Jurisprudentiedatabank
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 20. Januar 1994
302 B - 26/93
(auf Berufung gegen den Beschluss des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar vom 27. November 1992 - 4 OW BSchRh -)
Es wird Bezug genommen auf:
1. den Beschluss des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar vom 27.11.1992, der dem Betroffenen am 09.12.1992 zugestellt worden ist.
2. die Berufungsschrift des Betroffenen vom 23.12.1992, eingegangen bei Gericht am 28.12.1992;
3. die Berufungsbegründungschrift des Betroffenen vom 18.01.1993, eingegangen bei Gericht am 19.01.1993;
4. die Akten 4 OW BSchRh des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar, die der Berufungskammer vorgelegen haben.
Tatbestand:
Die WSD-Südwest hat am 03.01.1992 gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid über 1.000 DM erlassen, weil er
1. die anlässlich der Veranstaltung "Der Rhein im Feuerzauber rund um das Binger Loch" ergangene schifffahrtspolizeiliche Anordnung Nr. 9/91 vom 03.04.1991 nicht beachtet hat, indem er mit dem von ihm geführten MS A am 06.07.1991 zwischen 21.30 und 22 Uhr auf dem Rhein bergwärts bis km 537,8 gefahren ist, obwohl die Bergschifffahrt ab km 539 (Ortslage Niederheimbach) ab 20.30 Uhr voraussichtlich bis 23 Uhr gesperrt war, ferner
2. der Anweisung der Wasserschutzpolizei, die Weiterfahrt in die gesperrte Strecke zu unterlassen, nicht Folge geleistet hat.
("Zuwiderhandlungen gegen §§ 1.19 und 1.22 RheinSchPV in Verbindung mit Art. 5 (2) Ziff. 3 und 4 RheinSchPEV").
Nach form- und fristgerechtem Einspruch des Betroffenen hat das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar gegen diesen mit Beschluss vom 27.11.1992 wegen der vorbeschriebenen Vorgänge ein Bußgeld von 800 DM festgesetzt, zahlbar in monatlichen Teilbeträgen von 200 DM, beginnend am 01.02.1993. Die Entscheidung hat es in wesentlichen wie folgt begründet:
Da die Schifffahrtssperre ordnungsgemäß und rechtzeitig bekanntgemacht worden sei, könne sich der Betroffene nicht mit der Einlassung entlasten, er habe von der Sperre erst bei der Einfahrt in das Gebirge bei St. Goar erfahren, von wo rheinaufwärts bis zum Beginn der Sperrstrecke keine sicheren Ankerplätze für sein Schiff vorhanden gewesen seien. Auch hätte er noch nach der in Höhe von Niederheimbach von einem Polizeiboot über Funk erfolgten Unterrichtung über die Schifffahrtssperre Ankerplätze finden können, "wenn diese auch nicht ideal gewesen sein mögen". Das beweise schon der Umstand, dass er schließlich im Bereich des Lorcher Werths vor Anker gegangen sei und dort die Nacht verbracht habe.
Mit der form- und fristgerechten Berufung beantragt der Betroffene, den Beschluss des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar aufzuheben und ihn freizusprechen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung kann keinen Erfolg haben.
I. Die Veranstaltung "Der Rhein im Feuerzauber rund um das Binger Loch" hat am 06.07.1991 zum 15. Male stattgefunden; der Veranstaltungstermin ist seit der 1. Veranstaltung auf den 1. Samstag im Juli festgelegt.
Aus Anlass der Veranstaltung hat die WSD-Südwest am 04.04.1991 die Schifffahrtspolizeiliche Anordnung Nr. 9/1991 für die Rheinschifffahrt erlassen und darin u.a. bestimmt:
1. die Schifffahrt wird am 6. Juli 1991 wie folgt gesperrt:
Die Bergschifffahrt ab Rhein-km 539 (Ortslage Niederheimbach) von 20.30 Uhr bis voraussichtlich 23.00 Uhr.
Die Talschifffahrt ab Rhein-km 519 (Ortslage Ingelheim-Nord) von 20.30 Uhr bis voraussichtlich 24.00 Uhr.
