Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Der Obhutzeitraum, in dem der Frachtführer nach Artikel 16 CMNI für die Beschädigung von Gütern haftet, endet in dem Zeitpunkt, in dem der Frachtführer dem Umschlagsbetrieb Löschbereitschaft meldet. Entsteht ein Nässeschaden an der Ladung durch Regenschauer beim Löschen, haftet der Frachtführer für den daraus entstandenen Ladungsschaden nicht aus Vertrag.
2) Im vorgenannten Fall haftet der Frachtführer auch nicht aus Delikt und zwar selbst dann, wenn er auf Anweisung des Umschlagsbetriebes mehrfach bei und vor Regenschauern die Luken geschlossen hat. Aus der mehrfach freiwillig geleisteten Hilfe entsteht nicht automatisch eine deliktsrechtliche Verpflichtung.
Urteil der Rechtbank Rechtbank Rotterdam
vom 30. September 2009
in Sachen AA gegen GU
Aktenzeichen 317465 / HA ZA 08-2604 und 317531 / HA ZA 082624
Gemäß Artikel 16 Absatz 1 CMNI ist der Frachtführer haftbar für Beschädigung der Güter im Zeitraum zwischen der Übernahme zur Beförderung und dem Zeitpunkt der Ablieferung. Gemäß Artikel 3 Absatz 2 CMNI findet die Ablieferung der Güter statt an Bord des Schiffes, wenn nichts anderes vereinbart ist. Daher bedarf es einer Bestimmung, was zu verstehen ist unter dem Begriff Ablieferung im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 oder Artikel 16 Absatz 1 CMNI. In diesem Zusammenhang bestimmt Artikel 10 Absatz 2 CMNI, dass die Zurverfügungstellung der Güter an den Empfänger in Übereinstimmung mit dem Frachtvertrag oder der im in Rede stehenden Handel geltenden Gebräuche oder mit den im Löschhafen geltenden Vorschriften als Ablieferung anzusehen ist. Neben dem niederländischen sind auch der deutsche, englische und französische Text der CMNI authentisch. Keiner dieser Texte definiert den Begriff der Ablieferung. Im Licht der CMNI insgesamt und insbesondere Artikel 10 Absatz 2 CMNI ist der Begriff der Ablieferung auszulegen als der Moment, in dem der Frachtführer den Empfänger (oder anderen Verfügungsberechtigten) die Gelegenheit gibt, über die Güter an Bord des Schiffes zu verfügen.
Aus den Gründen:
1. Es geht in der Sache um einen Transport von 2.500t Braugerste über Binnenwasserstraßen von Gernsheim nach Rotterdam zur Löschung in das Seeschiff »GU«. Hierüber hat H als Absender mit N als (Haupt)frachtführer einen Vertrag geschlossen. Zur teilweisen Ausführung des Hauptfrachtvertrages schließt N ihrerseits einen Unterfrachtvertrag mit M über den Transport von 1.800t Braugerste an Bord des MGS »AA« von Gernsheim nach Rotterdam. Entsprechend den Weisungen von N legt M mit MS »AA« längsseits der »GU« an und meldet sich löschbereit beim Stauereibetrieb, der mit dem Umschlag der Ware betraut ist. Am Montag den 17. September 2007 legt der Schiffer die Luken der »AA« auf. Der Stauereibetrieb beginnt mit dem Umschlag aus der »AA« in die »GU«. Am Dienstag den 18. September 2007 wird der Umschlag fortgesetzt. Gegen 17.10 Uhr regnet es heftig. Weil die Luken der »AA« nicht vollständig geschlossen sind, wird die noch im Schiff befindliche Braugerste naß. H fordert Schadensersatz von N und M.
2. H stützt ihre Forderung gegenüber M ausschließlich auf eine unerlaubte Handlung des Schiffsführers der »AA«. Gegenüber N stützt H die Klage auf den Frachtvertrag. Hierzu vertritt H die Ansicht, N habe als Frachtführer die Partei Braugerste in unversehrtem Zustand empfangen und diese teilweise durch Regenwasser beschädigt in Rotterdam abgeliefert. Der Nässeschaden sei entstanden, weil Schiffer M die Luken des MGS »AA« nicht rechtzeitig vor dem Regen am 18. September 2007 geschlossen hat. Der Fehler des Schiffsführers sei eine unerlaubte Handlung.
3. M und N beantragen Klageabweisung. Nach Ansicht von M liegt keine unerlaubte Handlung des Schiffsführers gegenüber H vor. N vertritt die Ansicht, dass ihre Haftung als Frachtführer der Partei B endete bevor sich der Vorfall ereignete.
4. Zwischen H und M besteht Einigkeit darüber, dass sich die behauptete unerlaubte Handlung am 18. September 2007 in Rotterdam ereignet hat. Das anwendbare Recht bestimmt sich daher nach dem Wet Confliktenrecht ,onrechtmatige daad'. Die EGVerordungnummer 864/2007 war zur Zeit der schadenbringenden Ereignisses noch nicht in Kraft. Gemäß Artikel 3 Absatz 1 Wet Conflictenrecht onrechtmatige daad ist niederländisches Recht anwendbar.
