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Leitsätze:
1) Bei unsichtigem Wetter, das nur eine Fahrt mit Radar zuläßt, ist ein Überholen bei gleichzeitiger Begegnung gefährlich und daher nach den §§ 6.03 Nr. 1, 6.09 Nr. 1 RheinSchPVO unzulässig.
2) Ein Überholer muß berücksichtigen, daß gegenüber normalen Sichtverhältnissen in der Radarfahrt größere Sicherheitsabstände sowohl bei der Begegnung und Überholung als auch vom Ufer erforderlich sind. Er muß ferner in Rechnung stellen, daß durch Brücken verursachte Fehlechos, welche die Bedingungen der Radarfahrt verschlechtern und die örtlichen Verhältnisse zu nicht überschaubaren Risiken führen können, wenn die Kurse des Überholers und des Überholten nur geringfügig von dem Kurs abweichen, der bei normalen Sichtverhältnissen eingehalten würde und daß sich derartige Kursabweichungen bei unsichtigem Wetter, insbesondere auch infolge von Fehlechos und örtlicher Verhältnisse, nicht vermeiden lassen. Ein Uberholer verstößt gegen seine nautischen Pflichten, wenn ihn diese Erwägungen hätten veranlassen müssen, nicht zu überholen. In einer solchen Verkehrslage läßt er auch entgegen § 6.04 Nr. 1 RheinSchPVO der Talfahrt keinen geeigneten Weg frei.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 15.06.1994
305 Z - 5/94
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Auf den Tatbestand des Urteils der Berufungskammer 306 - Z 6/94 wird Bezug genommen.
In diesem Verfahren ist die Eignerin des MS „Walsum" Klägerin, der Eigner und Schiffsführer des MS „Heimatland" Beklagter und der Eigner des MS „Margret" Streithelfer des Beklagten.
Der Kläger ist der Ansicht, durch das Überholmanöver des Beklagten sei es zur Kollision von MS „Walsum" mit MS „Margret" gekommen. Der Beklagte habe bei Einleitung seines Überholmanövers nicht wissen können, ob Talfahrt komme. Die Radarsicht sei ihm durch die Brücke versperrt worden. MS „Margret" habe sich nicht darauf einstellen können, aus dem Hang vor Einfahrt in die Brücke und im Nebel zwischen zwei Bergfahrer zu passieren.
Der Beklagte hat bestritten, daß MS „Heitematland" MS „Walsum" während der Durchfahrt durch die Eisenbahnbrücke überholt habe. Im Zeitpunkt der Kollision seien beide Schiffe auf gleicher Höhe gewesen. Zwar habe er seine Überholabsicht nicht angezeigt, das sei aber nicht notwendig gewesen, weil die Kurse allen Beteiligten klar erkennbar und festgelegt gewesen seien. MS „Margret" hätte hinreichender Raum für die Begegnung zur Verfügung gestanden, wenn nicht MS „Walsum" unmittelbar vor der Begegnung seinen Kurs nach Backbord verlegt hätte. Auf dieser Kursänderung beruhe die Kollision.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte insoweit Erfolg, daß die Schadensersatzklage dem Grunde nach zu 3/4 als gerechtfertigt erkannt wurde.
Aus den Entscheidungsgründen:
„I. Gegen die Beteiligung des Streithelfers des Beklagten am Rechtsstreit bestehen entgegenentgegen seiner in der Berufungsinstanz geäußerten Meinung keine Bedenken.
1. Der Streithelfer ist auf die Streitverkündung der Klägerin in der Klageschrift hin dem Beklagten beigetreten. Die Parteien haben keinen Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention nach § 71 ZPO gestellt, so daß das Rheinschiffahrtsgericht den Streithelfer im Verfahren zugelassen hat. Hierdurch ist der Streithelfer nicht beschwert, weil es ihm anheimstand, von einer Nebenintervention abzusehen. Es steht ihm auch durchaus frei, jederzeit seinen Beitritt zurückzunehmen.
2. Die Ausführungen des Streithelfers des Beklagten geben auch keine Veranlassung, in diesem Rechtsstreit nachzuprüfen, ob der Streitverkündung materiell-rechtliche Wirkungen beizumessen sind (vgl. dazu Zöller- Vollkommer, ZPO 16. Aufl., § 72 Rd. 3-9 und § 74 Rd. 1). Eine Streitverkündung löst zwar nur dann materiell- und prozessrechtliche Wirkungen aus, wenn sie zulässig ist. Die Voraussetzungen einer Interventionswirkung sind jedoch erst im Folgeprozeß zu prüfen (BGHZ 65, 127 = NJW 1976; BGHZ 70, 187 = NJW 1978, 643; NJW 1981, 281).
II. Die Berufung der Klägerin ist in rechter Form und Frist eingelegt und begründet worden. Auch in der Sache mußte die Berufung einen Teilerfolg haben. Die Klage ist dem Grunde nach zu 3/4 gerechtfertigt.