2. Während der Sperrzeiten ist das Stilliegen innerhalb der Sperrstrecke verboten.
Die genannte Schifffahrtspolizeiliche Anordnung ist am 10.04.1991 in den Amtlichen Schifffahrtsnachrichten für das Rheinstromgebiet (Jahrg. 21 Nr. 7) veröffentlicht worden. Herausgegeben werden diese Nachrichten von den Wasser- und Schifffahrtsdirektionen West-Südwest-Süd.
Der Betroffene besitzt das Rheinschifferpatent von Basel bis zum Meer seit 1973 und befährt nach seinen Angaben seit dieser Zeit "ohne Unterbrechung den Rhein und seine Nebenflüsse". Am 06.07.1991 befand er sich mit dem 90 m langen MS A mit einer Ladung von 1.434 t auf Bergfahrt. Nach seinem schriftlichen Bericht vom 08.07.1991 fuhr er gegen 18.30 Uhr im Gebirge auf Höhe von St. Goar (also etwa bei Rhein-km 556), als "über Kanal 10 plötzlich eine Meldung kam, wonach sämtliche Schiffe festgehalten werden müssten, da der Rhein zwischen 20.30 Uhr und 23.00 Uhr voll gesperrt sei wegen einer Veranstaltung 'Rhein in Flammen'". Weiter heißt es in dem Bericht, er sei völlig überrascht gewesen, weil er von der Veranstaltung zuvor nichts erfahren gehabt habe, sei dann aber weitergefahren, weil er mitten im Gebirge sein Schiff nicht habe festlegen können, da alle Ankerplätze belegt gewesen seien. Gegen 21.30 Uhr wurde er bei Rhein-km 541 von der Besatzung des Polizeibootes WSP 10, das für die Sperrung der Bergfahrt bei Rhein-km 539, Ortslage Niederheimbach, eingesetzt war, über Funk angesprochen, über die Sperrung unterrichtet sowie angewiesen, sein Fahrzeug unterhalb des Beginns der Sperrstrecke ständig zu machen bzw. vor Anker zu gehen. Da der Betroffene ohne Fahrtverminderung weiter fuhr, gingen bei Rhein-km 539,8 zwei Beamte des WSP 10 an Bord von MS "St. Antonius" und lasen dem Betroffenen den Wortlaut der Schifffahrtspolizeilichen Anordnung Nr. 9/1991 vor. Beim Erreichen von Rhein-km 539 erließen sie gegenüber dem Betroffenen ein vorläufiges Weiterfahrverbot, woran sich dieser nicht hielt. Nachdem WSP 10 um 21.40 Uhr die Einsatzleitung der Wasserschutzpolizei von dem Sachstand unterrichtet hatte, kam das Polizeiboot WSP 9 zur Verstärkung. Von diesem gingen ebenfalls zwei Beamte an Bord des MS "St. Antonius", und zwar bei Rhein-km 537.9. Ihr Hinweis auf die unmittelbar bevorstehende Veranstaltung und die dazu erlassene Schifffahrtspolizeiliche Anordnung Nr. 9/91 blieb ebenfalls ohne Erfolg. Erst als sie in Form einer polizeilichen Verfügung eine "Platzverweisung gemäß § 13 PVG" anordnete und zu deren Durchsetzung dem Betroffenen die Ersatzvornahme androhte, stoppte er MS "St. Antonius" und ließ das Schiff hinter Rhein-km 539 zurücktreiben. Danach ging er am Lorcher Werth, das sich zu Tal bis Rhein-km 539,7 erstreckt, vor Anker, wo auch andere Bergfahrer wegen der Schifffahrtssperre stillagen. Bevor der Betroffene sein Fahrzeug zurücktreiben ließ, war dieses zwischen oder zumindest bis in unmittelbare Nähe der letzten Fahrzeuge des Flottenverbands von Fahrgastschiffen (insgesamt 60 Fahrzeuge) geraten, der ab ca. 22.00 Uhr mit der Bergfahrt beginnen sollte.
II. Nach § 1.22 Nr. 1 RheinSchPV müssen die Schiffsführer die von der zuständigen Behörde bekanntgegebenen Anordnungen vorübergehender Art beachten, die aus besonderen Anlässen für die Sicherheit und Leichtigkeit der Schifffahrt erlassen werden. Um eine solche Anordnung hat es sich hier bei der Schifffahrtspolizeilichen Anordnung Nr. 9/91 vom 04.04.1991 gehandelt (vgl. auch § 1.22 Nr. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 1.23 RheinSchPV).
