Jurisprudentiedatabank
Urteil des Oberlandesgerichts – Rheinschiffahrtsobergericht – Köln
vom 23. Februar 1996
- 3 U 56/95 BSch Rh -
Entscheidungsgründe:
Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung der Beklagten zu 1) führt nur zur Aufhebung der auf einem Verfahrensverstoß beruhenden Höhenentscheidung. Soweit sie sich gegen die Haftung der Beklagten zu 1) dem Grunde nach richtet, hat sie hingegen keinen Erfolg.
Das Verfahren gegen die Beklagte zu 1) ist durch die Eröffnung des Konkursverfahrens über ihr Vermögen in Luxemburg nicht unterbrochen worden, wie das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend ausgeführt und der Senat bereits in seinem Urteil vom 12.12.1995 in der Parallelsache 3 U 74/95 BSch Rh entschieden hat.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat zu Recht eine Haftung der Beklagten zu 1) für die an dem Leichter H entstandenen Schäden bejaht. Unstreitig hat es bei der Fahrt des Schubverbandes A am 20.01.1993 in der Talfahrt von Mainz nach Salzig bei Rheinkilometer 541,8 eine Grundberührung des Leichters gegeben. Der Senat ist übereinstimmend mit dem Rheinschiffahrtsgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, daß der am 01.04.1993 festgestellte Schaden durch diese Grundberührung verursacht worden ist. Dafür spricht bereits der Umstand, daß der in der Schadenstaxe festgestellte Schaden sich gerade dort befand, wo ihn der Beklagte zu 2) bei der telefonischen Mitteilung von der Grundberührung vermutet hatte, nämlich im Bereich der Sektion 6. Es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, daß der Leichter schon vor Fahrtantritt leck gewesen sein könnte. Der Leerverlust von rund 30 Tonnen liegt im Bereich des Üblichen bei einem älteren Leichter. Er ist damit zu erklären, daß im Laufe der Zeit von oben her Wasser und Ladungsreste durch kleine Schadstellen in den doppelwandigen Boden eindringen. Daß der Boden tatsächlich verschmutzt war, ergibt sich aus der Schadenstaxe, wonach der angrenzende Doppelboden gereinigt werden mußte. Die Klägerin weist auch zu Recht darauf hin, daß der Leerverlust bei dem Leertiefgang von 55 cm wesentlich höher, nämlich bei annähernd 60t hätte liegen müssen, wenn Sektion 6 schon vor Fahrtantritt leck gewesen wäre. Den Beklagten kann nicht darin gefolgt werden, daß der Luftwiderstand ein weiteres Eindringen von Wasser in den doppelwandigen Boden von Sektion 6 verhindert hätte; denn der Raum war nach oben hin nicht luftdicht verschlossen.
Die Zeugen Leinenga und Weihs haben selbst bekundet, nach der Grundberührung habe die Luft aus zwei Mannlochdeckeln gepfiffen. Dieses Phänomen kann nur damit erklärt werden, daß der Leichter bei der Grundberührung eine Leckage erlitten hatte, wobei die Luft aus dem doppelwandigen Boden von dem eindringenden Wasser verdrängt wurde und hierbei durch Öffnungen in der oberen Bodenplatte entwich. Wäre der Leichter schon vorher leck gewesen, hätte das beschriebene Phänomen bereits während des Beladungsvorgangs auftreten müssen, was die Beklagten nicht behaupten und auch von keinem der Zeugen berichtet worden ist. Zu dem von den Zeugen geschilderten Pfeifen aus den Mannlochdeckeln im Anschluß an die Grundberührung hätte es auch nicht kommen können, wenn der Bodenzwischenraum infolge eines bereits vorhandenen Lecks in Sektion 6 schon mit Wasser vollgelaufen gewesen wäre.
Auch der Umstand, daß der Leichter ausweislich der Leereiche vom 15.01.1993 an seiner Backbordseite durchschnittlich 4 cm tiefer eintauchte, läßt keine Rückschlüsse auf das Vorhandensein eines Lecks zu. Derartige geringfügige Gewichtsverlagerungen sind nicht ungewöhnlich. Sie können beispielsweise schon durch das Setzen eines Ankers hervorgerufen werden, was zur Folge hat, daß die Seite, auf der sich der Anker befunden hatte, angehoben wird. Der Effekt kann dadurch verstärkt werden, daß das den Leerverlust bewirkende Schmutzwasser im Bodenzwischenraum zu der tiefer eintauchenden Seite hinüberfließt. Wasser sammelt sich immer an der tiefsten Stelle. Insofern besteht keine Korrelation zwischen dem Ort der Leckage und der „Schlagseite" eines Leichters; denn die einzelnen Segmente gehen ohne vertikale Unterteilung über die gesamte Breite des Leichters.
Der Senat ist fern.er davon überzeugt, daß der Schaden bei der Fahrt mit dem Schubboot A am 20.01.1993 und nicht etwa in der nachfolgenden Zeit entstanden ist. Die Schadenstaxe ist zwar nicht unmittelbar nach Ende der Reise des Leichters, sondern erst rund 2 1/2 Monate später aufgenommen worden, was die Beweissituation der Klägerin verschlechtert (vgl. Bemm-Kortendick, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung 1983, Einf. Rdnr. 36). Der Klägerin ist aber der betreffende Nachweis gelungen. Wie bereits ausgeführt, läßt das von den Zeugen L und W nach der Grundberührung festgestellte Pfeifen der Luft aus zwei Mannlochdeckeln darauf schließen, daß der Leichter bei der Grundberührung eine Leckage erlitten hatte. Dagegen spricht nicht, daß der Zeuge L die Grundberührung seinen Bekundungen zufolge als leicht empfunden hatte. Wie der Sachverständige E im Parallelverfahren ausgeführt hat, ist ein „Durchzieher" bei einem Leichter auf dem Schubboot normalerweise nicht als starker Stoß zu spüren.
