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Leitsätze:
1) Fehlt das nach § 4.06 Nr. 1 c) RheinSchPV vorgeschriebene Schallgerät zur Abgabe des Dreitonsignals, ist die Fahrt bei unsichtigem Wetter einzustellen und das Fahrwasser so weit wie möglich freizumachen.
2) Bei einer Sichtweite von 200 bis 400 m darf zwar die Bergfahrt, nicht aber die Talfahrt nach optischer Sicht fortgesetzt werden.
3) Die unzulässige Fortsetzung der Fahrt bei unsichtigem Wetter spricht nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins für ein unfallursächliches Verschulden. Der Annahme einer unfallursächlichen Kausalität steht nicht entgegen, daß ein Dreitonsignal den Unfall nicht mehr hätte vermeiden können, sofern man es überhaupt hätte abgeben können, wenn der Kurs nicht nach § 9.02 Nr. 2 RheinSchPV beim Begegnen so weit nach Steuerbord gerichtet wird, daß die Vorbeifahrt ohne Gefahr backbord an Backbord stattfinden kann. Derartigen Fehlern soll durch das Gebot, die Fahrt bei unsichtigem Wetter ohne Radar einzustellen, entgegengewirkt werden.
4) Befindet sich ein Talfahrer auf Kollisionskurs mit einem zu Berg kommenden Radarfahrer, muß dieser im Bereich der vorgeschriebenen geregelten Begegnung seine Fahrt durch Beigehen zum linken Ufer bis zur Vorbeifahrt des Talfahrers einstellen, mindestens sofort das Schallsignal nach § 6.32 Nr. 5 RheinSchPV geben.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 3. Oktober 1997
363 Z - 11/97
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 25. November 1996 - 5 C 40/96 BSch -)
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 26.9.1994 gegen 22.30 Uhr auf dem Rheinstrom unterhalb der Homberger Brücke bei Rheinstrom-km 781 etwa in Strommitte ereignet hat.
Die Klägerin ist der Versicherer des MS M (1529 t groß; 950 PS stark), das von Schiffseigner W zur Zeit nachbeschriebener Ereignisse verantwortlich geführt worden ist. Sie klagt aus übergegangenem und abgetretenen Recht.
Der Beklagte ist Eigner des MS D (1594 t groß, 620 PS stark), das zur Unfallzeit von Schiffsführer W verantwortlich geführt worden ist. MS D verfügte nicht über ein Gerät zur Abgabe eines Dreitonsignals.
Zu der angegebenen Zeit befand sich MS M unterhalb der Homberger Brücke mit einer Ladung von 1426 t Salz in der Bergfahrt. Schiffseigner W stand selbst am Ruder. Er fuhr in Strommitte mit einer Geschwindigkeit von etwa 10,5 bis 11 km/h und wegen Nebels mit Radarhilfe.
Zur gleichen Zeit befand sich das voll abgeladene MS D bei einem Tiefgang von 2,90 m unter Führung des Schiffsführers P mit einer Geschwindigkeit von ca. 5 bis 6 km/h in der Talfahrt. Schiffsführer P fuhr teils auf Sicht, teils auf Anweisung seines Sohnes R, der das eingeschaltete Radargerät beobachtete. Schiffsführer P beabsichtigte, unterhalb der Homberger Brücke aufzudrehen und rechtsrheinisch am « Luftball » zu übernachten.
Als sich beide Schiffe bereits weitgehend angenähert hatten, nahm MS M Kurs nach Backbord und geriet in Steuerbordschräglage vor dem Bug des Talfahrers. MS D stieß mit seinem Steuerbordbug gegen das Steuerbordvorschiff von MS M. MS M erlitt im vorderen Laderaumbereich eine schwere Leckage und sank kurz darauf in der Nähe des rechtsrheinischen Ufers.
Bei der Kollision wurden beide Schiffe beschädigt.
Aus Anlaß des Unfalls wurde das Verklarungsverfahren 5 II 8/94 Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort durchgeführt.
Nach dem Unfall wurden beide Schiffe in Kenntnis des Unfalls und seiner Folgen zu neuen Reisen ausgesandt.
