Jurisprudentiedatabank
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 10. Februar 1995
318 Z - 18/94
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 31. August 1993 - 5 C 11/93 BSch -)
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 16. 11. 1991 gegen 20.00 Uhr bei Dunkelheit und Nebel auf dem Rheinstrom im Revier bei G ereignet hat.
Die Klägerin ist Versicherer des MTS " RK 205 " ( 1.141 t groß, 83,75 m lang, 8,20 m breit und 811 PS stark), das zur Zeit nachbeschriebener Ereignisse von Schiffsführer L.P. verantwortlich geführt worden ist. Sie klagt aus kraft Gesetzes übergegangenem und abgetretenem Recht. Die Beklagte zu 1 ist Eignerin des MS "M" eines Container-Schiffes ( 1.999 groß, 95 m lang, 11,40 m breit und 1280 PS stark ), dessen Schiffführer zur Unfallzeit der Beklagte zu 2 gewesen ist. Am 16. 11. 1991 gegen 20.00 Uhr fuhr das mit 1035 t Steinkohlenteer beladene MTS " RK 205 " in der Ortslage G mit Hilfe von Radar zu Tal. Zur gleichen Zeit kam das mit 720 t Container beladene MS " M " mit Radarhilfe zu Berg. Am linksrheinischen Fahrwasserrande lagen 3 Stillieger. Zunächst folgte MS " M " dem linksrheinisch vorausfahrenden Schubverband " K " und dem MTS " S ". Nach vorangegangenen Absprachen überholte "M " zunächst " K " und setzte dann zur Überholung von " S " an. Als sich " M " querab von " S " be¬fand, kam es zur Kollision mit " RK 205 ", wobei beide Schiffe erheblich beschädigt wurden. Die Beklagte zu 1 hat MS "M " in Kenntnis der durch den Unfall möglicherweise begründeten Schiffsgläubigerrechte zu neuen Reisen ausgesandt. Aus Anlaß des Unfalls ist gegen den Beklagten zu 2 ein Strafbefehl erlassen worden, der in Rechtskraft erwachsen ist. Das Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort hat aus gleichem Anlaß das Verklarungsverfahren 5 II 19/91 Schiffahrtsgericht Duis¬burg-Ruhrort durchgeführt. Die Klägerin hat behauptet, MS " M " sei ausgesprochen " breit " gefahren. Es ha¬be gerade MTS " S " mit einem Abstand von ca. 40 bis 50 m überholt. Dieses Schiff habe seinerseits zu den linksrheinisch befindlichen Stilliegern einen Abstand von ca. 50 m gehabt. MTS " RK 205 " sei rechtsrheinisch am äußersten Ran¬de der Fahrrinne zu Tal gefahren und hätte MS " M " mit einem Abstand von ca. 50 m passieren können, wenn nicht MS "M " in einem Längsabstand von ca. 100 m plötzlich stark nach Backbord gehalten und das gestreckt fahrende MTS " RK 205 " bei Rhein-km 844,7 gerammt habe.
Weiter hat die Klägerin ausgeführt, der Beklagte zu 2 sei nicht so weit wie möglich linksrheinisch gefahren und habe mit MS " M " in einem gefahrenträchtigen Teil des Reviers fehlerhaft überholt. Die Beklagten seien deshalb für die Zulässigkeit des Überholmanövers beweispflichtig. Die Maschinen des MS "M " hätten beim Überholen eine erhebliche Sogwirkung ausüben können. Die typische Gefahr des Ansaugens mit der Folge eines Ausscherens nach Backbord habe sich hier verwirklicht. Daß "M " zweimal gegen " RK 205 " angekommen sei, spreche dafür, daß sich "RK 205 " in keiner Steuerbordschräglage und "M " sich nicht in gestreckter Lage befunden habe, weil sonst "M " mit seinem Vorschiff in " RK 205 " steckengeblieben oder im günstigsten Falle an diesem Schiff entlang¬geschrammt, nicht aber erneut mit diesem Schiff kollidiert wäre.
