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Beschluss des Oberlandesgerichts – Schiffahrtsobergericht – Köln
vom 18.01.2000
– 3 Ws 2/99 BSch –
Gründe:
I.
Gegen den Angeklagten ist durch Strafbefehl des Schifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 16.04.1999 wegen fahrlässiger Gewässerverunreinigung eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 80,00 DM festgesetzt worden. Unter dem 16.04.1999 verfügte der Vorsitzende die Zustellung des Strafbefehls an den Angeklagten durch die Wasserschutzpolizei. Unter dem 18.06.1999 verfügte er die Zustellung des Strafbefehls gegen Einschreiben/Rückschein. Nach dem zu den Akten gelangten Rückschein wurde die Sendung am 25.06.1999 ausgehändigt. Auf der Rückseite des Empfangsbekenntnisses befindet sich unter dem Wort „handtekening" eine Unterschrift . Eine Ausfertigung des Strafbefehls wurde dem Angeklagten ferner durch die Wasserschutzpolizeiwache Emmerich gegen Empfangsbekenntnis am 12.07.1999 zugestellt.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 04.08.1999, bei Gericht per Telefax am 04.08.1999 eingegangen, hat der Angeklagte gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt und zugleich gegen die Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt. Zur Begründung machte er geltend, dass er der deutschen Sprache nicht mächtig sei. Er habe nicht erkannt, dass es sich bei dem überlassenen Dokument um einen Strafbefehl gehandelt habe, die Rechtsbehelfsbelehrung habe er inhaltlich nicht verstanden. Er sei davon ausgegangen, es handele sich um eine Rechnung. Demzufolge habe er das Schriftstück zunächst an einen in Holland ansässigen Versicherer per Telefax übermittelt. Aus Holland sei sein Verteidiger am 02.08.1999 (17.40 Uhr) per Telefax informiert worden. Da sein Verteidiger an diesem Tag sowie am 03.08.1999 abwesend gewesen sei, habe der Einspruch erst am 04.08.1999 erfolgen können. Zu den Sprachkenntnissen des Angeklagten hat der Verteidiger seinen Eindruck in einer eidesstattlichen Versicherung niedergelegt.
Durch Beschluss vom 23.08.1999 hat das Schifffahrtsgericht den Einspruch des Angeklagten verworfen und das Wiedereinsetzungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen. Im Hinblick auf die Zustellungen am 25.06.1999 und am 12.07.1999 sei der Einspruch verspätet. Die Versäumung der Einspruchsfrist sei verschuldet. Unter Hinweis auf die polizeiliche Vernehmung verstehe der Angeklagte hinreichend die deutsche Sprache. Im Übrigen sei ihm vorzuwerfen, dass er sich nicht umgehend bemüht habe, den Inhalt des ihm übergebenen Schriftstücks zu erfahren.
Gegen die am 26.08.1999 zugestellte Entscheidung hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger am 30.08.1999 sofortige Beschwerde eingelegt und unter dem 18.10.1999 weiter ergänzt.
II.
Das formell unbedenkliche Rechtsmittel des Angeklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Schifffahrtsgericht hat zu Recht den Einspruch des Angeklagten als verspätet verworfen und sein Wiedereinsetzungsgesuch abgelehnt.
Der Einspruch war als unzulässig zu verwerfen, da er verspätet eingelegt worden ist (§ 411 Abs. 1 StPO) . Denn er ist nicht innerhalb von 2 Wochen nach Zustellung bei Gericht eingegangen (§ 410 Abs. 1 StPO). Hierbei kann dahinstehen, ob die auf den 25.06.1999 datierte vereinfachte Auslandszustellung nach § 37 Abs. 2 StPO i.V.m. § 181 ZPO wirksam erfolgt ist. Keinen Bedenken unterliegt die Zustellung durch die Wasserschutzpolizei am 12.07.1999. Hiernach endete die Einspruchsfrist mit Ablauf des 26.07.1999. Der am 04.08.1999 eingegangene Einspruch war mithin verspätet..
Soweit der Angeklagte mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache und eine fehlende Übersetzung insbesondere der Rechtsbehelfsbelehrung einwendet, berührt dies - auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. III a MRK - nicht die Wirksamkeit der Zustellung. Dies erfordert bereits das Gebot der Rechtssicherheit. Im Übrigen zeigt gerade § 44 Satz 2 StPO, dass Umstände, die zur Unkenntnis von Rechtsmittelfristen beitragen, im Rahmen einer Wiedereinsetzung berücksichtigt werden können.
Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist kann dem Angeklagten nicht gewährt werden, da er weder dargetan noch, glaubhaft gemacht hat, dass er ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten.
Es mag dahinstehen, ob dem Angeklagten überhaupt abgenommen werden kann, er habe aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse das Schriftstück nicht als Strafbefehl erkannt, sondern für eine „Kostenrechnung" gehalten. Auch habe er die Rechtsbehelfsbelehrung inhaltlich nicht verstanden. Immerhin scheint der Angeklagte über so viel Sprachkenntnisse zu verfügen, mag man sie auch als rudimentäre Deutschkenntnisse bezeichnen, dass er sich jedenfalls verständlich machen kann, worauf die Niederschrift über seine polizeiliche Vernehmung am 12.03.1999 hinweist, mag auch der unterbliebene Vermerk nach Nr. 181 Abs. 1 RiStBV mehr Klarheit hätte schaffen können. Indes bedarf der Grad der Sprachkenntnisse des Angeklagten keiner Klärung, da es hierauf aus sonstigen Gründen nicht ankommt.
