Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Die Vorschriften des § 6.32 RheinSchPV für die Radarfahrt enthalten die Ausnahmen von den allgemeinen Regelungen des § 6.04 RheinSchPV.
2) Ob der Radarbergfahrer nach §6.32 Nr. 4 RheinSchPV verpflichtet ist, einen langen Ton zu geben und den entgegenkommenden Fahrzeugen über Sprechfunk seine Fahrzeugart, seinen Namen, seine Fahrtrichtung und seinen Standort mitzuteilen und anzusagen, ob er die blaue Tafel oder das weiße Funkellicht nach § 6.04 zeigt oder nicht, läßt sich nur dann bejahen, wenn nach dem Beweisergebnis feststellbar ist, mit welchen Kursen sich Berg- und Talfahrer einander genähert haben.
Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 15. Dezember 1998
381 Z - 13/98
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 20. Oktober 1997 - 5 C 31/96 BSch -)
Tatbestand:
Die Parteien streiten über einen Schiffszusammenstoß, der sich am 15.12.1994 gegen 03.45 h bei Rhein-km 663,3 zwischen dem zu Berg kommenden Schubverband D/R und dem zu Tal fahrenden TMS O ereignet hat. Zur Unfallzeit war es dunkel. Ferner war die Sichtweite durch Nebel eingeschränkt, weshalb der Schubverband sowie der Talfahrer mit Radarhilfe fuhren. Schiebendes Fahrzeug des Schubverbandes war das unbeladene MS D (105 m lang; 11,40 m breit; 1.453 t; 2 Maschinen mit 1000 beziehungsweise 1.200 PS). Diesem Fahrzeug war der SL R (76,40 m lang; 11,40 m breit; 960 t; Ladung: 12 t) vorgespannt. TMS O (79,90 m lang; 9,54 m breit; 1.261 t; Ladung: ca. 1.000 t Sonnenblumenöl; 800 PS) stieß bei der Begegnung mit dem Bug gegen den Bug des SK "Ro-Ro 2", wobei an beiden Fahrzeugen ein erheblicher Schaden entstanden ist. Die Klägerin ist Eigentümerin des TMS O. Sie verlangt aus eigenem und abgetretenem Recht von Versicherern Schadenersatz von der Beklagten zu 1 als Eigentümerin oder mindestens Ausrüsterin des MS D sowie von dem Beklagten zu 2 als verantwortlichem Schiffsführer dieses Schiffes. Sie hat beantragt, die Beklagten zu 1 und 2 gesamtschuldnerisch haftend zu verurteilen, an die Klägerin 110.340,51 DM nebst Zinsen zu zahlen, und zwar die Beklagte zu 1 im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes sowohl persönlich haftend, als auch bei Vermeidung der Zwangsvollstreckung in das MS D. TMS O habe sich - etwas nach rechtsrheinisch versetzt - in der Mitte des Fahrwassers der späteren Unfallstelle genähert. Der Schiffsführer habe auf dem Radarschirm bemerkt, daß ein Bergfahrer, bei dem es sich um den Schubverband gehandelt habe, ungefähr den gleichen Kurs wie TMS O hatte. Der Schiffsführer des Talfahrers habe auf eine Kursweisung des Schubverbandes gewartet. Dieser habe die freie Auswahl gehabt, entweder Steuerbord an Steuerbord oder Backbord an Backbord mit dem Talfahrer zu begegnen. Weil sich der Schubverband nicht gemeldet habe, habe sich der Schiffsführer von TMS O wiederholt über Funk erkundigt, sei aber ohne Antwort geblieben. Darauf habe er die Umdrehungszahl der Maschine seines Fahrzeugs gedrosselt. Indessen habe der Schubverband seinen Kurs beibehalten, so daß es in der Mitte der Fahrrinne zur Kollision gekommen sei, wobei die Schiffe fast gestreckt gelegen hätten und der Schubverband auseinander gebrochen sei.
