüsterin und Schiffsführer - hatte teilweise Erfolg. Die Berufungskammer ist zwar dem Rheinschifffahrtsgericht insofern gefolgt, als es ein Verschulden des Schiffsführers des TMS „K." bejahte, da er unter Verstoß gegen § 9.04 Nr. 1 b), 2 RheinSchPV in den Kurs der Bergfahrt geraten sei. Sie erkannte jedoch auf ein Mitverschulden des Schiffsführers des KMS „S.E." zu einem Drittel, das sich die Klägerin gemäß §§ 254 BGB, 92 c) BSchG anrechnen lassen muss.
Zur Begründung hat die Berufungskammer im wesentlichen folgendes ausgeführt:
Dem Beklagten kann nicht schon allein daraus ein Vorwurf gemacht werden, dass er sich als Talfahrer im Bereich der geregelten Begegnung nach § 9.04 Nr. 1 b) RheinSchPV nicht ausschließlich in der rechten Hälfte der Fahrrinne gehalten hat, wie es das Rheinschifffahrtsgericht angenommen hatte. Denn ein dem Straßenverkehr vergleichbares Rechtsfahrverbot gibt es hier nicht. Im Rahmen der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung bestehen Rechtsfahrgebote nur aus Gründen der Verkehrssicherung im engen Fahrwasser, nicht aber allgemein bei der geregelten Begegnung (Bemm/v. Waldstein, RheinSchPV, 3. Aufl., §§ 9.04 Rn. 1; Pabst, ZfB 72, 1359). Dementsprechend habe auch die Berufungskammer der Rheinzentralkommission keineswegs einem strengen Rechtsfahrgebot das Wort geredet und das Fahrwasser im Bereich der geregelten Begegnung nicht zwischen Berg- und Talfahrt aufgeteilt, sondern die beiderseitigen Pflichten beim Begegnungsverkehr an den bei diesem Manöver möglichen Gefahren ausgerichtet (ZfB 96, 1570 und 98, 1671; Urt. v. 22.11.2000 - 403 Z - 7/00 - und v. 10.05.2001 - 406 Z- 2/01). § 9.04 Ziff. 2 RheinSchPV gebiete es nur, dass die Bergfahrer und die Talfahrer beim Begegnen ihren Kurs so weit nach Steuerbord richten, dass die Vorbeifahrt ohne Gefahr backbord/backbord stattfinden kann. Von einer Gefahrenlage sei aber auszugehen, wenn Berg- und Talfahrer nicht hart am Rande ihres Fahrwasser fahren (Bemm/v. Waldstein a.a.O. § 9.04 Rn. 3). Dies sei hier der Fall. Die Berufungskammer stützt sich dabei auf die Aussage des beklagten Schiffsführers im Verklarungsverfahren. Es vertritt die Auffassung, dass der beklagte Schiffsführer zur Vermeidung einer möglichen Kollision nach Steuerbord näher zum rechtsrheinischen Rand der Fahrrinne hin hätte ausweichen müssen, als seine bei einer Entfernung der beiden Schiffe von ca. 1.000 m erfolgten Anrufe über Kanal 10 ohne Reaktionen geblieben seien. Auch unter Berücksichtigung der ungünstigen Witterungsverhältnisse hätte er dort noch genügend Platz gehabt. Ausweislich der Rheinkarte beträgt die Strombreite im Unfallbereich ca. 300 m, am Unfalltag im Hinblick auf das Hochwasser sogar rd. 400 m. Nach der Rheinkarte verläuft die Fahrrinne zwischen Rhein-km 823 und Rhein-km 824 nahe am linksrheinischen Rheinufer und ist ca. 150 m breit. Auch wenn der beklagte Schiffsführer im Bereich der Rechtskurve des Rheins den Kopf von TMS „K." in den Wind halten wollte, um zu verhindern, dass das Schiff durch die Sturmböen gegen den rechtsrheinischen Grund abgetrieben wurde, hätte er mit einer entsprechenden Backbord- Schräglage ein erhebliches Stück weiter rechtsrheinisch fahren können und müssen, um eine gefahrlose Begegnung zu ermöglichen. Der beklagte Schiffsführer habe jedoch seinen eigenen Angaben zufolge seinen Kurs im Bereich der Mitte der Fahrrinne unverändert beibehalten. Damit habe er schuldhaft gegen § 9.04 Nr. 1 b), 2 RheinSchPV verstoßen.
