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Leitsatz:
Die in den Bereichen der geregelten Begegnung (§ 9.04 Ziff. 1 RhSchPVO) für Berg- und Talfahrer geltende Vorschrift des § 9.04 Ziff. 2 RhSchPVO, beim Begegnen den Kurs so weit nach Steuerbord zu richten, dass die Vorbeifahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord stattfinden kann, ist kein dem Straßenverkehr vergleichbares Rechtsfahrgebot. Vielmehr sind die beiderseitigen Pflichten beim Begegnungsverkehr an den bei diesem Manöver möglichen Gefahren ausgerichtet. Von einer Gefahrenlage ist auszugehen, wenn Berg- und Talfahrer nicht hart am Rande ihres Fahrwassers fahren. Eine besondere Gefahrenlage wird heraufbeschworen, wenn sowohl der Bergfahrer als auch der Talfahrer bei unsichtigem Wetter im Bereich der geregelten Begegnung in der Mitte der Fahrrinne fahren.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt
vom 10.5.2001
- 406 Z - 2/01 -
(Rheinschifffahrtsgericht Mainz)
Zum Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 13.10.1996 gegen 9.00 Uhr im Nebel oberhalb von Worms bei Rhein-km 439,6 - 439,8 zwischen dem MS „Harma" und dem MS „Jenny" ereignet hat.
Die Klägerin, der Versicherer des MS „Harma", klagt aus übergegangenem Recht des Schiffers. Der Beklagte ist Eigner des MS „Jenny", das er zur Unfallzeit verantwortlich führte.
MS „Harma" befand sich leer auf der Bergfahrt oberhalb von Worms. Im Stadtgebiet von Worms hatte MS „Harma" das vorher vorausfahrende beladene MS „Acropolis" überholt. Dieses Schiff wurde von dem Zeugen H geführt. Etwa gegen 9.00 Uhr erreichte MS „Harma" das Gebiet der Einmündung des Lampertheimer Altrheins. Er herrschte starker Nebel, so dass die Schifffahrt nur mit Hilfe des Radargeräts möglich war. Zur gleichen Zeit kam als Talfahrer MS „Jenny" entgegen. Beide Schiffe kollidierten miteinander, wobei MS „Harma" schwere Schäden am Backbordvorschiff erlitt. Diese Schäden sind Gegenstand der Klage.
Die Klägerin hat vorgetragen, MS „Harma" sei, wie üblich, an dieser Stelle linksrheinisch hart am grünen Tonnenstrich mit etwa 11 - 12 km/h über Grund gefahren. Talfahrt sei nicht zu sehen gewesen. Als MS „Harma" dann die Hochspannung bei Rhein-km 440,1 durchfahren habe, sei unmittelbar vor dem Kopf des MS „Harma" optisch ein Talfahrer zu sehen gewesen, der genau in dem linksrheinischen Bergkurs von MS „Harma" gefahren sei. Für Ausweichmanöver sei es viel zu spät gewesen. Nach ein paar Sekunden seien die Havaristen etwa bei Rhein-km 439,6 - 439,8 kollidiert.
Der Beklagte hat vorgetragen, MS „Jenny" sei bei Rhein-km 439 zu Tal gefahren, als ihm 3 Bergfahrer entgegen gekommen seien. MS „Jenny" habe zum Zwecke der Passage Kurs auf rechtsrheinischer Seite entlang den Tonnen gehalten. Entsprechend sei auch eine problemlose Backbord-Backbord- Begegnung mit dem ersten Bergfahrer erfolgt. Bei der Annäherung des 2. Bergfahrers, welcher sich später als das MS „Harma" herausgestellt habe, habe er plötzlich erkennen müssen, dass MS „Harma" den linksrheinischen Kurs nicht beibehalten habe und schnell die Fahrrinne nach rechtsrheinisch gewechselt habe. Der Kursverfall des MS „Harma" sei so schnell erfolgt, dass für ein wirksames Ausweichmanöver oder eine Signalgebung keine Zeit mehr bestanden habe. Die Havarie sei also allein durch die Schiffsführung von MS „Harma" verursacht und verschuldet worden.
