Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Die Sperrung eines Schifffahrtsweges aufgrund eines durch Dritte verursachten Schiffsunfalles zählt nicht zur Risikosphäre des Absenders im Sinne des § 420 III HGB.
2) Jedenfalls im Rahmen des § 420 HGB führt nicht ausnahmslos jeder nicht dem Risikobereich des Frachtführers zuzurechnende Verzögerungsgrund zu einem Vergütungsanspruch des Frachtführers. Es gibt eine neutrale Risikosphäre.
3) Die gesetzliche Risikoverteilung zu Lasten des Frachtführers in § 420 HGB schließt regelmäßig die Möglichkeit aus, bei Verwirklichung des Risikos, Sperrung eines Schifffahrtsweges in Folge eines Schiffsunfalles, eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB vorzunehmen.
4) Wollen die Vertragsparteien von der gesetzlichen Risikoverteilung abweichen, so können sie dies individualvertraglich oder - wie in der Binnenschifffahrt nicht unüblich - durch Vereinbarung der Internationalen Verlade- und Transportbedingungen für die Binnenschifffahrt (IVTB) vereinbaren.
Urteil des Schiffahrtsobergerichtes Köln
vom 28. Oktober 2008
3 U 55/07 BSch
(Schiffahrtsgericht Duisburg-
Ruhrort) rechtskräftig
Aus dem Tatbestand:
Die Klägerin macht als Eigentümerin von MS »I.« Ansprüche aus Binnenschifffahrtstransporten gegen die Beklagte geltend. Aus einem im August 2005 durchgeführten Zementtransport von F nach J begehrt sie 1.656,59 Euro Liegegeld wegen verzögerter Beladung, 613,55 Euro Liegegeld wegen Verschmutzung des Schiffes bei der Beladung und deshalb notwendiger Reinigung, 1.650,00 Euro Reinigungskosten, 65,00 Euro Kosten für Reinigungsmittel, 350,00 Euro Sachverständigenkosten, insgesamt 4.335,14 Euro. Für einen Transport von E nach F gemäß Vertrag vom 11.10.2005 (Anlage K 5, BI. 18 d. A.) verlangt die Klägerin restliche Fracht in Höhe von 65,57 Euro sowie 12.271,00 Euro Liegegeld für 20 Tage ä 613,55 Euro wegen der Sperrung der G durch ein havariertes Schiff in der Zeit vom 15. bis 29.10.2005. Der Transport sollte zunächst nach der Ladung ab 12.10.2005 über den H-G-Kanal stattfinden, der bereits am 11.10.2005 bei P gesperrt wurde, weil dort ein Leck in der Kanalüberführung über die M aufgetreten war. Der Zeitraum der Sperrung war zunächst unklar. Als sich herausstellte, dass diese länger andauern würde, einigten sich die Parteien darüber, den Umweg über die Niederlande (G) zu nehmen, und vereinbarten hierfür einen Zuschlag von 0,40 Euro je Tonne zuzüglich eines einmaligen Betrages von 100,00 Euro. Vor der Abfahrt des Schiffes kam es am 15.10.2005 zu einer Schiffshavarie auf der G, in deren Folge die G bis zum 29.10.2005 gesperrt war. MS »I trat die Reise in E am 05.11.2005 an. Die Klägerin begründet die verzögerte Ab-fahrt nach der Aufhebung der G-Sperre damit, dass sich Hunderte von Schiffen diesseits und jenseits der Sperrung angesammelt hatten, so dass der aufgestaute Schiffsverkehr nur langsam über die Schleusen abfahren konnte. Die Parteien streiten darüber, in wessen Risikosphäre die durch die Sperrung der G bedingte Verzögerung der Reise fällt... Das Schifffahrtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 2.065,57 Euro nebst Zinsen verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, aus dem Vertrag über den Transport von F nach J sei ein Ersatzanspruch in Höhe von 2.000,00 Euro (65,00 Euro Reinigungsmitttel, 350,00 Euro Sachverständigenkosten sowie 1.650,00 Euro Reinigungskosten) begründet, aus dem Vertrag über den Transport von E nach F stehe der Klägerin restliche Fracht in Höhe von 65,57 Euro zu. Den geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von 12.271,00 Euro wegen einer Reiseverzögerung von 20 Tagen hat das Schifffahrtsgericht nicht zuerkannt, weil die zeitweise Sperrung der Schifffahrtsstraße wegen eines Schiffsunfalls für die Klägerin nicht gänzlich unvorhersehbar, unbeherrschbar und unkalkulierbar sei. Gegen das Urteil des Schifffahrtsgerichts hat die Klägerin in zulässiger Weise Berufung eingelegt, die sie auf die Abweisung der Klageforderung von 12.271,00 Euro beschränkt hat. Die Beklagte hat Anschlussberufung eingelegt, mit der sie sich gegen die Verurteilung zur Zahlung von 2.000,00 Euro wegen Verschmutzung des Schiffes durch Zement wehrt. Die Klägerin ist der Ansicht, ihr Vergütungsanspruch auf Zahlung von 12.271,00 Euro sei gemäß § 420 Abs. 3 HGB begründet. Nach der Sperrung des H-G-Kanals am 11.10.2005 und der Sperrung der G am 15.10.2005 sei es - unstreitig - nicht mehr möglich gewesen, von der Schiene aus das mitteldeutsche Kanalnetz mit einem Binnenschiff zu erreichen. Die Sperrung als Ursache der Reiseverzögerung sei von außen gekommen und habe sich zuerst unmittelbar im Bereich des Frachtführers ausgewirkt. Dies sei für die Klägerin gänzlich unvorhersehbar und damit weder beherrschbar noch kalkulierbar gewesen. Es sei noch nie vorgekommen, dass über einen längeren Zeitraum sämtliche Verbindungswege der Binnenschifffahrt zwischen dem mittteldeutschen Kanalnetz und der S-Ebene blockiert gewesen seien. Damit habe niemand in der Schifffahrt gerechnet und auch nicht rechnen müssen. Die Ursache falle deshalb nicht in den Risikobereich des Frachtführers. Da das Transportrecht keine neutrale Sphäre kenne, müsse die Ursache zu dem Risikobereich des Absenders zählen...
Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Schifffahrtsgericht hat die Klage auf Zahlung von 12.271,00 Euro wegen einer Reiseverzögerung aufgrund der Sperrung der G vom 15. bis 29.10.2005 wegen eines Schiffsunfalls zu Recht abgewiesen.
a) Ansprüche der Klägerin nach § 420 Abs. 3 HGB sind nicht begründet. Nach dieser Vorschrift gebührt dem Frachtführer neben der Fracht eine angemessene Vergütung, wenn nach Beginn der Beförderung eine Verzögerung eintritt, deren Gründe dem Risikobereich des Absenders zuzurechnen sind. Die Sperrung des Schifffahrtsweges aufgrund eines durch Dritte verursachten Schiffsunfalls zählt aber nicht zur Risikosphäre des Absenders. Neben Verzögerungen, die der Absender verschuldet hat, fallen in seinen Risikobereich die Umstände, für die er gemäß § 414 HGB haftet, sowie alle Verzögerungsursachen, die seiner Sphäre entspringen. Bereits der Wortlaut der - insoweit von § 412 Abs. 3 HGB abweichenden - Gesetzesfassung spricht dafür, dass Umstände, die für den Absender weder vorhersehbar noch beherrschbar sind, jedenfalls nicht in dessen Risikobereich fallen (vgl. von Waidstein/Holland, Binnenschiffahrtsrecht, 5. Aufl. 2007, § 420 Rz. 13). Hätte der Gesetzgeber solche Umstände, die ebenso wenig für den Frachtführer vorhersehbar oder beherrschbar sind, dem Risikobereich des Absenders zurechnen wollen, so hätte er wie in § 412 Abs. 3 HGB und § 419 Abs. 1 HGB die Formulierung gewählt, dass die Gründe für die Verzögerung nicht dem Risikobereich des Frachtführers zuzurechnen sind. Die unterschiedliche Formulierung in § 412 Abs. 3 HGB und § 419 Abs. 1 HGB einerseits und § 420 Abs. 3 HGB andererseits lässt nach Auffassung des Senats nur den Schluss zu, dass nicht ausnahmslos jeder nicht dem Risikobereich des Frachtführers zuzurechnende Verzögerungsgrund zu einem Anspruch des Frachtführers nach § 420 Abs. 3 HGB führen soll. Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift stützt diese Auffassung. Der historische
Gesetzgeber hat § 428 Abs. 2 S. 1 HGB a. F., § 71 Binnenschifffahrtsgesetz a. F. als Vorbild für die neu geschaffene Regelung des § 420 Abs. 3 HGB angesehen. Nach den genannten Vorschriften kam eine Erhöhung der vereinbarten Vergütung wegen nicht in den Risikobereich des Absenders fallender Umstände nicht in Betracht. So bestimmte § 428 Abs. 2 HGB a. F. abweichend vom allgemeinen Leistungsstörungsrecht lediglich ein Rücktrittsrecht des Absenders, nicht aber besondere Ansprüche des Frachtführers im Falle von Beförderungshindernissen, deren Nachteile vielmehr grundsätzlich zu seinen Lasten gingen (vgl. Schlegelberger-Geßler, § 428 HGB a. F. Rz. 12). Gemäß § 71 Binnenschifffahrtsgesetz a. F. war der Schiffer verpflichtet, bei zeitweiligen Hindernissen sein Schiff länger als an sich vorgesehen zur Verfügung zu stellen (vgl. Goette, Binnenschifffahrtsfrachtrecht 1995, § 71 Binnenschifffahrtsgesetz a. F. Rz. 1 Vortisch/Bemm, Binnenschifffahrtsrecht, 4. Aufl. 1991, § 71 Binnenschifffahrtsgesetz a. F. Rz. 3), und zwar ohne dass hierfür ein Ausgleich vorgesehen war. Dass der Gesetzgeber an dieser Ausgangslage etwas ändern wollte, ist nicht ersichtlich. Soweit § 420 Abs. 3 HGB der sog. »Sphären- Gedanke« (vgl. Fremuth-Thume, Transportrecht, § 420 HGB Rz. 20 f.) zugrunde liegt, kann dieser nur eingreifen, wenn das Risiko jedenfalls für den Absender besser vorhersehbar oder besser beherrschbar ist als für den Frachtführer (vgl. Heymann-
Schlüter, Kommentar zum HGB, § 420 HGB Rz. 11); das ist hier aber gerade nicht der Fall. Auch eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung der Neuregelung führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Nach allgemeinen werkvertraglichen Grundsätzen schuldet der Frachtführer den Erfolg grundsätzlich unabhängig von etwaigen Leistungserschwerungen, die der Absender nicht zu vertreten hat.