Die Klägerin hat behauptet, bei der Annäherung der beiden Schiffe habe sich MS D etwa 25 m näher am linken Ufer befunden als MS M. Schiffsführer W habe darauf über Kanal 10 den Talfahrer abgerufen und angefragt, was der Talfahrer an der Homberger Brücke mache. Man habe ihm geantwortet, was er da mache. Darauf habe er entgegnet, er fahre zu Berg. Plötzlich habe MS D seine Position nach Steuerbord verlagert und sei damit in Steuerbordschräglage geraten. Um MS D auszuweichen, habe Schiffsführer W Backbordruder gelegt. Dieses Ausweichmanöver sei mißlungen, weil der Talfahrer seinen Steuerbordkurs beibehalten habe. Die Kollision habe sich ungefähr in Strommitte, also noch im linksrheinischen Teil der Fahrrinne ereignet. Nach der Kollision sei MS M mit voller Maschinenkraft nach rechtsrheinisch gefahren, wo es dann gesunken sei.
Schiffsführer P von MS D sei ein Verschulden jedenfalls deshalb anzulasten, weil er die Fahrt nicht rechtzeitig eingestellt habe, obwohl sein Schiff nicht ordnungsgemäß für die Radarfahrt ausgerüstet gewesen sei.
Da sich die Möglichkeit nicht ausschließen lasse, das MS M durch geeignete Maßnahmen den Unfall hätte verhindern können, so hat die Klägerin vorgetragen, werde nur die Hälfte des entstandenen Schadens geltend gemacht. Sie hat ihren Schaden näher auf 1.268.961,43 DM beziffert und Zahlungsverzug seit dem 1.3.1996 behauptet.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten außer dinglich haftend mit MS D im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich haftend zu verurteilen, an die Klägerin 634.480,72 DM nebst 4% Zinsen seit dem 1.3.1996 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat eine Ersatzpflicht bestritten und vorgetragen, der Bergfahrer habe plötzlich Backbordkurs genommen und sei in das rechtsrheinische Fahrwasser des MS D geraten. Die Kollision sei nicht zu vermeiden gewesen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat nach Beiziehung der Verklarungsakten 5 II 8/94 Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort durch das am 25.11.1996 verkündete Urteil die Klage abgewiesen und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der des genannten Verklarungsverfahrens der Klägerin auferlegt.
Zur näheren Begründung seiner Entscheidung hat das Rheinschiffahrtsgericht ausgeführt, die Schiffsführung des MS M habe den Unfall allein verschuldet. Ihr sei vorzuwerfen, daß sie kurz vor der Begegnung der beiden Schiffe ihren Kurs nach Backbord zum rechten Ufer hin gewechselt und entgegen dem für das Unfallrevier bestehende Rechtsfahrgebot eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord habe durchführen wollen. Ein Verschulden der Schiffsführung des MS D sei hingegen nicht feststellbar. Zwar spreche der Anscheinsbeweis für eine fehlerhafte Fortsetzung der Fahrt bei unsichtigem Wetter und damit für ein Verschulden der Schiffsführung, weil MS D nicht ordnungsgemäß für die Radarfahrt ausgerüstet gewesen sei, MS D habe sich jedoch so verhalten, wie es sich bei zulässiger Fortsetzung der Fahrt hätte verhalten müssen, weshalb der Beklagte keinen Schadensersatz schulde. In dem Moment, in dem die Schiffsführung des MS D die Gefahrenlage hätte erkennen können, hätte ein Dreitonsignal dieses Schiffes die Kollision nicht mehr verhindern können. Die Schiffe hätten sich bereits bis auf ca. 200 m genähert gehabt. Beide Schiffsführer seien sich in diesem Moment auch ohne ein Dreitonsignal der Gefahrenlage bewußt gewesen. MS D habe nicht mehr ausweichen können. Die Schiffsführung des MS M sei aufgrund einer Fehleinschätzung einen falschen Kurs gefahren.
Schließlich könne der Schiffsführung des MS D nicht der Vorwurf gemacht werden, sich nicht mit dem Bergfahrer über Funk verständigt zu haben. Sie habe dem Bergfahrer über Kanal 10 mitgeteilt, daß entsprechend dem Rechtsfahrgebot eine Begegnung Backbord an Backbord durchgeführt werden sollte. Danach habe für eine weitere Warnung keine Veranlassung bestanden, bis MS M den Kurs gewechselt habe. Anschließend habe der Schiffsführer des MS D sofort wieder über Funk gerufen und angefragt, was der Bergfahrer denn mache.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Mit der Berufung strebt sie eine Verurteilung des Beklagten entsprechend ihren erstinstanzlichen Klageanträgen an.