Nach § 1.19 RheinSchPV haben die Schiffsführer die Anweisungen zu befolgen, die ihnen von den Bediensteten der zuständigen Behörden (hier: der Wasserschutzpolizei - vgl. Bemm/Kortendick, Rheinschifffahrtspolizeiverordnung 1983 2. Aufl. § 1.19 Anm. B.1.) für die Sicherheit und Leichtigkeit der Schifffahrt erteilt werden.
Gegen beide Bestimmungen hat der Betroffene durch sein Verhalten grob schuldhaft verstoßen:
1. Die Schifffahrtspolizeiliche Anordnung der WSD-Südwest Nr. 9/91 vom 04.04.1991 ist durch die am 10.04.1991 in den Amtlichen Nachrichten für das Rheinstromgebiet erfolgte Veröffentlichung ordnungsgemäß und rechtzeitig bekanntgemacht worden (vgl. auch Urt. d. Berufungskammer v. 24.06.1970, ZfB 1971, 79). Sie war deshalb von dem Betroffenen zu befolgen. Sollte er, wie er vorgebracht hat, von der Anordnung erst am 06.07.1991 im Bereich von St. Goar, also noch etwa 17 km unterhalb der für die Bergfahrt bei Rhein-km 539 beginnenden Sperrstrecke entfernt, über Funk gehört haben, so kann ihn das nicht, von dem Vorwurf entlasten, § 1.22 Nr. 1 RheinSchPV verletzt zu haben. Denn es ist Pflicht eines Schiffsführers, sich rechtzeitig über die allgemeinen und besonderen Verkehrsregelungen für die von ihm zu befahrende Schifffahrtsstraße zu unterrichten. Dass das hier geschehen ist, hat der Betroffene nicht dartun können. Seine Behauptung, dass "die Veranstaltung in den relevanten holländischen Fachveröffentlichungen, die die amtlichen Hinweise der Sperrungen üblicherweise enthalten, nicht erwähnt worden sei", wird nicht dadurch bewiesen, dass der Betroffene hierfür die knapp halbseitige Fotokopie der Seite aus einem namentlich nicht genannten und auch sonst nicht erkennbaren Mitteilungsblatt - überdies ohne jedes Datum - vorgelegt hat, worin für die Rheinschifffahrt lediglich auf eine Behinderung durch Arbeiten an einer Brücke in Duisburg-Rheinhausen (Einschränkung der Durchfahrtshöhe) hingewiesen wird. Unabhängig davon ist dem Betroffenen entgegenzuhalten, dass er sich, wie schon erwähnt, noch etwa 17 km unterhalb des Beginns der Sperrstrecke befunden hat, als er auf Höhe von St. Goar plötzlich und überraschend über Kanal 10 von der Schifffahrtssperre erfahren haben will. Dann hätte er sich aber unverzüglich über Funk über deren Anordnung und Umfang bei der Wasserschutzpolizei oder bei der Schiffsmeldestelle in Oberwesel, die nach der Aussage des Zeugen V von MS N ebenfalls die Bergfahrt über die Schifffahrtssperre unterrichtet hat, näher erkundigen müssen. Das hat er unterlassen. Dabei wäre es ihm nach der Überzeugung der Berufungskammer im Hinblick auf die noch große Entfernung zu dem Beginn der Sperrstrecke gewiss noch möglich gewesen, vor dieser rechtzeitig vor Anker zu gehen, zumal der Rhein oberhalb von Oberwesel nicht mehr "in schwierigen Gebirgskrümmungen" verläuft. Im übrigen hat der Betroffene die Schifffahrtspolizeiliche Anordnung Nr. 9/91 vom 04.04.1991 nicht einmal dann befolgt, als diese ihm an Bord seines Fahrzeugs kurz vor Beginn der Sperrstrecke von der Wasserschutzpolizei vorgelesen wurde. Stattdessen ist er über einen Kilometer weit in diese hineingefahren und hat dort sein Fahrzeug erst aufgestoppt und danach talwärts treiben lassen, als ihm ein unmittelbares polizeiliches Einschreiten drohte.
