Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Zweifel an der Schadensursächlichkeit eines Schiffsunfalls gehen zu Lasten des Beweispflichtigen.
Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Köln
vom 29.10.1991
3 U 62/88
(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Transportversicherer der Empfängerin einer mit MS „V" beförderten Ladung, das von TMS „E" am 12. Februar 1985 auf dem Dortmund-Ems-Kanal angefahren wurde. Später wurde bei MS „V" ein von einem Leck im Bodenbereich ausgehender Wassereinbruch festgestellt, der einen Teil der Ladung beschädigte.
Das Schiffahrtsgericht hat der Klage in Höhe der halben Schadenssumme stattgegeben. Das Schiffahrtsobergericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„ ...Die Klage ist, abzuweisen, weil nicht festgestellt werden kann, daß der Klägerin der geltend gemachte Schadensersatzanspruch (aus §§ 3, 4, 114 BSchG, § 823 BGB) zusteht.
Mit dem Schiffahrtsgericht ist davon auszugehen, daß der Schiffsführer von TMS „E" die Anfahrung am 12. Februar 1985 auf dem Dortmund-Ems-Kanal im Oberwasser der Schleuse Bevergern schuldhaft verursacht hat. TMS „E" hat die Schleusenkammer bei Eisgang mit zu hoher Geschwindigkeit verlassen und ist deshalb an das liegende oder zum Stilliegen manövrierende Schiff MS „V" angekommen.
Offen ist aber, ob auf diesen Unfall die Lekkage von MS „V" zurückzuführen ist. Zwar hat die Schiffsbesatzung von MS „V" die Anfahrung als erheblich dargestellt, bei der sich das TMS „E" um MS „V" herumgewrungen habe; gleichzeitig sei ein Bruchgeräusch hörbar gewesen. Andererseits ist es aber so, daß die Schiffsbesatzung von TMS „E" den Unfall nur als leichte Anfahrung - abgemildert durch ein Reibholz - geschildert hat. Gründe, die Angaben der Schiffsbesatzung von MS „V" gegenüber den Angaben der Zeugen von TMS „E" hinsichtlich der Glaubwürdigkeit zu bevorzugen, bestehen nicht. Vielmehr ist die Aussage der Schiffsbesatzung von MS „V" kritisch zu sehen, weil eine Reihe von objektiven Umständen darauf hindeutet, daß das Schiffsleck nicht auf die Anfahrung zurückzuführen ist. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, daß ein größerer Schaden am Achter-Schiff oder Heck von MS „V" eingetreten ist. Solche Schäden und ein entsprechender Vortrag der Klägerin wären aber zu erwarten gewesen, wenn die Anfahrung so heftig er-folgt ist, wie es die Schiffsbesatzung von MS „V" dargestellt hat.
Ferner hat der Sachverständige K. in seinem Gutachten vom 14. Dezember 1989 eine Modellrechnung durchgeführt und ist dabei - unter Auswertung des am Unfalltage um 23.00 Uhr festgestellten Wasserstandes von 60 cm über der Strau, der Trimmlage des Schiffes und den Abmessungen der Schadstelle - zu dem Ergebnis gekommen, daß die Leckage erst ca. vier Stunden nach der Anfahrung eingetreten ist und daher nicht auf ihr beruhen kann.
Die Richtigkeit dieses Gutachtens hat die Klägerin substantiiert in Zweifel gezogen und insbesondere die vom Sachverständigen für das Leck angenommene Größe und Durchflußzahl sowie die Flutbarkeit des Laderaumes beanstandet. Der Sachverständige hat seine Modellrechnung daraufhin nach Maßgabe der klägerischen Vorgaben zur Größe und Durchflußzahl der Schadstelle ergänzt und die Flutbarkeit des Laderaums als Sachverständiger geschätzt. Er hat dabei ermittelt, daß sich der Zeitraum für die um 23.00 Uhr festgestellte Flutung des Laderaums von 6,50 Stunden auf 8,26 oder 9,08 Stunden und in der Parallelrechnung von 6,5 Stunden auf 6,1 oder 6,7 Stunden ändert. Dies bedeutet wiederum, daß der Zeitpunkt für die Entstehung des Lecks etwa mehr als eine Stunde bis zu vier Stunden nach der Anfahrung anzunehmen ist, so daß der eingetretene Schaden nicht durch den Schiffsunfall verursacht sein kann.
Die damit aufgezeigten Zweifel werden durch die Feststellung des Sachverständigen verstärkt, der unter Auswertung der Pegelstände zu dem Ergebnis gelangt ist, daß an der Liegestelle von MS „V" nur geringe Pegelschwankungen im 5- bis 10-cm-Bereich aufgetreten sind. Da die Fahrwassertiefe an der Liegestelle 3,5 bis 4 m beträgt und MS „V" nur 2,48 m tief abgeladen war, ist danach eine Grundberührung durch die Anfahrung von TMS „E" nicht wahrscheinlich.
Es ist auch nicht anzunehmen, daß MS „V" bei der Anfahrung auf die Steine der Uferböschung gedrückt worden ist, denn die Entfernung der Leckstelle vom Bug (das Leck befindet sich 4,2 m hinter der vorderen Eichmarke) ist so groß, daß ein derartiger Unfallverlauf nach sachverständiger Feststellung unwahrscheinlich ist.
Da die Leckage - außer durch die Anfahrung - auch durch andere Ursachen ausgelöst worden sein kann, ist die Schadensursächlichkeit des Schiffsunfalls zweifelhaft. Diese Zweifel gehen zu Lasten der insoweit beweispflichtigen (vgl. Palandt-Thomas, 50. Aufl., § 823 Rdn. 167 m.w.N.) Klägerin... ."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1992- Nr.22 (Sammlung Seite 1395); ZfB 1992, 1395