Die Klägerin wendet sich gegen die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil und meint, das Rheinschiffahrtsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, daß Schiffsführer P sen. von MS D in der Nacht und bei dichtem Nebel blind zu Tal gefahren sei. Die vorhandene Radaranlage sei im Zuge der Annäherung nicht benutzt worden. P sen. habe auch kein Radarpatent gehabt. Deshalb habe er auch den Bergfahrer erstmals gesehen, als man sich auf Kollisionskurs bis auf 200 m genähert gehabt habe.
MS D sei nicht mit einem Dreitonsignal ausgerüstet gewesen, so daß dieses Schiff die Fahrt hätte einstellen und das Fahrwasser so weit wie möglich hätte freimachen müssen. Zur Unfallzeit habe infolge Nebelbänken eine beschränkte Sicht bestanden. Die Wasserschutzpolizei habe Sichtweiten zwischen 100 und 150 Metern festgestellt. Für ein Verschulden der Schiffsführung des MS D spreche deshalb der Beweis des ersten Anscheins.
Weiter behauptet die Klägerin, MS D habe bereits im Brückenbereich mit einem Aufdrehmanöver begonnen, wie das Schiffsführer W beobachtet habe. Auch sei ein in Strommitte verlaufenden Kurs dieses Schiffes fehlerhaft gewesen, weil die Fahrrinne unterhalb der Homberger Brücke mehr rechtsrheinisch verlaufe. Wenn ein Bergfahrer wie MS M sich in Strommitte halte, befinde er sich noch im linksrheinischen Teil der Fahrrinne. Umgekehrt gerate ein Talfahrer in den linksrheinischen Teil des Fahrwassers, wenn er in Strommitte bleibe. Die Schiffe hätten, weil beide in Strommitte gefahren seien, auf Kollisionskurs gelegen. Bei Beachtung seiner Sorgfaltspflichten hätte der Talfahrer sich jedoch deutlich rechtsrheinisch in einem klaren Kurs halten müssen, der keinen Anlaß zu Mißverständnissen geben konnte. Das sei jedoch nicht geschehen.
Das Ausweichmanöver des MS M sei eine Notmaßnahme und die Folge einer durch die Nebelfahrt des MS D geschaffenen Gefahrenlage gewesen. Im Rahmen der Gefahrenabwehr sei die Schiffsführung des MS M verpflichtet gewesen, ihren Kurs zu ändern.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Er meint, die Sichtweiten hätten zur Unfallzeit eine Talfahrt ohne Radar zugelassen. MS D habe nicht im Brückenbereich wenden wollen, sondern erst später. Der Unfall beruhe auf eine plötzliche Kursänderung des Bergfahrers, die durch die Gewalt des Stromes verstärkt worden sei. Hingegen habe von dem langsam zu Tal fahrenden MS D keine Gefahr ausgehen können. Infolge der Stromkrümmung im Bereich der Duisburg-Ruhrorter Häfen habe der Eindruck bestehen können, der Talfahrer befinde sich auf der falschen Seite. Hätte MS M entsprechend dem Gebot der geregelten Begegnung seinen Kurs nicht nach Backbord gerichtet, wäre der Unfall vermieden worden. Beide Schiffe hätten nicht jeweils ihren guten Wall anhalten müssen. Es sei ausreichend gewesen, daß man mit Kurs Backbord auf Backbord in ausreichendem Abstand von 50 m hätte begegnen können. D sei nicht über « seine » Mitte hinausgekommen.
Im übrigen meint der Beklagte, unter den gegebenen Umständen hätte ein Dreitonsignal seines Schiffes den Unfall nicht mehr verhindern können. Die Havarie habe sich im rechtsrheinischen Bereich zugetragen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist begründet.
Beide beteiligten Schiffe haben den Schiffsunfall vom 26.9.1994 verschuldet, ohne daß das Verschulden der einen oder anderen Seite überwiegt, weshalb die Klägerin nach den §§ 3, 4,
114, 92, 92c BinSchG, 823, 249, 254, 398 BGB, 67 VVG Ersatz des von ihr geltendgemachten Hälfteschadens verlangen kann.