Vorsorglich hat der Beklagte die Aufrechnung mit seinen Unfallschäden erklärt.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage abgewiesen. Die Berufung hatte teilweise Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„... Die Klägerin kann aus übergegangenem Recht des Schiffers W gern. §§ 823, 249 BGB 3, 4, 92 ff., 114 BSchG Ersatz der Hälfte des bei dem Unfallereignis vom 13.10.1996 bei Rhein-km 439,6 - 439,8 erlittenen Schadens beanspruchen. In Höhe von 1/2 muss sie sich gern. §§ 254 BGB, 92 c BSchG ein Mitverschulden des Schiffsführers W anrechnen lassen; denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme haben beide beteiligten Schiffsführer die Kollision gleichermaßen verschuldet.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann dem Beklagten allerdings nicht schon allein daraus ein Vorwurf gemacht werden, dass er sich als Talfahrer im Bereich der geregelten Begegnung nach § 9.04 Ziff. 1 a RhSchPVO nicht auf der rechtsrheinischen Seite der Fahrrinne gehalten hat. Ein dem Straßenverkehr vergleichbares Rechtsfahrgebot gibt er hier nicht. Im Rahmen der RheinSchPV0 bestehen Rechtsfahrgebote nur aus Gründen der Verkehrssicherung im engen Fahrwasser, nicht aber allgemein bei der geregelten Begegnung (Bemm/v. Waldstein, RhSchPVO 3. Aufl. § 9.04 RdNr. 1; Pabst ZfB 72, 1359). Dementsprechend hat auch die Berufungskammer der Zentralkommission keineswegs einem strengen Rechtsfahrgebot das Wort geredet und das Fahrwasser im Bereich der geregelten Begegnung nicht zwischen Berg- und Talfahrt aufgeteilt, sondern die beiderseitigen Pflichten beim Begegnungsverkehr an den bei diesem Manöver möglichen Gefahren ausgerichtet (ZfB 96, 1570 und 98, 1671; Urt. v. 22.11.2000 - 403 Z - 7/00). § 9.04 Ziff. 2 RhSchPVO gebietet es nur, dass die Bergfahrer und die Talfahrer beim Begegnen ihren Kurs so weit nach Steuerbord richten, dass die Vorbeifahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord stattfinden kann.
Von einer Gefahrenlage ist aber auszugehen, wenn Berg- und Talfahrer nicht hart am Rande ihres Fahrwassers fahren (vgl. Bemm/v. Waldstein a.a.O. § 9.04 RdNr. 3). Dies war hier der Fall. Nach der Aussage der unbeteiligten Zeugen H, an dessen Glaubwürdigkeit keine Zweifel bestehen, fuhren sowohl MS „Harma" als auch MS „Jenny" in der Mitte der Fahrrinne. Der Zeuge hat glaubhaft bekundet, MS „Harma" sei nach dem Überholen des von ihm gesteuerten MS „Acropolis" die ganze Zeit vor ihm in der Mitte der Fahrrinne gefahren. Seiner Ansicht nach habe es die Biegung bei Rhein-km 440 zwar ein wenig zu großzügig ausgefahren, für die Talfahrt sei aber noch Platz gewesen. Mit seinem auf ca. 2 km Voraussicht eingestellten Radargerät habe er MS „Jenny" auch etwa in der Mitte der Fahrrinne zu Tal kommen sehen. Die Echos beider Schiffe seien dann immer näher zusammengekommen und hätten sich langsam vereinigt.
Hiernach ist davon auszugehen, dass sich die beiden Schiffe auf Kollisionskurs einander annäherten. Unstreitig hatte der Beklagte auf seinem Radarschirm MS „Harma" kommen sehen. Soweit er bei seiner Vernehmung bei der Wasserschutzpolizei angegeben hat, bis ca. 100 m vor der Begegnung habe der Abstand von der Kurslinie des MS „Jenny" ca. 30 m betragen, dann sei ein plötzlicher Kurswechsel von MS „Harma" quer in die Kurslinie seines Schiffes erfolgt, kann ihm in Anbetracht der entgegenstehenden Aussage des Zeugen H nicht gefolgt werden. Einen plötzlichen Kurswechsel von MS „Harma" hat der Zeuge nicht zu bestätigen vermocht. Es ist daher anzunehmen, dass es sich insofern um eine bloße Schutzbehauptung des Beklagten handelt und ihm tatsächlich ein Fehler bei der Auswertung des Radarbilds unterlaufen ist. Kam aber - wie der Zeuge H bekundet hat - MS „Harma" dem Beklagten in der Mitte der Fahrrinne entgegen, dann war er zur Vermeidung einer möglichen Kollision gehalten, rechtzeitig nach Steuerbord zum rechtsrheinischen Rand der Fahrrinne hin auszuweichen.