Die Klägerin hat den Schaden der Interessenten des MTS " RK 205 " näher auf 254.639,86 DM beziffert und die Voraussetzungen des Zahlungsverzugs dargetan.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten gesamtschuldnerisch haftend zu verurteilen, und zwar die Beklagte zu 1 im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes sowohl persönlich als auch bei Vermeidung der Zwangsvollstreckung in MS " M ", an die Klägerin 254.639,86 DM nebst 5 % Zinsen von 224.126,40 DM seit dem 16. 2. 1992, von 237.367,29 DM seit dem 16. 5. 1992 und von 254.639,86 DM seit dem 19. 8. 1992 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben vorgetragen, der Beklagte zu 2 habe sein Überholmanöver mit den vorausfahrenden Schiffen abgesprochen. Der Schiffsführer des Schubbootes " K " habe erwidert, er werde langsamer machen und dann selbst MTS "S " überholen. Während des Überholmanövers sei auf dem Radarschirm des MS "M " ein Echo erschienen, das sich als MTS " RK 205 " herausgestellt habe. Die¬ses Schiff habe sich ziemlich linksrheinisch gehalten. Der Beklagte zu 2 sei davon ausgegangen, daß MTS "RK 205 " rechtzeitig wieder zum rechten Ufer hin¬übergehen werde, wie es dem Verlauf des Fahrwassers entsprochen habe. Als das nicht geschehen sei, habe er zurückgeschlagen und nach Steuerbord auf MTS " S " zugehalten, in dessen Höhe er sich befunden habe. MTS " RK 205 " habe dann zwar noch versucht, seinen Kurs wieder nach rechtsrheinisch zu verlegen, dies sei aber zu spät gewesen, so daß es zur Kollision der Backbordvorschiffe gekom¬men sei. Die Beklagten haben der Schiffsführung des MTS "RK 205 " vorgeworfen, die Kursweisung des MS "M " mißachtet zu haben. Bei einer Strombreite von ca. 330 m habe sich "M " während des Überholmanövers im linksrheinischen Fahrwas¬ser befunden und die Talfahrt nicht behindert. Das Überholmanöver sei zulässig ge¬wesen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat nach Beiziehung der genannten Verklarungsakten durch das am 31. 8. 1993 verkündete Urteil die Klage abgewiesen. Die Interessenten beider beteiligten Schiffe müßten nach § 92 a BinnSchG die erlittenen Schäden selbst tragen, weil durch das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht geklärt sei, wel¬ches der beiden Schiffe die Kollision verursacht habe und Beweislastgrundsätze zu Lasten einer unfallbeteiligten Partei nicht eingriffen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt.
Die Klägerin wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und wendet sich, auch ge¬stützt auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Ing. H vom 12. 12. 1993, gegen die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil. Sie meint, durch das Ergeb¬nis der Beweisaufnahme sei ihr Vorbringen bewiesen.
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils der Klage gemäß ihren erstinstanzlichen Schlußanträgen stattzugeben.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten verneinen ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 2 und sehen, gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen Ko vom 24. 1. 1994, als erwiesen an, daß MTS " RK 205 "unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 9.02 Ziff. 2 RheinSchPV in den Kurs der Bergfahrt geraten sei und so den Unfall schuldhaft herbeigeführt habe.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist in formeller Hinsicht bedenkenfrei. In der Sache konn¬te ihre Berufung keinen Erfolg haben. Nach § 92 a BinnSchG besteht im Falle eines Zusammenstoßes von Schiffen kein An¬spruch auf Ersatz des Schadens, der den Schiffen oder den an Bord befindlichen Per¬sonen oder Sachen durch Zufall oder höhere Gewalt zugefügt worden ist oder dessen Ursachen ungewiß sind. Entsprechend dieser Vorschrift hat das Rheinschiffahrtsge¬richt mit Recht die Klage abgewiesen. Auch die Berufungskammer sieht die Ursachen des Unfalls vom 18. 11. 1991 bei erneuter Prüfung und Würdigung aller Umstände des Falles als ungeklärt an. Ihre Auffassung stützt die Berufungskammer im einzelnen auf folgende Erwägungen:
1. Bei Abwägung aller Umstände des Falles muß das Überholmanöver des MS " M " als zulässig erachtet werden. Im Revier bei G besteht zwar ein Rechtsfahrgebot ( § 9.02 Ziff. 1 b RheinSchPV ), dieses Rechtsfahrgebot verbietet den Fahrzeugen aber nicht, unter Berücksichtigung der sonstigen allgemeinen Bestimmungen ( § 6.09 RheinSchPV ) andere Fahrzeuge zu überholen. Auch die örtlichen Verhältnisse, insbesondere die Krümmungen des Stromes und die Fahrwasserverhältnisse im Revier bei G schließen Überholmanöver auch bei Dunkelheit und Nebel nicht aus. Von einem ge¬fahrenträchtigen Revierabschnitt, wie es die Klägerin nennt, kann im Hinblick auf die örtlichen Gegebenheiten nicht die Rede sein, mag es auch infolge der Verkehrs¬dichte auf diesem Teil des Reviers häufiger zu Unfällen kommen.
Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin über die Lage der 3 Stillieger ( etwa 30 -40 m aus dem linken Ufer ), dem Seitenabstand der dem MS " M " vorausfahrenden Schiffe zu diesen Stilliegern ( ca. 50 m )und dem späteren Überholabstand des MS " M " zu MTS " S " ( ca. 40 - 50 m ) hätte MS " M " dem MTS " RK 205 " mit einem Seitenabstand von ca. 40 m begegnen können. Schon diese Darstel¬lung der Klägerin zeigt auf, daß gegen die Zulässigkeit des Überholmanövers des MS " M " keine Bedenken erhoben werden können, weil schon der von der Klägerin genannte Begegnungsabstand eine gefahrlose Begegnung der Schiffe gestattete. Hin¬zu kommt, daß das rechtsrheinische Fahrwasser frei war und der Beklagte zu 2 davon ausgehen durfte, daß MTS " RK 205 " dem an dieser Stelle des Reviers gel¬tenden Rechtsfahrgebot folgen und bei der Annäherung an die spätere Unfallstelle nach rechtsrheinisch beigehen werde, wo ausreichend Platz zur Verfügung stand und woran es durch nichts gehindert war. Schließlich haben auch die Schiffsführer der vom Beklagten zu 2 überholten Schiffe, die Zeugen D und vP keine Bedenken gegen die Einleitung des Überholmanövers erhoben. Beide Zeugen haben auch zum Ausdruck gebracht, sie hätten erwartet, daß MTS " RK 205 " recht¬zeitig nach Steuerbord zum rechten Ufer beigehen werde.
2. Die Ursachen der Kollision der unfallbeteiligten Schiffe lassen sich nach dem Er¬gebnis des in dieser Sache durchgeführten Verklarungsverfahrens und der beiden von den Parteien vorgelegten Privatgutachten nicht hinreichend sicher feststellen. Schiffsführer L.P. und dessen Vater, der Zeuge K-H. P. haben den Unfallhergang im wesentlichen so beschrieben, wie das dem Klagevortrag entspricht. Danach soll MS " M " auf ca. 100 m Abstand zu MTS " RK 205 " plötzlich nach Backbord ausgeschert sein und so das Motortankschiff gerammt haben. Ihre Angaben werden durch die der unbeteiligten Zeugen Nm und Hl bestä¬tigt, während die Zeugen Ft und Lp, die ebenfalls an Bord des MTS " RK 205 " gewesen sind, zum eigentlichen Unfallhergang keine Wahrnehmungen gemacht haben.
Demgegenüber hat der Beklagte zu 2 im Verklarungsverfahren bekundet, MTS " RK 205 " sei ca. 70 m aus dem linken Ufer gefahren und habe bei der Annähe¬rung der Schiffe seinen Kurs beibehalten. Erst in der letzten Phase der Geschehnisse habe der Talfahrer stark nach Steuerbord gehalten, ohne den Unfall damit noch ab¬wenden zu können. Ebenso haben die Zeugin AB, die Ehefrau des Beklagten zu 2, und die unbeteiligten Zeugen D und vP den Kurs des MTS " RK 205 " geschildert. Nach ihren Angaben kann von einem Ausscheren des MS " M " nach Backbord in den Kurs des Talfahrers keine Rede sein. Hiernach kann es so gewesen sein, daß MTS " M " in kurzem Abstand auf MTS " RK 205 " zugefahren ist. Möglich ist aber auch ein fehlerhafter Kurs des Talfahrers, der zu spät korrigiert wurde. Welche Darstellung richtig ist, läßt sich auch nicht aus sonstigen Anhaltspunkten oder Umständen entnehmen. Das Rheinschif¬fahrtsgericht hat bereits mit überzeugender Begründung ausgeführt, daß weder aus den örtlichen Gegebenheiten und den Maschinenmanövern des MS "M " unmittel¬bar vor der Kollision sichere Schlußfolgerungen gezogen werden können und Hinwei¬se auf Sogwirkungen nicht sicher festzustellen sind. Hierauf nimmt die Berufungs¬kammer zur Vermeidung von Wiederholungen bezug. Es gibt keine sonstigen überzeu¬genden Anhaltspunkte für die Richtigkeit der einen