1. Der Zeuge P hat als verantwortlicher Schiffsführer des MS D dieses Schiff mit Radarhilfe zu Tal gesteuert, obwohl dieses Schiff nicht gehörig für die Fahrt mit Radar bei unsichtigem Wetter ausgerüstet war. Er hätte wegen des unsichtigen Wetters die Fahrt einstellen und das Fahrwasser so weit wie möglich freimachen müssen. Hierauf beruht die Kollision der unfallbeteiligten Schiffe.
Das auf MS D vorhandene Radargerät durfte nicht benutzt werden und mußte bei der Entscheidung, ob die Fahrt angesichts der verminderten Sichtverhältnisse fortgesetzt oder eingestellt werden mußte, außer Betracht bleiben. Denn MS D verfügte nicht über das in § 4.06 Nr. 1 lit. c RheinSchPV vorgeschriebene Schallgerät zur Abgabe eines Dreitonsignals.
Zur Unfallzeit herrschte auch unsichtiges Wetter, wie die Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren zur Überzeugung der Berufungskammer ergeben hat. Die Sichtverhältnisse waren sicherlich schwankend, was auf dem Niederrhein nicht außergewöhnlich ist. Entsprechend haben auch die dazu im Verklarungsverfahren vernommenen Zeugen unterschiedliche Angaben über die Sichtweiten gemacht. Für die Beurteilung der Sichtweite zur Unfallzeit und im Unfallbereich mußte die Berufungskammer für ihre Feststellungen entscheidend auf die Angaben des Zeugen P sen. abstellen, der die Entscheidung, ob er die Fahrt fortsetzen oder einstellen mußte, zu treffen hatte. Page sen. hat nach seinen Angaben den Bergfahrer zuerst gesehen, als dieser ca. 200 m von dem Bug seines Schiffes entfernt gewesen ist. Hiernach ist von Sichtverhältnissen von 200 m auszugehen. Bestand aber nur noch eine derartige Sicht im Bereich der Homberger Brücke, einem vielbefahrenen Teil des Reviers, herrschte dort unsichtiges Wetter. Die Berufungskammer der Zentralkommission hat bereits früher im Urteil vom 7.12.1972 - 15 Z - 2/72 (ZfB 1973, 524) ausgeführt, daß bei einer Sichtweite von 200 bis 400 m zwar die Bergfahrt, nicht aber die Talfahrt nach optischer Sicht fortgesetzt werden darf. Daran ist festzuhalten. Unter diesen Umständen hätte Schiffsführer P sen. wegen der sich anzeigenden Sichtverschlechterung bereits vorher die Fahrt ohne Radarhilfe einstellen und das Fahrwasser freimachen müssen (§ 6.30 Nr. 2 RheinSchPV). Die unzulässige Fortsetzung der Fahrt bei unsichtigem Wetter spricht nach den Grundsätzen des Beweis des ersten Anscheins für ein unfallursächliches Verschulden die Zeugen Page sen. (BGH VersR 1974, 158 = ZfB 1974, 17 ; BGH VersR 1986, 546 ; 1989, 608 ; 1991, 1257 ; Bemm/v. Waldstein, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung, § 633 Rdn 23).
Für das unfallursächliche Verschulden seiner Schiffsbesatzung hat der Beklagte einzustehen.
2. Die Annahme einer unfallursächlichen Kausalität nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises stehen keine tatsächlichen Feststellungen entgegen, die die Kausalität ausschließen könnten.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat sich auf die von dem Rheinschiffahrtsobergericht Köln im Urteil vom 17.1.1969 - 3 U 122/69 - (zustimmend : Bemm/v. Waldstein, a.a.O. § 6.32 Rdn 23) vertretene Auffassung gestützt, wonach nicht schon wegen der unterlassenen Fahrteinstellung ein Radarfahrer im Kollisionsfalle von seinem Kollisionsgegner Schadensersatz verlangen könne, wenn dieser wegen ungenügender optischer Sicht die Fahrt hätte einstellen müssen, sich aber so verhalten hat, wie er sich bei einer zulässigen Fahrt hätte verhalten müssen. Es mag sein, daß in Ausnahmefällen dieser Art billigerweise eine Kausalität entfällt. Eine solche Ausnahme vermag die Berufungskammer hier nicht anzunehmen.
