Jurisprudentiedatabank
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt
vom 1. März 1995
322 P - 26/94
(ergangen auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg vom 27. September 1993 - 1 E 286/93 -)
Tatbestand und Verfahren:
Am 7. Februar 1992 stellt die Rhein-Wasserschutzpolizei bei einer Kontrolle an Bord des zu Berg fahrenden Motorschiffes "I" in der Ortsgemarkung OFFENDORF (F) fest, dass das Bordbuch nicht korrekt ausgefüllt wurde, in sofern, als nur die Betriebsart "A" eingetragen war, wohingegen der Kapitän in der Betriebsart "A2" fuhr und außerdem seit Eröffnung des Buches am 24. März 1988 keine Ruhezeiten der Besatzung eingetragen waren. Auf der Grundlage dieser Feststellungen, die von „T“ zugegeben wurden, wurde ein Protokoll ausgefertigt, das der Betroffene sich weigerte zu unterschreiben, obwohl es ihm auf Deutsch übersetzt worden war und er erklärte, diese Sprache zu sprechen und zu verstehen.
Auf der Grundlage dieses Protokolls wurde „T“ zu einem Gerichtstermin am 28. September 1993 geladen mit der Beschuldigung, er habe sein Motorschiff ohne ordnungsgemäß ausgefülltes Bordbuch an Bord fahren lassen. Die Vorladung wurde vorschriftsmäßig am 2. April 1992 bei der Staatsanwaltschaft bewirkt und der Oberstaatsanwalt hat den Vollzugsbeamten des Arrondissements ROTTERDAM (PB), der wiederum auf Grund des Wohnsitzes den zuständigen Polizeibeamten beauftragt hat, gebeten, das Schreiben in Kopie und ins Niederländische übersetzt dem betroffenen zu überstellen. Über diese Aushändigung liegt in der Akte kein Beleg vor.
Mit Urteil vom 28. September 1992 wurde „T“, der weder selber erschienen war noch sich hatte vertreten lassen, in Abwesenheit zu einer Geldbuße von 5.000 FF und zur Übernahme der Kosten verurteilt. Dieses Urteil wurde in deutscher Sprache am 8. Juli 1993 durch einen Polizisten OPJ „T“ zugestellt, welcher, nachdem er Widerspruch eingelegt hatte, auf den 27. September 1993 vor Gericht geladen wurde.
Der Geladene ließ sich in der dergestalt anberaumten Verhandlung durch den Rechtsanwalt H. „G“ vertreten und erklärte sich in einem Schreiben vom 15. September 1993 damit einverstanden, dass in seiner Abwesenheit gemäß Artikel 410 SPO in streitigem Verfahren über ihn geurteilt wird.
Das Gericht stellt durch streitiges Urteil vom 27. September 1993 die Zulässigkeit des Widerspruchs fest und erkannte den Beschuldigten der ihm vorgeworfenen Tatbestände für schuldig und verurteilte ihn demzufolge zu einer Geldstrafe von 5.000 FF und zur Übernahme der Gerichtskosten.
Gegen dieses Urteil hat „T“ Berufung eingelegt.
Er macht geltend, das Urteil sei nichtig, da ihm in Verletzung des Art. 40 MANNHEIMER AKTE keinerlei Vorladung an seine Heimatadresse zugestellt worden sei und ihm vor dem Gerichtstermin vom 27. September 1993 weder eine Vorladung noch ein Urteil, das die Anschuldigung enthalten hätte, ausgehändigt worden sei. Im Übrigen besteht er darauf, dass gegen das Recht auf Verteidigung und die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen worden sei, da der urteilende Richter in diesem Fall nicht unparteiisch gewesen sei, da er bereits in dem Verfahren erkannt und in Abwesenheit geurteilt hatte. Schließlich argumentiert er, Polizeibeamte seien nicht befugt, ein in Abwesenheit gefälltes Urteil zuzustellen und einen Beschuldigten vor Gericht zu laden. Hilfsweise äußert er die Auffassung die ausgesprochene Geldstrafe sei übertrieben hoch.
Folglich beantragt er:
"das Urteil, gegen das Berufung eingelegt wurde, ist aufzuheben;
der Beschuldigte ist von weiterer Verfolgung frei zu sprechen."
Die Staatsanwaltschaft beantragte ihrerseits die Abweisung der Berufung und die Bestätigung des ergangenen Urteils.