Aus Sicht der Berufungskammer, die sich eingehend mit den Aussagen der beiderseitigen Zeugen auseinandergesetzt hat, ist allerdings auch der Klägerin ein Verstoß gegen § 9.04 Nr. 1 b), 2 RheinSchPV vorzuwerfen. Die Berufungskammer hat zwar keinen Anhaltspunkt dafür, dass KMS „S.E." vor der Kollision im rechtsrheinischen Fahrwasser gefahren sei. Dazu habe für die Schiffsführung gar keinen Grund bestanden, zumal die Fahrrinne in der Ortslage Xanten linksrheinisch verlaufe. Auch angesichts der Windverhältnisse habe es nahegelegen, sich näher an das linksrheinische Ufer zu halten, da die dort stehenden Büsche und Bäume einen gewissen Windschutz boten. KMS „S.E." fuhr mit Ballast und hatte einen Tiefgang von 2,70 m. Es war also lange nicht so windanfällig wie TMS „K.", so dass es wenig wahrscheinlich gewesen sei, dass es vor der Kollision durch die Sturmböe nach rechtsrheinisch versetzt worden sein könnte.
Aufgrund der Zeugenaussagen ist das Berufungsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass das KMS „S.E." im Verlaufe der Annäherung einen unveränderten Abstand von rd. 70 m zum linksrheinischen Ufer eingehalten hat. Gerade mit dieser Fahrweise aber verstieß die Schiffsführung des KMS gegen das sich aus § 9.04 Nr. 1 b), 2 RheinSchPV ergebende Gebot, seinen Kurs so frühzeitig nach Steuerbord zu richten, dass die Vorbeifahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord hätte stattfinden können. Zu einem solchen Verhalten bestand nach Auffassung der Berufungskammer um so mehr Veranlassung, als der Bergfahrer den Talfahrer bereits aus größerer Entfernung sowohl auf dem Radargerät, mit dem er eine Voraussicht von ca. 1.600 m hatte, als auch mit bloßem Auge gesehen und erkannt habe, dass dieser sich in Backbord- Schräglage auf Kollisionskurs näherte und leer war. Unter diesen Umständen musste sich der Schiffsführung des KMS der Gedanke aufdrängen, dass der Talfahrer aufgrund der herrschenden Wind- und Strömungsverhältnisse in der Strombiegung Probleme bekommen würde und seine Backbord-Schräglage beibehalten könnte, um eine Abdrift auf den rechtsrheinischen Grund zu verhindern. Das Gericht leitet daraus für die Schiffsführung von KMS „S.E." die Verpflichtung ab, dem Talfahrer Platz zu machen und zum linksrheinischen Ufer auszuweichen, und zwar rechtzeitig, sobald sie die Gefahrenlage erkannt hatte. Dies sei nach eigenen Angaben bereits vor der Funkdurchsage bei einer Entfernung von ca. 500 m der Fall gewesen. Ein zu diesem Zeitpunkt durchgeführtes Steuerbordmanöver hätte nach Überzeugung des Gerichts nicht etwa zu einer Kopf-auf- Kopf-Kollision geführt, sondern zu einer Vermeidung des Unfalls.
Beide Schiffsführer haben gegen ihre sich aus § 9.04 Nr. 1 b), 2 RheinSchPV ergebende Verpflichtung verstoßen, ihren Kurs so weit nach Steuerbord zu richten, dass eine gefahrlose Begegnung hätte stattfinden können. Dem Verschuldensanteil der Schiffsführung des Talfahrers misst das Gericht jedoch deutlich größeres Gewicht bei als demjenigen des klägerischen Schiffsführers. Die Fahrweise des Talfahrers in Backbord-Schräglage habe eine besondere Gefahrenlage dargestellt. Nach der eigenen Darstellung der Beklagten sei das leere, mit einem Tiefgang des Vorschiffs von nur 0,20 bis 0,30 m äußerst seitenempfindliche TMS „K." bei den zur Unfallzeit herrschenden Wind- und Strömungsverhältnissen nur noch eingeschränkt manövrierfähig gewesen. Da es nach der Einschätzung seines eigenen Schiffsführers die Strombiegung nur bewältigen konnte, indem es in der Schrägstellung wie ein Segelschiff den Wind in den Kopf hielt, bildete es ein erhebliches Hindernis für die übrige Schifffahrt. Die dem beklagten Schiffsführer obliegenden nautischen Sorgfaltspflichten hätten es daher geboten, die Fahrt rechtzeitig einzustellen. Bei dieser Sachlage bewertet die Berufungskammer das Verschulden des beklagten Schiffsführers doppelt so hoch wie dasjenige der Schiffsführung des Bergfahrers. Die Berufungskammer sprach daher der Klägerin einen Anspruch auf Ersatz von zwei Dritteln des dem Eigner von KMS „S.E." entstandenen Unfallschadens zu.
Zur weiteren Verhandlung und zur Entscheidung über die Höhe des Klageanspruchs wurde der Rechtsstreit an das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort zurückverwiesen. Ihm obliegt auch die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2002 - Nr.12 (Sammlung Seite 1880 f.); ZfB 2001, 1880 f.