Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Hat ein mit 24 km/h leer zu Tal fahrendes Motorgüterschiff die wegen Hochwassers nach § 10.01 Nr. 1 d) RheinSchPV vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h gegenüber dem Ufer über¬schritten und können dafür keine nautischen Gründe geltend gemacht werden, ist eine Zuwiderhandlung gegen die RheinSchPV gegeben. Verbleiben bei einer Fließgeschwindigkeit von ca. 8 km/h für die Eigengeschwindigkeit eines mit zwei 628-PS-Motoren ausgerüsteten Schiffes noch ca. 12 km/h, genügen diese zur Erhaltung einer noch ausreichenden Steuerfähigkeit.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 10.6.1998
386 B - 11/98
(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar)
Zum Tatbestand:
Am 24.10.1995 belegte die WSD Südwest den Betroffenen mit einem Bußgeld von 300,00 DM, weil er mit dem von ihm am 28.02.1995 auf dem Rhein verantwortlich geführten GMS „C" (106 m lang; 9,05 m breit; Tiefgang 2,82 m; 1.785 t; leer, 1.240 PS) die Strecke von Bingen (km 528,2) bis Niederheimbach (km 538,7) zwischen 7.38 h und 8.02 h mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 24 km/h befahren hat, obwohl die Geschwindigkeit wegen Hochwassers (Überschreiten der Hochwassermarke 1 am Pegel Bingen - Richtpegel : 3,50 m - tatsächlicher Pegel: 3,76 in) für die Talfahrt auf 20 km/h beschränkt war. Zuwiderhandlungen gegen § 10.01 Nr. 1 d) RheinSchPV i. V. m. Art. 4 Abs. 3 Nr. 17 r) RheinSchPEV
Gegen den Bußgeldbescheid hat der Betroffene form- und fristgerecht Einspruch eingelegt, weil nach seiner Ansicht das GMS beim Einhalten der vorgeschriebenen Geschwindigkeit von 20 km/h nicht mehr steuerungsfähig gewesen wäre.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat eine Geldbuße von 200,00 DM festgesetzt. Die Berufung hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„1. § 10.01 RheinSchPV regelt die „Beschränkung der Schiffahrt bei Hochwasser oberhalb der Spyck'schen Fähre". Nach Nr. 1 der Vorschrift ist die Schiffahrt zwischen den Schleusen Iffezheim (km 334,00) und der Spyck'schen Fähre km 857,40) bei Hochwasserständen zwischen den Marken 1 und II bestimmten Beschränkungen unterworfen. Nach Nr. 1 d) darf die Höchstgeschwindigkeit der Fahrzeuge gegenüber dein Ufer 20 km in der Stunde nicht überschreiten. Nach Nr. 1 e) dürfen innerhalb des entsprechenden Streckenabschnitts nur solche Fahrzeuge die Fahrt fortsetzen, die mit einer Sprechfunkanlage ausgerüstet sind; sie müssen den Verkehrskreis Nautische Information auf Empfang geschaltet haben.
2. Der Betroffene hat den objektiven Tatbestand einer Verletzung von § 10.01 Nr. 1 d) RheinSchPV eingeräumt. Jedoch ist er der Meinung, daß ihm das Durchfahren der Meßstrecke mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 24 km/h nicht vorgeworfen werden könne, weil die von der Wasserschutzpolizei festgestellte Geschwindigkeit erforderlich gewesen sei, um GMS „C" steuerfähig zu halten. Ansonsten hätte er der hart begegnenden Bergfahrt nicht mehr ausweichen können, so daß schwere Kopf-auf-Kopf-Havarien zu befürchten gewesen wären. Zu beachten sei, daß eine von Rhein-km 527,7 bis etwa Rhein-km 530,4 sich linksrheinisch befindende Längskrippe vorhanden sei, die etwa 1994/1995 „in Dienst gestellt" worden sei. Durch diese neue Längskrippe habe sich die Fahrsituation für die Berg- und Talfahrt gravierend verändert. Etwa 50 % aller Bergfahrer müßten nunmehr auf Grund einer einschneidenden Erhöhung der ohnehin schon hohen Fließgeschwindigkeit unterhalb Bingen Vorspann nehmen; die Talfahrt ihrerseits sei gezwungen - auch und gerade bei Hochwasser - eine bestimmte Eigengeschwindigkeit des Schiffes nicht zu unterschreiten, um bei der enormen Fließgeschwindigkeit von ca. 8 km/h über Grund die Steuerungsfähigkeit des Schiffes zu erhalten. Hinzu komme, daß die Talfahrt auf Höhe des Nahegrundes eine starke Tendenz habe, nach Backbord auszubrechen, wogegen die Bergfahrt wegen der linksrheinisch höchsten Fließgeschwindigkeit bestrebt sei, trotz des herrschenden Rechtsfahrgebotes soweit als möglich auf die rechtsrheinische, also von der Fließgeschwindigkeit günstigere Seite herüberzugehen, was in den vergangenen Jahren zu mehreren Beinah-Unfällen geführt habe.
