Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Zur Beweislast bei der Haftung für Schäden, die an Schubleichtern während ihrer Zugehörigkeit zum Schubverband entstanden sind.
2) Anwendung der "Allgemeinen Bedingungen für Verträge über die Mitnahme fremder Schubleichter durch Schubboote."
Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Köln
vom 12.12.1995
3 U 74/95 BSchRh
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Eigentümerin des Schubleichters H, der am 10.9.1992 im Hafen Neuß von dem Schubboot A der Beklagten zu 1), geführt vom Beklagten zu 2) in einen Schubverband aufgenommen wurde, der aus dem Schubboot und vier mit Schrott beladenen Leichtern, darunter der Leichter H, bestand. Der Leichter H befand sich in der 4er Formation hinten an Steuerbord. Die am 8.9.1992 erfolgte Eichaufnahme hatte eine leichte Schräglage des Leichters von ca. 5 cm nach Steuerbord ergeben.
Auf der Talfahrt von Neuss nach Duisburg hatte der Leichter H in Höhe von Düsseldorf und ein weiteres Mal oberhalb der Krefelder Brücke Grundberührung. Nach seiner Ankunft in Duisburg wurde Wassereinbruch festgestellt. Rund 247 t der Ladung wurden in einen anderen Leichter umgeschlagen. Danach setzte der Leichter H die Reise nach den Niederlanden fort und wurde schließlich in Rotterdam auf Helling untersucht. Dort wurde nach der Schadensfeststellung vom 17.09.1992 eine Schadenstaxe erstellt.
Die Klägerin hat von den Beklagten die Reparaturkosten gemäß dieser Schadenstaxe, Kostenerstattung von Havariegrosse Maßnahmen, Kosten der Schadensaufnahme und Erstattung von Nutzungsverlust verlangt. Sie hat behauptet, der gemäß der Schadenstaxe festgestellte Schaden sei während der Fahrt von Neuss nach Duisburg bei den zwei Grundberührungen entstanden. Vor dieser Fahrt habe der Leichter keine Leckagen gehabt.
Die Beklagten haben behauptet, schon vor der Aufnahme in den Schubverband habe der Leichter H eine erhebliche Schräglage von 28 cm gehabt. Deshalb habe der Schiffsführer zunächst mit der Klägerin telefoniert, und diese habe erklärt, daß der Leichter trotz seines erheblichen Tiefgangs und trotz seiner erheblichen Schlagseite nach Duisburg mitgenommen werden solle. Auf der Fahrt nach Duisburg habe sich der Schubverband stets in der Mitte der Fahrrinne bewegt. Dort seien auch die zwei Grundberührungen erfolgt, die so leicht gewesen seien, daß dadurch der später festgestellte Schaden nicht verursacht worden sein könne. Die festgestellten Schäden im Vorschiffbereich könnten auch deshalb während dieser Fahrt nicht verursacht worden sein, weil der Leichter in der Position Steuerbord hinten vorgespannt war. In dieser Position hätte der Schaden im Achterschiff oder in der Mitte des Leichters eintreten müssen. Jedenfalls fehle es an einem festgestellten Verschulden ihrerseits.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Klage gegen den Beklagten zu 2) abgewiesen. Nach der Beweisaufnahme stehe fest, daß der an dem Leichter "H 150" entstandene Schaden durch die beiden Grundberührungen verursacht worden sei. Die Klägerin habe nicht bewiesen, daß den Beklagten zu 2) ein Verschulden an den Grundberührungen treffe.
Die Berufung der Beklagten zu 1) wurde zurückgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin wurde die Klage gegenüber beiden Beklagten als Gesamtschuldnern dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Aus den Entscheidungsgründen:
... Das Rheinschiffahrtsgericht hat zu Recht eine Haftung der Beklagten zu 1) für die an dem Leichter H entstandenen Schäden bejaht. Unstreitig hat es bei der Fahrt des Schubverbandes A am 10.09.1992 von Neuss nach Duisburg zwei Grundberührungen gegeben. Der Sachverständige E ist mit überzeugender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, daß die Leckagen im Schiffsboden des Leichters durch diese Grundberührungen entstanden sein müssen. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Leichter im Kimmbereich schon vor der Aufnahme in den Schubverband leck gewesen sein könnte. Unstreitig war die letzte Fahrt des Leichters vor der Beladung - leer von Duisburg nach Neuss - ebenfalls mit dem Schubboot A erfolgt. Die Beklagten behaupten selbst nicht, daß es während dieser Fahrt zu Auffälligkeiten gekommen wäre. Dies hätte aber der Fall sein müssen, wenn die Lecks in den drei vorderen Segmenten schon vorhanden gewesen wären. Der Leichter hätte dann stark kopflastig liegen müssen, was der Schiffsbesatzung sicherlich nicht verborgen geblieben wäre. Nach der Ankunft in Neuss lag der Leichter vor der Beladung - wie alle Leichter - nur ca. 2 cm kopflastig im Wasser. Daß die Leereiche 25,6 t betrug, läßt nicht auf eine vorhandene Leckage schließen. Der Senat stimmt mit dem Zeugen P und dem Sachverständigen E darin überein, daß ein solcher Leerverlust bei einem älteren Leichter völlig normal ist. Selbst wenn - wie die Beklagten behaupten - bei der Durchführung der Reparaturarbeiten keine Ladungsrückstände auf dem Boden vorgefunden worden sein sollten, läßt sich der Leerverlust damit erklären, daß im Laufe der Zeit Wasser durch kleine Schadstellen im Boden des Laderaums gesickert ist.
Auch aus den von den Beklagten vorgelegten Lichtbildern, die Schäden an der Seitenwand zeigen, läßt sich nicht herleiten, daß der Leichter H schon vor Fahrtantritt leck gewesen wäre. Zunächst steht nicht einmal fest, daß die Fotos überhaupt den Leichter "H 150" zeigen. Nach Aussage des sachverständigen Zeugen K stammen sie jedenfalls nicht von ihm. Der Zeuge hat zwar bekundet, es seien auch Schäden an der Seitenwand gewesen, von Leckagen hat er aber nicht gesprochen. Im übrigen können die beiden abgebildeten Feuchtstellen, wenn sie denn den Leichter H betreffen, von innen durch Verformungen aus dem Boden über die Bodenfundamente aufgebrochen sein, wie der Sachverständige E ausgeführt hat. Selbst wenn sie schon vor Fahrtantritt vorhanden gewesen sein sollten, mögen sie allenfalls zu dem Leerverlust des Leichters beigetragen haben. Sie lassen jedoch keinesfalls den Schluß zu, daß es sich auch bei den Leckagen im Bodenbereich des Leichters um Altschäden gehandelt hätte. Im übrigen werden Schäden an der Seitenwand des Leichters von der Schadenstaxe nicht erfaßt und sind demgemäß auch nicht Gegenstand der Klage.
Eine Beschädigung des Leichters während der Liegezeit in Neuss kommt in Anbetracht der Art des Schadens - es handelt sich um einen 16 m langen "Durchzieher" - nicht in Betracht. Den Zeugen L, W und F kann hinsichtlich der von ihnen angegebenen extremen Schieflage des Leichters von mehr als 20 cm zum Zeitpunkt der Übernahme durch das Schubboot A nicht gefolgt werden. Bei der Eichaufnahme hatte der Leichter nur eine Schlagseite von durchschnittlich 4 cm, was bei einer Beladung mit Schrott nicht ungewöhnlich ist. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß sich die Ladung während der Liegezeit verschoben haben könnte oder der Leichter einseitig aufgelegen hätte. Durch Wassereinbruch in den vorderen drei Segmenten kann die von den Zeugen bekundete extreme Schieflage nicht entstehen, wie der Sachverständige E überzeugend ausgeführt hat. Der Leichter hätte dann nicht zur Seite, sondern wegen des Leerverlusts von mindestens 150 t in den drei vorderen Zellen mit dem Kopf stärker eintauchen müssen. Dafür, daß sich eine ungewöhnlich hohe Kopflastigkeit des Leichters schon in Neuss gezeigt hätte, haben sich in der Beweisaufnahme keinerlei Anhaltspunkte ergeben. Hingegen steht nach der Aussage des Zeugen P fest, daß der Leichter nach dem Abkoppeln im Duisburger Hafen nach vorne abgesackt war und, nachdem ca. 247 t der Ladung in einen anderen Leichter umgeschlagen worden waren, wieder eben lag, so daß die Reise fortgeführt werden konnte.
Der Sachverständige E hat in seinem Gutachten auch überzeugend begründet, warum bei einer Koppelung des Leichters mit dem Bug vor dem Schubboot die Schäden durch Grundberührung gerade im vorderen Bereich auftreten konnten.
Nach alledem hat der Senat keinen Zweifel daran, daß die Schäden am Boden des Leichters durch die beiden Grundberührungen während der Fahrt mit dem Schubboot A von Neuss nach Duisburg entstanden sind. Da sich die Beklagte zu 1) nicht entlastet hat, haftet sie somit für diese Schäden gemäß § 3, 4, 114 BSchG i.V.m. § 1 des Schubabkommens.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage gegen den Beklagten zu 2) infolge einer Verkennung der Beweislast zu Unrecht abgewiesen. Der Anscheinsbeweis spricht dafür, daß ein ordnungsgemäß abgeladenes Schiff innerhalb der amtlichen Fahrrinne keine Grundberührung erleidet und eine dennoch erfolgte Grundberührung auf fehlerhafter Navigation beruht (vgl. Bemm/Kortendick Rheinschiffahrtspolizei-Verordnung 1983, § 1.07 Rdnr. 8 und § 1.17 Rdnr. 18). Die beiden unstreitigen Grundberührungen lassen daher darauf schließen, daß der Beklagte zu 2) den Schubverband infolge nautischen Fehlverhaltens nicht in der Fahrrinne gehalten hat. Den ihm obliegenden Entlastungsbeweis hat er nicht geführt.Die Klage ist daher auch ihm gegenüber dem Grunde nach gerechtfertigt, was durch Grundurteil (§ 304 ZPO) auszusprechen war. Wegen des Höheverfahrens war die Sache gemäß 538 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO ans Rheinschiffahrtsgericht zurückzuverweisen…
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1996 - Nr.2 (Sammlung Seite 1572 f.), ZfB 1996, 1572 f.