Jurisprudentiedatabank
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 15. Juni 1994
308 Z – 7/94
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 20. April 1993 5 C 6/93 BSch)
Es wird Bezug genommen auf :
1. das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 20.4.1993, das der Klägerin am 5.5.1993 und den Beklagten am 29.4.1993 zugestellt worden ist;
2. die Berufungsschrift der Klägerin vom 26.5.1993, eingegangen bei Gericht am 27.5.1993;
die Berufungsbegründung der Klägerin vom 23.6.1993, eingegangen bei Gericht am 24.6.1993;
3. die Berufungserwiderung der Beklagten vom 4.8.1993, eingegangen am 5.8.1993;
4. die Akten 5 C 6/93 BSch des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort;
5. die Akten 5 C 63/92 BSch des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort;
6. die Verklarungsakten 5 II 2/92 Amtsgericht Duisburg-Ruhrort;
7. die Bußgeldakten 5 OWi 16 Js 1149/92 (257/92) BSch Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.
Alle genannten Akten haben der Berufungskammer vorgelegen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 26.1.1992 gegen 8.15 Uhr auf dem Rheinstrom bei km 769,1 - Ortslage Duisburg, oberhalb von Huckingen - ereignet hat.
Die Klägerin ist Versicherer des Containerschiffes T (104,99 m lang, 11,40 m breit, 2887 t groß und 2 x 1125 PS stark), das zur Unfallzeit von Schiffsführer W geführt worden ist.
Die Beklagte zu 1 ist Eignerin, zumindest Ausrüsterin des MS R (84,94 m lang, 9 m breit, 1461 t groß und 900 PS stark), das zur Zeit nachbeschriebener Ereignisse von dem Beklagten zu 2 verantwortlich geführt worden ist.
Am 26.1.1992 gegen 8.15 Uhr befand sich das mit 775 t Kohle beladene MS R auf dem Rheinstrom bei eingeschränkter Sicht in der Ortslage Duisburg auf der Bergfahrt. Auf MS R war das Radargerät in Betrieb, gefahren wurde jedoch nach optischer Sicht. Dem MS R folgte das MTS V. Zu Tal kam das mit 893 t Container beladene MS T gefolgt von MS F. Zunächst fuhren MS R und MS T linksrheinisch. Der weitere Kurs des MS R ist zwischen den Parteien streitig. Bei der Begegnung kollidierten MS R und MS T. Auf MS R war vor dem Unfall zu keiner Zeit die blaue Tafel oder das Blinklicht gesetzt. Durch den Unfall wurde MS R erheblich beschädigt.
Aus Anlass des Unfalls wurde das Verklarungsverfahren Priet, 5 II 2/92 Schifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort, durchgeführt.
Die Klägerin hat behauptet, als MS R erstmalig auf dem Radarschirm des MS T sichtbar geworden sei, sei dieses Schiff etwa 30 m aus dem linken Ufer gefahren. MS T habe einen Kurs etwa 50 m aus dem linken Ufer gehabt und die blaue Tafel sowie das Funkellicht gezeigt. Kurze Zeit später habe R eine Schräglage nach Backbord eingenommen, was Schiffsführer W von MS T zu der Frage veranlasst habe, ob R bei Hochfeld den Übergang mache. Eine Antwort sei nicht erfolgt. Die Fahrweise des MS R sei jedoch eindeutig gewesen. R habe aufgestreckt und habe seine Fahrt in der rechtsrheinischen Hälfte des Stromes fortgesetzt. Als sich beide Schiffe bis auf ca. 800 Meter genähert gehabt hätten, sei MS R etwas nach Steuerbord gegangen, einer Begegnung Steuerbord/Steuerbord habe zu dieser Zeit aber nichts im Wege gestanden. Als der Abstand beider Schiffe zueinander dann nur noch ca. 400 bis 500 Meter betragen habe, habe MS R plötzlich und unvermittelt Kurs nach Steuerbord genommen und gleichzeitig über Kanal 10 eine Begegnung Backbord an Backbord verlangt. Angesichts des geringen Abstandes und des Kurses von MS R sei es für MS T nicht möglich gewesen, dieser Kursweisung nachzukommen. Schiffsführer W habe deshalb auch gleich geantwortet, Backbord an Backbord gehe nicht, man müsse Steuerbord an Steuerbord machen. Gleichwohl habe MS R den Kollisionskurs fortgesetzt und erneut die Begegnung Backbord an Backbord verlangt. Die Kollision sei jetzt nicht mehr zu verhindern gewesen.
Die Klägerin hat den auf sie durch Abtretung und kraft Gesetzes übergangenen Schaden näher beziffert und die Voraussetzungen des Zahlungsverzuges seit dem 1.5.1992 dargetan.