2. Der Betroffene ist außerdem keiner der Weisungen nachgekommen, die ihm unmittelbar von der Wasserschutzpolizei mündlich zur Sicherung des Schiffsverkehrs während der Veranstaltung "Der Rhein im Feuerzauber rund um das Binger Loch" erteilt worden sind. Weder hat er sein Fahrzeug vor Beginn der Sperrstrecke bei Rhein-km 539 ständig gemacht, noch die Fahrt nach der Erteilung eines vorläufigen Weiterfahrverbots eingestellt. Vielmehr ist er in die Sperrstrecke bis in unmittelbare Nähe der letzten Fahrzeuge des sich aufstellenden Flottenverbands hineingefahren. Damit hat er § 1.19 RheinSchPV mehrfach vorsätzlich verletzt. Soweit er sein Verhalten damit zu entschuldigen sucht, dass ihm kein geeigneter und sicherer Ankerplatz mehr zur Verfügung gestanden habe, muss er sich vorhalten lassen, dass er in eine solche Lage schon bei rechtzeitiger Befolgung der Schifffahrtspolizeilichen Anordnung Nr. 9/91 vom 04.04.1991 nicht gekommen wäre. Zudem hat er seine allgemein gehaltene Einlassung nicht näher belegt. Überdies zeigt der Umstand, dass er schließlich nach Verlassen der Sperrstrecke nur wenig unterhalb einen Liegeplatz beim Lorcher Werth gefunden hat, dass das von ihm behauptete Fehlen eines geeigneten und sicheren Liegeplatzes eine reine Schutzbehauptung ist. Das wird auch durch den Schlussvermerk der Wasserschutzpolizei vom 03.09.1991 bestätigt, worin es heißt, dass "unterhalb der Sperrstrecke ausreichende und gute Liegemöglichkeiten vorhanden sind, und zwar über 400 m linksrheinisch und über 600 m rechtsrheinisch außerhalb der Fahrrinne", ferner "auf Grund der dortigen Strombreite die Strömungsverhältnisse günstig sind" sowie "zum Zeitpunkt des Eintreffens des MS A, nur 6 Fahrzeuge in diesem Bereich lagen, so dass noch ausreichend Raum vorhanden war".
3. Keinen Anlass sieht die Berufungskammer auf den Einwand des Betroffenen einzugehen, dass es sich bei dem gegen diesen erlassenen Bußgeldbescheid um eine reine "Retourkutsche" der Wasserschutzpolizei handle, nachdem er wegen rechtwidrigen ungebührlichen Verhaltens der Wasserschutzpolizei Dienstaufsichtsbeschwerde und Strafanzeige erhoben hatte. Es ist nicht ersichtlich, dass ein Zusammenhang zwischen den Zuwiderhandlungen des Betroffenen gegen § 1.19 und § 1.22 Nr. 1 RheinSchPV und dem von ihm behaupteten Verhalten der Wasserschutzpolizei besteht. Im übrigen hat er entgegen seiner Ansicht dieser nicht den Zutritt zum Schiff und zum Steuerhaus verweigern können, weil die Schiffsführer nach § 1.20 RheinSchPV "den Bediensteten der zuständigen Behörden die erforderliche Unterstützung zu geben, insbesondere ihr sofortiges Anbordkommen zu erleichtern haben, damit sie die Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung überwachen können".
III. Was die Höhe der gegen den Betroffenen zu verhängenden Geldbuße angeht, so hält die Berufungskammer in Übereinstimmung mit dem Rheinschifffahrtsgericht einen Betrag von 800 DM für notwendig, aber auch ausreichend. Eine Herabsetzung dieses Betrags kommt bei der Hartnäckigkeit, mit der sich der Betroffene über die von ihm verletzten Vorschriften der RheinschifffahrtspolizeiVO, insbesondere deren § 1.19 hinweggesetzt hat, nicht in Betracht.
IV. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1. Die Berufung des Betroffenen gegen den Beschluss des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar vom 27.11.1992 wird zurückgewiesen.
2. Der Betroffene hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich seiner notwendigen Auslagen zu tragen.
3. Deren Festsetzung gemäß Art. 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar.