Jurisprudentiedatabank
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 15. September 1975
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 14.2.1975 - 5 C 5/74 BSch -)
Tatbestand:
Das bei der Klägerin versicherte MS "Berolina" fuhr am 11.9.1972 gegen 13.30 Uhr auf dem Rhein bei km 80.5 zu Tal, Es war mit Stückgut (Decklast) beladen und hatte einen Tiefgang von einem Meter. Das Schiff hat ein Fassungsvermögen von 1295 to, ist 80 m lang, 9,20 m breit und hat eine Maschine von 800 PS. Ihm entgegen kam u.a. das MS "E 202", das der Beklagten zu 1) gehört und vom Beklagten zu 2) geführt wurde. Es war mit Mais beladen und hatte einen Tiefgang von 2,35 Metern. Dieses Schiff hat ein Fassungsvermögen von 1147 to, ist 79,92 m. lang, 8,20 m breit und hat eine Maschine von 500 PS. Bei ihrer Begegnung stießen beide Schiffe zusammen. Auf dem MS "B" entstand ein Schaden in Höhe von DM 25.207,30, den die Beklagten in Höhe von DM 12.603,65 ausgeglichen haben. Die Klägerin hat den Rest des Schadens ersetzt und verlangt von den Beklagten die Erstattung der gezahlten Summe. Die zum Unfall führenden Vorgänge sind im Wesentlichen unstreitig. Das MS "E 202" hatte als Bergfahrer die blaue Seitenflagge gesetzt, wies also "B" an, an Steuerbord an ihm vorbeizufahren. Die Flagge war aber nicht oder kaum erkennbar, da sie sich bei dem herrschenden starken Wind ganz oder fast ganz um ihren Stock gewickelt hatte, ein Vorgang, der auf "E 202" entweder nicht bemerkt oder nicht beachtet worden war. Auf "B" sah man die blaue Flagge zunächst nicht. Deshalb und aus dem Kurs von "E 202" schloss man auf eine Weisung zur Vorbeifahrt an Backbord. Man richtete sich deshalb auf eine solche Begegnung ein und zog die eigene blaue Seitenflagge ein, die als Erwiderung der Kursweisung eines anderen Bergfahrers gesetzt worden war, den man bereits passiert hatte. Als man auf nahe Entfernung eine Zipfel der blauen Seitenflagge von "E 202" und damit die von diesem Schiff gegebene wirkliche Kursweisung erkannte, versuchte man ihr zu entsprechen und verlegte den Kurs nach Backbord. Der Versuch misslang und führte zum Zusammenstoss der beiden Schiffe. Die Klägerin ist der Ansicht, die Führung von "E 202" habe den Schaden allein verursacht, weil sie eine unklare Kursweisung gegeben habe. Sie hat behauptet, das Schiff sei in der Mitte des Stromes gefahren, während der Kurs von "B" in der rechtsrheinischen Stromhälfte verlaufen sei. Diesen Kursen, so meint die Klägerin, hätte eine Begegnung Backbord an Backbord entsprochen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie DM 25.207,30 abzüglich gezahlter DM 12.603,65 nebst 4 % Zinsen seit dem 10.11.1972 zu bezahlen und auszusprechen, dass die Beklagte zu 1) dinglich mit dem MS "E 202" und persönlich im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes hafte.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen
Sie sind der Ansicht, dass auch die Führung von "B" den Unfall verschuldet habe, weil der Kurs des Schiffes, der in Anbetracht desjenigen von "E 202" die Gefahr eines Zusammenstosses. ausgeschlossen habe, kurze Zeit vor der Havarie in denjenigen dieses Schiffes hineinverlegt worden sei. Außerdem werfen die Beklagten der Führung von. "B" vor, auf die unklare Kursweisung ihres Schiffes nicht durch ein Achtungssignal hingewiesen zu haben. Das Rheinschifffahrtsgericht in Duisburg-Ruhrort hat Zeugen, vernommen und sodann der Klage stattgegeben. Das Urteil ist wie folgt begründet worden: Es sei davon, auszugehen, dass die von der Führung des MS "E 202" wirklich, gegebene Kurs Weisung auf dem MS "B" erst zu erkennen gewesen sei, als die beiden Schiffe, nur noch 200 - 250 m voneinander entfernt gewesen seien. Erst jetzt sei nämlich ein Zipfel der blauen Seitenflagge des Bergfahrers sichtbar gewesen. Vorher habe auch der Kurs von "E 202" nicht auf eine Weisung zur Vorbeifahrt an Steuerbord schließen lassen, denn er habe in der rechtsrheinischen Stromhälfte, in der das Schiff "etwas breit" gefahren sei, gelegen. Bei der Talfahrt habe deshalb der Eindruck entstehen können, "E 202" wolle eine Begegnung an Backborde Diesem Eindruck habe der Kurs von "B" zunächst entsprochen. Ihn könne man also nicht als fehlerhaft ansehen. Auch andere Fehler der Führung dieses Schiffes seien nicht feststellbar. Akustische Signale hätten die Havarie nicht verhindern können, da erst als alles zu spät gewesen sei, Anlass beanstanden habe, sie abzugeben. Die Decklast des MS "B" habe die Sicht aus dem Ruderhaus nicht beeinträchtigt. Es stehe schließlich nicht fest, dass ein ungeeigneter Mann das Ruder geführt habe. Zusammenfassend habe die Führung von "B" die Kursweisung von "E 202" so befolgt, wie sie erkennbar gewesen sei. Sie treffe deshalb an dem Unfall kein Verschulden. Dessen Folgen hätten wegen der unklaren Kursweisung von "E 202", welche die alleinige Unfallursache sei, dessen Interessenten allein zu tragen. Die Höhe des Schadens auf "B" sei unstreitig.