Der Beklagte schuldet der Klägerin nach den §§ 3, 4, 92b, 114 BinnSchG; 6.03 Nr. 1, 6.04 Nr. 1, 6.09 Nr. 1 RheinSchPV; 823 Abs. 1 und 2, 249 BGB Schadensersatz. Die Klägerin muß sich jedoch nach § 92 c BinnSchG, 254 BGB ein unfallursächliches Verschulden ihres Schiffsführers K schadensmindernd anrechnen lassen, das die Berufungskammer mit 1/4 bewertet.
1. Unstreitig hat MS „Heimatland" das MS „Walsum" unmittelbar vor der Kollision des letztgenannten Schiffes mit dem entgegenkommenden MS „Margret" überholt. Infolge dieses Überholmanövers mußte das zu Tal kommende MS „Margret" entsprechend der erteilten Kursweisung zwischen diesen Bergfahrern bei der durchzuführenden Begegnung durchfahren. Für eine solche gleichzeitige Begegnung und Überholung stand nach der Überzeugung der Berufungskammer unter Berücksichtigung aller örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs entgegen § 6.03 Nr. 1, § 6.04 Nr. 1, 6.09 Nr. 1 RheinSchPV kein hinreichender Raum zur Verfügung.
Im Zeitpunkt der Kollision war das Überholmanöver noch nicht vollständig abgeschlossen, wie die Beweisaufnahme im Verklarungsverfahren ergeben hat. EinÜberholmanöver ist erst abgeschlossen, wenn sich der Überholer vollständig vor den Überholten gesetzt und zu ihm einen ausreichenden Sicherheitsabstand gewonnen hat....
Das zu Tal kommende MS „Margret" wurde durch MS „Heimatland" gehindert, weiter rechtsrheinisch fahrend mit MS „Walsum" zu begegnen.
Im Gegensatz zu dem Rheinschiffahrtsgericht nimmt die Berufungskammer an, daß die örtlichen Umstände und der übrige Verkehr bei der geschilderten Verkehrslage keinen hinreichenden Raum für eine Begegnung bei gleichzeitiger Überholung gewährten. Zwar läßt ein Fahrwasser von 92 m Breite, wie es im Unfallbereich zur Verfügung stand, das dazu noch durch einen günstigen Wasserstand verbreitert war, bei Tageslicht und ausreichender optischer Sicht und günstigen Verkehrsverhältnissen ein Überholen und eine gleichzeitige Begegnung in dem Unfallrevier zu, wie auch die Berechnungen des Rheinschiffahrtsgerichts in dem angefochtenen Urteil aufzeigen.
Für die Fahrt bei unsichtigem Wetter kommt den Berechnungen des Rheinschiffahrtsgerichts über die Möglichkeit einer gleichzeitigen Begegnung und Überholung jedoch nur theoretische Bedeutung zu. Bei unsichtigem Wetter, das nur eine Fahrt mit Hilfe von Radar zuläßt, sind Manöver, wie sie hier von den beteiligten Schiffen beabsichtigt waren, nach Ansicht der Berufungskammer gefährlich und daher unzulässig. Denn bei der Radarfahrt sind erfahrungsgemäß größere Abstände zur Sicherheit sowohl bei der Begegnung und Überholung zwischen diesen Schiffen als auch vom Ufer erforderlich. Im Bereich der Germersheimer Brücken sind zudem die Bedingungen der Radarfahrt durch Fehlechos der beiden Brücken nachhaltig verschlechtert, wie der Berufungskammer bekannt ist und worauf sich auch die Klägerin berufen hat. Diese Fehlechos beeinträchtigen die Sicht auf die Talfahrt oberhalb der Brücken und lassen eine Beurteilung der Verkehrslage in diesem Bereich nicht zu. Hinzu kommt, daß ein linksrheinischer Bergfahrer bei seinen Kurserwägungen den oberhalb der Eisenbahnbrücke befindlichen Germersheimer Grund, der unmittelbar nach der Brücke von ihm zu umfahren ist, in Rechnung stellen muß. Diese örtlichen Verhältnisse können bei der Radarfahrt zu nicht überschaubaren Risiken für alle beteiligten Schiffe führen, wenn die Kurse eines Überholers und des Überholten nur geringfügig von dem, der bei normalen Sichtverhältnissen eingehalten würde, abweichen. Derartige Abweichungen lassen sich bei unsichtigem Wetter, insbesondere aber auch infolge von Fehlechos der Radargeräte infolge der Brükken und der Notwendigkeit, den Germersheimer Grund freizufahren, erfahrungsgemäß nicht vermeiden. Es muß vielmehr aus den dargelegten Gründen damit gerechnet werden, daß ein Bergfahrer in der Radarfahrt in diesem Teil des Reviers eine Fahrwasserhälfte benötigt, um mit einem Talfahrer gefahrlos zu begegnen. Unter diesen Umständen hätte MS „Heimatland" von einer Überholung des vorausfahrenden MS „Walsum" im Bereich der Germersheimer Brücken und unmittelbar oberhalb davon Abstand nehmen müssen.
Das Überholmanöver des Beklagten war deshalb nach §§ 6.03 Nr. 1, 6.09 Nr. 1 RheinSchPV unzulässig und der Beklagte hat entgegen § 6.04 Nr. 1 RheinSchPV dem Talfahrer keinen geeigneten Weg freigelassen.