Die Beklagte zu 1 hat MS R zu neuen Reisen ausgesandt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner, die Beklagte zu 1 außer dinglichen haftend mit MS R im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes auch persönlich haftend zu verurteilen, an die Klägerin 4.938.-- DM und 3.150.-- hfl. bzw. den entsprechenden Gegenwert in deutscher Mark nebst 4% Zinsen seit dem 1.5.1993 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben behauptet, der Beklagte zu 2 habe MS T über Funk angesprochen und eine Begegnung Backbord/Backbord verlangt. Schiffsführer W von MS T habe erwidert, das gehe nicht, er wünsche eine Begegnung Steuerbord/Steuerbord. Obwohl der Beklagte zu 2 die Kursweisung zur Begegnung Backbord/Backbord wiederholt habe, sei MS T auf Kollisionskurs geblieben. MS R habe vergeblich versucht, noch nach Steuerbord auszuweichen. Bei der Annäherung habe MS R seinen Kurs nicht nach rechtsrheinisch gerichtet.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat nach Beiziehung der Verklarungsakten 5 II 2/92 Schifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort und der Bußgeldakten 5 OWi 16 Js 1149/92 (257/92) BSch Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort durch das am 20.4.1993 verkündete Urteil die Klage abgewiesen.
Zur näheren Begründung seiner Entscheidung hat das Rheinschifffahrtsgericht ausgeführt, die Klage sei unbegründet. Die Beweisaufnahme habe keine nähere Klärung des Unfallgeschehens erbracht. Nach der eigenen Darstellung der Klägerin stehe aber fest, dass die Schiffsführung des MS T die Kursweisung Backbord an Backbord nicht befolgt habe. Da MS T als Talfahrer nicht den ihm von dem Bergfahrer gewiesenen Weg genommen habe, hätte die Klägerin beweisen müssen, dass MS T für die Vorbeifahrt kein geeigneter Weg freigelassen worden sei. Da rechtsrheinisch jedenfalls ausreichend Platz für eine Begegnung Backbord/Backbord vorhanden gewesen sei, hätte die Klägerin beweisen müssen, dass R in der letzten Phase der Annäherung so sehr mit Steuerbordkurs in den Kurs des MS T gefahren sei, dass eine Begegnung Backbord/Backbord ausgeschlossen gewesen sei. Diesen Beweis hätte sie nicht erbracht.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt.
Die Klägerin wendet sich gegen die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil. Sie behauptet MS T habe seinen linksrheinisch verlaufenden Kurs bis zur Kollision nicht nennenswert geändert. Demgegenüber sei durch die Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren bewiesen, dass MS R bei der Annäherung der Fahrzeuge den Kurs nach rechtsrheinisch verlegt habe, um dann wieder Steuerbordkurs zu nehmen. Sie meinen, die Schiffsführung des MS R habe gegen § 6.03 Nr. 3 RheinSchPV verstoßen, wonach beim Begegnen Fahrzeuge, deren Kurs jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschließen, ihren Kurs und ihre Geschwindigkeit nicht in einer Weise ändern dürften, die die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnten. Weil R beim Begegnen den Kurs geändert habe, müssten die Beklagten beweisen, dass durch Kursänderung keine Gefahr entstehen konnte. Diesen Beweis hätten die Beklagten nicht geführt.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihrem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten treten den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil bei und denen der Klägerin entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. In der Sache konnte ihre Berufung jedoch keinen Erfolg haben.
Mit dem Rheinschifffahrtsgericht nimmt auch die Berufungskammer an, dass die Beklagten der Klägerin keinen Schadensersatz aus dem Unfall vom 26.1.1992 nach den §§ 3, 4, 92 b, 114 BinnSchG, 823, 249 BGB schulden; denn die Besatzung des MS R hat die Kollision mit MS T nicht verschuldet.
Nach dem Ergebnis der in dem Verklarungsverfahren 5 II 2/92 des Amtsgerichts Duisburg-Ruhrort durchgeführten Beweisaufnahme hat MS R dem entgegenkommenden MS T keine Weisung zu einer Begegnung Steuerbord/Steuerbord erteilt. Weder war auf dem zu Berg fahrenden MS R die blaue Seitentafel verbunden mit einem Blinklicht gesetzt, noch ist über Kanal 10 eine entsprechende Durchsage erfolgt.
Soweit die Klägerin unter Berufung auf die Angaben der in dem Ermittlungsverfahren 5 OWi 16 Js 1149/92 ( 257/92) Bsch Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort vernommenen Zeugen S und St behauptet, zwischen MS R und MS T sei zunächst eine Begegnung Steuerbord/Steuerbord vereinbart worden, hat bereits das Rheinschifffahrtsgericht zutreffend ausgeführt, dass keine Gewissheit darüber besteht, wem die von diesen Zeugen wahrgenommenen Kursabsprachen zuzuordnen sind. Dem stimmt die Berufungskammer zu. Wäre bei der Annäherung der Schiffe rechtzeitig eine Kursabsprache Steuerbord/Steuerbord vereinbart worden, hätte sich darauf die Besatzung des MS T mit Sicherheit zu ihrer Entlastung berufen. Bei ihren Vernehmungen im Verklarungsverfahren haben die beiden Schiffsführer des Schiffes, die Zeugen W und F, keine derartige Kursabsprache erwähnt.
