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Leitsatz:
Ändert ein mit Radar zu Tal fahrendes Schiff den vom Bergfahrer gewiesenen und bestätigten Begegnungskurs, trifft diesen kein Mitverschulden an der Kollision, wenn er es in der von ihm festgestellten Gefahrenlage unterläßt, auch das in § 6.32 Nr. 5 RheinSchPV 1983 vorgeschriebene Schallzeichen zu geben und eine über die Kursweisung hinausgehende Ansage zu machen, sofern sich diese unterbliebenen Maßnahmen nicht unfallursächlich ausgewirkt haben.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 25.4.1997
357 Z-6/97
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 3.2.1993 gegen 17.25 Uhr auf dem Rheinstrom bei km 737,1 - Ortslage Straßenbrücke Neuss - Hamm ereignet hat und bei dem die Schiffe beider Parteien beschädigt worden sind.
Zur Unfallzeit herrschte unsichtiges Wetter. Die an dem Unfall beteiligten Schiffe fuhren mit Radar.
Die Klägerin ist Eignerin des MS H, das von Schiffsführer K verantwortlich geführt worden ist. Der Beklagte ist Eigner des MS V, das er zur Unfallzeit selbst geführt hat.
MS H fuhr im rechtsrheinischen Teil der Fahrrinne beladen zu Berg. Voraus fuhr in einem Abstand von ca. 800 m MS J. Das zunächst linksrheinisch zu Tal fahrende beladene MS V begegnete MS J Steuerbord an Steuerbord. Dann verlegte es seinen Kurs in Richtung auf das rechtsrheinische Fahrwasser, um mit MS H backbord an Backbord zu begegnen. Unmittelbar vor der Kollision verlangte der Bergfahrer von dem Talfahrer über Funk eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord. Dicht unterhalb der Brücke, etwa bei km 737,1, kam es im rechtsrheinischen Teil der Fahrrinne zur Kollision beider Schiffe. Vor der Kollision sind von keinem Schiff Schallsignale gegeben worden.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Mit der Berufung strebt der Beklagte Abweisung der Klage an, soweit sie zu mehr als der Hälfte dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden ist. Er wendet sich gegen die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil, die sich nach seiner Ansicht nicht an den Fahrregeln des § 6.32 RheinSchPV orientiere. Auch er selbst habe nicht den hohen Anforderungen entsprochen, die für den Radartalfahrer gelten.
Nach § 6.32 Nr. 4 RheinSchPVO wäre er verpflichtet gewesen, das Dreitonsignal zu geben und dieses Schallzeichen so lange wie notwendig zu wiederholen. Weil die sichere Begegnung zweifelhaft gewesen sei, hätte er auch seine Fahrt einstellen und, falls nötig, Bug zu Tal anhalten müssen. Das Dreitonzeichen hätte den Bergfahrer im Zweifel aufmerksam gemacht und ihn veranlaßt, die Kursweisung zu geben oder wenigstens zu wiederholen.
Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„1. In der Berufungsinstanz hat der Beklagte selbst ein unfallursächliches Verschulden eingeräumt. Ohne dar es der weiteren Nachprüfung bedarf, ob dem Beklagten auch noch weitere unfallursächliche Fehler unterlaufen sind, die als Verstöre gegen die §§ 6.03,6.04 RheinSchPV einzuordnen
wären, nur schon deshalb seine Ersatzpflicht für den der Klägerin entstandenen Unfallschaden nach den §§ 3, 4, 92 ff., 114 BinSchG, 823, 249 BGB angenommen werden.
2. Die Klägerin braucht sich kein Mitverschulden schadensmindernd anrechnen zu lassen, wie das Rheinschiffahrtsgericht mit Recht festgestellt hat.
a) MS H fuhr schon vor der Annäherung an die spätere Unfallstelle in unmittelbarer Nähe des rechten Ufers und hielt seinen Kurs bis zur Kollision unverändert bei. Das entnimmt die Berufungskammer den Aussagen von Schiffsführer F, der mit dem von ihm geführten MTS Ja dem MS H in einem Abstand von ca. 1500 m gefolgt ist. Auch Schiffsführer M, der mit seinem SB N 10 Meter aus den rechtsrheinischen Kribben bei Rhein-km 737,3 vor Anker gelegen hat, hat nach dem Unfall das MS H in einem seitlichen Abstand von 50 m - 60 m in gestreckter Lage gesehen.
b) MS H hat sich wiederholt über Funk unter Positions- und Namensangabe gemeldet, sowie eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord verlangt. Die Kursweisung hat MS V bestätigt.