5. Die Forderung aus unerlaubter Handlung gegenüber H ist unbegründet. Schiffer M hat seine Pflicht zur Ablieferung der Ladung Braugerste erfüllt mit Meldung der Löschbereitschaft beim Stauereibetrieb. Dieser sorgte im Auftrag von H für den Umschlag der Ladung aus dem Schiff. Der Schiffsführer hat demzufolge keine Verantwortlichkeit für den Umschlag der Ladung Braugerste. Da der Stauereibetrieb verantwortlich war für den Umschlag, hatte er auch dafür zu sorgen, dass während des Umschlags kein Ladungsschaden entstand. Damit war es auch Sache des Stauereibetriebs zu überwachen dass bei Regen die Luken der »AA« zeitig geschlossen werden. Dies tat der Vormann des Stauereibetriebs am 17. und 18. September 2007 mehrfach bei und vor Regenschauern durch Bitten an den Schiffer, die Luken zu schließen. Diesen Bitten haben Schiffer und Besatzung vor dem Ereignis Folge geleistet. Hieraus folgt jedoch nicht, dass der Stauereibetrieb darauf vertrauen durfte, dass der Schiffsführer immer und bei jedem folgenden Regenschauer auf Ersuchen des Stauereibetriebes die Luken zeitig dicht legen würde. Ausgangspunkt ist, dass der Schiffer keine Verantwortlichkeit trägt für den Umschlag der Partei Braugerste und nicht verpflichtet war die Luken zu schließen. Die Verantwortlichkeit lag im Gegenteil beim Stauereibetrieb. Eine freiwillige Handlung schlägt nicht automatisch um in eine Verpflichtung dadurch, dass diese mehrfach wiederholt wurde.
6. H vertritt die Ansicht, dass N auf Grund des Frachtvertrags dazu verpflichtet war, die Partie Braugerste in Rotterdam im gleichen Zustand abzuliefern, in welchem sie diese in Gernsheim empfangen hatte, und dass diese Pflicht veretzt sei. Demgegenüber vertritt N die Ansicht, dass sie ihre diesbezügliche Pflicht ordnungsgemäß erfüllt hat und ihre Verantwortung für die Partei Braugerste bereits endete vor dem schadenbringenden Ereignis.
7. Auf den Hauptfrachtvertrag ist das CMNI anwendbar. N war als Frachtführer verpflichtet, die Ladung Braugerste nach Rotterdam zu transportieren zur Ablieferung dort im gleichen Zustand, in welchem sie diese in Gernsheim zum Transport empfangen hatte. Gemäß Artikel 16 Absatz 1 CMNI ist der Frachtführer haftbar für Schäden durch Beschädigung der Güter im Zeitraum zwischen der Übernahme zur Beförderung und dem Zeitpunkt der Ablieferung. Gemäß Artikel 3 Absatz 2 CMNI findet die Ablieferung der Güter statt an Bord des Schiffes, es sei denn, dass zwischen den Parteien etwas anderes vereinbart ist. Deshalb hat das Gericht näher zu bestimmen, was zu verstehen ist unter dem Begriff Ablieferung im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 und Artikel 16 Absatz 1. Artikel 10 Absatz 2 CMNI bestimmt in diesem Zusammenhang, dass die Zurverfügungstellung der Güter an den Empfänger erfolgt in Übereinstimmung mit dem Frachtvertrag oder mit dem für den betreffenden Handel geltenden Gebräuchen oder mit den im Löschhafen geltenden Vorschriften. Neben dem niederländischen sind hier der deutsche, englische und französische Text der CMNI authentisch. Keiner dieser Texte definiert den Begriff der Ablieferung (Ablieferung, Delivery, Livraison). Im Licht der CMNI insgesamt und unter Beachtung von Artikel 10 Absatz 2 insbesondere legt das Gericht den Begriff Ablieferung als den Moment aus, in welchem der Frachtführer dem Empfänger (oder ein anderer Verfügungsberechtigten) die Gelegenheit bietet, über die Güter an Bord des Schiffes zu verfügen.
8. Wie namens H im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgetragen, ist H der Meinung, daß sie (oder der Empfänger) die Verfügung über die Partei Braugerste erhielt in dem Moment, als Schiffsführer M das Schiff löschbereit erklärte, welcher Moment vor dem Moment lag, in dem die Luken des Schiffes geöffnet wurden. Deshalb folgert das Gericht, dass zwischen H und N in diesem Fall die Partie Braugerste als abgeliefert anzusehen ist, ab dem Moment der Meldung der Löschbereitschaft durch Schiffsführer M. Zur Zeit des schadensbringenden Ereignisses war die Partie Braugerste also abgeliefert, so dass N nach den Bestimmungen des CMNI hierfür nicht mehr verantwortlich war.
9. Vorstehendes führt insgesamt zur Klageabweisung gegen N und M. (Übersetzt und zusammengefasst durch Rechtsanwalt J. C. van Zuethem, Breda)
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2012 - Nr.1 (Sammlung Seite 2165 f.); ZfB 2012, 2165 f.