Schiffsführer P sen. hat nach seinen eigenen Bekundungen, wie bereits ausgeführt, den ihm entgegenkommenden Bergfahrer erst auf einen Abstand von 200 m gesehen. Ein solcher Abstand war, wenn mit einem Gegenfahrer Kollisionskurs bestand, zu gering, um darauf noch sachgemäß zu reagieren. So hat der Beklagte selbst vortragen lassen, ein Dreitonsignal, hätte man es überhaupt abgeben können, hätte den Unfall nicht mehr vermeiden können, woraus der Beklagte nur folgern will, daß dem fehlende Schallgerät keine Ursächlichkeit beizumessen ist, dabei aber die durch die Fortsetzung der Fahrt bei unsichtigem Wetter bedingte Gefahrenlage außer Acht läßt. Auch wenn er sehr langsam fuhr, konnte er vor einem für ihn plötzlich auf kurzen Abstand auftauchenden Bergfahrer nicht mehr seinen Kurs zu einer gefahrlosen Begegnung nach Steuerbord richten, wie ihm § 9.02 Nr. 2 RheinSchPV vorschreibt. Mindestens hat Schiffsführer P sen., als er das MS M erstmals sah, seinen Kurs nicht rechtzeitig zum rechten Ufer gerichtet, um diesem Schiff Platz für eine gefahrlose Begegnung zu machen.
Darüberhinaus hat das Rheinschiffahrtsgericht nicht hinreichend berücksichtigt, daß unstreitig beide unfallbeteiligten Schiffe in Strommitte gefahren sind, obwohl die amtliche Fahrrinne nach der Stromkarte unterhalb der Homberger Brücke rechtsrheinisch verläuft und die Strommitte demzufolge am linken Rande der Fahrrinne liegt. Da im Revier unterhalb von Duisburg (Rheinstrom-km 769,00) nach § 9.02 Nr. 1 lit. b RheinSchPV die geregelte Begegnung gilt, hätten beide Schiffe beim Begegnen nach § 9.02 Nr. 2 RheinSchPV ihren Kurs so weit nach Steuerbord richten müssen, daß die Vorbeifahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord stattfinden konnte. Wenn MS D, wie es der Zeuge P sen. bekundet hat, in Strommitte fuhr, hielt er den linksrheinischen Teil der amtlichen Fahrrinne an, richtete also nicht seinen Kurs so weit nach Steuerbord, daß eine gefahrlose Begegnung mit dem Bergfahrer möglich war. Ein Radarfahrer hätte das rechtsrheinische Fahrwasser genutzt, nicht aber den linken Teil der amtlichen Fahrrinne, der der Bergfahrt für die Begegnung verbleiben mußte. Dieser Navigationsfehler ist nur aus der Erwägung verständlich, daß MS D ohne Radarhilfe fuhr und sich aus Unsicherheit zur Orientierung in Strommitte hielt. Derartigen Fehlern soll durch das Gebot, die Fahrt bei unsichtigem Wetter ohne Radarhilfe einzustellen, entgegengewirkt werden.
Hiernach ist festzustellen, daß sich der Talfahrer nicht so verhalten hat, wie er sich bei einer zulässigen Fahrt mit Hilfe von Radar hätte verhalten müssen.
3. Die Schiffsführung des MS M sind ebenfalls unfallursächliche Fehler anzulasten.
Schiffsführer W kann allerdings nicht vorgeworfen werden, in Strommitte gefahren zu sein, weil dort nach der Stromkarte der Rand der linksrheinischen Fahrrinne lag. Ob er mit seinem beladenen Schiff weiter nach linksrheinisch hin hätte ausweichen können, brauchte die Berufungskammer nicht zu entscheiden, weil der Wasserstand zur Unfallzeit nicht festgestellt worden ist und daher ungewiß ist, ob MS M weiter linksrheinisch genügend Wasser gefunden hätte. Zudem sind gegen MS M keine Vorwürfe in der Richtung, nicht genügend nach linksrheinisch über die Fahrrinne hinaus ausgewichen zu sein, erhoben worden.