Die Meldungen des MS H und die Kursverständigung hat der unbeteiligte Zeuge F gehört und die diesbezüglichen Bekundungen des Zeugen K bestätigt. Nach seinen Angaben hat der Zeuge F die Anwort des MS V sinngemäß so verstanden: „Wir machen Steuerbord über Steuerbord". Alle Gespräche, einschlierlich des letzten vor der Kollision und auch die Antwort, seien deutlich zu hören gewesen.
c) Ob Schiffsführer K von MS H rechtzeitig die entgegen der bestätigten Kursverständigung erfolgte Kursänderung des MS V hätte wahrnehmen und hierauf noch hätte reagieren können, um einen Zusammenstoß der Fahrzeuge abzuwenden, vermochte die Berufungskammer aufgrund des Ergebnisses des von dem Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort durchgeführten Verklarungsverfahren und der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nicht festzustellen....
Zwar hat der Zeuge V, der Schiffsführer des MS J gewesen ist, ausgesagt, nach der dem Unfall vorangegangenen Begegnung seines Schiffes mit MS V in einem seitlichen Abstand von 50 m sei dieses Schiff stark zum rechtsrheinischen Ufer herübergegangen, sichere Feststellungen können auf diese Aussage aber nicht gestützt werden.
Auch im übrigen läßt sich dem Beweisergebnis nicht sicher entnehmen, bei welchem Abstand der Schiffe die der Kursverständigung zuwiderlaufende Kursänderung des MS V erfolgt ist.
Schließlich läßt sich aus den eigenen Angaben von Schiffsführer K im Verklarungsverfahren kein unfallursächliches Versagen entnehmen. Nach seinen Bekundungen hat er den Kurs des MS V auf dem Radarschirm verfolgt. Zunächst soll dieses Schiff einen gefahrlosen Kurs gesteuert haben. Erst auf ca. 250 m will er die gefährliche Kursänderung des Talfahrers optisch festgestellt haben. Das kann ihm mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nicht widerlegt werden.
Es kann durchaus so gewesen sein, daß MS V aus nicht näher feststellbaren Gründen unmittelbar vor dem Eintritt in den Radarschatten der Straßenbrücke seinen Kurs plötzlich und unvermittelt geändert und nach rechtsrheinisch gehalten hat. Stellte aber K erst auf ca. 250 m Abstand die Kursänderung fest, war es sachgerecht, wenn er, wie er ausgesagt hat, sofort seine Maschine abstoppte und auf „zurück" stellte, seine Besatzung warnte und über Funk noch einmal die früher erteilte Kursweisung Steuerbord an Steuerbord wiederholte.
Zwar hat Schiffsführer K es unterlassen, in der von ihm festgestellten Gefahrenlage auch das in § 6.32 Nr. 5 RheinSchPV 1983 vorgeschriebene Schallzeichen zu geben und eine über die Kursweisung hinausgehende Ansage zu machen; nach der Überzeugung der Berufungskammer haben sich diese unterbliebenen Maßnahmen aber nicht unfallursächlich ausgewirkt, weil der Beklagte den Bergfahrer auf dem Radarschirm gesehen und auch die erneute Kursweisung unmittelbar vor dem Unfall gehört hatte.
Nach Lage der Sache läßt sich nicht annehmen, da sich der Beklagte bei strikter Beachtung der Regeln des § 6.32 Nr. 5 RheinSchPV 1983 durch die Schiffsführung des MS H anders verhalten und rechtzeitig einen gefahrlosen Kurs gesteuert hätte, wenn er schon, wie er selbst ausgesagt hat, MS H in seiner Kurslinie auf dem Radarschirm sah und erneut auf die Kursweisung Steuerbord an Steuerbord angesprochen wurde.."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1997 - Nr.18 (Sammlung Seite 1656f.); ZfB 1997, 1656 f.