Die fehlende Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung begründet nicht die gesetzliche Vermutung fehlenden Verschuldens nach § 44 Satz 2 StPO. Die Gerichtssprache ist deutsch (§ 184 GVG). Einen Anspruch auf Belehrung in seiner Heimatsprache hat der Ausländer nicht. Soweit Nr. 181 Abs. 2. RiStBV bei nicht hinreichend sprachkundigen Ausländern eine Übersetzung vorsieht, handelt es sich nur um eine Empfehlung (vgl. BVerfG NJW 1976, 1021; Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl., StPO § 35 a Rdnr. 9, § 44 Rdnr. 22; § 184 GVG Rdnr. 3; KK-Maul, 4. Aufl., StPO § 35 Rdnr. 22, § 35 a Rdnr. 8, § 44 Rdnr. 38; KK-Fischer, § 409 Rdnr. 20). Abzustellen ist vielmehr darauf, dass mangelhafte Kenntnisse der deutschen Sprache nicht zu einer Verkürzung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantien führen dürfen. Diese verbieten es, die Versäumung einer Frist, soweit sie auf den unzureichenden Sprachkenntnissen beruht, als verschuldet im Sinne des Rechts auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand anzusehen. Unzureichende Sprachkenntnisse entheben den Ausländer allerdings nicht der Sorgfaltspflicht in der Wahrnehmung seiner Rechte, weshalb er sich in angemessener Frist Gewissheit über den Inhalt des von ihm als amtlich erkannten Schreibens verschaffen muss (BVerfG NJW 1976, 1021, 1022; StV 1995, 394). Dass die Fristversäumung in diesem Sinne unverschuldet war, er sich zureichend unter Berücksichtigung der Umstände des Falles um die Verfolgung seiner Interessen gekümmert hat, ergibt sich aus der Darstellung des Angeklagten bereits nicht. Auch bei unzureichenden Sprachkenntnissen war er gehalten, das ihm zugestellte Schriftstück sorgfältig zu prüfen. Hierzu bestand umso mehr Anlass, als die Zustellung durch persönliche Übergabe durch die Wasserschutzpolizei förmlich erfolgte, wobei die Empfangsbescheinigung schon die Begriffe „Strafsache" und „Strafbefehl des Amtsgerichts Duisburg-Ruhrort" nannte. Unbeschadet dessen, dass es nahegelegen hätte, dass der Angeklagte sich von dem aushändigenden Beamten diese Begriffe hätte erläutern lassen können, konnte ihm bei sorgfältiger Durchsicht des Dokuments nicht entgehen, dass es .sich um ein amtliches Schriftstück handelte, mit dem er wegen des Vorfalles vom 12.03.1999 verantwortlich gemacht und Zahlung verlangt wurde; auch enthielt das Schriftstück vorgedruckte Hinweise mag er sie auch nach seinen Angaben nicht verstanden haben. Allerdings konnte dem Angeklagten nicht verschlossen bleiben, dass - wie auch im niederländischen Rechtsraum bei amtlichen Schreiben - derartige Vordrucke wichtige Hinweise zum gebotenen Verhalten insbesondere auch zu Rechtsmitteln enthalten können. Demgemäß war er gehalten, unverzüglich die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, um Klarheit über den Inhalt des Schriftstücks und sein weiteres Vorgehen zu erhalten. Zu unverzüglichen Bemühungen und deren zeitlichem Verlauf fehlt indes geeigneter Vortrag. So hätte der Angeklagte unverzüglich Erkundigungen bei seinem holländischen Versicherer oder Versicherungsmakler einholen können. Er trägt lediglich vor, er habe bei erster Gelegenheit den Strafbefehl seinem Versicherungsmakler per Telefax zugeleitet; der Makler habe dieses am 29.07.1999 um 10.02 Uhr dem Versicherer übermittelt. Welche Bemühungen der Angeklagte selbst bis zum 29.07.1999, als die Einspruchsfrist bereits abgelaufen war, zur Wahrung seiner Belange veranlasst hat, wird nicht erläutert. Demgemäß liegt nicht fern, dass der Angeklagte aus vermeidbarer Nachlässigkeit zunächst den Dingen ihren Lauf gelassen hat und sich gar nicht um Klärung bemüht hat. Hiermit ist aber ein fehlendes ursächliches Verschulden der Fristversäumung nicht dargelegt. Nach den Umständen des Einzelfalles, dem beruflichen Bildungsstand des Angeklagten und den ihm zur Verfügung stehenden Klärungsmöglichkeiten sieht der Senat auch keinen Anlass, ihm grundsätzlich einen größeren Zeitrahmen von etwa 3 oder 4 Wochen (vgl. hierzu BVerfG NJW 1976, 1021, 1022) zuzubilligen, um sich Gewissheit zu verschaffen. Der Klärungszeitraum ist eine Frage des Einzelfalles. Weshalb der Angeklagte nicht zeitnah nach Zustellung an einem Montag, dem 12..07.1999, eine Klärung binnen weniger Tage bewirken konnte, ist nach seinem Vorbringen nicht nachvollziehbar. Ohne dass die Anforderungen überspannt werden, sprechen hier Gründe für eine mangelnde Sorgfalt und Nachlässigkeit in eigener Angelegenheit..
Die sofortige Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.