oder anderen Darstellung, die in einem unvereinbaren Gegensatz gegenüberstehen. Soweit die von den Parteien zur Erstattung von Privatgutachten hinzugezogenen Sachverständigen Prof. Dr. Ing. H und Ko die Aussagen der Zeugen im Verklarungsverfahren auf ihren Wahr¬heitsgehalt geprüft haben, um eine tatsächliche Grundlage für das jeweils erstattete Gutachten zu erlangen, wird verkannt, daß es allein Sache des Gerichts ist, die Aus¬sagen von Zeugen zu würdigen und die für die Entscheidung eines Rechtsstreits rechtlich verbindlichen Feststellungen zu treffen. Soweit die Sachverständigen aufgrund der Schäden an den unfallbeteiligten Schiffen Ausführungen zu dem Anstoßwinkel der Kollisionsgegner gemacht haben, widerspre¬chen sich ihre Darstellungen. Die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H über den Anstoßwinkel von 40 - 45 Grad begegnen nach der Überzeugung der Be¬rufungskammer deshalb Bedenken, weil Schiffsführer L.P. im Verkla¬rungsverfahren ausgesagt hat, im Kollisionszeitpunkt hätten beide Schiffe nur eine leichte Schräglage gehabt. Diese Aussage ist mit den Ausführungen dieses Sachver¬ständigen unvereinbar. Den tatsächlichen Wahrnehmungen eines Zeugen, der zudem selbst Unfallbeteiligter ist, ist unter den gegebenen Umständen der Vorzug zu ge¬ben, zumal Besonderheiten des Unfallgeschehens das Schadensbild beeinflussen und zu fehlerhaften theoretischen Erkenntnissen führen können.
Im übrigen können auch die Erkenntnisse der Sachverständigen zu dem Anstoßwinkel der Kollisionsgegner keine sicheren Aufschlüsse über den Kurs des MS " M " und des MTS " RK 205 " geben, weil der Anstoßwinkel durch Kursänderungen der beteiligten Schiffe in der letzten Phase vor der Kollision, die hier nicht nur vom Beklagten zu 2, sondern auch von den unbeteiligten Zeugen D und vP bezeugt worden sind, entstanden sein kann. Der Anstoßwinkel als solcher kann deshalb die Richtigkeit der einen oder anderer Darstellung der Unfallursache nicht zur Überzeugung der Berufungskammer bestätigen.
Für die Beurteilung des Ergebnisses der Beweisaufnahme konnte es auch nicht auf die Feststellung der genauen Lage der Unfallstelle entscheidend ankommen, die der Zeuge Nm mit Rheinstrom-km 844, 7 - 844,8 und die Zeugen Hl und vP mit Rheinstrom-km 844 angegeben haben, weil aus der Lage der Unfallstelle nichts zu entnehmen ist. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, daß der Verlauf der amtlichen Fahrrinne in der Ortslage G zum rechten Ufer hin einen entscheiden¬den Einfluß auf das Unfallgeschehen hatte, wenn Schiffsführer P., wie er an¬gegeben hat, hart rechtsrheinisch gefahren sein sollte. War er hingegen, wie die In¬teressenten des MS "M " behaupten, im linksrheinischen Stromdrittel, war ohne¬hin sein Kurs verfehlt, weil er sich nicht rechtsrheinisch gehalten hat. Zusammenfassend ist die Berufungskammer der Überzeugung, daß die Ursachen des Unfalls ungewiß sind, weshalb nach § 92 a BinnSchG ein Schadensersatz ausge¬schlossen ist. Die Berufung der Klägerin ist deshalb unbegründet.
Die Kosten der Berufungsinstanz trägt in entsprechender Anwendung des § 97 ZPO die Klägerin.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 31. 8. 1993 - 5 C 11/93 BSch - wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufungsinstanz trägt die Klägerin.
3. Die Festsetzung dieser Kosten gemäß Art. 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.
Der Stellvertretende Gerichtskanzler: Der Vorsitzende: