Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Im Geltungsbereich der „geregelten Begegnung" sind aus Verkehrssicherheitsgründen allein die in § 9.02 RheinSchPVO bestimmten Ausnahmen von der Vorbeifahrt Backbord an Backbord erlaubt.
2) Ein Verzicht des Schiffseigners auf die Einrede der Verjährung umfaßt auch die Schadensersatzansprüche gegen seinen verantwortlichen Schiffsführer.
3) Eine gewillkürte Prozeßstandschaft ist bei eigenen wirtschaftlichen Interessen grundsätzlich zulässig. Die notwendige Ermächtigung kann sich auch aus ständig geübter Praxis ergeben. Ist die Prozeßstandschaft offengelegt oder den Beteiligten bekannt, wird eine laufende Verjährung durch die Klage der Prozeßstandschafterin unterbrochen.
Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Köln
vom 30.11. 1990
3 U 98/90
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin, eine Versicherungsmaklerin, macht Ansprüche der Reederei „X" geltend, die Eigentümerin des Koppelverbandes TMS „M" ist. Die Beklagte zu 1) ist Eigentümerin des KMS „L"; der Beklagte zu 2) war im Unfallzeitpunkt als Lotse verantwortlicher Schiffsführer des KMS.
Am 28. 12. 1985 kam es auf dem Rheinstrom in Ortslage Kalkar zu einer Kollision zwischen dem talfahrenden KMS „L" und dem bergfahrenden Schubverband „S" mit vier Leichtern, nachdem letzterer gerade den Koppelverband „M" überholt hatte. Durch die Kollision brach der Schubverband „S" auseinander, ein Leichter trieb zusammen mit KMS „L" zu Tal.
Vor Verjährungseintritt hatte der im Vorverfahren tätige Rechtsanwalt eine Verjährungsverzichtserklärung für die „Interessenten des KMS ,L"` abgegeben.
Die Klägerin hat behauptet, der Schubverband „S" habe sich beim Überholen des Koppelverbandes „M" im linksrheinischen Fahrwasser mit Steuerbordkurs noch weiter zum linksrheinischen Ufer hin befunden, als seitens des KMS „L" angefragt worden sei, ob man mit der Bergfahrt Steuerbord an Steuerbord begegnen solle. Seitens des Schubverbandes habe man, wie schon zuvor bei mehreren Durchsagen über Funk, eine Begegnung Backbord an Backbord gefordert.
Angesichts des Kurses des Schubverbandes sei auch eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord nautisch gar nicht möglich gewesen. KMS „L" sei dann hart nach linksrheinisch rübergekommen und mit dem Schubverband kollidiert. Nach der Kollision sei KMS „L" mit einem Leichter des Schubverbandes auf den Koppelverband zugetrieben. Dabei sei dann der Leichter mit seiner Backbordseite gegen das Backbordvorschiff des Leichters „C" angekommen, wobei ein Schaden in Höhe von 13598,- Gulden entstanden sei.
Die Beklagten haben behauptet, KMS „L" habe über Kanal 10 gehört, daß in Höhe des Kraftwerkes Kalkar ein auf Grund geratenes leeres Motorschiff rechtsrheinisch quer im Strom läge. KMS „L" habe dieses 80m aus dem linksrheinischen Ufer fahrend passiert. Zuvor - etwa 400 m vor dem festgefahrenen Schiff - sei auf Kanal 10 zu hören gewesen: „Wo fahren Sie hin, wir wollen Backbord an Backbord passieren." Der Lotse des KMS „L" habe geantwortet, daß es dazu zu spät sei, da er beabsichtige, das auf Grund gefahrene Schiff an dessen Steuerbordseite zu passieren. Dann sei zunächst ein leeres Motorschiff mit Kurs nach linksrheinisch angekommen, mit dem man seitens des KMS eine Kollision durch Steuerbordruderlage habe vermeiden können. Kurz nachdem das KMS „L" wieder aufgestreckt worden sei, sei der Schubverband „S" in Sicht gekommen, mit dem trotz sofortiger Steuerbord-Ruderlage die Kollision nicht habe vermieden werden können.
Bei dem Abtreiben des KMS „L" und des Leichters sei es nicht zu einer Berührung mit dem Koppelverband „M" gekommen.
Die Beklagten sind der Auffassung, die Forderung gegen den Beklagten zu 2) sei schon deshalb verjährt, da der seitens des Rechtsanwalts erklärte Verjährungsverzicht „für die Interessenten des KMS ,L"` nicht gegen den Beklagten zu 2) wirke, da dieser nicht zu den Interessenten des KMS gehöre.
Auch die Forderung gegen die Beklagte zu 1) sei verjährt.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspruch gegen die beiden Beklagten aus §§ 823 BGB, 3, 4, 114 BSchG zu.
Der Beklagte zu 2) hat am 28. Dezember 1985 gegen 13.00 Uhr als verantwortlicher Lotse auf KMS „L" schuldhaft entweder bei nebligem Wetter ein Radarbild mißdeutet und eine Kursweisung nicht beachtet oder aber - bei richtiger Deutung des Radarbildes - es verabsäumt, mit der Bergfahrt im Revier bei Stromkilometer 840 rechtzeitig eine Kursabsprache zu treffen, so daß es zu einer Kollision mit dem Schubverband „S" gekommen ist. Hierbei wurde einer der vier gekoppelten Leichter aus dem Verband herausgebrochen. Mit dem Leichter ist KMS „L" weiter zu Tal gekommen und hat den zu Berg fahrenden Koppelverband „M" an dessen Backbordseite auf einer Länge von 1-3 m geschrammt und die Bordwand eingedrückt. Die Schadensbeseitigungskosten und die Expertisekosten für die Schadenstaxe haben die Beklagten daher zu ersetzen.