Nach Aussage des Zeugen P hat der Leichter bis zu seiner Entladung am 25.02.1993 im Duisburger Hafen gelegen. Am Folgetag ist er notdürftig repariert worden. Die Zeugen P und K haben übereinstimmend bekundet, der Leichter habe dabei die in der Schadenstaxe aufgeführten Schäden aufgewiesen. Der Zeuge K, der die Notreparatur durchgeführt hat, hat desweiteren erläutert, daß es sich im Hinblick auf die Färbung des Rostansatzes um eine frische Beschädigung gehandelt hat. Anhaltspunkte dafür, daß die Zeugen unrichtige Angaben gemacht haben könnten, sind nicht ersichtlich. Eine mögliche - weitere - Beschädigung des Leichters in den 2 1/2 Monaten bis zur Aufnahme der Schadenstaxe ist damit widerlegt. Im übrigen ist der Leichter in dieser Zeit nach Darstellung der Klägerin - abgesehen von einer Leerfahrt - nur von dem Schubboot A bewegt worden. Ein etwaiger neuer Schaden fiele demnach auch in den Verantwortungsbereich der Beklagten. Einer weiteren Beweisaufnahme dazu, ob der Leichter während der Zeiten, in denen er sich nicht in der Obhut des Zugboots A befand, keine Grundberührungen erlitten hat, bedurfte es nicht, da nach der Aussage der Zeugen P und K die Identität der am 26.02. und 01.04.1993 festgestellten Schäden feststeht.
Nach alledem haftet die Beklagte zu 1) dem Grunde nach für die Schäden, die der Klägerin durch die Grundberührung des Leichters „Haniel 158" am 20.01.1993 entstanden sind.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat allerdings einen Verfahrensfehler begangen, indem es ohne richterlichen Hinweis über die Höhe des Anspruchs entschieden hat. In Schiffahrtssachen wird üblicherweise über den Grund des Anspruchs vorab entschieden. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hatte die Klageforderung auch der Höhe nach bestritten, aber mit Rücksicht auf die übliche Verfahrensweise von weiteren Ausführungen zur Höhe abgesehen und gegebenenfalls um einen Hinweis gemäß § 139 ZPO gebeten. Ein solcher ist nicht erfolgt. Über die Höhe ist in erster Instanz überhaupt nicht verhandelt worden. Das Urteil stellt daher eine Überraschungsentscheidung dar. Unter diesen Umständen erschien es dem Senat angezeigt, ein Grundurteil zu erlassen und das Verfahren und die Entscheidung zur Höhe aufzuheben und die Sache insoweit an das Rheinschiffahrtsgericht zurückzuverweisen (vgl. Zöller-Gummer ZPO 19. Aufl. § 539 Rdnr. 27). Die Sache ist zur Höhe nicht entscheidungsreif, sondern bedarf weiterer Aufklärung. Insbesondere erscheint es zweifelhaft, ob der Nutzungsverlust abstrakt berechnet werden kann. Der Schaden bemißt sich - wie bei gewerblich genutzten Kraftfahrzeugen - nach dem entgangenen Gewinn (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB 54. Aufl., Vorbem. vor § 249 Rdnr. 24). In Anbetracht der zwischenzeitlichen langen Liegezeiten des Leichters wird man nicht ohne weiteres davon ausgehen können, daß er nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge (§ 252 BGB) während der Zeit der Reparatur tatsächlich eingesetzt worden wäre. Der Klägerin ist Gelegenheit zu geben, hierzu ergänzend vorzutragen. Gegebenenfalls bedarf es sodann noch einer Beweisaufnahme zur Höhe des Nutzungsausfallschadens.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage gegen den Beklagten zu 2) infolge einer Verkennung der Beweislast zu Unrecht abgewiesen. Der Anscheinsbeweis spricht dafür, daß ein ordnungsgemäß abgeladenes Schiff innerhalb der amtlichen Fahrrinne keine Grundberührung erleidet und eine dennoch erfolgte Grundberührung auf fehlerhafter Navigation beruht. (vgl. Bemm/Kortendick, Rheinschiffahrtspolizeiverord nung 1983, § 1.07 Rdnr. 8 und § 1.17 Rdnr. 18). Die unstreitige Grundberührung läßt daher darauf schließen, daß der Beklagte zu 2) den Schubverband infolge nautischen Fehlverhaltens nicht in der Fahrrinne gehalten hat. Den ihm obliegenden Entlastungsbeweis hat er nicht geführt. Die Klage ist daher auch ihm gegenüber dem Grunde nach gerechtfertigt, was durch Grundurteil (§ 304 ZPO) auszusprechen war. Wegen des Höheverfahrens war die Sache gemäß §§ 538 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO ans Rheinschiffahrtsgericht zurückzuverweisen, da der Streit über den Betrag des Anspruchs - wie ausgeführt - noch nicht entscheidungsreif ist. Dabei war die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens ebenfalls dem Rheinschiffahrtsgericht vorzubehalten.