2. Das unzulässige Überholmanöver des Beklagten war auch schadensursächlich. Durch das Überholmanöver wurde der Talweg bei der Begegnung erheblich eingeschränkt. Hätte MS „Heimatland" nicht rechtsrheinisch fahrend überholt, sondern wäre dieses Schiff hinter MS „Walsum" geblieben, hätte MS „Margret" gefahrlos mit MS „Walsum " begegnen können, weil insgesamt ein Fahrwasser von mehr als 92 m zur Verfügung stand, wie oben ausgeführt ist.
3. Der Beklagte hat auch schuldhaft gegen seine nautischen Pflichten aus den §§ 6.03 Nr. 1, 6.04 Nr. 1, 6.09 Nr. 1 Rhein- SchPV verstoßen. Als Schiffsführer hätte er in Rechnung stellen müssen, daß der Schiffsführer des zu überholenden Schiffes im Nebel einen größeren Abstand zum linken Ufer einhalten mußte, als bei guter optischer Sicht und gehalten war, den linksrheinischen Pfeiler der Germersheimer Eisenbahnbrücke und den danach vorspringenden Germersheimer Grund gut freizufahren. Ferner hätte der Beklagte nicht außer acht lassen dürfen, daß im Brückenbereich erfahrungsgemäß das Radarbild durch Fehlechos gestört wird und auch hierdurch gewisse Kursbeeinträchtigungen eintreten können. Insbesondere aber hätte der Beklagte berücksichtigen müssen, daß durch zu geringe Abstände bei einer gleichzeitigen Begegnung und Überholung im Bereich eines so schwierigen Fahrwasser, wie es hier im Brückenbereich mit dem im Oberstrombereich vorspringenden Grund anzunehmen ist und in dem für einen Talfahrer zu durchfahrenden leichten Hang schon durch einen breiten Kurs des Überholten der Raum für eine Begegnung zu eng werden konnte. Diese Erwägungen hätten ihn bei Beachtung nautischer Sorgfalt veranlassen müssen, nicht zu überholen, um nicht den Talfahrer und den Überholten zu gefährden.
4. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann dem Beklagten kein weiterer schadensursächlicher Verstoß gegen seine nautischen Pflichten deshalb vorgeworfen werden, weil er sein Überholmanöver nicht über Funk oder durch die in § 6.10 Nr. 2 Rhein- SchPV vorgeschriebenen Schallsignale angekündigt hat.
Zwar hat zwischen MS „Walsum" und MS „Heimatland" keine Absprache über ein beabsichtigtes Überholungsmanöver stattgefunden und seitens des MS „Heimatland" sind auch keine entsprechenden Schallsignale gegeben worden. Wie die Angaben von Schiffsführer K im Verklarungsverfahren aber zeigen, war es ihm bekannt, daß MS „Heimatland" überholte. Dort hat er bekundet, er habe dem Talfahrer bei der Kursabsprache gesagt „Backbord über Backbord mitten durch". Gab er so eine Weisung für eine Zwischendurchfahrt, muß er MS „Heimatland" auf dem Radarschirm gesehen haben. Bei aufmerksamer Beobachtung und Auswertung des Radarbildes kann ihm auch die Einleitung des Überholvorgangs nicht verborgen geblieben sein. Unter diesen Umständen haben sich unterbliebene Absprachen oder Schallsignale nicht schadensursächlich ausgewirkt.
5. Auch Schiffsführer K von MS „Walsum" hat gegen seine nautischen Pflichten schuldhaft verstoßen und hierdurch den Unfall mitverursacht. Ihm ist vorzuwerfen, daß er entgegen § 6.09 Nr. 2 RheinSchPV das Überholmanöver des MS „Heimatland" nicht durch eine Fahrtverminderung unterstützt hat, damit dieses Überholmanöver gefahrlos und so schnell ausgeführt werden konnte, daß der übrige Verkehr nicht behindert wurde Hierdurch hat Schiffsführer K den Zusammenstoß seines Schiffes mit dem zu Tal kommenden MS „Walsum" mitverschuldet
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10. Bei Abwägung des Verschulden der beteiligten Schiffsführer im Rahmen der §§ 92 c BinnSchG, 254 BGB ist die Berufungskammer zu der Überzeugung gelangt, daß das Verschulden des Beklagten mit 3/4 und das von Schiffsführer K mit 1/4 zu bewerten ist.
Der Entschluß des Beklagten, im Bereich des schwierig zu durchfahrenden Unfallreviers zu überholen, stellt die Primärursache des Unfalls dar. Andererseits hat Schiffsführer K das Überholmanöver des MS „Heimatland" nicht durch eine Herabsetzung seiner Fahrt unterstützt. Das unzulässige Überholmanöver wiegt aber beträchtlich schwerer als die unterbliebene Unterstützung dieses schwerwiegenden Verstoßes gegen die Vorschriften der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung.
Nach alledem mußte auf die Berufung der Klägerin das angefochtene Urteil abgeändert werden …"
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1994 - Nr.15/16 (Sammlung Seite 1490 f.); ZfB 1994, 1490 f.