Ferner hätte er sich gern. § 6.30 Ziff. 2 S. 2 RhSchPVO über Kanal 10 bei MS „Harma" melden müssen, was unstreitig nicht geschehen war. Eine Absprache über Funk war insbesondere im Hinblick darauf unabdingbar, dass es aufgrund der bei Rhein-km 440,1 liegenden Hochspannungsleitung zu Fehlechos kommen konnte. Daraus ergab sich die Gefahr, dass der Gegenkommer MS „Jenny" infolge einer Fehlinterpretation des Radarbilds nicht oder nicht rechtzeitig wahrnahm. Das mögliche Auftreten von Fehlechos durch eine Hochspannungsleitung ist in der Schifffahrt allgemein bekannt. Entsprechende Hinweise zur Hochspannung Lampertheimer Altrhein befinden sich auch im Rheinatlas. Der sich hieraus ergebenden Gefahrenlage hätte der Beklagte Rechnung tragen müssen.
Des weiteren war der Beklagte als Talfahrer im Verlauf der weiteren Annäherung der beiden Schiffe gern. § 6.32 Ziff. 3 RhSchPVO verpflichtet, das Dreitonzeichen zu geben und dieses Schallzeichen so oft wie notwendig zu wiederholen, seine Geschwindigkeit zu vermindern und, falls nötig, Bug zu Tal anzuhalten oder aufzudrehen. All dies hat der Beklagte unstreitig unterlassen. Es ist daher davon auszugehen, dass der Beklagte durch Zuwiderhandlung gegen die ihm als Talfahrer obliegenden nautischen Sorgfaltspflichten den Unfall schuldhaft verursacht hat (vgl. Bemm/v. Waldstein a.a.O. § a6.32 RdNr. 17 ff.; BGH Versicherungsrecht 74, 187 und 1122).
Die Klägerin muss sich aber ein mitwirkendes Verschulden des Schiffsführers W an der Kollision anrechnen lassen. Zwar kann nicht festgestellt werden, dass dieser gegen § 6.03 Ziff. 3 RhSchPVO verstoßen hätte. Nach dieser Vorschrift dürfen Fahrzeuge beim Begegnen, deren Kurse jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschließen, ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit nicht in einer Weise ändern, die die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnte.
Wie oben ausgeführt, hat der Zeuge H den vom Beklagten behaupteten plötzlichen Kurswechsel von MS „Harma" nicht bestätigt.
Dem Schiffsführer W ist aber vorzuwerfen, dass er MS „Jenny" auf seinem Radarschirm überhaupt nicht bemerkt hat. Die Berufungskammer teilt die Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts, dass dies nur darauf beruhen kann, dass er das Radarbild nicht beobachtet bzw. nicht sorgfältig genug ausgewertet hat oder das Gerät nicht betriebsbereit war. Beides gereicht ihm zum Verschulden.