Die Beklagte zu 1, die MS D in Kenntnis der Klageforderung zu neuen Reisen ausgesandt hat, und der Beklagte zu 2 haben beantragt, die Klage abzuweisen. Ihren Antrag haben sie wie folgt begründet:
Der Schubverband sei linksrheinisch zu Berg gefahren bei unverändertem Abstand zum linken Ufer von 70 m. Bei Rhein-km 664 habe der Beklagte zu 2 ca. 2.000 m oberhalb den Talfahrer erkannt. Dieser sei auf der rechten Seite des Rheins gefahren, so daß ausreichend Platz zu einer reibungslosen Backbordbegegnung zwischen dem Talfahrer und dem Schubverband gewesen sei. Deshalb sei eine besondere Absprache zwischen den beiden Schiffsführungen nicht erfolgt. Im weiteren Verlauf der Annäherung seien der Schubverband und TMS O jeweils auf ihrer Seite gefahren, so daß bei unveränderter Fortsetzung dieser Kurse der seitliche Begegnungsabstand zwischen ihnen 40 bis 50 m betragen habe. Plötzlich habe TMS O ca. 100 m oberhalb des Schubverbandes seinen bis dahin ungefährlichen Kurs verlassen und sei mit Kurs hart Backbord auf die Spitze des Schubverbandes zugekommen. Die Führung des Verbandes habe sofort Achtungsignal gegeben und sei mit Steuerbordruder gleichzeitig dichter zum linken Ufer beigefahren. Jedoch habe sie nicht verhindern können, daß TMS O in starker Backbordschräglage gegen das Backbordvorschiff des SL R geraten sei. Durch die Kollision sei die backbordseitige Drahtverbindung zwischen MS D und SL R gerissen. Zu diesem Zeitpunkt habe der Schubverband nur noch einen Abstand von 50 bis 55 m zum linken Ufer gehabt.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen:
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hätten sich die Schiffe zunächst in ungefährlichen Kursen einer Begegnung Backbord an Backbord angenähert. Hierdurch habe der Schubverband dem TMS O den für die Begegnung zu nehmenden Weg gewiesen. Im Hinblick darauf wäre eine nochmalige und ausdrückliche Funkabsprache nicht nötig gewesen. Erwiesen sei ferner, daß TMS O den Kurs in Richtung Backbord geändert habe und in Backbordschräglage gegen den Bug des SL R gestoßen sei. Somit habe der Talfahrer nicht den ihm von dem Schubverband für die Begegnung gewiesenen und auch geeigneten Weg befolgt und dadurch die Kollision verschuldet. Hingegen sei ein Verschulden des Führers des Schubverbandes an dem Schiffsunfall nicht bewiesen.
Mit der form- und fristgerechten Berufung verfolgt die Klägerin den Klageantrag weiter. Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung kann keinen Erfolg haben. Nach dem Beweisergebnis kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Beklagte zu 2 die Kollision zwischen dem Schubverband D/R und dem TMS O verursacht hat.
1. Zwar hat der Schiffsführer Becker des TMS O im Verklarungsverfahren ausgesagt : Er habe den Schubverband auf dem Radarschirm auf etwa 1.700 m in Mitte Fahrwasser erkannt; er selbst sei mit seinem Fahrzeug etwas mehr zur rechten Rheinseite hin gefahren; da er seitens des Schubverbands keine Weisung zum Begegnungskurs erhalten habe, habe er dessen Führung über Funk danach gefragt, jedoch - wie auch auf weitere Anfragen - keine Antwort bekommen; im Radarbild habe er gesehen, daß der Verband den Kurs ein wenig - zunächst nach Steuerbord, sodann wieder nach Backbord - wechselte; bei der weiteren Annäherung habe er erkannt, daß eine Havarie nicht mehr zu vermeiden war; an sich hätte er den Schubverband von vorneherein an beiden Seiten passieren können; etwa 800 bis 900 m vor dem Kollisionspunkt - beim 2. Anruf - habe er die Maschine seines Fahrzeugs gedrosselt; die genaue Kollision habe in Mitte Strom stattgefunden, etwas mehr zur rechtsrheinischen Seite hin; der Schubverband und TMS O seien bei der Kollision nahezu gestreckt gewesen, eben genauen Kollisionskurs fahrend.
2. Demgegenüber hat der 1. Schiffsführer F des Schubverbands den Unfall im Verklarungsverfahren wie folgt geschildert: Er sei linksrheinisch zu Berg gefahren; beim km 664,5 habe er einen Ankerlieger, der etwa 15 m vom linken Ufer entfernt gewesen sei mit einem Seitenabstand von 30 bis 40 m passiert; bei km 664 habe er den Talfahrer im Radarbild ausgemacht; dieser habe sich ca. 2.000 m rechtsrheinisch oberhalb befunden; der Schubverband und der Talfahrer hätten sich jeder - auf seiner Seite fahrend - genähert; plötzlich sei der Talfahrer bei einer Entfernung von 100 m zum Schubverband mit seinem Vorschiff zu diesem herübergekommen; er selbst habe darauf sofort ein Achtungsignal gegeben und sei mit Steuerbordruder zum linken Ufer beigegangen; etwa 50 bis 55 m von dem linken Ufer entfernt sei es zur Kollision gekommen; ohne die plötzliche Kursänderung des Talfahrers hätte der Passierabstand 40 bis 50 m betragen; der Talfahrer sei in starker Backbordschräglage gegen das Backbordvorschiff des SL R gestoßen, wobei die linksseitigen Drähte zwischen dem Schubboot und dem Schubleichter mit der Folge gerissen wären, daß der Leichter nach rechts zum Ufer gedreht habe und auf Grund gelaufen sei; über Funk sei er zu keiner Zeit von dem Talfahrer angerufen worden.
Ähnlich wie F hat sich dessen Lebensgefährtin E. Housen, die als 2. Schiffsführer sich ebenfalls im Steuerhaus des Schubbootes aufgehalten hat, im Verklarungsverfahren geäußert, insbesondere zu dem plötzlichen Kurswechsel des Talfahrers in Richtung Schubverband, dem fehlenden Funkverkehr vor der Kollision und der Möglichkeit des Talfahrers, gefahrlos an der Backbordseite des Verbandes zu passieren.