b) Der Zahlungsanspruch ist auch nicht über eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB begründet. Die Vorschrift ist nicht anwendbar, wenn
sich ein Risiko verwirklicht, das die Vertragspartei selbst zu tragen hat (vgl. BGH NJW 2006, 899). Ein Anspruch auf Vertragsänderung könnte nur dann begründet sein, wenn der Klägerin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden könnte (vgl. BGH, 2006, 2771, 2772). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Wie oben ausgeführt, gebührt dem Frachtführer keine zusätzliche Vergütung für eine
Verzögerung, deren Gründe nicht dem Risikobereich des Absenders zuzurechnen sind. Diese gesetzliche Risikoverteilung zu Lasten des Frachtführers schließt regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos - hier Sperrung des Schifffahrtswegs infolge Schiffsunfalls - auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen. Die Parteien hätten ohne Weiteres eine andere Risikoverteilung individualvertraglich vornehmen können oder - wie in der Binnenschifffahrt nicht unüblich - die Geltung der Internationalen Verlade- und Transportbedingungen für die Binnenschifffahrt (IVTB) vereinbaren können. Nach dem Ergebnis der Erörterung dieser Frage in der mündlichen Verhandlung sind unstreitig solche Vereinbarungen nicht getroffen worden. Haben die Parteien somit die gesetzliche Risikoverteilung gewählt, so könnte allenfalls eine krasse Unbilligkeit zu einem Anspruch auf Vertragsanpassung führen. Hierfür reicht eine - abstrakt immer vorhersehbare - Sperrung des Schifffahrswegs infolge eines Schiffsunfalls jedenfalls dann nicht aus, wenn diese Sperrung nicht mehr als 14 Tage andauert. 2. Der Senat lässt gegen die Zurückweisung der Berufung der Klägerin die Revision zu, da - soweit ersichtlich - bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist, welche Verzögerungsgründe dem Risikobereich des Absenders zuzuordnen sind (vgl. die abweichende Auffassung von Koller, Transportrecht, § 420 HGB Rz. 26 m.w.N.; Schifffahrtsobergericht Karlsruhe Transportrecht 2002, 348; Schifffahrtsgericht Mannheim, Transportrecht 2002, 351) und dem Senat eine höchstrichterliche Klärung dieser insbesondere für die Praxis im Bereich der Binnenschifffahrt bedeutsamen Frage erforderlich erscheint. Dies gilt ebenso für die Frage der Anwendung der Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage neben § 420 Abs. 3 HGB.
3. Die zulässige Anschlussberufung der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Reinigung ihres Schiffes in Höhe von 1.650,00 Euro sowie der Sachverständigenkosten in Höhe von 350,00 Euro gemäß § 407, 412 HGB, 280, 276, 278 BGB. Nach diesen Vorschriften hat der Absender Schäden infolge schuldhaft verursachter Verlademängel zu ersetzen. Die Klägerin hat nicht den ihr obliegenden Beweis geführt, dass die Verschmutzung ihres Schiffes, für deren Beseitigung der von ihr beauftragte Privatgutachter Q in seinem Feststellungsbericht vom 13.10.2005 sowie der Privatgutachter L in seinem Besichtigungsbericht vom 18.10.2005 Reinigungskosten in Höhe von 1.650,00 Euro beziffert haben, von dem von der Beklagten in Auftrag gegebenen Zementransport von F nach J stammte ... Da sich eine Verursachung der Verschmutzung durch die Beklagte nicht feststellen lässt, haftet diese auch nicht für die geltend gemachten Sachverständigenkosten in Höhe von 350,00 Euro und die Kosten für die Reinigungsmittel i.H.v. 65,- €.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2008 - Nr.12 (Sammlung Seite 2005 ff.); ZfB 2008, 2005 ff.