Die Berufungskammer vermochte aber nicht zu übersehen, daß Schiffsführer W als Radarfahrer seine Fahrt fortgesetzt hat, obwohl ihm der Talfahrer in Strommitte entgegenkam und sich ihm durch einen Kollisionskurs der Schiffe eine Gefahrenlage förmlich aufdrängte. Mindestens hätte er sofort das Schallsignal nach § 6.32 Nr. 5 RheinSchPV geben müssen, wenn er sich nicht entschloß, seine Fahrt durch Beigehen zum linken Ufer bis zur Vorbeifahrt des Talfahrers einzustellen.
Ferner hat Schiffsführer W entgegen dem sich aus § 9.02 Nr. 2 RheinSchPV ergebenden Grundsatz der geregelten Begegnung, Backbord an Backbord zu begegnen, versucht, durch Backbordkurs eine Kollision mit MS D zu vermeiden. Das war fehlerhaft und für die Kollision der Schiffe mitursächlich. Da sich die Fahrzeuge bereits weitgehend angenähert hatten, mußte ein Backbordkurs von MS M notwendig zu einer Querlage im Strom führen, die durch die Gewalt des Stromes verstärkt wurde. Hierdurch fiel M dem langsam zu Tal fahrenden MS D vor den Bug, so daß dieses Schiff in dieser Situation keine Möglichkeit mehr hatte, die Kollision zu vermeiden, selbst wenn man die Maschinenkraft verstärkte, um Druck auf dem Ruder zu haben. Wo die Kollision letztlich erfolgte, ob noch in Strommitte und mehr rechtsrheinisch, ist unerheblich. Jedenfalls lag eine fehlerhafte Reaktion auf die fehlerhafte Fahrweise des MS D vor, die auch nicht als entschuldigt angesehen werden kann. Gerade bei unsichtigem Wetter ist von jedem Schiffsführer besondere Sorgfalt und Umsicht gefordert. Dazu rechnet, daß ein Schiffsführer seine Fahrweise auch in Notsituationen an den Vorschriften der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung ausrichtet. Hätte Schiffsführer W, der den Talfahrer frühzeitig erkannt und angerufen hatte, seinen Kurs deutlich nach linksrheinisch hin verlegt und eine Begegnung Backbord an Backbord wie vorgeschrieben angestrebt, wäre der Unfall möglicherweise vermieden worden.
4. Bei der Abwägung des auf beiden Seiten obwaltenden Verschulden im Rahmen des § 92 c BinSchG vermochte die Berufungskammer kein überwiegendes Verschulden der einen oder anderen Seite festzustellen. Zwar liegt das Primärverschulden bei der Schiffsführung des MS D, weil dieses Schiff die Fahrt ohne Radarhilfe wegen des unsichtigen Wetters nicht fortsetzen durfte und hierdurch eine Gefahrenlage für die durchgehende Schiffahrt herbeigeführt hat. Ebenso schwer wiegt aber das Verschulden eines Schiffsführers, der seinen gesteigerten Sorgfaltspflichten bei der Radarfahrt nicht genügt, kein Schallsignal abgibt, sich irritieren läßt und den Anordnungen der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung über die geregelte Begegnung zuwider handelt. Die Berufungskammer ist deshalb der Auffassung, daß der Beklagte die Hälfte des Schadens der Klägerin zu tragen hat.
5. Da die Klägerin ihre Klage auf die Hälfte ihres Schadens beschränkt hat, war die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären.
Die Parteien haben zulässigerweise zunächst das Verfahren auf den Grund des Klageanspruchs beschränkt. Das Rheinschiffahrtsgericht hat über die Höhe des Klageanspruchs auch noch keine Feststellungen getroffen. Zur weiteren Entscheidung über die Höhe des Klageanspruchs war deshalb der Rechtsstreit an das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort zurückzuverweisen. Bei seiner Kostenentscheidung wird das Rheinschiffahrtsgericht entsprechend den Anträgen der Parteien anderweitig über die Kosten des Verklarungsverfahrens 5 II 8/94 Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort zu erkennen haben.
6. Die Kosten des Berufungsverfahrens waren in entsprechender Anwendung des § 91 ZPO dem Beklagten aufzuerlegen.
7. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25. November 1996 - 5 C 40/96 BSch - verkündete Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort wie folgt abgeändert:
Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
Zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Klageanspruchs wird der Rechtsstreit an das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort zurückverwiesen.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1998- Nr.1/2 (Sammlung Seite 1671 ff.); ZfB 1998, 1671 ff.