Die Beklagten haben Berufung eingelegt und die Entscheidung der Berufungskammer der Zentralkommission verlangt.
Beide Parteien wiederholen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen zu den Ausführungen des Rheinschifffahrtsgerichts Stellung.
Es beantragen:
Die Beklagten,
die Klägerin mit der Klage abzuweisen.
Die Klägerin,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die richtig eingelegte Berufung ist erfolglos. Jede Kursweisung eines Bergfahrers muss klar und eindeutig sein. Diesen Grundsatz spricht § 6.04 RSchPVO einmal dadurch aus, dass er in Absatz 3 bestimmt, die zur Kursweisung gegebenen Zeichen müssten von vorne und hinten sichtbar seilte Gegen ihn verstieß die Verweisung des MS "E 202" an MS "B" dadurch, dass sich die blaue Seltenflagge des Schiffes Infolge starken Windes um ihren Stock gewickelt hatte und deshalb nicht oder fast nicht zu erkennen war. Der auf Kursweisung achtende Talfahrer, der die Flagge nicht sah, musste deshalb den, Eindruck gewinnen, "E 202" zeige die blaue Seitenflagge nicht und gebe die Weisung, an seiner Backbordseite vorbeizufahren. Entsprechend könnte er deshalb seinen Kurs legen. Die notwendige Klarheit und Eindeutigkeit der Kursweisung normiert weiter § 6.04 Abs. 1 RSchPVO, wo es heißt, die Bergfahrer müssen den Talfahrern unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs einen geeigneten Weg frei lassen. Das bedeutet, dass der Kurs des Bergfahrers seiner WEISUNG an den Talfahrer entsprechen, muss, so dass bei diesem Zweifel über DEN von ihm einzuschlagenden Fahrweg nicht entstehen können. DIESER Anforderung kann der Kurs von MS "E 202" nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme des Rheinschifffahrtsgerichts nicht entsprochen haben, denn bei seinen Beobachtern erweckte er einen unterschiedlichen Eindruck. Zu ihnen gehörte der Zeuge Q., der Führer des Koppelverbandes "MS GK"/SK "S 23", der etwa 120 m hinter "B", das ihn kurze Zeit vorher überholt hatte, zu Tal fuhr. Ihm schien nach dem Kurs des MS "E 202", dass die Begegnung mit ihm Steuerbord an Steuerbord zu erfolgen hatte, da der Bergfahrer, wenn auch "etwas breit" in der rechtsrheinischen Stromhälfte fuhr. Der Zeuge hat deshalb nicht drauf geachtet, "E 202" die blaue Flagge zeigte. Die Formulierung "etwas breit" in einer Stromhälfte fahren, bedeutet in der Schiffersprache, der sich der Zeuge Q. hier bedient hat, in der betreffenden Hälfte in der Nähe der Strommitte zu fahren. Bedenkt man dies, so wird klar, dass der Kurs von "E 202" bei anderen Talfahrern einen anderen Eindruck hervorrufen konnte. Der Rudergänge auf "B", der Zeuge W., gewann z.B. den Eindruck, der Kurs des Bergfahrers zeige, dass er eine Begegnung an seiner Backbordseite wünsche. Es kann nicht anerkannt werden, dass dieser Eindruck der erkennbaren Situation nach völlig falsch war und nur bei einem ganz unerfahrenen Rudergänger entstehen konnte. Einer solchen Feststellung widerspricht der Kurs des MS "E 202" in der Nähe der Strommitte, der eine Vorbeifahrt an beiden Seiten des Schiffes nicht ausschloss, wenn er auch eine solche an der Steuerbordseite begünstigte.
Zusammenfassend stellt deshalb die Berufungskammer fest, dass für einen Talfahrer, der auf Kurs und blaue Seitenflagge des MS "E 202" achtete, der Eindruck entstehen konnte, das Schiff verlange eine Begegnung an seiner Backbordseite. Einen anderen Eindruck konnte der Talfahrer haben, der nur auf den Kurs des Bergfahrers achtete und unterstellte, ihm entspreche die Kursweisung durch Zeichen. Er konnte meinen, es werde einen Begegnung an der Steuerbordseite verlangt. Insgesamt war deshalb die Kursweisung unklar und ein Verstoß gegen § 6.04 RSchPVO.