Aus dem Kurs des MS R bei der Annäherung der unfallbeteiligten Schiffe kann nicht entnommen werden, R habe dem Talfahrer eine Weisung Steuerbord/Steuerbord erteilt. MS R befand sich bei der Annäherung an die spätere Unfallstelle bei etwa Rhein-km 769,1 noch im Bereich der nach § 9.02 Nr. 1 lit. b) RheinSchPV bestimmten und sich bis Rhein-km 769 erstreckenden „Geregelten Begegnung“ und hatte dort seinen Kurs so einzurichten, um die Talfahrern Backbord/Backbord passieren zu können. Selbst wenn Schiffsführer W von MS T nach seinen Angaben im Verklarungsverfahren bei der Annäherung der Schiffe aus der Fahrweise des MS R den Eindruck gewonnen hatte, R wolle bei Hochfeld einen Übergang nach rechtsrheinisch machen, durfte ihn eine solche Annahme nicht veranlassen, sich über die unterbliebenen Zeichen zur Kursweisung bei der bevorstehenden Begegnung hinwegzusetzen. Zudem hätte er, als er nach seinen weitern Angaben im Verklarungsverfahren auf 500 bis 600 m Abstand von MS R über Kanal 10 angesprochen und von ihm ausdrücklich eine Begegnung Backbord/Backbord verlangt wurde, dieser Weisung, die der bisherigen Zeichengebung des Bergfahrers entsprach, noch ohne Schwierigkeiten auch mit seinem großen und beladenen Containerschiff entsprechen können.
Sind aber bei der Annäherung der unfallbeteiligten Schiffe keine Zeichen zur Kursweisung auf MS R gesetzt worden und wurde auch über Kanal 10 keine ausdrückliche Kursweisung erteilt, war damit dem zu Tal entgegenkommenden MS T die Weisung zu einer Begegnung Backbord/Backbord erteilt, die dieses Schiff zu befolgen hatte. Da das rechtsrheinische Fahrwasser nach dem Ergebnis des Verklarungsverfahrens frei gewesen ist, stand dort für eine gefahrlose Vorbeifahrt hinreichender Raum zur Verfügung, so dass MS T der Kursweisung des Bergfahrers entsprechen konnte. Aus der Fahrweise und der Kursweisung des MS R können deshalb gegen die Schiffsführung dieses Schiffes keine Vorwürfe hergeleitet werden, zumal sich dem Beweisergebnis nicht entnahmen lässt, dass MS R von seinem linksrheinischen Kurs wesentlich abgewichen ist.
Richtig ist, dass der Beklagte zu 2 erst am 24.1.1992 als Ablöser auf MS R zugestiegen war. Da er über ein Patent als Rheinschiffer verfügt, muss von seiner Eignung als Schiffsführer bis zum Beweis des Gegenteils ausgegangen werden. Insoweit hat die Klägerin nichts dargetan.
Dem Beklagten zu 2 kann auch nicht vorgeworfen werden, dass er bei dem zur Unfallzeit herrschenden unsichtigen Wetter nach optischer Sicht gefahren ist und das Radargerät zu Übungszwecken in Betrieb genommen hat.
Es ist nicht verboten, ein Radargerät zu Übungszwecken in Betrieb zu nehmen.
Dass er nach Radar gefahren wäre, obwohl er kein Radarschifferzeugnis hatte, behauptet selbst die Klägerin nicht. Wie aus seinen Angaben und denen seines Matrosen Jungherr zu entnehmen ist, ist MS R nach optischer Sicht gefahren. Es waren auch nicht die Vorhänge seines Steuerstuhls zugezogen worden, anderenfalls man keine optischen Wahrnehmungen hätte machen können. Eine Fahrt nach optischer Sicht war unter den gegebenen Umständen für MS R als Bergfahrer auch als zulässig zu erachten, weil die Sicht etwa 400 m betragen hat, wie die Klägerin selbst unter Hinweis auf das Ergebnis des Verklarungsverfahrens vorgetragen hat. In ihrem Urteil vom 7.12.1972 – 15 Z – 2/72 (ZfB 1973, 524) hat die Berufungskammer ausgesprochen, dass bei einer Sichtweite von 200 bis 400 m die Bergfahrt noch fortgesetzt werden darf. Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
Fuhr aber der Beklagte zu 2 zulässigerweise nach optischer Sicht, brauchte er auch nicht die Schallzeichen nach § 6.32 Nr. 5 RheinSchPV zu geben oder die dort bestimmten Ansagen zu machen. Zwar hat er nicht die in § 6.33 RheinSchPV bestimmten Schallsignale abgegeben, die auch während der Fahrt bei Sichtweiten von 500 m nicht unterbleiben dürfen (vgl. dazu Urteil der Berufungskammer vom 16.10.1972 – 14 Z – 1/72); diese Unterlassung war jedoch nicht unfallursächlich, weil die Schiffsführung des MS T das MS R bei der Annäherung der Schiffe auf dem Radarschirm rechtzeitig geortet hatte.
Nach alledem ist die Berufung der Klägerin unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 97 Absatz 1 ZPO in Verbindung mit Artikel 39 der Revidierten Mannheimer Akte.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt :
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 20.4.1993 - 5 C 6/93 BSch - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Deren Festsetzung gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.