Der Einwand der Beklagten, eine Kollision habe nicht stattgefunden und der geltend gemachte Bordwandschaden stamme nicht aus einer Kollision mit KMS „L", ist widerlegt.
Soweit die Beklagten geltend machen, die Schadensersatzforderung sei verjährt, ist ihr Vorbringen aus den vom Rheinschiffahrtsgericht angeführten Gründen unerheblich. Auf die Geltendmachung der Verjährungseinrede ist für die Interessenten des KMS „L" vorübergehend verzichtet worden. Der Verzicht auf die Geltendmachung der Einrede umfaßt notwendig auch die Schadensersatzansprüche gegen den Schiffsführer, denn nur für dessen Versagen hat die Beklagte zu 1) gemäß § 3 BSchG einzustehen. Die Annahme, der Rechtsanwalt, der seinerzeit den Beklagten zu 2) im Verklarungsverfahren vertreten hat, habe die Verzichtserklärung nur für den Schiffseigner abgeben wollen, erscheint lebensfremd. Im übrigen wird auf die Ausführungen des angefochtenen Urteils zu diesem Punkt verwiesen.
Zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs der Firma „X" im eigenen Namen ist die Klägerin in gewillkürter Prozeßstandschaft befugt. Diese Prozeßstandschaft ist grundsätzlich zulässig, sofern der Standschafter mit der Geltendmachung des fremden Rechts auch eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt (vgl. BGHZ 78, 7). Sie setzt eine entsprechende Ermächtigung durch den Forderungsinhaber voraus, die sich im vorliegenden Fall aus einer ständig geübten Schadenspraxis ergibt. Nach den Bekundungen der Zeugen ist die Klägerin entsprechend ständiger Übung zwischen ihr und der Reederei „X" eingeschaltet worden, um den hier streitgegenständlichen Schaden in vollem Umfang und allein und selbständig geltend zu machen. Die angestrebte Schadensregulierung, mit der die Klägerin früher von Fall zu Fall und auch im vorliegenden Fall betraut war, war jeweils eine umfassende. Sie erfolgte bei Schäden mit einem Wert von über 20 000,- hfl in Abstimmung mit den Versicherern, bei Schadenssummen, die darunter lagen, führte die Klägerin die Regulierung allein aus und rechnete am Schluß mit dem Versicherten ab. Bestand aber eine derartige Praxis zwischen der Klägerin und der Reederei „X", so hatte die Klägerin nicht nur die Stellung einer Bevollmächtigten, sondern einer „Treuhänderin", jedenfalls im Schadensbereich bis 20000,- hfl; sie konnte bei der Durchführung ihrer Aufgabe die Schadensersatzansprüche des Versicherungsnehmers als eigene einfordern.
Die Klägerin hat auch ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Geltendmachung der Schadensersatzansprüche ihrer Kunden, weil sie unter anderem diese Leistung als Service dem Versicherer wie dem Versicherungsnehmer zur Verfügung stellt und somit Kunden gewinnt oder ihre geschäftlichen Beziehungen zu Kunden zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil festigt.
Die Klage der Prozeßstandschafterin unterbricht die laufende Verjährung (vgl. BGHZ 78, 6), vorausgesetzt, die Prozeßstandschaft ist offengelegt oder den Beteiligten bekannt (vgl. BGH NJW 85, 1826). Im vorliegenden Fall ist die Klägerin unter Berufung auf die angeblich abgetretenen Ansprüche unter ausführlicher Darlegung des Schadensfalles und der behaupteten Schadensregulierung tätig geworden. Sie hat damit hinreichend verdeutlicht, daß sie Prozeßstandschafter ist. Wenn die Klägerin nachträglich im Verfahren eine Abtretungsurkunde vorgelegt hat, so ist dies unerheblich, weil ihre Prozeßstandschafterstellung von Anfang an nach Außen erkennbar und von den Voraussetzungen her gesehen begründet war.
Soweit die Beklagten sich auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg (abgedruckt in VersR 82, 872) berufen haben, ist der dort entschiedene Sachverhalt, bei dem zunächst aus abgetretenem Recht und sodann in Prozeßstandschaft ein Anspruch geltend gemacht worden ist, mit dem hier zur Entscheidung anstehenden Fall nicht vergleichbar. So hat das Oberlandesgericht Hamburg in der genannten Entscheidung unter anderem ausgeführt (S. 873):
„Im übrigen würde es nach Ansicht des Senats zur Bejahung der Geltendmachung einer Prozeßstandschaft bereits ausgereicht haben, wenn die Klägerin lediglich den Sachverhalt, also den Schadensfall, dessen Regulierung und die Abtretungen klargestellt hätte."
Gerade dies ist aber in dem vorliegenden Rechtsstreit geschehen...."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1991 - Nr.24 (Sammlung Seite 1350 ff.); ZfB 1991, 1350 ff.