Wenn der Zeuge W tatsächlich mit einem funktionsfähigen Radargerät und einer Voraussicht von ca. 1800 - 2000 m zu Berg fuhr, hätte er das talfahrende MS „Jenny" bei der von ihm eingehaltenen Geschwindigkeit von ca. 12 - 14 km/h mindestens die beiden letzten Minuten vor dem Zusammenstoß auf dem Radarschirm sehen müssen. Der Umstand, dass von der Hochspannungsleitung gelegentlich Fehlechos herrühren können, entlastet ihn nicht. Dies musste er wissen, und er hätte etwaige „Geisterechos" durch verschiedene Einstellungen des Radargeräts von echten Echos unterscheiden können (vgl. Bemm/ v. Waldstein a.a.O. § 6.32 RdNR. 4). Insbesondere erscheint es ausgeschlossen, dass bei einer Voraussicht von 1800 - 2000 m auf der gesamten Strecke im Zuge der Annäherung der beiden Schiffe das Echo von MS „Jenny" ununterscheidbar durch Fehlechos überlagert war. Dies vermag die Berufungskammer aus eigener Sachkunde ohne die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu beurteilen. Zudem hat der Zeuge H bekundet, dass er MS „Jenny" bei einer Vorausschau von 2 km auf seinem Radargerät habe zu Tal kommen sehen und die Hochspannungsleitung dabei für ihn kein großes Hindernis gewesen sei. Insbesondere kann der Zeuge W nicht mehr bei der Auswertung des Radarbilds durch die Hochspannungsleitung behindert worden sein, nachdem er diese passiert hatte. Nach der glaubhaften Aussage des H hat die Kollision sich nämlich ca. 400 m oberhalb der Leitung bei Rhein-km 439,6 ereignet.
Des weiteren fällt dem Zeugen W zur Last, dass er sich nicht gem. § 6.30 Ziff. 2 S. 2 RhSchPVO über Sprechfunk gemeldet hat. Gerade dann, wenn er nicht wusste, ob ihm ein Talfahrer entgegen kam, weil er auf seinem Radarschirm echte von einem Gegenkommer stammende Echos nicht von durch die Hochspannungsleitung verursachten möglichen Fehlechos unterscheiden konnte, hätte er auf jeden Fall Funkkontakt zu etwaigen Talfahrern im Revier suchen müssen.
Nach alledem steht zur Überzeugung der Berufungskammer fest, dass auch der Schiffsführer W die Kollision durch Verstoß gegen die ihm bei der Radarfahrt obliegenden nautischen Sorgfaltspflichten schuldhaft verursacht hat.
Bei der gem. §§ 254 BGB, 92 c BSchG vorzunehmenden Abwägung erscheint eine hälftige Schadensverteilung angemessen. Beide Schiffsführer sind bei unsichtigem Wetter im Bereich der geregelten Begegnung ohne Not in der Mitte der Fahrrinne gefahren, was eine besondere Gefahrenlage heraufbeschwor. Sie haben auch beide das Radarbild fehlerhaft ausgewertet; während der Beklagte den Kurs von MS „Harma" nicht richtig eingeschätzt hat, hat Schiffsführer W MS „Jenny" überhaupt nicht wahrgenommen. Zudem haben sie den erforderlichen Funkkontakt unterlassen. Des weiteren hat der Beklagte die gem. § 6.32 Ziff. 3 RhSch- PVO gebotenen Maßnahmen nicht ergriffen.
Hiernach haben beide Schiffsführer in etwa gleichem Maße den Unfall verschuldet, so dass es gerechtfertigt erscheint, den Schaden im Verhältnis 1 : 1 zu teilen.
Entsprechendes gilt für den vom Beklagten zur Aufrechnung gestellten Schadensersatzanspruch aus dem Unfallereignis vom 13.10.1996, der ebenfalls zur Hälfte gerechtfertigt ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin fehlt es nicht an der gern. § 387 BGB erforderlichen Gegenseitigkeit, da der Schuldner gern. § 406 BGB eine ihm bezahgegenüber dem bisherigen Gläubiger zustehende Forderung auch gegenüber dem neuen Gläubiger aufrechnen kann. Auch die gern. § 118 BSchG eingetretene Verjährung hindert die Aufrechnung nicht, da sich die beiderseitigen Forderungen in unverjährter Zeit aufrechenbar gegenüber gestanden haben, § 390 BGB. Da die Höhe der auf beiden Seiten entstandenen Schäden noch weitgehend ungeklärt ist und auch die Frage, ob der Beklagte hinsichtlich einzelner, von ihm geltend gemachter Schadenspositionen aktivlegitimiert ist, der Aufklärung bedarf, ist schifffahrtsüblich ein Grundurteil zu erlassen und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Klageanspruchs und die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung des Beklagten an das Rheinschifffahrtsgericht zurückzuverweisen (vgl. Zöller/ Vollkommer, ZPO, 22. Aufl. § 304).
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2001 - Nr.9 (Sammlung Seite 1835 ff.); ZfB 2001, 1835 ff.