Nun hat man auf "B" in einer Entfernung zu "E 202", die das Rheinschifffahrtsgericht auf 200 - 250 m wohl richtig festgestellt hat, einen Zipfel der blauen Seitenflagge des Bergfahrers gesehen und damit erkannt, welche Kursweisung in Wirklichkeit gegeben wurde. Da nichts zwingend dafür spricht, dass diese Kenntnis bei gehöriger Aufmerksamkeit früher hätte gewonnen werden können, ist ihr zu später Erwerb nicht vorwerfbar. Die Frage kann deshalb nur sein, ob die Reaktion des Rudergängers von "B" auf die wirkliche Kursweisung schuldhaft falsch war. Nach der Ansicht der Berufungskammer ist dem nicht so, Die Talfahrer müssen nach § 6.04 Abs. 5 RSchPVO den Weg nehmen, den ihnen die Bergfahrer weisen. Die Befolgung dieses Gebotes kann nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen falsch und vorwerfbar sein. Das könnte z.B., dann der Fall sein, wenn die Befolgung einer Kursweisung mit Sicherheit zu einer Havarie führte, während ihre Missachtung mit der gleichen Sicherheit folgenlos sein würde, etwa deshalb, weil der Bergfahrer einen Kurs fährt, der eine gefahrlose Befolgung seiner Weisung ausschließt. Ähnlich könnte der Fall bewertet werden, in dem eine Kursweisung des Bergfahrers zunächst unklar ist und erst in einer Entfernung für den betroffenen Talfahrer erkennbar wird, in der ihre Befolgung eine Havariegefahr heraufbeschwört, während ihre Missachtung sie ausschließt. Der vorliegende Fall entspricht aber den bisher geschilderten nicht. Als die Kursweisung von "E 202" auf "B11 erkennbar wurde, war die Situation keineswegs so, dass ihre Befolgung eine Havariegefahr heraufbeschwor, während ihre Nichtbefolgung eine solche ausschlösse Beide Maßnahmen bargen vielmehr die Gefahr eines Zusammenstosses in sich. Bei einer Befolgung der Kursweisung musste "B" den Kurs des Bergfahrers kreuzen. Es war zweifelhaft, ob dies ohne Havarie gelingen werde. Jedenfalls war dies der Eindruck des Zeugen Q., eines erfahrenen Schiffsführers und sachkundigen Beobachters der Lage. Auf der anderen Seite bestand die Möglichkeit, das "E 202" seinen Kurs mit seiner Weisung in Einklang brachte und ihn nach backbord, d.h. weiter zum rechtsrheinischen Ufer hin verlegte o Behielt man auf "B" dann den eigenen Kurs bei, so kreuzte diesen jetzt der Bergfahrer mit dem Ergebnis, dass ebenfalls die Gefahr eines Zusammenstosses entstände Beide Möglichkeiten hatte der Rudergänger auf "B" schnell abzuwägen, denn die Entfernung zum Bergfahrer war kurz und. das eigene Schiff fuhr mit hoher Geschwindigkeit. Wenn er sich in dieser Lage zur Befolgung der Kursweisung entschloss, so verdient er keinen Vorwurf. Das gilt auch dann, wenn aus der Rückschau gesehen, eine Nichtbefolgung die Havarie verhindert hätte, denn eine solche Betrachtungs- und Bewertungsweise ist unzulässig, da sie der Situation nicht gerecht wird, in der sich der Rudergänger von "B" befand, als er schnell seine Entscheidung zu treffen hatte. Dieser Zugang zu einer schwierigen Entscheidung unter Zeitdruck barg die Gefahr einer objektiv falschen Entscheidung o Verantwortlich auch hierfür wäre die Führung von "E 202", welche die Lage herbeigeführt hatte, in der die geschilderte Entscheidung zu treffen war. Auch andere Fehler auf "B" sind nicht feststellbar. Mit dem Rheinschifffahrtsgericht ist die Berufungskammer der Ansicht, dass ein akustisches Signal sowie eine Bestätigung der Kursweisung oder eine optische Erwiderung der Kursweisung keine Wirkung hätte erzielen können, die über diejenige der erkennbaren Kurse hinausgegangen wäre. Insbesondere konnten die Signale nicht so rechtzeitig gegeben werden, dass sie auf die Kursänderung von "B" hingewiesen oder eine frühere Änderung des Kurses von "E 202" herbeigeführt hätten, denn als die Kursweisung erkannt wurde, musste sofort eine Entscheidung über den weiteren Kurs von "B" getroffen werden, die durch kein Signal vorbereitet werden konnte. Weiter spricht nichts dafür, dass die Deckladung von "B" die Sicht aus dem Ruderhaus nach vorne erschwerte, so dass deshalb die Kursweisung von "E 202" zu spät erkannt wurde. Schließlich ist unerheblich, ob der Rudergänger auf "B" erfahren oder unerfahren war, da nicht feststeht, dass er einen Fehler gemacht hat.
Es wird deshalb für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 14.2.1975 verkündeten Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort wird als unbegründet abgewiesen.
Das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts wird bestätigt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Die Festsetzung der Kosten unter Berücksichtigung des Artikels 39 der Revidierten Rheinschifffahrts-Akte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.
Der Gerichtskanzler: Der Vorsitzende:
(gez.) Doerflinger (gez.) S. Royer