Begründung:
Laut Artikel 390-1 StPO, der gemäß Artikel 533 auf Polizeigerichte (in Strafsachen tätiges Amtsgericht) Anwendung findet, "gilt als persönliche Vorladung die Einberufung vor Gericht, die dem Beschuldigten auf Anweisung des Staatsanwalts ... durch einen Kriminalbeamten oder – angestellten zugestellt wurde. In dieser Vorladung ist der Tatbestand, dessentwegen er gerichtlich verfolgt wird, aufgeführt, wird auf den Gesetzestext hingewiesen, nach dem die Ahndung erfolgt, welches Gericht angerufen wurde, Datum, Ort und Zeit der Verhandlung... und dass der Beschuldigte die Hilfe eines Rechtsanwalts in Anspruch nehmen kann. Sie wird in einem Protokoll festgehalten, das der Beschuldigte unterschreibt und in Kopie erhält. "
Das in Abwesenheit gefällte Urteil vom 28. September 1993 wurde „T“ von einem Polizisten der GPJ (Kriminalpolizei) zugestellt und war zu diesem Zweck abgefasst, d.h. es enthielt die erforderlichen oben erwähnten Angaben in deutscher Sprache, da der Betroffene bei einer früheren Protokollaufnahme erklärt hatte, er verstehe diese Sprache, was von dem aufnehmenden Polizisten ordnungsgemäß zu Protokoll genommen wurde;
Es trifft zu, dass in diesem Protokoll, das ungeachtet der Weigerung „T“ , es zu unterschreiben, gültig ist, nicht erwähnt wird, dass dieser davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass er die Hilfe eines Rechtsanwalts in Anspruch nehmen könne, wobei diese Unerlassung kein Grund für eine Ungültigkeit darstellt, da sie dem Betroffenen nicht geschadet hat, da er in der Tat einen Rechtsanwalt hinzu gezogen hat;
Dasselbe trifft zu auf die fehlende Erwähnung, dass „T“ eine Kopie des Protokolls ausgehändigt worden sei.
Wenn auch laut Artikel 490 StPO die Staatsanwaltschaft von dem Widerspruch in Kenntnis gesetzt wird, so sagt der Artikel nichts darüber aus, dass für dessen Verkündigung ein Gerichtsbediensteter eingeschaltet werden muss;
Er kann entweder direkt an den Staatsanwalt oder an jedwede amtliche Stelle gerichtet werden, die befugt ist, ihn entgegen zu nehmen und ein Protokoll darüber anzufertigen (Cass. Crim. 19-1-61 D.61 225):
So wurde im vorliegenden Fall vorgegangen.
Der Beschuldigte macht zu Unrecht geltend, dass gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und das Recht auf Verteidigung verstoßen wurde, indem er nicht durch ein unparteiisches Gericht verurteilt worden sei, da die ergangene Verurteilung durch das selbe Gericht ausgesprochen wurde, das das Versäumnisurteil gefällt habe.
In der Tat wird eine durch Versäumnisurteil ausgesprochene Verurteilung nach französischem Recht durch Widerspruch nichtig, jedoch bleiben die Aussagen des Versäumnisurteils bestehen, wenn dieses Urteil nach Widerspruch bestätigt wird.
Das endgültige nach Widerspruch ergangene Urteil hält sich genau an das Versäumnisurteil, indem es dieses wieder aufnimmt, so dass unmöglich der Vorwurf der Parteilichkeit oder der Verletzung des Rechtes auf Verteidigung damit begründet werden kann, dass das selbe Gericht sowohl in Abwesenheit als auch auf Widerspruch entschieden hat.
Der „T“ angelastete Tatbestand wird nicht bestritten.
Die Tatbestandsmerkmale wurden vorschriftsmäßig wiedergegeben.
Dennoch erscheint die ausgesprochene Geldbuße unter Berücksichtigung aller Tatbestandsmerkmale zu hoch und ist auf 3.000 FF zu reduzieren.
Aus diesen Gründen wird erklärt und entschieden:
Die Berufungsanträge von „T“ und der Staatsanwaltschaft sind zulässig.
Die Berufung von „T“ ist teilweise begründet.
Das Bußgeld wird auf 3.000 FF reduziert und „T“ zur Zahlung dieser Summe verurteilt.
Im Übrigen werden alle gegenteiligen oder weitergehenden Rechtsmittel, Einreden und Anträge abgelehnt.
„T“ wird zur Zahlung der Prozesskosten verurteilt..