3. Bei den widersprechenden Angaben von Schiffsführer B (TMS O) einerseits und den Schiffsführern F und H (Schubverband) andererseits besteht kein Anhalt dafür, daß sich die Kollision entsprechend dem Vortrag der Klägerin ereignet hat. Insoweit hat auch die Klägerin einräumen müssen, daß die Unfallschilderungen der beteiligten Schiffsführer in einem unvereinbaren Gegensatz zueinander stehen. Ferner ist die Klägerin auch der Meinung, daß die Angaben der Schiffsführer B (TMS P) und W (MS T), die an dem Schiffsunfall unbeteiligt waren, in dem Verklarungsverfahren nicht dafür sprechen, daß die Unfallschilderung des Schiffsführers B (TMS O) zutreffend ist. Beide Schiffe fuhren hinter dem Schubverband so weit unterhalb zu Berg, daß die Schiffsführer weder den Schubverband noch das TMS O auf ihrem Radarschirm sehen konnten, weshalb sie zu den Kursen der Havaristen vor dem Zusammenstoß und der Lage des Kollisionsorts keine Angaben machen konnten. Beide haben erst nach dem Unfall über Kanal 10 gehört, daß der Schubverband einen Zusammenstoß gehabt und dabei seinen Back verloren habe bzw. dieser abgerissen sei. Übrigens hat keiner der beiden unbeteiligten Schiffsführer Kursanfragen des Schiffsführers B gehört. Schiffsführer Bahat erst nach dem Unfall infolge des Stoppens der Maschine des Schubboots den Schubverband auf dem Radarschirm gesehen, wobei er "erkennen konnte, daß vorne an Steuerbord der Back in Richtung des Ufers lag, während das Schiff selbst, D, noch längs am Ufer lag; beide Teile hatten einen Winkel von 90°"; dann habe MS D mitsamt des Backs zurück in Richtung Strommitte gezogen. Das deutet mehr darauf hin, daß sich die Kollision linksrheinisch und nicht in der Fahrwassermitte ereignet hat.
4. Schließlich kann den schriftlichen und mündlichen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dipl.-Ing. Z von der Versuchsanstalt für Binnenschiffbau in Duisburg sowie der von der Klägerin vorgelegten gutachtlichen Stellungnahme des Ingenieurbüros Dr. E nichts dafür entnommen werden, welchen Kurs jeweils TMS O und der Schubverband bis zum Zusammenstoß eingehalten haben und wo dieser erfolgt ist. Beide Gutachter, die sich mit dem Kollisionswinkel zwischen den Havaristen befaßt haben, bemerken, daß der Kollisionswinkel nichts über die Lage der Fahrzeuge im Strom aussagt, sondern über die Lage der Schiffe zueinander (E) bzw. daß das Gutachten zu der Lage der Schiffe im Strom nichts besagt (Z).
5. Was endlich die von der Klägerin aufgeworfene Frage angeht, welche Zeichen der Schubverband zur Begegnung mit dem Talfahrer hätte geben müssen, so übersieht sie, daß es vorliegend nicht um die allgemeinen Regelungen des § 6.04 RheinSchPV geht, sondern um die Vorschrift des § 6.32 RheinSchPV, der die Ausnahme von der allgemeinen Regelung für die Fahrt bei unsichtigem Wetter enthält. Dazu heißt es in Nr. 4 der Vorschrift für den Radarbergfahrer: "Sobald ein Fahrzeug in der Radarfahrt zu Berg das Dreitonzeichen nach Nummer 3 Buchstabe a hört oder auf dem Radarschirm Fahrzeuge bemerkt, deren Standort oder Kurs eine Gefahrenlage verursachen kann, muß es einen langen Ton geben, der so oft wie notwendig zu wiederholen ist und den entgegenkommenden Fahrzeugen über Sprechfunk seine Fahrzeugart, seinen Namen, seine Fahrtrichtung und seinen Standort mitteilen und ansagen, ob es die blaue Tafel oder das weiße Funkellicht nach § 6.04 zeigt oder nicht." Ob eine solche Verpflichtung vorliegend für den Schubverband bestanden und dieser sie nicht befolgt hat, ließe sich nur dann bejahen, wenn nach dem Beweisergebnis feststellbar wäre, mit welchen Kursen sich die Havaristen einander genähert haben. Indes ist das, wie vorstehend insbesondere unter Nr. 3 und 4 ausgeführt, nicht der Fall. Im übrigen hat die Klägerin nicht die Aussage der Schiffsführer Fokkens und Housen (MS D) widerlegen können, F habe sofort ein Achtungsignal gegeben, als er den behaupteten Backbordkurswechsel des TMS O auf 100 m bemerkt habe.
6. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 20. Oktober 1997 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Festsetzung dieser Kosten gemäß Artikel 39 der revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1999 - Nr. 4 (Sammlung Seite 1732 f.); ZfB 1999, 1732 f.