Die wesentliche Erhöhung der Fließgeschwindigkeit auf dem gesamten Streckenabschnitt zwischen ca. Rhein-km 530,0 und Rhein-km 540,0, der zudem kurvenreich und damit gefährlich ist, habe einzelne Talfahrer veranlaßt, auf Höhe des Clemensgrundes (/Rhein-km 534,0) jenseits der roten Tonnen, also außerhalb der Fahrrinne zu fahren, um gerade der schwach motorisierten Bergfahrt einen Kurs möglichst weit rechtsrheinisch, also auf der fließschwachen Seite, zu erlauben. Schließlich herrsche unterhalb Bingen ein für die Talfahrt problematisches Überholverbot, wenn ein schwach motorisiertes Schiff vorausfahre und das nachfolgende Fahrzeug zu einer Reduzierung der Geschwindigkeit und damit der Steuerungsfähigkeit führe. Zu Gunsten des Betroffenen sei außerdem zu berücksichtigen, daß das leere GMS „C" auf der Fahrt durch die Meßstrecke zusätzlich starken Winden ausgesetzt gewesen sei. Überdies seien während der Messungen durch die Wasserschutzpolizei sämtliche leere Talfahrer genötigt gewesen, die Geschwindigkeitsbegrenzung zur Erhaltung der Manövrierfähigkeit zu überschreiten.
3. Dem ist entgegenzuhalten:
a) Nach dem Schreiben des Wasserschutzpolizeiamts Rheinland-Pfalz Station Bingen vom 08.08.1996 an die Staatsanwaltschaft Koblenz war es nach den handschriftlichen Aufzeichnungen der an den Messungen beteiligten Beamten am 28.02.1995 in der Meßstrecke windstill. Gleiches ist dem polizeilichen Meßprotokoll vom 28.02.1995 zu entnehmen, das der WSP-Beamte S in der Hauptverhandlung vom 26.02.1997 dem Rheinschiffahrtsgericht übergeben hat. Danach fehlt jeder Anhalt für die Behauptung des Betroffenen, am 28.02.1995 hätte unterhalb Bingen starker Wind geherrscht.
b) Nach dem polizeilichen Meßprotokoll vom 28.02.1995 haben die meisten leeren Talfahrer die zulässige Geschwindigkeit von 20 km/h überschritten, wobei deren Durchschnittsgeschwindigkeit zumeist unter der von GMS „C" eingehaltenen Geschwindigkeit gelegen hat. Indes vermag die Berufungskammer daraus allein nicht zu entnehmen, daß es nautische Gründe gewesen sein sollen, um schneller als erlaubt zu fahren.
c) Nach § 9.04 Nr. 1 a) und 2 RheinSchPV („Geregelte Begegnung") müssen auf der Strecke zwischen der Neckarmündung (km 428,20) und Lorch (km 540,2) die Bergfahrer und die Talfahrer beim Begegnen ihren Kurs so weit nach Steuerbord richten, daß die Vorbeifahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord stattfinden kann. Diese Rege¬lung gilt nicht nur bei normalem Wasserstand, sondern auch bei Hochwasserständen, wie sich aus § 10.01 Nr. 1 c) Satz 1 („ 9.04 bleibt unberührt") RheinSchPV ergibt. Danach ist es nicht einsichtig, daß bei Begegnungen schwere Kopf-auf-Kopf-Havarien zu befürchten wären. Hinzu kommt, daß bei der auch im Meßbereich 80 m breiten Fahrrinne Berg- und Talfahrt über einen genügenden Begegnungsabstand verfügen und sich mittels der vorgeschriebenen Sprechfunkverbindung auf etwaige Schwierigkeiten hinweisen können. Keinesfalls kann hingenommen werden, daß die Talfahrer und die Bergfahrer die Vorschriften für die vorgeschriebene geregelte Begegnung mißachten, um in der für sie günstigsten Strömung fahren zu können.
d) Zuzustimmen ist dem Betroffenen, wenn er meint, daß die Talfahrt eine bestimmte Eigengeschwindigkeit benötigt, um die Steuerungsfähigkeit der Fahrzeuge zu erhalten.
Beträgt wie hier nach den Angaben des Betroffenen die Fließgeschwindigkeit ca. 8 km/h, so verbleiben für die Eigengeschwindigkeit des Schiffes ca. 12 km/h bis zu der erlaubten Geschwindigkeit von 20 km/h gegenüber dein Ufer. Diese 12 km/h genügen zur Erhaltung einer noch ausreichenden Steuerfähigkeit, wie dem Schreiben der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Südwest vom 21.07.1987 an das Wasserschutzpolizeiamt Rheinland-Pfalz Station Bingen zu entnehmen ist und den Erfahrungen der Berufungskammer entspricht, zumal GMS „C" mit zwei 628-PS-Motoren ausgerüstet ist, die für die Navigation des Fahrzeugs von wesentlicher Bedeutung sind...."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1998 - Nr. 20 (Sammlung Seite 1706 f.); ZfB 1998, 1706 f.